OGH 2Ob180/07w

OGH2Ob180/07w18.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Dr. Martin Leys, Rechtsanwalt in Imst, gegen die beklagte Partei DI Rudolf H*****, vertreten durch Mag. Norbert Tanzer, Rechtsanwalt in Telfs, wegen EUR 360.000 sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 21. Juni 2007, GZ 4 R 149/07d-12, womit der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. April 2007, GZ 15 Cg 39/07y-8, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichtes wird wiederhergestellt. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 4.495,97 (darin enthalten EUR 749,32 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Gegen die beim Erstgericht eingebrachte Darlehensklage erhob der (in T***** wohnhafte) Beklagte in der Klagebeantwortung die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes. Die Streitteile stünden in einer langjährigen Geschäftsbeziehung, für Streitigkeiten sei der Gerichtsstand T***** vereinbart worden.

Die Klägerin replizierte, in den gegenständlichen Kreditverträgen sei für alle Streitigkeiten aus diesen Verträgen gemäß § 104 JN das Bezirksgericht T***** vereinbart worden. Diese Gerichtsstandsvereinbarung sei im Sinne der ständigen Judikatur als Wahlgerichtsstand zu beurteilen, sodass das angerufene Gericht sachlich und örtlich zuständig sei. Zwischen den Vertragsteilen seien auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Vertragsgrundlage vereinbart worden. Gemäß deren Punkt F Abs 3 Z 21 sei das Kreditinstitut berechtigt, einen Rechtsstreit bei jedem örtlich und sachlich zuständigen Gericht geltend zu machen.

Der Beklagte wandte dagegen ein, eine allenfalls bestehende in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene gegenteilige Klausel sei ausdrücklich abgeändert worden. Jedenfalls habe der Beklagte mit einer derartigen versteckten Klausel in AGB nicht rechnen müssen, diese seien unwirksam. Der Beklagte sei Verbraucher. Das Erstgericht verwarf die Einrede der (sachlichen und örtlichen) Unzuständigkeit des Erstgerichtes. Es traf folgende Feststellungen:

Mit Kreditvertrag vom 13./14. 7. 1995 gewährte die Klägerin dem Beklagten einen Betriebsmittelkredit in Höhe von ATS 14 Mio, der bis zum 30. 4. 2005 abzudecken war. In diesem Kreditvertrag fand sich folgende Formulierung:

„Gerichtsstandvereinbarung

In allen Streitigkeiten aus diesem Rechtsgeschäft [unleserlich] (die) Kreditnehmer ohne Rücksicht auf die Höhe des Betrages die Gerichtsbarkeit des Bezirksgerichtes T*****."

Nach Ablauf der Laufzeit des Kredites laut Kreditvertrag vom 13./14.

7. 1995 schloss der Beklagte mit der Klägerin jeweils am 17. 5. 2005 sowohl einen Abstattungs- als auch einen Kontokorrentkreditvertrag zu Konto Nr. 270.660.

Beide Kreditverträge lauten auszugsweise wie folgt:

„... Für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag wird gemäß § 104 JN das Bezirksgericht T***** vereinbart ...

C) Allgemeine Geschäftsbedingungen

Weiters gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der derzeit gültigen Fassung; besonders wird auf die Ziffern 2, 11, 19, 20, 21, 38 und 59 hingewiesen, deren Erläuterungen der Kreditnehmer bestätigt

..."

Die AGB der Klägerin in der Fassung 2003 lauten auszugsweise wie folgt:

„3. Gerichtsstand

Z 21 (1) Klagen eines Unternehmers gegen das Kreditinstitut können nur beim sachlich zuständigen Gericht am Sitz der Hauptniederlassung des Kreditinstitutes erhoben werden. Dieser Gerichtsstand ist auch für Klagen des Kreditinstitutes gegen einen Unternehmer maßgeblich, wobei das Kreditinstitut berechtigt ist, seine Rechte auch bei jedem anderen örtlich und sachlich zuständigen Gericht geltend zu machen

..."

Nicht festgestellt werden kann, ob die Kreditaufnahmen des Beklagten bei der Klägerin zum Betrieb des Unternehmens des Beklagten gehören. Das Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahingehend ab, dass es die Klage wegen Unzuständigkeit des Erstgerichtes zurückwies. Eine Einbeziehung der Z 21 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin sei schon deswegen nicht möglich, weil darin nur von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Kreditinstitut und einem Unternehmer die Rede sei. Da sich die Klägerin auf diese Klausel berufe, hätte sie darlegen und beweisen müssen, dass der Beklagte die Kreditverträge als Unternehmer abgeschlossen habe. Die zur Unternehmereigenschaft des Beklagten getroffene Negativfeststellung des Erstgerichtes gehe somit zu Lasten der Klägerin. Aus dem Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung lasse sich zwanglos der übereinstimmende Wille der Parteien ableiten, alle Streitigkeiten aus dem Kreditvertrag vor dem Bezirksgericht T***** auszutragen, unabhängig vom Streitwert oder dem Wohnsitz der Parteien. Nach langjähriger und einheitlicher, von der Lehre gebilligter Rechtsprechung begründe die Vereinbarung über den Gerichtsstand nach § 104 JN im Zweifel keinen ausschließlichen Gerichtsstand, sondern einen Wahlgerichtsstand zugunsten des Gläubigers. Ausschließlichkeit müsste ausdrücklich vereinbart sein. Eine solche Ausschließlichkeitsabrede liege nach dieser Auffassung aber nicht schon dann vor, wenn für alle Streitigkeiten aus einen bestimmten Rechtsverhältnis ein bestimmtes Gericht vereinbart worden sei. Art 23 EuGVVO sehe unter im Wesentlichen dem § 104 JN entsprechenden Umständen bei Zuständigkeitsvereinbarungen ausdrücklich im Zweifel die ausschließliche Zuständigkeit der betreffenden Gerichte vor. Die Diskrepanz zwischen der Rechtslage ohne europarechtlichen Bezug und mit einem solchen sei Anlass zur Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung zu § 104 JN. In die Tiefe gehende Begründungen dafür, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung im Zweifel einen Wahlgerichtsstand begründe, seien sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre spärlich. Dass trotz Vereinbarung eines bestimmten Gerichts im Zweifel nur ein Wahlgerichtsstand begründet werden solle, sei keineswegs zwingend und auch nicht mit dem Gebot der Rechtssicherheit zu begründen. Gerade dieses Gebot spreche dafür, im Zweifel bei Vereinbarung eines bestimmten Gerichts einen ausschließlichen Gerichtsstand anzunehmen, weil nur so beide Streitparteien eindeutig wüssten, welches Gericht zuständig sein werde. Es sei nicht zu rechtfertigen, den Kläger durch die ihm eingeräumte Wahlmöglichkeit, ein anderes als das vereinbarte Gericht anzurufen, zu bevorzugen. Diese Überlegungen lägen auch Art 23 EuGVVO zugrunde. Es wäre aber nicht sachgerecht, die Frage der Rechtssicherheit in Bezug auf ein vereinbartes Gericht bei Streitigkeiten ohne Auslandsbezug anders als bei solchen mit Auslandsbezug zu beurteilen. Auch die deutsche Rechtsprechung und Lehre kenne bei vergleichbarer Rechtslage keine Vermutung der Vereinbarung nur eines Wahlgerichtsstandes. Die Einordnung des § 104 JN im System dieses Gesetzes sei nicht aussagekräftig. § 102 JN, wonach unter mehreren zuständigen Gerichten der Kläger die Wahl hat, trage zur gegenständlichen Frage nichts bei, weil die Norm nichts über den Bestand von Gerichtsständen aussage, sondern bestehende Gerichtsstände vielmehr voraussetze. Nach Ansicht des Rekursgerichtes begründe eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 104 JN daher im Zweifel einen ausschließlichen Gerichtsstand, und zwar jedenfalls dann, wenn ein konkretes Gericht ohne jede den Parteien erkennbare Einschränkung als für Streitigkeiten aus einem bestimmten Vertrag zuständig vereinbart werde.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil das Rekursgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Nach seit Jahrzehnten ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung begründet die Vereinbarung über den Gerichtsstand nach § 104 JN im Zweifel keinen ausschließlichen Gerichtsstand, sondern einen Wahlgerichtsstand zugunsten des Gläubigers (RIS-Justiz RS0046791). Ausschließlichkeit müsste ausdrücklich vereinbart sein. Eine solche Ausschließlichkeitsabrede liegt aber nicht schon dann vor, wenn für alle Streitigkeiten aus einen bestimmten Rechtsverhältnis ein bestimmtes Gericht vereinbart wurde (RIS-Justiz RS0046791 [T5, 6]). Ob der Beklagte Unternehmer ist und gegebenenfalls die Kredite im Betrieb seines Unternehmens aufgenommen wurden, kann dahingestellt bleiben, weil auch ohne Anwendung der Z 21 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin das angerufene Erstgericht zuständig ist.

Zunächst ist festzuhalten, dass die überwiegende jüngere österreichische Lehre die zitierte Rechtsprechung jedenfalls für rein innerstaatliche Gerichtsstandsvereinbarungen nicht in Frage stellt (Fasching, Lehrbuch2 Rz 196; Schoibl, Zum Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, in BeitrZPR IV [1991] 121 [172 f]; Simotta in Fasching2 § 104 JN Rz 90-92, 97; Ballon, Zivilprozessrecht, Streitiges Verfahren11 [2006] Rz 67; zweifelnd Mayr in Rechberger3 § 104 Rz 11, 25; ablehnend Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen [2004] 265 ff).

Soweit das Rekursgericht durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Kläger als zu Unrecht gegenüber dem Beklagten bevorzugt ansieht, ist dem zu entgegnen: Aus einem Vertragsverhältnis werden üblicherweise wechselseitige Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien begründet. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann daher entweder die eine oder die andere Partei als Kläger auftreten und solchermaßen in den „Genuss" der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, zwischen mehreren Gerichtsständen wählen zu können, kommen. Eine durch die ständige Rechtsprechung verursachte, nicht zu rechtfertigende Ungleichgewichtslage zwischen den eine Gerichtsstandsvereinbarung abschließenden Vertragsparteien ist daher nicht zu sehen.

Es besteht auch kein zwingender Grund, aufgrund von Art 23 Abs 1 EuGVVO (Art 17 Abs 1 LGVÜ/EuGVÜ), wonach Gerichtsstandsvereinbarungen im Zweifel sonst gegebene Gerichtsstände ausschließen, für rein innerstaatliche Sachverhalte dasselbe zu fordern. In der jüngeren Lehre wird zwar mit beachtlichen Gründen eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen (sofern sie diesen Bestimmungen nicht ohnehin unterliegen) vertreten (Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen:

Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit?, JBl 1997, 434; ihm folgend Simotta aaO Rz 97; Mayr aaO 11; vgl auch 6 Ob 275/01m). Schon Oberhammer aaO 438 f weist aber zutreffend auf die viel größere Tragweite internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber nationalen hin: Bei einem Gerichtsstand in einem anderen Staat kann sich das anzuwendende Sachrecht ändern, die Rechtsverfolgung kann teurer sein oder länger dauern, der gewährte Rechtsschutz kann qualitativ schlechter sein. Hinzukommen typischerweise größere zu überwindende Distanzen zum Gericht sowie die Erschwernis durch eine fremde Verfahrenssprache.

All diese Umstände können durchaus eine unterschiedliche Behandlung rein innerstaatlicher gegenüber internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen rechtfertigen.

Weiters ist darauf zu verweisen, dass die hier verwendete Formulierung „für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag wird das ...gericht ... vereinbart" durchaus die Auslegung zulässt, die Parteien wollten damit (nur) festlegen, welche Streitigkeiten von den Vereinbarungen erfasst sein sollten, nicht aber (auch), dass das genannte Gericht ausschließlich zuständig sein solle (so Oberhammer aaO 439 für die internationale Zuständigkeitsvereinbarung). Die vom Rekursgericht ins Treffen geführten Argumente haben daher insgesamt nach Ansicht des erkennenden Senates kein solches Gewicht, die jahrzehntelange ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung aufzugeben. Dem entsprechend bewirkt die vorliegende Gerichtsstandsvereinbarung nur einen Wahlgerichtsstand, der sonstige Gerichtsstände, insbesondere den allgemeinen, nicht verdrängt. Das Erstgericht ist beim gegebenen Streitwert (§§ 49, 50 JN) für den in seinem Sprengel wohnhaften Beklagten das örtlich und sachlich zuständige Gericht und kann daher von der Klägerin angerufen werden. Es war somit der Beschluss des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

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