OGH 6Ob139/07w

OGH6Ob139/07w13.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Thomas, geboren am 17. November 1995, und Roman, geboren am 27. August 1997, P*****, beide *****, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn Fachgebiet Jugendwohlfahrt, 2020 Hollabrunn, Mühlgasse 24, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 27. März 2007, GZ 23 R 34/07y-U31, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 19. Dezember 2006, GZ 4 P 449/02z-U19, U20, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Minderjährigen entstammen der am 19. 8. 2002 geschiedenen Ehe des Robert P***** und der Birgit P*****; sie befinden sich in Pflege und Erziehung der Mutter. Der Vater ist geldunterhaltspflichtig und hatte zunächst aufgrund des Scheidungsfolgenvergleichs je 175 EUR monatlich zu bezahlen. Mit Beschluss vom 11. 5. 2006 setzte das Erstgericht seine monatliche Unterhaltsverpflichtung für den Zeitraum 1. 11. 2004 bis 31. 10. 2005 auf je 207 EUR und ab 1. 11. 2006 auf 232 EUR für Thomas und auf 195 EUR für Roman hinauf. Es ging dabei von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage des Vaters in Höhe von monatlich 1.220 EUR und dem Fehlen weiterer Sorgepflichten aus; er sei seit 21. 10. 2004 ÖBB-Pensionist.

Der Vater befindet sich 18. 9. 2003 in Haft; seit 11. 2. 2004 ist er in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Aus diesem Grund wurden den Minderjährigen am 27. 1. 2004 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG bis 31. 12. 2006 gewährt und der Vater zunächst, nämlich bis zur neuerlichen Unterhaltsfestsetzung ab 1. 11. 2004, mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 6. 2004 für die Dauer der Haft von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben. Die Minderjährigen beantragen die (Weiter-)gewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG ab 1. 1. 2007 unter Hinweis auf die Unterbringung des Vaters.

Das Erstgericht gewährte die Vorschüsse bis 31. 12. 2009 weiter; es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben wären.

Das Rekursgericht wies die Anträge über Rekurs des Vaters ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur hier gegebenen „speziellen Fallkonstellation". Haftvorschüsse stünden nur zu, wenn der Unterhaltsschuldner aufgrund der Freiheitsentziehung seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen könne; hier beziehe der Vater jedoch eine Pension und sei leistungsfähig. Dies sei gemäß § 18 Abs 1 Z 2 UVG anlässlich der beantragten Weitergewährung zu berücksichtigen. Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 18 Abs 1 Z 2 UVG hat das Gericht Vorschüsse für längstens drei Jahre (nur) weiterzugewähren, wenn keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Voraussetzungen für eine Gewährung weiter gegeben sind. Das Gericht ist nicht berechtigt, im Zusammenhang mit der Weitergewährung den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen; es hat vielmehr zu prüfen, ob die früheren Gewährungsgrundlagen noch gegeben sind. Ist der Sachverhalt also ident wie bei der Erstgewährung, ist eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses ausgeschlossen; neue Versagungsgründe sind jedoch uneingeschränkt von Amts wegen zu beachten. Maßgebend ist die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung in erster Instanz (Neumayr in Schwimann, ABGB³ I [2005] § 18 UVG Rz 4 mwN). Da § 18 Abs 1 Z 2 UVG von dieser Regelung lediglich Unterhaltsvorschüsse nach § 3 Z 2 UVG ausnimmt, ist sie auch auf Haftvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG anzuwenden.

Den Minderjährigen wurden am 27. 1. 2004 Haftvorschüsse gewährt. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater aufgrund des Scheidungsfolgenvergleichs, der vor seiner Inhaftierung abgeschlossen worden war, zu monatlichen Unterhaltsleistungen von je 175 EUR verpflichtet. Ein Pensionseinkommen bezog er (noch) nicht; dieses erhält er erst seit 21. 10. 2004. In weiterer Folge wurde seine monatliche Unterhaltsverpflichtung neu festgesetzt, nachdem er zwischenzeitig zur Gänze enthoben worden war. Damit lag aber zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts über die (Weiter-)gewährungsanträge der Minderjährigen eine geänderte Sachverhaltsgrundlage vor, die - wie noch darzustellen sein wird - Bedenken gegen das Vorliegen der Gewährungsvoraussetzungen hervorruft.

2. Nach § 4 Z 3 UVG sind Vorschüsse zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird, wozu auch vorbeugende Maßnahmen nach §§ 21 bis 23 StGB gehören (Neumayr, aaO § 4 UVG Rz 67 mwN). Insofern lägen die Gewährungsvoraussetzungen hinsichtlich des Vaters der minderjährigen Vorschusswerber vor.

Allerdings verlangt § 4 Z 3 UVG außerdem, dass der Unterhaltsschuldner „deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann". Sowohl zweitinstanzliche Rechtsprechung (vgl etwa LGZ Wien EFSlg 57.480, 63.678, 75.680, 94.090 ua) als auch Neumayr (aaO Rz 59) schließen daraus, dass Haftvorschüsse ausnahmsweise nicht zu gewähren sind, wenn der Unterhaltsschuldner trotz der Haft über Mittel verfügt, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichen, oder er den Unterhalt entsprechend dem Titel während der Haft weiter zahlen kann; § 4 Z 3 UVG solle nicht zu einer Doppelalimentation führen. Dem ist im Hinblick darauf zu folgen, dass ansonst die Wortfolge „deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann" sinnlos wäre. Der vom Gesetzgeber hergestellte Kausalzusammenhang bezieht sich aber nur auf die durch die Haft eingeschränkte Freiheit, ein Einkommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen (Neumayr, aaO). Das Erstgericht hat die aktuelle monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters am 11. 5. 2006 in Kenntnis der Unterbringung des Vaters in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und seines ÖBB-Pensionsbezugs festgesetzt. Damit steht aber fest, dass der Vater „trotz der Haft über Mittel verfügt, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichen". Eine Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 UVG scheidet demnach aus.

3. Gemäß § 6 Abs 2 UVG stünden den Minderjährigen derzeit Haft(Richtsatz)vorschüsse von monatlich je 226 EUR zu. Damit liegt der Titelunterhalt hinsichtlich Thomas mit 232 EUR sogar darüber. Es ist aber auch unbeachtlich, dass jener hinsichtlich Roman mit 195 EUR darunter liegt. Dass die Richtsatzvorschüsse über dem Titel liegen würden, mag zwar angenehm sein, begründet aber keinen Vorschussanspruch (Knoll, UVG [1987/1988] § 4 Rz 24; Neumayr, aaO), und zwar auch nicht auf die Differenz (Neumayr, aaO; LGZ Wien EFSlg 97.686).

4. Die Minderjährigen verweisen im Revisionsrekurs darauf, dass der Vater in den letzten Monaten lediglich je 175 EUR überwiesen habe. Müsste aufgrund des Unterhaltstitels Exekution geführt werden und wäre diese (teilweise) ergebnislos, wären die Minderjährigen wieder auf Unterhaltsvorschüsse nach § 3 Z 2, § 4 Z 1 UVG angewiesen; eine derartige Vorschussgewährung scheide aber im Hinblick auf § 7 Abs 2 UVG aus.

Den Beweis für den anspruchsvernichtenden Tatbestand, nämlich dass der Unterhaltsschuldner trotz der Haft über Mittel verfügt, die ihm die Erbringung der von ihm geschuldeten Unterhaltsleistungen ermöglichen, oder er den Unterhalt entsprechend dem Titel während der Haft weiter zahlen kann, hat zwar wohl der Bund zu führen (Neumayr, aaO; LGZ Wien EFSlg 60.480). Im vorliegenden Verfahren bestehen jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass der Vater die ihm auferlegten Unterhaltsbeiträge nicht aus seiner ÖBB-Pension bezahlen kann. Bei einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von 1.220 EUR hat ihm ein Unterhaltsexistenzminimum von rund 715 EUR zu verbleiben (Tabelle 2 cm der Existenzminimumverordnung). Der Differenz von 505 EUR stehen Unterhaltsansprüche von insgesamt lediglich 427 EUR gegenüber. Dass eine Exekutionsführung gegen den Vater ergebnislos war oder aussichtslos sein könnte, behaupten die Minderjährigen im gesamten Verfahren tatsächlich auch nicht.

Damit hat das Rekursgericht aber eine (Weiter-)gewährung von Haftvorschüssen zutreffend abgelehnt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte