OGH 11Os60/07v

OGH11Os60/07v3.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Patrik Abdel R***** und andere Angeklagte wegen mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Kristijan V***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 27. Februar 2007, GZ 151 Hv 6/07w-133, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen (I bis III) sowie demzufolge auch in den die Angeklagten Michael B*****, Daniel J*****, John Va***** und Kristijan V***** betreffenden Strafaussprüchen sowie im Adhäsionserkenntnis und die unter einem gefassten Beschlüsse auf Anordnung der Bewährungshilfe sowie auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben und die Strafsache an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte Kristijan V***** und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige (Teil-)Freisprüche enthaltenden Urteil wurden die Angeklagten Michael B***** und Kristijan V***** (richtig:) mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I), Michael B***** zudem, sowie Daniel J***** und John Va***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB (III) ferner Daniel J***** überdies (richtig:) eines vollendeten und zweier versuchter (§ 15 StGB) Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt. Danach haben in der Justizanstalt Wien-Josefstadt

(I) am 18. September 2006 Michael B***** (geboren am 28. Jänner 1991) und Kristijan V***** (geboren am 15. Dezember 1989) im einverständlichen Zusammenwirken mit einem weiteren, abgesondert verfolgten Mittäter den Benjamin Bl*****, nachdem sie ihn zuvor tagelang in der Gemeinschaftszelle misshandelt und bedroht hatten, zur Vornahme eines Oralverkehrs an jedem von ihnen gezwungen, während sie teilweise seine Hände hinter dem Rücken festhielten, (II) Daniel J***** (geboren am 23. Oktober 1989) in der Zeit vom 16. September bis zum 20. September 2006 den Benjamin Bl***** zu „einer Handlung, Duldung und Unterlassung"

  1. 1) genötigt, indem er dessen Kopf in eine WC-Muschel drückte und
  2. 2) zu nötigen versucht, nämlich

    a) im einverständlichen Zusammenwirken mit zwei Mittätern, indem sie ihm für den Fall der Preisgabe der aus III ersichtlichen Tathandlungen mit Schlägen und mit dem Tod drohten sowie

    b) alleine, indem er ihm für den Fall der Preisgabe der unter II 1 beschriebenen Misshandlungen mit Schlägen drohte, und (III) Michael B*****, Daniel J***** und John Va***** (geboren am 22. Juli 1989) im einverständlichen Zusammenwirken und in verabredeter Verbindung in der Zeit vom 16. September bis zum 20. September 2006 dem Benjamin Bl***** durch Fußtritte und Schläge multiple Prellungen zugefügt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a, 9 lit a und 10a erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kristijan V***** ist im Recht. Wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend aufzeigt, tragen die erstgerichtlichen Feststellungen den Schuldspruch wegen der Verbrechen der Vergewaltigung (I) weder in subjektiver noch in objektiver Hinsicht. Der angefochtenen Entscheidung mangelt es nämlich zum einen an Konstatierungen zum Nötigungsmittel, weil ihr nicht zu entnehmen ist, wodurch der Beschwerdeführer Benjamin Bl***** zur (mehrfachen) Vornahme eines Oralverkehrs „zwang" (US 15). Zum anderen trafen die Tatrichter keine Feststellungen hinsichtlich des auf die Deliktsverwirklichung gerichteten Vorsatzes des Beschwerdeführers.

Aufgrund der dargelegten Mängel war der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO). Im Hinblick darauf erübrigt sich das Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass die Urteilskonstatierungen auch keine hinreichende Grundlage für die übrigen Schuldsprüche darstellen. Bezüglich der Verurteilung des Angeklagten Michael B***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung (I) sei insoweit auf die Ausführungen zur Rechtsrüge des Angeklagten V***** verwiesen.

Darüber hinaus enthält die angefochtene Entscheidung auch in Bezug auf die Schuldsprüche II und III keine Feststellungen zur jeweiligen subjektiven Tatseite, wobei hinsichtlich des Schuldspruchs II 1 schon das Ziel der dort beschriebenen Handlung unklar bleibt. Dies ist insoweit von besonderer Bedeutung, weil das bloße Erleiden der Gewalt bei einer körperlichen Misshandlung keine Nötigung darstellt (Schwaighofer in WK² § 105 Rz 68, 71).

Das Urteil war daher mit Ausnahme der rechtskräftigen Teilfreisprüche auch in seinen nicht bekämpften Teilen aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass der Tatbestand der Vergewaltigung eines der im Gesetz genannten Nötigungsmittel (Gewalt gegen eine Person, Entziehung der persönlichen Freiheit, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) voraussetzt und dass zwischen dem Einsatz eines dieser Mittel und der Erreichung des Nötigungsziels (hier: dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung) ein Ursachenzusammenhang bestehen muss (Schick in WK² § 201 Rz 17 [2006]). Dabei hat sich der vom Gesetz geforderte Vorsatz (§ 7 Abs 1 StGB) auf den Einsatz eines der Nötigungsmittel, auf die Nötigung des Opfers (hier:) zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung und - als ungeschriebenes Tatbildmerkmal - auf die fehlende Einwilligung des Opfers zu erstrecken (Hinterhofer SbgK § 201 Rz 54). All diese objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen werden durch Feststellungen zu klären sein.

Entsprechendes gilt - insbesonders im Hinblick auf die subjektive Tatseite - auch für die Vergehen der schweren Körperverletzung und der Nötigung.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte Kristijan V***** und die Staatsanwalt auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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