European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2007:0030OB0110.07.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen das Zwischenurteil richtet, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Soweit sich die Revision auch gegen den aufhebenden Teil der zweitinstanzlichen Entscheidung wendet und in diesem Umfang als Revisionsrekurs zu behandeln ist, wird das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen.
Begründung:
Der Beklagte hielt seit dem Jahr 2001 Rinder in den Sommermonaten auf einer näher genannten Alm. Von einer Almhütte führt der für Wanderer markierte Weg durch die Alm auf einen Berg (den Falkert). Die Alm und die Almhütte sind komplett umzäunt. Um auf den Weg zu gelangen, müssen zwei Gatter geöffnet werden. Auf einem der Gatter war die Tafel angebracht „Achtung, Hunde an die Leine". Im Sommer 2004 befanden sich auf der Alm elf Mutterkühe und zehn Kälber der grundsätzlich gutmütigen französischen Rasse „Aubrac". Am 1. August 2004 hatte eine Familie, bestehend aus zwei Erwachsenen und zwei Kleinkindern den Wanderweg mit einem an der Leine geführten Labrador‑Hund benutzt. Die Familie wurden von den Kühen angegriffen. Der Vater legte sich schützend über seinen Sohn auf den Boden. Beide erlitten durch das „Draufsteigen" der Kühe Verletzungen. Dem Beklagten wurde der Vorfall von seinem Hirten mitgeteilt und erhielt die Auskunft, dass der Hund den Vorfall ausgelöst habe. Am 15. August 2004 kam es zu einem neuerlichen ähnlichen Vorfall. Ein Wanderer wurde mit seinem angeleinten „Labrador‑Mischling" von zehn Mutterkühen und einigen Kälbern eingekreist, angegriffen und dabei leicht verletzt. Über diesen Vorfall wurde der Beklagte von seinem beauftragten Hirten nicht informiert. Am 16. August 2004 öffnete der Kläger die Gatter und ging mit seinen beiden angeleinten Hunden (einer Labrador‑Hündin und einem Wolfsspitz) auf etwa 200 m von der Almhütte entfernt, in der Nähe des Weges liegende Kühe zu. Der Kläger hatte den Weg schon mehrmals problemlos benützt. Als die Kühe aufstanden, riss sich die Labrador‑Hündin los und flüchtete. Die Kühe stießen den Kläger zu Boden und attackierten ihn dort weiter. Der Kläger wurde schwer verletzt. Sein zweiter Hund verendete an den erlittenen Verletzungen.
Das Erstgericht wies die auf Zahlung eines Schmerzengeldes von 30.000 EUR s.A. und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden gerichteten Klagebegehren ab. Die Abzäunung eines Weges auf der Almweide sei weder üblich noch zumutbar. Eine Warnpflicht des Tierhalters bestehe nur bei als aggressiv bekannten Tieren. Aufgrund des Vorfalls vom 1. August 2004 habe noch kein Handlungsbedarf bestanden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und stellte mit Zwischenurteil fest, dass der Leistungsanspruch des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestehe, im Übrigen hob es das erstinstanzliche Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Zum Zwischenurteil sprach das Berufungsgericht aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht lastete dem beklagten Tierhalter an, dass er wegen des Vorfalls am 1. August 2004 zur Sicherung von Wanderern für eine Abzäunung des Weges im Hinblick auf die von den Mutterkühen ausgehende Gefahr hätte sorgen müssen. Dem Kläger sei kein Mitverschulden anzulasten. Er habe die Anweisung, Hunde an die Leine zu nehmen, befolgt.
Die außerordentliche Revision des Beklagten richtet sich gegen die gesamte Berufungsentscheidung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Insoweit sich das Rechtsmittel gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes wendet, ist die Revision absolut unzulässig (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). Mit der Anfechtung des Zwischenurteils wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Der Revisionswerber steht im Wesentlichen auf dem Standpunkt, dass die Abzäunung des Weges unzumutbar gewesen sei und ein Hundeführer wissen müsse, dass Mutterkühe den „Hund als Feind erkennen", er daher großräumig den Tieren ausweichen und bei Erkennen einer gefährlichen Situation bei einem Angriff der Kühe seine Hunde auslassen müsse.
Rechtliche Beurteilung
I. Vorauszuschicken sind der im Revisionsverfahren nicht mehr strittige Umstand, dass den Beklagten grundsätzlich die Tierhalterhaftung trifft. Der Einwand der fehlenden Passivlegitimation wird nicht mehr aufrechterhalten. Vorauszuschicken sind ferner folgende, in der stRsp vertretenen Grundsätze:
1. Welche Verwahrungspflicht der Tierhalter (§ 1320 ABG) hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter jedenfalls zumutbar sein (RIS‑Justiz RS0030157). Es besteht keine Verpflichtung, einen Weg, der durch eine Kuhweide führt, durch Zäune von Weidegebiet abzugrenzen (RIS‑Justiz RS0030039). Eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide ist weder üblich noch zumutbar. Sollten auf der Weide jedoch aggressive Tiere gehalten werden, sind sie gesondert zu verwahren, sodass sie sich dem Weg nicht nähern können (8 Ob 91/02v unter Hinweis auf die E 8 Ob 201, 202/79).
2. Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB ist grundsätzlich eine Verschuldens‑ und keine Erfolgshaftung (RIS‑Justiz RS0030291). Der Tierhalter hat jedoch die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt bei der Verwahrung und Haltung der Tiere zu beweisen (RIS‑Justiz RS0105089).
II. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist den Revisionsausführungen Folgendes entgegenzuhalten:
1. Der Beklagte durfte nach Bekanntwerden des ersten Vorfalls am 1. August 2004 nicht mehr davon ausgehen, dass die bis dahin auf Wanderer mit Hunden gutmütig reagierenden Kühe kein Gefahrenpotenzial darstellen, also keine Maßnahmen zu ergreifen wären. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts über eine Handlungspflicht ist jedenfalls vertretbar, zumal bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs eine Interessenabwägung (zu dieser 5 Ob 510/81 = JBl 1982, 150) erforderlich ist und dabei der Unversehrtheit von Menschen ein besonders hoher Stellenwert zukommt.
2. Ob der Beklagte schon nach dem ersten Vorfall eine Abzäunung des Weges vornehmen hätte müssen (dies geschah hier erst nach dem letzten dritten Vorfall), ist nicht entscheidungswesentlich, weil der Beklagte jedenfalls seine Warnpflicht verletzte. Es trifft nicht zu, dass jedermann weiß, angeleinte Hunde reizten auf Almwanderwegen Rinder zu aggressivem Verhalten. Ein solches Wissen ist nicht notorisch. Die Erlaubnis, den markierten Wanderweg mit angeleinten Hunden betreten zu dürfen, spricht sogar dagegen. Der Beklagte hätte daher nach dem ersten Vorfall davon ausgehen müssen, dass seine Rinder auf Hunde aggressiv reagieren, insbesondere, weil es sich um Mutterkühe handelte, dieser Umstand den Wanderern nicht bekannt sein konnte und sie daher zu warnen waren, etwa durch den einfachen Schilderhinweis: Achtung Mutterkühe, Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr. Schon wegen Unterlassung dieser jedenfalls zumutbaren Warnung ist dem Beklagten der ihm obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen. Auf die sonst ortsübliche freie Haltung von Rindern auf der Alm (also ohne Einzäunung oder sonstige Maßnahmen) kann sich der Revisionswerber daher nicht berufen (vgl dazu 2 Ob 245/76).
3. Auf die die Haftung des Tierhalters ausschließende Betrauung eines geeigneten Dritten (Hirten) zur Beaufsichtigung der Tiere (dazu RIS‑Justiz RS0030167, RS0028797) kommt der Revisionswerber zu Recht nicht mehr zurück. Er hätte nach der Information über den ersten Vorfall mit seinen Kühen selbst Maßnahmen setzen oder dazu Auftrag erteilen müssen.
4. Der zweite Revisionseinwand, den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er den nahe am Weg liegenden Rindern großräumig auszuweichen gehabt hätte, scheitert am fehlenden prozessualen Vorbringen im Verfahren erster Instanz:
Wohl enthält der Einwand des Alleinverschuldens auch jenen des Mitverschuldens (RIS‑Justiz RS0027044). Im Rechtsmittelverfahren hat sich die Prüfung des Mitverschuldens aber auf die Umstände zu beschränken, die vom Beklagten in erster Instanz eingewendet wurden (10 Ob 79/00s). Dort hat der Beklagte aber seinen Einwand einer vom Kläger selbst verschuldeten Gefährdung darauf gestützt, jedem Wanderer müsse klar sein, dass Mutterkühe ein Sicherheitsrisiko darstellten und jeder wisse, dass Hunde von Rindern als Wölfe und damit Feinde angesehen würden. Ein Fehler des Klägers beim Begehen des Wanderwegs wurde jedoch nicht releviert.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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