OGH 14Os142/06y

OGH14Os142/06y12.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Dr. Lässig sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Slobodan V***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. September 2006, GZ 034 Hv 63/06s-46, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Weiß, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Kresbach zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

In Stattgebung der Berufung wird über den Angeklagten in Anwendung des § 43a Abs 2 StGB eine Geldstrafe von 180 (einhundertachtzig) Tagessätzen á 20 (zwanzig) Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 90 (neunzig) Tagen, sowie eine unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verhängt. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Slobodan V***** des (richtig:) der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er zwischen Oktober 2004 und Oktober 2005 in Wien außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen, nämlich dem am 13. September 1993 geborenen Roland K***** und dem am 15. November 1991 geborenen Stefan K***** vorgenommen, indem er in zahlreichen Angriffen jeweils ihren Penis berührte. Die vom Angeklagten dagegen aus den Gründen der Z 4, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Einholung „eines aussagepsychologischen Gutachtens samt vorhergehender Befundung hinsichtlich der Depositionen der Zeugen Patrick E***** sowie Roland und Stefan K*****" (S 249 iVm ON 41) Verteidigungsrechte nicht verletzt. Das beantragte Gutachten sollte dem Nachweis der „Unrichtigkeit und mangelnden Glaubhaftigkeit" der angeführten Zeugenaussagen und damit dem „Beweis der Unschuld" des Beschwerdeführers dienen, enthält damit in Wahrheit kein überprüfbares Beweisthema. Im schriftlichen Beweisantrag (ON 41), auf den sich der Angeklagte zur Begründung seiner mündlichen Antragstellung bezog (S 249), wird zwar behauptet, hiedurch könne der Beweis erbracht werden, „dass die Aussagen der mutmaßlichen Opfer nicht auf eigenem Erleben bzw tatsächlichem Geschehen, sondern vielmehr auf Fremdeinflüssen und missverständlichen Interpretationen sowie einem gewissen Geltungsdrang der Belastungszeugen beruhen". Dass der Beschwerdeführer diese Behauptung indes auf keinerlei (aktenkundige) Anhaltspunkte zu stützen vermochte, solche durch die begehrte Beweisführung vielmehr erst zu gewinnen hoffte, ergibt sich aus der weiteren Antragsbegründung, das Gericht habe „grundsätzlich die Leitfrage zu klären und zu beantworten, ob die belastenden Aussagen auch ohne realen Erlebnishintergrund hätten gemacht werden können", welche „schwierige Frage zu klären nur unter Beiziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen möglich" sei (S 219). Damit zielt der Antrag aber auf einen hier unzulässigen Erkundungsbeweis ab, weil damit das Gericht zur Vornahme von Ermittlungen veranlasst werden soll, ob davon eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Darüber hinaus wurde im Beweisantrag nicht dargetan, dass die drei Zeugen (sowie der gesetzliche Vertreter des unmündigen Roland K*****) die erforderliche Zustimmung zur (hinsichtlich Letzterem ergänzenden; vgl Gutachten der Sachverständigen Dr. Angelika G***** S 171 ff iVm ON 16) psychologischen Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (vgl Birklbauer, Nach § 149 Rz 85, 100 und Ratz, § 281 Rz 350 je in WK-StPO; RIS-Justiz RS0097584, RS0108614).

Soweit der Beschwerdeführer die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens mit dem Argument in Abrede stellt (Z 9 lit a), es sei gar nicht möglich, den Penis eines Tatopfers „mit dem Handrücken zu greifen", ein flüchtiges Berühren des Penis bzw Anstreifen mit dem Handrücken am Geschlechtsteil würde die Tatbestandsvoraussetzungen der „Vornahme einer geschlechtlichen Handlung" aber nicht erfüllen, geht er bei Geltendmachung materieller Nichtigkeitsgründe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Denn danach hat er (aus seiner Sitzposition als Buslenker heraus) den neben seinem Fahrersitz stehenden unmündigen Zeugen Roland und Stefan K***** (nach vorangegangenen sexualbezogenen Gesprächen) zwischen die Beine gegriffen und deren Geschlechtsteil (Penis) gezielt oberhalb der Hose (Bekleidung) berührt. Die Berührungen waren zwar nur von kurzer Dauer, aufgrund ihrer gezielten, relativ intensiven Vornahme im Zusammenhang mit den vorangegangenen Gesprächen für die Unmündigen als solche aber auch spürbar, zumal sie über bloße sexuelle Zudringlichkeiten oder flüchtige Berührungen hinausgingen, bei einem Vorfall Roland K***** sogar Schmerzen bereiteten (US 6 f, 17 f). Eine (dem Beschwerdevorbringen und seiner Verantwortung im Vorverfahren entsprechende; vgl ON 14, insb S 81) Feststellung, „den Geschlechtsbereich der Buben lediglich oberhalb der Bekleidung mit dem Handrücken freundschaftlich gestreift zu haben", wurde von den Tatrichtern somit nicht getroffen. Im Gesamtzusammenhang gelesen geht das Erstgericht auch mit der (vom Beschwerdeführer kritisierten) Formulierung, „indem er mit dem Handrücken nach unten zwischen die Beine der Buben griff und ihren Penis oberhalb der Hose berührte" (US 6), eindeutig (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) von einem Abgreifen der unmündigen Buben im Geschlechtsbereich durch den Beschwerdeführer und davon aus, dass hiebei dessen Handrücken (aufgrund seiner Sitzposition und des Standorts der neben ihm befindlichen Buben zwangsläufig) nach unten gerichtet war.

Dem weiteren - auf die überholte (vgl Fabrizy StGB9 Rz 7, Schick in WK2 Rz 12, je zu § 207) Begriffsdefinition der geschlechtlichen Handlung in Foregger/Fabrizy StGB7 § 207 Rz 7 gestützten - Vorbringen der Rechtsrüge zuwider ist für die rechtliche Annahme der dem Angeklagten angelasteten Handlungen als „geschlechtlich" iSd § 207 Abs 1 StGB keineswegs die Feststellung geboten, dass sie „auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichtet waren". Der Begriff der geschlechtlichen Handlung umfasst vielmehr jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt. Dieser Begriff schließt im gegebenen Zusammenhang vorweg jedenfalls jene Handlungen ein, bei denen zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers oder Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührung gebracht werden (vgl 15 Os 21/00). Vorausgesetzt wird somit ein objektiver Sexualbezug; eine sexuelle Tendenz (ein sexueller Lustbezug) ist hingegen bei den Fällen des § 207 Abs 1 StGB nicht erforderlich (Fabrizy StGB9 § 207 Rz 7; Schick in WK2 § 207 Rz 7 und 12, Kienapfel/Schmoller Studb BT III Vorbem §§ 201 ff Rz 30; RIS-Justiz RS0113816).

Fehl geht letztlich auch das Vorbringen, der rechtsrichtigen Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts (als vollendetes Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB) stehe das Fehlen einer Feststellung darüber entgegen, ob die beiden 11- bzw 13-jährigen Buben bereits eine derartige geschlechtliche bzw körperliche Reife erreicht hatten, die (rechtlich) für die Anlastung der Taten als objektiv sexualbezogene Handlungen ausreichen würde.

Bei diesen - auf die zur alten Fassung des § 207 Abs 1 StGB (vor dem StRÄG 1998) entwickelte Judikatur zum Betasten der noch unentwickelten Brust einer Unmündigen (vgl Schick § 207 Rz 21, Philipp § 218 Rz 6, je in WK2) gestützten - Ausführungen übersieht der Beschwerdeführer indes, dass alle Angriffe, die - wie hier - die unmittelbare Geschlechtssphäre eines Unmündigen betreffen, unabhängig vom Entwicklungsgrad des Opfers unter der (fallbezogen gleichfalls festgestellten) Voraussetzung, dass es sich nicht um bloß flüchtige Berührungen handelt, als vollendetes Delikt des § 207 Abs 1 StGB zu verstehen sind (vgl 12 Os 46/05i; Schick in WK2 § 207 Rz 20). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Slobodan V***** nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil im Ausmaß von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wertete es den langen Tatzeitraum und die Tatsache, dass es sich um zwei Angriffsopfer handelte als erschwerend; als mildernd berücksichtigte es hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten.

Der auf Herabsetzung der Freiheitsstrafe und Gewährung gänzlich bedingter Nachsicht „allenfalls unter Verlängerung der Probezeit" antragenden Berufung zuwider kommt dem Angeklagten der Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 18 StGB nicht zu statten (Ebner in WK2 § 32 Rz 46).

Ungeachtet der vom Erstgericht richtig festgestellten Strafzumessungsgründe konnte nach Lage des Falls gemäß § 43a Abs 2 StGB mit einer dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Täters Rechnung tragenden teilweisen bedingten Nachsicht (mit einem dem vom Erstgericht ausgemessenen unbedingten Strafteil korrespondierendem gelindesten Strafübel der Geldstrafe) von insgesamt neun Monaten das Auslagen gefunden werden. War der bislang strafgerichtlich nicht in Erscheinung getretene Angeklagte doch seit Herbst des Jahres 2005 mit dem vorliegenden Anklagevorwurf bei ungewissem Sachausgang konfrontiert und treten die hier in Rede stehenden Tathandlungen in ihrer Intensität (relativ kurzes Anfassen der Geschlechtsteile über der Kleidung) im Vergleich zu deliktstypischen Missbrauchshandlungen doch deutlich zurück, zumal die Knaben der (weiteren) Konfrontation mit dem Angeklagten durch Änderung des Standorts entgehen konnten. Die Höhe des Tagessatzes hat in der finanziellen und familiären Situation des Beschwerdeführers ihre Begründung, welche mit Blick auf das 14 mal jährlich bezogene Nettoeinkommen von 1.600 Euro und die Sorgepflicht für zwei minderjährige Kinder unter Berücksichtigung des eigenen notwendigen Unterhalts einen Betrag von 20 Euro täglich für die gegenständliche Geldstrafe abschöpfbar macht.

Durch die bedingte Nachsicht eines dem Stellenwert der Missbrauchshandlungen angemessenen zusätzlichen Strafteils von sechs Monaten soll einerseits der immerhin durch einen Tatzeitraum von einem Jahr delinquente Angeklagte gehindert werden, in Zukunft derartige Übergriffe an Kindern vorzunehmen. Andererseits gebieten aber auch Rücksichten der Generalprävention die Androhung einer spürbaren Freiheitsstrafe, um andere potentielle Täter davon abzuhalten, nach Aufbau einer Vertrauensposition ihre pädophilen Neigungen auszuleben.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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