OGH 4Ob78/07k

OGH4Ob78/07k12.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Ploil Krepp & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 134.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei (Revisionsrekursinteresse 110.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 7. Februar 2007, GZ 5 R 7/07x-12, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 19. Oktober 2006, GZ 19 Cg 152/06h-4, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einbeziehung des bestätigten und des bereits in erster Instanz rechtskräftig gewordenen Teils wie folgt lautet:

„Einstweilige Verfügung:

Der beklagten Partei wird geboten, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen

bei der Bewerbung des von ihr vertriebenen Arzneimittels Diovan (Wirkstoff Valsartan) mit auf angeblichen Studienergebnissen basierenden Vergleichsdarstellungen zu werben, wenn dabei die Studienergebnisse selektiv, unvollständig und verzerrend wiedergegeben werden, insbesondere durch eine tabellarische Darstellung, wie sie in der einen integrierten Bestandteil der einstweiligen Verfügung bildenden Tabelle Anlage 1 vorgenommen ist; das von ihr vertriebene Arzneimittel Diovan (Wirkstoff Valsartan) unter Hinweis auf Studienergebnisse mit der Werbeaussage 'stärkere Monoleistung' zu bewerben, obwohl in den Studien, auf die Bezug genommen wird, der Wirkstoff Valsartan nur bei einem kleinen Teil behandelter Patienten als Monotherapie eingesetzt worden ist, oder in sinngleicher Weise unrichtige oder irreführende Angaben über Studienergebnisse zu machen.

Die einstweilige Verfügung wird bis zur Vollstreckbarkeit des über die eingeklagten Unterlassungsansprüche ergehenden Urteils erlassen. Hingegen wird das Mehrbegehren abgewiesen, der beklagten Partei darüber hinaus zu verbieten,

das von ihr vertriebene verschreibungspflichtige Arzneimittel Diovan (Wirkstoff Valsartan) mit der Behauptung 'reduziert Diabetesinzidenz' zu bewerben oder in sinngleicher Weise eine Wirksamkeit von Diovan (Wirkstoff Valsartan) bei der Vorbeugung gegen Diabetes mellitus zu behaupten, solange das Arzneimittel Diovan nicht zur Vorbeugung der Krankheit Diabetes mellitus zugelassen ist;

das von ihr vertriebene Arzneimittel Diovan (Wirkstoff Valsartan) mit der Werbebehauptung 'Jetzt neu! Das erste und einzige Sartan mit Zulassung nach Myokardinfarkt und bei Herzinsuffizienz!' zu bewerben oder in sinngleicher Weise unzutreffende und irreführende Behauptungen über die Neuheit oder Aktualität von Diovan oder einzelner Merkmale, insbesondere den Zulassungsstatus von Diovan zu machen.

Die klagende Partei hat zwei Drittel der Kosten des Sicherungsverfahrens erster Instanz vorläufig und ein Drittel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei einen mit 898,32 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Sicherungsverfahrens erster Instanz (darin 149,72 EUR USt) binnen vierzehn Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei hat 44 % der Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig und 56 % dieser Kosten endgültig selbst zu tragen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei einen mit 2.006,22 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 334,37 EUR USt) binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien stehen im Wettbewerb beim Vertrieb blutdrucksenkender Medikamente. Die Klägerin vertreibt insbesondere die Arzneimittelspezialität „Micardis" (Wirkstoff Telmisartan) sowie „Micardis Plus", das neben dem Wirkstoff Telmisartan auch den Wirkstoff Hydrochlorothiazid (HCTZ) enthält. Die Beklagte vertreibt unter anderem die Arzneimittelspezialität Diovan (Wirkstoff Valsartan), das ebenfalls unter anderem bei der Behandlung von Bluthochdruck angewendet wird, sowie Kombinationspräparate (CO-Diovan ua).

Die Beklagte verteilte an praktische Ärzte und Internisten einen Folder, der wie folgt gestaltet ist:

Größe A4 in orangeroter und weißer Farbe, mit der Aufschrift auf der Vorderseite „Bei diesen Ergebnissen lassen wir uns gerne in die Karten schauen" und drei Spielkarten, welche mit dem Hinweis „Bitte hier öffnen" versehen und aufklappbar sind.

Beim Aufklappen der drei Karten erscheint die Tabelle, die der einstweiligen Verfügung als Anlage 1 angeschlossen ist und folgenden Inhalt hat:

Stärkere Monoleistung -

reduzierte Diabetesinzidenz.

Ergebnisse verschiedener Hypertonie-Megatrials

n Vergleich absolute NNT

Risikored. in %

VALUE 15.245 Valsartan vs -3,3 30

Amlodipin

SCOPE 4.923 Candesartan vs -1,0 100

Plazebo

LIFE 9.193 Losartan vs -2,0 50

Atenolol

STOP-HT2 4.418 Enalapril/

Lisinopril vs -0,4 250

Thiaziddiuretikom/ß-Blocker

CAPPP 10.985 Captopril vs

Thiazid- -0,8 125

diuretikum/ß-Blocker

ALLHAT 33.357 Lisinopril vs Chlor-

thalidon -2,5 40

Lisinopril vs

Amlodipin -1,7 59

Die Beklagte brachte den Folder im Zeitraum 7. bis 10. März 2006 auf dem Postweg zur Verteilung. Diovan wurde im Oktober 2005 erstmals zur Behandlung von Herzinsuffizienz zugelassen.

Nach der Fachinformation für Diovan ist das Anwendungsgebiet die Behandlung der essentiellen Hypertonie nach einem vor kurzem aufgetretenen Myokardinfarkt, Behandlung von klinisch stabilen Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz oder einer asymptomatischen, linksventrikulären systolischen Dysfunktion nach einem vor kurzem aufgetretenem Myokardinfarkt sowie Herzinsuffizient, wenn ACE-Hemmer nicht gegeben werden können, oder zusätzlich zu ACE-Hemmern, wenn Beta-Blocker nicht angewendet werden können. Der Verhaltenskodex der Pharmig gibt in 1.4 vor, dass alle Aussagen zu Arzneimitteln der Fachinformation entsprechen und auf die zugelassenen Indikationen beschränkt sein müssen. Dadurch soll aber eine rein wissenschaftliche Information über Forschungsergebnisse, die über die zugelassenen Indikationen und Wirkungen hinausgehen, nicht behindert werden. Gemäß 1.6 müssen wissenschaftliche Arbeiten mit Quellenangabe gewissenhaft und objektiv zitiert werden. Nach 1.7. ist speziell darauf zu achten, dass die Informationen und die Angaben über Arzneimittel wahrheitsgetreu und weder durch Verdrehung, unangemessene Betonung, Auslassung noch in anderer Weise irreführend sind.

Die in dem Folder mitveröffentlichte Tabelle ist ein Auszug einer Tabelle, die im Zuge einer Meta-Analyse diverser klinischer Studien veröffentlicht wurde.

Bluthochdruckpatienten oder Patienten mit Herzleiden sind nach dem Stand der Wissenschaft häufig insulinresistent und haben ein höheres Risiko, Typ 2 Diabetes zu entwickeln.

Mit der Meta-Analyse wurden die Studien in die Richtung ausgewertet, inwieweit bestimmte bei diesen Leiden gegebene Medikamente das Risiko, Typ 2 Diabetes zu entwickeln, beeinflussen. In den klinischen Studien wurden jeweils entweder zwei Medikamente einander oder ein Medikament einem Placebo gegenübergestellt. Bei keiner der zugrunde liegenden Studien lag der Hauptgegenstand darin, den Einfluss der Medikamente auf das Risiko von Typ 2 Diabetes hin zu untersuchen. Bei einigen dieser Studien war dies ein Nebenzweck, bei anderen erfolgte lediglich eine nachträgliche Analyse. Die Wirkstoffgruppe RAS, zu der auch Valsartan gehört, wird häufig Bluthochdruckpatienten mit bestehender Diabetes verschrieben, weil deren vorteilhafte Effekte bekannt sind.

Zusammenfassend hielt die Meta-Analyse fest, dass von den mit RAS-Mitteln behandelten Patienten lediglich 7,4 %, von der Kontrollgruppe (andere Mittel oder Placebo) 9,67 % Typ 2 Diabetes entwickelt hätten, was zeige, dass die RAS-Mittel zu einer signifikanten Verminderung von Typ 2 Diabetesfällen führten. Der Umstand, dass diese Vorteile sowohl gegenüber einem Placebo als auch gegenüber Beta-Blockern oder Diuretika aufträten, lasse darauf schließen, dass die ACE-I bzw ARB einen positiven Effekt aufwiesen, und die Unterschiede nicht auf nachteilige Effekte der anderen Mittel zurückzuführen seien. Es wurde darauf hingewiesen, dass die genaue Wirkungsweise noch nicht entdeckt sei, und große Untersuchungen im Laufen seien. Hinsichtlich des Hauptzwecks der Studie brachte diese nicht das erwartete Ergebnis, es zeigte sich nämlich, dass Amlodipin in den ersten Behandlungsphasen den Blutdruck effektiver senke als Valsartan, sodass es in diesem Zeitraum zu mehr Todesfällen in der Valsartan-Gruppe kam, ein Umstand, der sich während der weiteren Laufzeit der Studie ausglich, sodass am Ende der Studie ein statistisch signifikanter Unterschied an Herztodesfällen insgesamt nicht feststellbar war. Eine Reduktion der Todesraten durch Valsartan, die erwartet worden war, konnte nicht nachgewiesen werden. Die Post-Hoc-Untersuchung ergab allerdings im Zusammenhang mit dem Neuauftreten von Typ 2 Diabetes eine signifikant geringere Rate in der Valsartan-Gruppe (13,1 % gegenüber 16,4 % nach Ablauf von 4,2 Jahren).

Der Anteil von Patienten, die Valsartan als Monotherapie (ohne Zugabe eines Diuretikums) erhielten, war wesentlich geringer als der verhältnismäßige Anteil der Amlodipin-Gruppe. Weniger als 1/3 der behandelten Patienten erhielten Valsartan ohne zusätzliche Indikation (Monotherapie). Ein größerer Prozentsatz der Patienten erhielt die höchst zugelassene Dosis zuzüglich des Entwässerungsmittels (HCTZ) und weiterer blutdrucksenkender Medikamente. Eine Differenzierung des Studienergebnisses bezüglich Patienten, die Monotherapie bekamen und solchen, die Kombinationstherapie bekamen, erfolgte nicht. Die Klägerin begehrt, soweit noch relevant, der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

1. das von ihr vertriebene verschreibungspflichtige Arzneimittel Diovan (Wirkstoff Valsartan) mit der Behauptung „Reduziert Diabetesinzidenz" zu bewerben oder in sinngleicher Weise eine Wirksamkeit von Diovan bei der Vorbeugung gegen Diabetes mellitus zu behaupten, solange das Arzneimittel Diovan nicht zur Vorbeugung der Krankheit Diabetes mellitus zugelassen ist;

2. bei der Bewerbung des von ihr vertriebenen Arzneimittels Diovan mit auf angeblichen Studienergebnissen basierenden Vergleichsdarstellungen zu werben, wenn dabei die Studienergebnisse selektiv, unvollständig und verzerrend wiedergegeben werden, insbesondere durch eine tabellarische Darstellung, wie sie in der einen integrierten Bestandteil der einstweiligen Verfügung bildenden Tabelle Anlage 1 vorgenommen ist;

das von ihr vertriebene Arzneimittel Diovan unter Hinweis auf Studienergebnisse mit der Werbeaussage „stärkere Monoleistung" zu bewerben, obwohl in den Studien, auf die Bezug genommen wird, der Wirkstoff Valsartan nur bei einem kleinen Teil behandelter Patienten als Monotherapie eingesetzt worden ist, oder in sinngleicher Weise unrichtige oder irreführende Angaben über Studienergebnisse zu machen.

Ein viertes Teilbegehren, das sich auf eine Ankündigung als neu bezog, ist bereits rechtskräftig abgewiesen.

Nach Ansicht der Klägerin ist Diovan für die im Folder beworbene Indikation Diabetes Prophylaxe nicht zugelassen. Die Fachinformation enthalte keinen diesbezüglichen Hinweis. Die behauptete Wirkung außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete sei daher mit der Fachinformation nicht vereinbar. Die Beklagte verstoße gegen § 50a Abs 3 Z 3 AMG und gegen den Verhaltenskodex der Pharmig und somit gegen § 1 UWG. Sie zitiere die Ergebnisse der Meta-Analyse nur unzureichend und unvollständig und damit krass irreführend. Es liege keine sachliche Rechtfertigung für die bloß selektive Wiedergabe der Ergebnisse der Meta-Analyse vor. Die Beklagte lasse alle jene Ergebnisse beiseite, bei denen Valsartan gegenüber Amlodipin schlechter abschneide. Der erweckte Eindruck, Valsartan habe das beste Ergebnis beim Auftreten von Diabetes erzielt, sei unrichtig und daher irreführend. Auch hier verstoße die Beklagte gegen den Verhaltenskodex der Pharmig und damit auch gegen § 1 UWG. Auch die Behauptung der stärkeren Monoleistung widerspreche den zitierten Publikationen.

Die Beklagte wendete ein, die Erkenntnisse der Meta-Analyse seien unverfälscht und korrekt wiedergegeben, und zwar ausschließlich zum Zweck der Information der angesprochenen Fachleute über neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Werbefolder enthalte keine Aussage, die nicht mit der Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation von Diovan vereinbar wäre. Die Fachkreise würden auch nicht darüber in die Irre geführt, dass Diovan mit dem Wirkstoff Valsartan nunmehr auch zur Behandlung von Diabetesinzidenz zugelassen sei. Das Auswahlkriterium der Beklagten sei offen gelegt worden, sie habe ausdrücklich ausgeführt, dass es sich um die Ergebnisse verschiedener Hypertonie-Megatrials handle. Unter diesen sei für Valsartan die absolut beste Risikoreduktion nachgewiesen. Die Aussage, die Überlegenheit des Stoffs Valsartan gegenüber Amlodipin beruhe auf der Monosubstanz, sei also unabhängig von zusätzlichen blutdrucksenkenden Medikamenten erzielt worden, sei zutreffend. Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung in allen drei noch strittigen Punkten. Die angesprochenen Fachkreise verstünden die Ankündigung so, dass das Blutdruckmittel Diovan in der Lage sei - zusätzlich - das Risiko von Typ 2 Diabetes bei Bluthochdruckpatienten zu vermindern. Die Beklagte verstoße gegen § 50 Abs 3 Z 3 AMG, welche Bestimmung weit auszulegen sei. Darüber hinaus verstoße sie auch gegen Punkt 1.4. des Verhaltenskodex der Pharmig, wonach Aussagen zu Arzneimittel auf die zugelassenen Indikationen zu beschränken seien, soweit es sich nicht um rein wissenschaftliche Information über Forschungsergebnisse handle. Die von der Beklagten wiedergegebene Tabelle widerspreche § 55 Abs 3 AMG, wonach aus der Fachliteratur entnommene Tabellen und sonstige Darstellungen wortgetreu übernommen werden müssten. Die Beklagte habe lediglich einen Auszug vorgenommen, in dem das günstigste Ergebnis ihres eigenen Produkts hervorgehoben sei. Der Auszug sei auch insofern irreführend, als die Umstände, die einen objektiven Vergleich der verschiedenen Werte zuließen oder die in der Meta-Analyse selbst aufgeworfenen Zweifel an der Zuverlässigkeit bestimmter ermittelter Prozente wiedergäben nicht angeführt worden seien. Die von der Beklagten zugrunde gelegten Studien ergäben überdies keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Produkt der Beklagten eine „stärkere Monoleistung", also eine größere Wirksamkeit ohne Zugabe weiterer Mittel erziele. Die Aussage „stärkere Monoleistung" stehe nach dem Gesamteindruck des Werbefolders nicht in einem zwingenden Zusammenhang mit der reduzierten Diabetesinzidenz, sondern bilde eine Aussage an sich, nämlich über die höhere Wirksamkeit des Medikaments als Alleinpräparat. Dafür fehle aber die wissenschaftliche Grundlage.

Das Rekursgericht bestätigte die einstweilige Verfügung in den noch strittigen Punkten und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Entscheidung nicht zulässig sei. Entgegen der von der Beklagten zum Ausdruck gebrachten Auffassung sei § 50a Abs 3 Z 3 AMG restriktiv auszulegen und nicht auf unzutreffende Aussagen über Wirkungen zu beschränken. Erkennbarer Zweck der genannten Bestimmung sei es, sicherzustellen, dass nur mit solchen Aussagen geworben werde, die mit den von der Zulassungsbehörde geprüften Fachinformationen übereinstimmten. Dies entspreche auch dem Verhaltenskodex der Pharmig (Punkt 1.4.). Gerade dies sei hier aber nicht der Fall, wenn mit über die zugelassenen Indikationen hinausgehenden vorteilhaften Wirkungen geworben werde. Die Beklagte habe mangels wortgetreuer Übernahme der zitierten Studienergebnisse sowohl gegen § 55 Abs 3 AMG als auch gegen die zugrundeliegende Richtlinie 2001/83/EG und gegen § 2 UWG verstoßen. Im Sinn des Art 92 Abs 2 der Richtlinie habe die Information insbesondere überprüfbar und vollständig genug zu sein, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild vom therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen. Dem entspreche eine allein auf eine Wirkung des Produkts abzielende Werbebotschaft nicht. Aufgrund der Ergebnisse des Bescheinigungsverfahrens sei das Erstgericht schlüssig zu dem Ergebnis gelangt, dass es der Werbeaussage „stärkere Monoleistung" an einer zureichenden wissenschaftlichen Grundlage mangle.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist infolge eines teilweisen Widerspruchs der rekursgerichtlichen Entscheidung zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig, er ist teilweise auch berechtigt.

1. Für die beanstandete Werbung galten noch die Bestimmungen des AMG idF vor dem BGBl I 153/2005. Denn obwohl der mit „Werbebeschränkungen" überschriebene fünfte Abschnitt des Arzneimittelgesetzes idF des BGBl I 153/2005, der ua § 50a AMG enthält, nach § 95 Abs 8c AMG schon am 2. Jänner 2006 in Kraft getreten ist, hatte Werbematerial nach § 94c Abs 14 AMG (erst) bis zum 1. Jänner 2007 den neuen Anforderungen zu entsprechen. Damit ist für die im März 2006 verteilte Werbung der Beklagten noch das alte Recht maßgebend.

2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 4 Ob 58/07v festgehalten, dass die nunmehr in Geltung stehende Bestimmung des § 50a Abs 3 Z 3 AMG (Werbung für Arzneimittel ... darf weder Aussagen

noch bildliche Darstellungen enthalten, die ... 3. nicht mit

Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation [Zusammenfassung der Produkteigenschaften - SPC] vereinbar sind) inhaltlich der früher in Geltung gestandenen Bestimmung des § 50 Abs 2 Z 3 AMG entspricht (Arzneimittelwerbung darf weder Aussagen noch bildliche Darstellungen enthalten, die ... 3. im Widerspruch zur Kennzeichnung, Gebrauchs- oder Fachinformation stehen).

3. Der Oberste Gerichtshof hat darüber hinaus in der Entscheidung 4 Ob 58/07v ausgesprochen, es sei die Auffassung, § 50a Abs 3 Z 3 AMG idF des BGBl I 153/2005 (früher § 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) verlange nicht, dass Werbeaussagen zu Arzneimitteln von der Fachinformation positiv (ausdrücklich) gedeckt sein müssten, mit guten Gründen vertretbar sei. Gegen § 1 UWG iVm § 50a Abs 3 Z 3 AMG (oder § 50 Abs 2 Z 3 AMG aF) verstoße eine Werbung daher nur dann, wenn sie Angaben enthalte, die mit dem Inhalt der Fachinformation im engeren Sinn unvereinbar seien, das heißt in einem sachlichen Widerspruch dazu stünden. Daran ist festzuhalten.

4. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall ergibt sich, dass die beanstandete Werbung „reduziert Diabetesinzidenz" mit der Fachinformation nicht in einem sachlichen Widerspruch steht. Lediglich für Homöopathika beschränkt der Gesetzgeber die Werbung auf Angaben, die (positiv) in der Kennzeichnung nach § 17a AMG enthalten sind. Für Arzneimittelspezialitäten, die nicht in die gesetzlich strenger geregelte Gruppe der Homöopathika fallen, ist daher die Werbung mit (tatsächlich zutreffenden) Wirkungen, die in der Fachinformation nicht genannt sind, den dort enthaltenen Informationen aber auch nicht widersprechen, nicht unlauter (iS eines Verstoßes gegen § 1 UWG).

5. Zwar beschränkt der Verhaltenskodex der Pharmig Werbeaussagen zu Arzneimitteln auf die zugelassenen Indikationen, erweckt also gegenüber § 50a Abs 3 Z 3 AMG bzw § 50 Abs 2 Z 3 AMG aF einen restriktiveren Eindruck. Der Beisatz, wonach dadurch aber eine rein wissenschaftliche Information über Forschungsergebnisse, die über die zugelassenen Indikationen und Wirkungen hinausgehen, nicht behindert werden soll, führt indes dazu, dass die Auffassung der Beklagten, die von der Klägerin beanstandete Werbung mit der Reduktion der Diabetesinzidenz widerspreche auch dem Verhaltenskodex der Pharmig (Punkt 1.4.) nicht, jedenfalls mit gutem Grund vertreten werden kann. Die Werbebehauptung „reduziert Diabetesinzidenz" ist somit nicht als sittenwidrig iSd § 1 UWG zu beurteilen, weshalb insoweit das Sicherungsbegehren der Klägerin abzuweisen ist.

6. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass auch in Ansehung der beanstandeten tabellarischen Vergleichsdarstellung nach der Übergangsvorschrift des § 94c Abs 14 AMG noch die Rechtslage vor dem BGBl I 153/2005 der Beurteilung zugrunde zu legen ist. § 55 Abs 3 AMG nF ist daher noch nicht maßgeblich. Damit ist aber für die Beklagte nichts gewonnen.

Die Beklagte nimmt in ihrer Aussendung einen Vergleich vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist wahrheitsgemäße vergleichende Werbung grundsätzlich zulässig, wenn sie nicht iSd § 2 UWG zur Irreführung geeignet ist oder das Sachlichkeitsgebot verletzt (4 Ob 45/97i = ÖBl 1998, 238 - Zochord „R" ua; zuletzt etwa 4 Ob 233/06b). Irreführend kann auch das Verschweigen von Tatsachen sein, wenn und soweit es wesentliche Umstände betrifft und nach der Verkehrsauffassung einen falschen Gesamteindruck hervorrufen kann (4 Ob 233/06b; 4 Ob 305/00g = ÖBl 2003, 133 - Pflanzenschutzmittelvertrieb). Auch in einem solchen Fall ist bei Beurteilung des stets maßgeblichen Gesamteindrucks die Unklarheitenregel anzuwenden. Bei Mehrdeutigkeit muss der Ankündigende die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen, wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Werbung tatsächlich in diesem ungünstigen Sinn verstehen kann (4 Ob 233/06b; 4 Ob 62/05d; 4 Ob 20/00w = ecolex 2000/267; RIS-Justiz RS0043590).

Die von der Beklagten vorgenommene Auswahl der angeführten Daten ist im Sinn der positiven Heraushebung ihres Produkts verkürzt. Die Werbeschrift enthält weder alle der Meta-Analyse zugrunde gelegten klinischen Studien noch alle in den veröffentlichten Tabellen enthaltenen Details. Bei Beurteilung der Irreführungseignung einer Arzneimittelwerbung ist auch dann ein strenger Maßstab anzulegen, wenn sie sich an Fachleute richtet (4 Ob 233/06b). Auch wenn § 55 Abs 3 AMG der Beurteilung des beanstandeten Werbevergleichs noch nicht zugrunde zu legen ist, ist bei Beurteilung der Irreführungseignung nach § 2 UWG doch auf Art 92 der Richtlinie 2001/83/EG Bedacht zu nehmen, der vorsieht, dass die Information genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein muss, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild von dem therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen (Abs 2), sowie dass die aus der Fachliteratur entnommenen Zitate, Tabellen und Darstellungen unter genauer Angabe der Quelle wortgetreu übernommen werden müssen (Abs 3).

Die Beurteilung der beanstandeten Tabelle nach ihrem Gesamteindruck als irreführend iSd § 2 UWG ist daher nicht zu beanstanden.

7. In Ansehung der beanstandeten Werbeaussage „stärkere Monoleistung" wendet sich die Beklagte unzulässigerweise gegen die von den Vorinstanzen getroffenen Tatsachenfeststellungen. Es trifft nicht zu, dass das Rekursgericht die Feststellungsrüge der Beklagten (behauptetermaßen unzulässigerweise) inhaltlich nicht behandelt habe, findet sich doch in der Begründung der rekursgerichtlichen Entscheidung auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Sachargumenten der Feststellungsrüge.

In Ansehung des beanstandeten Werbevergleichs sowie der Aussage „stärkere Monoleistung" muss dem unberechtigten Revisionsrekurs daher ein Erfolg versagt bleiben.

8. Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten iVm §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Klägerin hat im Sicherungsverfahren erster Instanz mit etwa einem Drittel ihres Begehrens, im Rechtsmittelverfahren mit etwa 44 % obsiegt.

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