OGH 10ObS19/07b

OGH10ObS19/07b11.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tierarzt Andreas Krösen (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mario H*****, Koch, *****, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Oktober 2006, GZ 11 Rs 79/06 a-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Februar 2006, GZ 19 Cgs 75/05b-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 1. 3. 2004 als Küchenchef im Café R***** am A*****-Platz 2 in Salzburg beschäftigt. Am 8. 11. 2004 musste er um

14.30 Uhr zu arbeiten beginnen. Um ca 11.00 Uhr nahm er zu Hause eine Jause zu sich und fuhr sodann von seinem Wohnsitz in der M***** Hauptstraße aus privaten Gründen mit dem Fahrrad in die Stadt. In der Wohnung eines Bekannten konsumierte er mit diesem eine Flasche Rotwein (0,7 l) und eine Flasche Sekt (0,7 l). Etwa um 13.00 Uhr führte er ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Café R*****, Michael F*****, weil für diesen Tag vereinbart war, dass er sich, falls es der Dienst zuließe, mit dem Geschäftsführer auf einer Gastronomiemesse treffen sollte. Im Hinblick auf die lallende Aussprache ging Michael F***** von einer Alkoholisierung des Klägers aus und informierte ihn, dass ein Treffen auf der Messe nicht notwendig sei.

Zwischen 14.00 und 14.30 Uhr kam der Kläger zur Arbeit in das Café R*****. Bei seinem Eintreffen war er sichtlich alkoholisiert, was sich in einer leichten Reizbarkeit, in Alkoholgeruch und einer undeutlichen, lallenden Aussprache zeigte. Schon in der Vergangenheit hatte es Probleme mit einer Alkoholisierung des Klägers im Dienst gegeben.

Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen kam es in der Folge zu einem Streit zwischen dem Kläger und Mitarbeitern. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Geschäftsführer wurde der Kläger schließlich um

15.30 Uhr von der Assistentin der Geschäftsführung nach Hause geschickt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger maximal eine Viertelstunde gearbeitet.

Der Kläger zog sich um, verließ die Arbeitsstelle und fuhr mit dem Fahrrad zunächst in Richtung seiner Wohnung. Am H*****-Platz fuhr er jedoch nicht nach rechts durch das N*****, sondern bog nach links ab und fuhr zu einem Würstelstand am U*****platz. Zu diesem Zeitpunkt fiel Niesel- bzw Schneeregen. Der Kläger war mit einer Regenjacke bekleidet. Am Würstelstand konsumierte er eine Flasche Bier (0,5 l) und dachte über den Konflikt am Arbeitsplatz nach. Bei seiner Abfahrt um 17.15 Uhr regnete es noch immer leicht und es war bereits dunkel. Der Kläger fuhr vom U*****platz durch das N***** in Richtung seiner Wohnung. Um 17.25 Uhr kollidierte er an der Kreuzung N*****straße/H*****gasse mit einem Taxi. Eine um ca 17.50 Uhr durchgeführte Alkoholmessung mittels Röhrchentests ergab einen Alkoholgehalt in der Atemluft von 0,79 mg/l, was einem Alkoholgehalt des Blutes von 1,58 Promille entspricht.

Bei dem Unfall erlitt der Kläger einen Riss der vorderen Kreuzbänder rechts und links, einen Teilriss des hinteren Kreuzbandes links, einen Riss des inneren Seitenbandes links sowie Schürfwunden am linken Knie.

Mit Bescheid vom 12. 4. 2005 sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall des Klägers vom 8. 11. 2004 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und ein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG nicht bestehe.

Das Erstgericht wies das auf Anerkennung des Unfalls vom 8. 11. 2004 als Arbeitsunfall und die Gewährung der in § 173 ASVG angeführten Leistungen im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab. Das Einkehren am Würstelstand, um eine Flasche Bier zu trinken, sei eine eigenwirtschaftliche Handlung gewesen, für die der Kläger seinen Heimweg unterbrochen habe. Danach habe er den Heimweg ohne zwingenden Grund, ohne sachliche Rechtfertigung und lediglich im privaten Interesse erst 1 ¾ Stunden nach Verlassen der Arbeitsstätte angetreten. Überdies sei durch die zwischenzeitig eingetretene Dämmerung bzw Dunkelheit und den weiters konsumierten Alkohol eine Gefahrenerhöhung eingetreten. Insgesamt sei durch den starken Einfluss des eigenwirtschaftlichen Zweckes auf das Gesamtgeschehen der zeitliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit endgültig gelöst worden. Zum Unfallszeitpunkt habe sich der Kläger daher nicht mehr auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden und nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherten Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung befunden.

Die Alkoholisierung des Klägers sei nicht rechtlich erhebliche Ursache des Unfalls gewesen, weil dieser durch ein verkehrswidriges Verhalten eines Dritten verursacht worden und daher nicht auszuschließen sei, dass auch einem verkehrstüchtigen Lenker eine unfallverhütende Reaktion nicht mehr möglich gewesen wäre. Auch auf § 175 Abs 2 Z 7 ASVG könne sich der Kläger nicht stützen, weil sich der Wortlaut dieser Bestimmung ausdrücklich auf Unfälle beschränke, die sich während der Arbeitszeit ereignen, nicht aber auch auf Unfälle nach Beendigung der Arbeit.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und sah die Rechtsrüge nicht als berechtigt an. Nach Beendigung einer Unterbrechung des Weges wegen einer privaten Verrichtung lebe der Versicherungsschutz nur in Ausnahmefällen nicht wieder auf, und zwar dann, wenn aus der Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort der Tätigkeit geschlossen werden könne. Maßgeblich bei der Beurteilung des Unterbrechung seien die Umstände des Einzelfalles sowie Art und Dauer der Verrichtung im Einzelfall; das Zeitmoment bilde nur eines von mehreren Wesensmerkmalen. Entscheidend sei, ob nach natürlicher Betrachtungsweise die private Verrichtung nach Arbeitsschluss so bestimmend gewesen sei, dass nach ihrer Beendigung der Weg als Weg von dieser Verrichtung und nicht mehr als Weg von der Arbeitsstätte anzusehen sei. In seiner jüngeren Rechtsprechung habe der Oberste Gerichtshof in Anlehnung an die Rechtsprechung des deutschen Bundessozialgerichts dem Zeitmoment der Unterbrechung als einem der Rechtssicherheit dienenden Kriterium eine besondere Bedeutung zugemessen.

Wenn man im vorliegenden Fall berücksichtige, dass der Kläger sogar von seinem Heimweg abgewichen sei, um an einem bestimmten Würstelstand eine Flasche Bier (und allenfalls auch ein Paar Würstel) zu konsumieren, dort aber dann vor Antreten des endgültigen Heimwegs 1 ½ Stunden verblieben sei, sei insbesondere im Hinblick auf die Relation zur Dauer des gesamten Heimwegs von ca zehn Minuten der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit endgültig gelöst worden. Die Voraussetzungen des § 175 Abs 2 Z 7 ASVG lägen schon deshalb nicht vor, weil sich der Unfall - unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zur Entschädigung der Zeit nach dem „Nachhauseschicken" verpflichtet sei - nicht während der Arbeitszeit ereignet habe. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof bislang nicht dazu Stellung bezogen habe, ob auch eine Unterbrechung in einem zeitlichen Ausmaß von unter zwei Stunden in bestimmten Ausnahmefällen die endgültige Lösung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg vom Ort der Tätigkeit bewirken könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich zuletzt in den Entscheidungen 10 ObS 155/03x (SSV-NF 17/69) und 10 ObS 55/04t (SZ 2004/80 = SSV-NF 18/49) mit der Frage auseinandergesetzt, wann der Versicherungsschutz nach einer Unterbrechung des Heimweges von der Arbeit (ausnahmsweise) nicht wieder auflebt. In der Entscheidung 10 ObS 155/03x wurde darauf hingewiesen, dass die den endgültigen Verlust des Versicherungsschutzes bewirkende Lösung des Zusammenhanges nicht allein danach beurteilt werden dürfe, welche Zeitdauer die vom Versicherten in seinem Heimweg eingeschobene private Verrichtung beansprucht habe. Maßgebend seien vielmehr die näheren Umstände, welche diese Verrichtung nach Art und Dauer im Einzelfall kennzeichnen, wobei das Zeitmoment nur eines von mehreren Wesensmerkmalen sei. Das deutsche Bundessozialgericht habe allerdings in seiner jüngeren Rechtsprechung mit Recht der Zeitdauer der Unterbrechung (als einem der Rechtssicherheit dienenden Kriterium) stärker als zuvor eine besondere Bedeutung beigemessen. In diesem Sinn wurde in der Entscheidung 10 ObS 55/04t das Zeitmoment als besonders bedeutsam angesehen, was bei einer Unterbrechung in einer Dauer von sechs Stunden auch nahe lag.

Das deutsche Bundessozialgericht hat sich in seiner Judikatur seit dem Jahr 1976 (siehe die Nachweise bei Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung [93./99. Lfg.

Auch der Oberste Gerichtshof orientiert sich in seiner Rechtsprechung

grob an dieser Zwei-Stunden-Grenze (siehe etwa 10 ObS 246/97t =

SSV-NF 11/90 = RIS-Justiz RS0084892 [T1]), hält aber grundsätzlich

daran fest, dass bei der Beurteilung der Unterbrechung die Umstände des Einzelfalles, insbesondere Art und Dauer der Verrichtung im Einzelfall maßgeblich sind. Es ist zu beurteilen, ob der Beschäftigte den Weg vom Ort der Tätigkeit nur unterbricht und dann den Heimweg fortgesetzt oder verspätet antritt, oder ob nach natürlicher Betrachtungsweise die private Verrichtung nach Arbeitsschluss so bestimmend war, dass der Weg nach ihrer Beendigung als Weg von dieser Verrichtung und nicht mehr von der Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 ASVG anzusehen ist (10 ObS 226/89 = SSV-NF 3/103; RIS-Justiz RS0084004). Abgesehen von der Art der Verrichtung kommt es dabei aber nicht nur auf die absolute Dauer der Unterbrechung an, sondern es ist auch das Verhältnis zur üblichen Dauer des Heimwegs ins Kalkül zu ziehen. In diesem Sinn wurde etwa auch in der schon zitierten Entscheidung 10 ObS 246/97t = SSV-NF 11/90 ein Zusammenhang mit dem kurzen Heimweg und der fehlenden Notwendigkeit einer langen „Ruhepause" hergestellt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach der Unfall des Klägers angesichts der absoluten Dauer der konkreten Unterbrechung, vor allem aber auch der Relation dieser Dauer zur üblichen Dauer des gesamten Heimweges, nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, ist unter den vorliegenden Umstanden zutreffend.

Dies gilt auch für die Rechtsansicht, dass eine Subsumtion unter § 175 Abs 2 Z 7 ASVG nicht in Betracht kommt. Der Kläger befand sich zum Unfallszeitpunkt bereits auf dem Nachhauseweg, nachdem er seine Arbeit über Weisung des Vorgesetzten beendet hatte; er hatte also nicht vor, nach der Nahrungsaufnahme, wie von § 175 Abs 2 Z 7 ASVG gefordert, wieder an seine Arbeitsstelle zurückzukehren. In diesem Sinn ereignete sich der Unfall - entgegen der in der Revision weiterhin vertretenen Ansicht - nicht „während der Arbeitszeit" iSd § 175 Abs 2 Z 7 ASVG. Würde man die gegenteilige Ansicht vertreten und für den Unfallversicherungsschutz auf den Arbeitszeitbegriff des § 2 AZG oder gar auf die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers abstellen, würde der Schutz davon abhängen, ob der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Versicherten disponieren kann (siehe Pfeil in ZellKomm § 2 AZG Rz 3) bzw ob das Gesetz dem Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitspflicht einen Entgeltanspruch für einen gewissen Zeitraum einräumt (zB auch während einer Krankheit). Diese Auffassung stünde in einem Widerspruch zur Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG, wonach die Risikosphäre der Unfallversicherung grundsätzlich nach dem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung abgesteckt wird und nicht nach der abstrakten Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers oder dessen Entgeltzahlungspflicht.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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