OGH 9Ob100/06f

OGH9Ob100/06f9.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Philipp A*****, geboren am 26. Oktober 1990, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters Günther A*****, vertreten durch Birnbaum & Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. Mai 2006, GZ 42 R 19/06i-87, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 28. Oktober 2005, GZ 1 P 75/03v-81, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des mj. Philipp wurde am 13. 3. 2001 einvernehmlich geschieden, die Obsorge für den Minderjährigen steht seither der Mutter zu. Der Vater hatte sich - ausgehend von einem monatlichen Nettoeinkommen von EUR 1.102,20 - ab 1. 4. 2001 zu monatlichen Unterhaltszahlungen von EUR 218,02 verpflichtet. Am 26. 5. 2003 beantragte der Minderjährige, die monatlichen Unterhaltsbeträge ab 1. 2. 2003 auf EUR 439,50 zu erhöhen. Er begründete dies mit gestiegenen Bedürfnissen - er besuche auf Wunsch des Vaters eine Schule, für die Schuldgeld von jährlich EUR 10.500,-

zu zahlen sei - und mit dem eine solche Unterhaltsfestsetzung ermöglichenden Einkommen des Vaters. Dieser verdiene als Geschäftsführer einer GmbH EUR 887,- monatlich; dazu kämen monatliche Zahlungen des Arbeitsmarktservices von EUR 1.625,10, die - weil der Vater Altersteilzeit in Anspruch nehme - die GmbH beziehe, die aber dem Vater zugute kämen.

Der Vater sprach sich zunächst gegen diesen Antrag aus und beantragte statt dessen, in Hinblick auf sein geringes Einkommen von nur EUR 880,- monatlich die monatliche Unterhaltsleistung auf „einen altersadäquaten Prozentsatz" herabzusetzen.

Dieser Herabsetzungsantrag des Vaters wurde mit dem unangefochten gebliebenen Beschluss des Erstgerichtes vom 30. 7. 2004 abgewiesen. Mit Teilbeschluss vom 5. 8. 2005 wurde - mit Einverständnis des Vaters - der von ihm zu leistende monatliche Unterhaltsbeitrag

für die Zeit vom 1. 2. 2003 bis 31. 12. 2003 auf EUR 230,-,

für die Zeit vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2004 auf EUR 290,-,

für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis 31. 10. 2005 auf EUR 325,- und für die Zeit ab 1. 11. 2005 auf EUR 355,-

erhöht.

Die Entscheidung über das Mehrbegehren des Minderjährigen wurde

vorbehalten.

Mit Beschluss vom 28. 10. 2005 erhöhte das Erstgericht nunmehr die vom Vater monatlich zu leistenden Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom 1. 2. 2003 bis 31. 12. 2003 um EUR 32,- auf EUR 262,-,

für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis 31. 10. 2005 um EUR 100,- auf EUR 425,- und

für die Zeit ab 1. 11. 2005 um EUR 84,50 auf EUR 439,50. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Minderjährigen wurde abgewiesen.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Vater, der keine weiteren Sorgepflichten hat, Geschäftsführer, einziger Angestellter und Gewerbeinhaber einer GmbH ist. Seine nunmehrige Ehegattin ist - zu einem Drittel - Gesellschafterin dieser GmbH. Seit 1. 10. 2002 nimmt der Vater Altersteilzeit gemäß § 27 AlVG in Anspruch; seine monatliche Arbeitszeit beträgt 15,4 Stunden. Sein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen betrug 2003 EUR 1.139,-, 2004 EUR 1.449,07 und 2005 EUR 1.708,32. Das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen der nunmehrigen Ehegattin des Vaters betrug 2003 EUR 2.246,87, 2004 EUR 2.261,- und 2005 EUR 3.777,-. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr strittig, ob der dem Vater gegen seine besser verdienende (nunmehrige) Ehegattin zustehende Unterhaltsanspruch in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist. Dies wurde vom Erstgericht bejaht, und zwar auch für Naturalunterhaltsleistungen. Der rechnerische Unterhaltsanspruch des Vaters gegen seine Ehegattin (40 % des Familieneinkommens abzüglich Eigeneinkommen des Vaters) sei daher zum Einkommen des Vaters hinzuzurechnen, sodass die Unterhaltsbemessungsgrundlage für 2003 EUR 1.354,40, für 2004 EUR 1.486,- und für 2005 EUR 2.194,- betrage. Für das Jahr 2004 habe es daher beim bereits in der Teilentscheidung festgesetzten Unterhaltsbetrag zu bleiben; im Übrigen sei der vom Vater zu leistende Unterhalt wie oben dargestellt festzusetzen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Nach der neueren Rechtsprechung seien auch eigene gesetzliche Unterhaltsansprüche des Unterhaltsschuldners in die Bemessungsgrundlage für den Unterhalt des Kindes einzubeziehen. Dies gelte jedenfalls uneingeschränkt für Geldunterhaltsansprüche, nach den Entscheidungen 4 Ob 42/01g und EvBl 2000/114 auch für Naturalunterhaltsempfänge. Seit dem EheRÄG 1999 könne ein Ehegatte nunmehr auch in aufrechter Haushaltsgemeinschaft unter erleichterten Voraussetzungen - nämlich dann, wenn dies nicht unbillig wäre - Unterhaltsleistung in Geld verlangen. Das Geldunterhaltsverlangen werde dabei in der Regel nur insoweit (nur teilweise) unbillig sein, als der Verpflichtete aufgrund der einvernehmlichen Lebensgestaltung der Ehepartner bestimmte Bedürfnisse des Berechtigten als alleiniger Vertragspartner decke. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor: Die Miete für das vom Vater und seiner nunmehrigen Gattin bewohnte Genossenschaftshaus werde nicht ausschließlich von ihr, sondern vom Vater und ihr abwechselnd getragen. Zudem habe der Vater, soweit er Naturalleistungen seiner Ehegattin erhalte, einen geringeren Bedarf, sodass er einen größeren Anteil von seinem Einkommen für Unterhaltsleistungen verwenden könne. Der schlechter verdienende Ehegatte habe gegen seinen Ehepartner grundsätzlich einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 40 % des Nettofamilieneinkommens abzüglich des eigenen Einkommens. Auf diesen Anspruch könne der Vater im Sinne der Anspannungstheorie auch nicht verzichten. Die Lebensumstände des Vaters, der sich mit einer Teilzeitbeschäftigung als einziger Angestellter in einem Betrieb begnüge, an dem seine Gattin zu einem Drittel beteiligt sei, dürften nicht zu Lasten des Kindes gehen. Das höhere Einkommen der Ehegattin des Vaters, das sich auch in einem höheren Lebensstandard des Vaters niederschlage, müsse daher auch dem Kind zugute kommen. Der Differenzanspruch des Vaters gegen seine Gattin sei daher vom Erstgericht zu Recht der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzugezählt worden.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Einrechnung des fiktiven Differenzanspruchs des geringer verdienenden Ehegatten in die Unterhaltsbemessungsgrundlage fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung sind als Grundlage der Unterhaltsbemessung alle tatsächlichen Einkommen des Unterhaltsschuldners in Geld bzw in geldwerten Leistungen, über die er frei verfügen kann, heranzuziehen, soweit solche Einkommen nicht bloß der Abgeltung effektiver Auslage dienen (1 Ob 337/99m; 4 Ob 42/01g je mit weiteren Nachweisen). Unter Berufung auf diesen Grundsatz hat die neuere Rechtsprechung auch eigene gesetzliche Unerhaltsansprüche des Unterhaltsschuldners in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Jedenfalls für Geldunterhaltsansprüche entspricht dies der mittlerweile ständigen Rechtsprechung (1 Ob 337/99m; 4 Ob 42/01g; 9 Ob 120/03t; 7 Ob 164/06b ua; vgl auch Stabentheiner in Rummel, § 94 Rz 10; Neuhauser in Schwimann³ § 140 Rz 73; Hopf/Kathrein, Eherecht² 56; H.Pichler in Klang/Fenyves/Welser³ § 140 Rz 16; zur abweichenden Auffassung Schwimanns, [etwa NZ 1998, 289]: 1 Ob 337/99m), wobei die dabei früher von der Rechtsprechung vorgenommene Einschränkung, dass bei der Bemessung der Unterhaltspflicht eines einkommenslosen unterhaltsberechtigten Ehegatten nur dessen „Taschengeldanspruch" gegen den ihm gegenüber unterhaltspflichtigen Gatten berücksichtigt werden könne, durch die seit dem EheRÄG 1999 bestehende Rechtslage überholt ist. Seither kann nämlich auch ein Ehegatte in aufrechter Haushaltsgemeinschaft die Erfüllung des Unterhalts in Geld verlangen, soweit dies nicht unbillig ist (siehe dazu im Detail: 9 Ob 120/03t). In seinen Entscheidungen 1 Ob 337/99m, 1 Ob 218/00s und 4 Ob 42/01g hat der Oberste Gerichtshof überdies die Auffassung vertreten, dass bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners auch von ihm bezogene Naturalunterhaltsleistungen zu berücksichtigen sind. Dem ist beizupflichten, zumal dies nur die konsequente Fortsetzung der schon vorher bestandenen Rechtsprechung ist, dass die Unterhaltsbemessungsgrundlage auch durch Naturalbezüge erhöht wird (in diesem Sinne auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 48). Dabei stellt sich allerdings das Problem, dass Naturalleistungen in der Regel ausschließlich vom Empfänger verwendet bzw nicht sinnvoll in Geld umgewandelt und an das Kind weitergegeben werden können, sodass - wie Schwimann/Kolmasch (Unterhaltsrecht³ 49) zu Recht aufzeigen - die Frage im Raum steht, wie weit der Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner Anspannungsobliegenheit verpflichtet ist, seine rechtlichen Möglichkeiten auszunützen, den Natural- in Geldunterhalt umzuwandeln bzw was zu gelten hat, wenn eine solche Umwandung allenfalls aus rechtlichen Gründen - etwa im Hinblick auf den Billigkeitsvorbehalt des § 94 Abs 3 ABGB - ganz oder teilweise scheitert. Diese Frage braucht aber hier aus folgenden Gründen nicht näher erörtert zu werden:

Dass die Vorinstanzen den Unterhaltsanspruch des Vaters gegen seine Ehegattin rechnerisch richtig errechnet haben, wird im Revisionsrekurs nicht bestritten. Der Revisionsrekurswerber behauptet auch nicht, dass seine Ehegattin keine Unterhaltsleistungen in der ermittelten Höhe erbringt, sodass der Hinweis auf die ihn treffende Verbindlichkeit, seinen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Frau geltend zu machen, hier entbehrlich ist. Der Revisionsrekurswerber macht vielmehr geltend, dass seine Ehegattin den ihm geschuldeten Unterhalt in Form von Naturalleistungen erbringt (Kosten der Wohnung und des täglichen Lebens).

Da - wie gezeigt - auch diese Naturalleistungen bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind und überdies davon auszugehen ist, dass diese Naturalleistungen die in Geld zu deckenden Bedürfnisse des Vaters mindern, ist es unter den hier gegebenen Umständen möglich, den Vater auf die Möglichkeit zu verweisen, den unter Berücksichtigung der ihm zufließenden Unterhaltsleistung errechneten Unterhaltsbeitrag für seinen Sohn aus seinem eigenen Arbeitseinkommen zu zahlen. Schließlich verbleibt ihm aus seinen Arbeitsbezügen auch nach Abzug des festgesetzten monatlichen Unterhalts ein frei verfügbarer Geldbetrag, der die von der Rechtsprechung unter Zuhilfenahme der §§ 291a, 292b EO ermittelte Belastungsgrenze (zuletzt 6 Ob 184/06m mwN) deutlich übersteigt und ihm - vor allem bei Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Teil seiner Bedürfnisse durch Naturalunterhaltsleistungen gedeckt ist - die Bestreitung des jedenfalls in Geld zu deckenden Lebensbedarfs ermöglicht. Die Notwendigkeit, die vom Vater bezogenen und bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigten Naturalunterhaltsleistungen in Geldunterhalt umzuwandeln, stellt sich damit im hier zu beurteilenden Fall nicht.

Dass damit - wie der Revisionsrekurswerber meint - eine mittelbare Unterhaltspflicht seiner Ehegattin für sein Kind aus erster Ehe angenommen werde, trifft nicht zu, weil die Ehegattin des Vaters mit den von ihr erbrachten Unterhaltsleistungen ausschließlich ihre Unterhaltspflicht dem Vater gegenüber erfüllt (ausführlich dazu bereits 1 Ob 337/99m).

Die Ausführungen der Vorinstanzen, wonach der Umstand, dass der Vater Altersteilzeit in Anspruch nehme, nicht zu Lasten der Kinder gehen könne, sind für die Entscheidung ohne Bedeutung, weil die Vorinstanzen daraus keine Konsequenzen gezogen haben. Sie haben den Vater nicht auf ein von ihm allenfalls erzielbares höheres Arbeitseinkommen angespannt sondern haben der Unterhaltsbemessung ohnedies sein tatsächlich bezogenes Einkommen, aber auch den ihm angesichts dieses Einkommens zustehenden Unterhaltsanspruch, zugrunde gelegt.

Der erstmals im Revisionsrekurs erhobene Einwand des Vaters, seine nunmehrige Ehegattin verdiene seit 1. 1. 2006 infolge einer beruflichen Neuorientierung weniger als bisher, verstößt gegen das im Revisionsrekursverfahren geltende Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich. Dass § 66 Abs 2 AußStrG eine generelle Neuerungserlaubnis normiere, trifft nicht zu (RIS-Justiz RS0119918). Die rechnerische Richtigkeit der Unterhaltsermittlung durch die Vorinstanzen wird vom Revisionsrekurswerber nicht bestritten.

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