OGH 14Os102/06s

OGH14Os102/06s8.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Renate S***** wegen Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 28. April 2006, AZ 7 Bs 153/06t (ON 4 in ON 33 des Aktes AZ 18 Hv 5/06s des Landesgerichtes Feldkirch), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 28. April 2006, AZ 7 Bs 153/06t (ON 4 in ON 33 des Aktes AZ 18 Hv 5/06s des Landesgerichtes Feldkirch), verletzt in seiner Begründung § 39 Abs 1 SMG.

Text

Gründe:

Das Landesgericht Feldkirch erkannte Renate S***** mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall SMG, mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter, fünfter und sechster Fall SMG sowie des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB schuldig und verhängte über sie „nach § 129 StGB in Anwendung des § 28 StGB" eine zweijährige Freiheitsstrafe. Das Urteil ist rechtskräftig.

Am 17. Februar 2006 langte der Antrag der Verurteilten auf Gewährung eines Aufschubes des Strafvollzuges nach § 39 Abs 2 SMG ein. Das Landesgericht Feldkirch wies den Antrag mit Beschluss vom 1. März 2006 (ON 2 in ON 33) im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die über die Verurteilte verhängte zweijährige Freiheitsstrafe nicht nach dem SMG, sondern nach § 129 StGB verhängt worden und der abgeurteilte Einbruchsdiebstahl nicht als Beschaffungskriminalität zu beurteilen sei. Es komme daher weder ein Aufschub nach § 39 Abs 1 noch nach § 39 Abs 2 SMG in Betracht.

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Verurteilten (ON 36) gab das Oberlandesgericht Innsbruck am 28. April 2006 (ON 4 in ON 33) dahin Folge, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde. In der Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dem Wortlaut des § 39 Abs 1 und Abs 2 SMG sei nicht zu entnehmen, ob ein Strafaufschub auch dann zulässig sei, wenn jemand wegen mehrerer Straftaten verurteilt wurde, „die nur zum Teil der durch das SMG pönalisierten Suchtmittelkriminalität bzw nur zum Teil der Beschaffungskriminalität iSd § 39 Abs 2 SMG zugeordnet" werden könne. Der vom Gesetzgeber ua durch die Regelungen des § 39 SMG zum Ausdruck gebrachten Intention widerspreche eine Auslegung, wonach bereits ein einziges weder durch § 39 Abs 1 noch durch § 39 Abs 2 SMG erfasstes Delikt die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen ausschließe. Bei teleologischer Auslegung des § 39 SMG habe bei Zusammentreffen von Straftaten, „die nur zum Teil den in § 39 Abs 1 oder 2 StGB genannten Delikten zuzuordnen sind, eine Gewichtung stattzufinden". Wenn die dem § 39 Abs 1 oder Abs 2 SMG zuzuordnenden Delikte in ihrer Bedeutung und Schwere im Verhältnis zu den sonstigen Delikten überwiege, sei ein Strafaufschub möglich; prävalierten hingegen „die sonstigen Delikte", sei die Anwendung des § 39 SMG ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall würden „schon nach der Anzahl der mit dem in Rede stehenden Urteil geahndeten Straftaten" die Verstöße der Angeklagten gegen das SMG überwiegen. Auch wenn die Strafe nach § 129 StGB bemessen worden sei, der angesichts der normierten Untergrenze die gegenüber § 28 Abs 2 SMG strengere Strafdrohung enthalte, seien die Voraussetzungen für einen Strafaufschub nach § 39 Abs 1 SMG grundsätzlich gegeben.

Diese - für die Verurteilte nicht nachteilige (§ 292 letzter Satz StPO) - Rechtsansicht steht nach Ansicht des Generalprokurators mit dem Gesetz nicht im Einklang. In der deswegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird ausgeführt:

„Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes 'muss' gemäß § 39 Abs 1 erster Fall SMG dem an ein Suchtmittel gewöhnten (süchtigen) Verurteilten - unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 StVG und sofern er sich bereit erklärt, sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs 2 zu unterziehen - ein Strafaufschub gewährt werden, wenn er nach dem SMG zu einer höchstens zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Nach § 39 Abs 1 zweiter Fall und Abs 2 'kann' ihm ein solcher gewährt werden, wenn er entweder nach dem SMG oder wegen einer als Begleitkriminalität zu qualifizierenden Straftat (die eine maximal fünfjährige Strafobergrenze aufweist) zu einer höchstens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Während bei Vorliegen der Diversionsvoraussetzungen des § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG auch bei einer Verurteilung anderer Straftaten dieses temporäre Verfolgungshindernis isoliert in Hinblick auf einen Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG zu beachten ist (vgl RIS-Justiz RS0113620; Kirchbacher/Schroll, RZ 2005, 170 f), verbietet sich eine vergleichbare Betrachtungsweise bei Zusammentreffen von Verbrechen nach dem SMG mit Delikten anderer Art nach rechtskräftiger Aburteilung und Straffestsetzung, sodass die (obligatorische) Bestimmung des § 39 Abs 1 SMG schon deshalb nicht zur Anwendung gelangt, wenn eine (Geldstrafe oder) Freiheitsstrafe nicht nach dem SMG verhängt wurde.

Zudem ist § 39 Abs 1 SMG - bis auf die Erweiterung des Aufschubes einer Geldstrafe und der fakultativen Aufschubsmöglichkeit einer dreijährigen Freiheitsstrafe - gleichlautend mit der Vorgängerbestimmung des durch die Suchtgiftgesetznovelle 1985 (BGBl 184/1985) eingeführten § 23 a Abs 1 SGG ('Unter den allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 des Strafvollzugsgesetzes ist einem dem Missbrauch eines Suchtgiftes ergebenen Verurteilten auch ein Aufschub des Vollzuges einer über ihn nach diesem Bundesgesetz verhängten, zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe für die Dauer von höchstens zwei Jahren zu bewilligen, soweit dies erforderlich ist, um dem Verurteilten eine notwendige ärztliche Behandlung zu ermöglichen.'). Diese Bestimmung erfasste ausschließlich Strafen bei Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen nach dem SGG, sodass dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, durch § 39 Abs 1 SMG könnte (nunmehr) auch Beschaffungskriminalität erfasst werden, weil für diese Fälle eine eigene Bestimmung (Abs 2 leg cit) eingeführt wurde.

§ 39 Abs 2 SMG ermöglicht nach Maßgabe des Abs 1 leg cit den Aufschub 'einer Strafe, die wegen einer auf Grund der Gewöhnung des Verurteilten an Suchtmittel im Zusammenhang mit dessen Beschaffung begangenen strafbaren Handlung ... verhängt wird'. In den Fällen der Beschaffungskriminalität ist ein Strafaufschub damit nur unter den Voraussetzungen der fakultativ anwendbaren Bestimmung des § 39 Abs 2 SMG zulässig. Die Auffassung des Oberlandesgerichtes Innsbruck, dass ein diesbezüglicher Strafaufschub auch nach § 39 Abs 1 SMG in Frage käme, scheitert bereits an der Grenze des möglichen Wortsinns des Gesetzes (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 29) und wird auch im Schrifttum (Ebensperger RZ 2000, 79) nicht vertreten."

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

§ 39 Abs 1 SMG bestimmt: „Unter den allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 Abs 1 des Strafvollzugsgesetzes ist einem an ein Suchtmittel gewöhnten Verurteilten ein Aufschub des Vollzuges einer über ihn nach diesem Bundesgesetz verhängten Geldstrafe oder zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe für die Dauer von höchstens zwei Jahren zu bewilligen, sofern er sich bereit erklärt, sich einer notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs 2 zu unterziehen. Unter diesen Voraussetzungen kann das Gericht auch den Aufschub des Vollzuges einer über den Verurteilten verhängten drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe bewilligen."

§ 39 Abs 2 SMG sieht vor: „Nach Maßgabe des Abs 1 kann das Gericht auch den Aufschub des Vollzuges einer Strafe bewilligen, die wegen einer auf Grund der Gewöhnung des Verurteilten an Suchtmittel im Zusammenhang mit dessen Beschaffung begangenen strafbaren Handlung, die mit nicht mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, verhängt wird."

Das SMG trifft keine Aussage für Fälle wie den vorliegenden, in denen der Schuldspruch sowohl wegen strafbarer Handlungen ergeht, die von § 39 SMG erfasst werden, als auch wegen solcher, die nicht unter diese Bestimmung fallen. Auch die Materialien gehen nicht darauf ein. Nach dem Wortlaut des § 39 Abs 1 erster Satz SMG muss einem an ein Suchtmittel gewöhnten Verurteilten - unter den allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 Abs 1 StVG - ein Aufschub des Vollzuges einer über ihn nach dem SMG verhängten Geldstrafe oder zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe bewilligt werden, sofern er sich bereit erklärt, sich einer notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs 2 SMG zu unterziehen.

Von einer nach dem Suchtmittelgesetz verhängten Geldstrafe oder zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe kann nach Wortbedeutung (§ 39 Abs 1 erster Satz SMG) und Systematik des Gesetzes (vgl § 28 StGB) nur dann gesprochen werden, wenn die im betreffenden Fall maßgebliche Strafdrohung aus dem SMG stammt oder - bei gleichen aufeinander treffenden Strafdrohungen, wobei unerheblich ist, welcher der gleichen Strafdrohungen das Gericht im Urteil „anwendet" (§ 260 Abs 1 Z 4 StPO; Leukauf/Steininger aaO Rz 12; Ratz aaO Rz 9) - stammen könnte (aM, ersichtlich auf Grund eines anderen Wortlautverständnisses, Rosbaud in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 39 Rz 9). Bei einem „kombinierten Strafsatz" (Leukauf/Steininger, Komm³ § 28 Rz 8), nämlich dann, wenn der eine Strafrahmen zwar eine höhere Obergrenze, jedoch eine niedrigere Untergrenze als der andere aufweist, sodass nach § 28 Abs 1 StGB die höhere Obergrenze des einen und die höhere Untergrenze des anderen gilt (Leukauf/Steininger aaO; Ratz in WK² § 28 Rz 7), ist für die Anwendbarkeit des § 39 Abs 1 erster Satz SMG maßgeblich, dass die Obergrenze aus dem SMG stammt. So ist die zuletzt genannte Bestimmung zB dann anzuwenden, wenn ein Angeklagter nach § 28 Abs 2 SMG (Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) einerseits und wegen Diebstahls nach § 127 StGB (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten) oder schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) andererseits zu einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt wird, handelt es sich doch dann nach dem Gesagten um eine „nach dem SMG verhängte" Freiheitsstrafe. Gleiches trifft bspw zu, wenn ein Angeklagter nach § 28 Abs 2 SMG und nach § 202 Abs 1 StGB verurteilt wird (beide Verbrechen sind mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht).

Ansätze für eine „Gewichtung", wie in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes vertreten, sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Im vorliegenden Fall stand daher der Verurteilten, deren Strafe angesichts des Zusammentreffens von §§ 127, 129 Z 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) mit § 28 Abs 2 SMG (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) zutreffend nach § 129 StGB bestimmt wurde (vgl Ratz in WK² § 28 Rz 8), ein Aufschub nach § 39 Abs 1 erster Satz SMG entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichtes nicht offen, wie die Wahrungsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt.

Weil der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck der Verurteilten nicht zum Nachteil gereichte, war die Gesetzesverletzung ohne konkrete Wirkung festzustellen.

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