OGH 3Ob246/06g

OGH3Ob246/06g22.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin Elisabeth H*****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Bewohnervertreterin Edith S*****, vertreten durch Dr. Helmut Heiger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 8. September 2006, GZ 2 R 127/06y-9, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 7. August 2006, GZ 18 HA 1/06p-4, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Heimaufenthaltssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Für die Bewohnerin, die im Wohnhaus für behinderte Menschen - Caritas der Diözese St. Pölten in Krems an der Donau lebt, wo sie ständig gepflegt und betreut wird, war wegen deren Imbezillität schon 1976 ein Sachwalter bestellt worden. Am 9. Mai 2006 erlitt sie einen Becken- und Schenkelhalsbruch, der ab diesem Tag im Landesklinikum Krems an der Donau operativ versorgt wurde. Da die Bewohnerin stereotaktische Dauerbewegungen machte und dies nach Erwachen aus dem künstlichen, nach-operativen Tiefschlaf den Heilungsverlauf der Brüche gefährdet hätte, wurde über Antrag des Primararzts der unfallchirurgischen Abteilung des Klinikums vom 26. Mai 2006 die vom Gericht eingeholte Zustimmung des Sachwalters zu ihrer Fixation ab 29. Mai 2006 bis voraussichtlich 18. Juni 2006 vom Erst- als Pflegschaftsgericht genehmigt. Ende Juni 2006 wurde die Bewohnerin aus dem Spital entlassen.

Die Antragstellerin berief sich auf ihre Funktion als Bewohnervertreterin gemäß § 8 Abs 2 HeimAufG und beantragte unter Hinweis darauf, dass sie von den Freiheitsbeschränkungen der Bewohnerin (Hindern des Verlassen des Bettes mittels Seitenteilen, Fixierung der rechten Hand am Seitenteil und medikamentöse Sedierung) nicht verständigt worden sei, die geschilderte Freiheitsbeschränkung nach § 11 leg.cit. zu überprüfen. Das Landesklinikum trat dem Antrag entgegen. Das HeimAufG sei auf vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Fixation sei medizinisch notwendig gewesen und habe sich auf das notwendige Maß beschränkt.

Das Erstgericht wies den Antrag der Einschreiterin mit der Begründung ab, das HeimAufG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe, dass es den Antrag zurückwies. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. In Krankenanstalten sei das HeimAufG nur auf Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege oder Betreuung bedürfen. Der geforderte Kausalzusammenhang zwischen psychischer bzw. geistiger Erkrankung und Aufnahme in eine Krankenanstalt sei nicht gegeben. Die medizinische Behandlung der Verletzungen sei jedenfalls im Vordergrund gestanden.

Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs der Einschreiterin ist zulässig und mit seinem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

a) Der 3. Abschnitt des HeimAufG BGBl I 11/2004 idF BGBl I 94/2006 - die Änderungen der Novelle sind hier nicht relevant - regelt die Vertretung und in seinem § 8 die Bewohnervertreter. Die Bestimmung lautet:

(1) Die Vertretung des Bewohners bei der Wahrnehmung seines Rechtes auf persönliche Freiheit obliegt dem von ihm hiefür bestellten nahen Angehörigen, Rechtsanwalt oder Notar. Dieser vom Bewohner bestellte Vertreter bedarf einer auf die Wahrnehmung dieses Rechtes lautenden schriftlichen Vollmacht.

(2) Darüber hinaus wird auch der für die Namhaftmachung von Sachwaltern nach der Lage der Einrichtung örtlich zuständige Verein (§ 1 des Vereinssachwalter- und Patientenanwaltsgesetzes, BGBl Nr 156/1990) kraft Gesetzes Vertreter des Bewohners, sobald eine Freiheitsbeschränkung vorgenommen oder in Aussicht gestellt wird. Durch diese Vertretungsbefugnis werden die Geschäftsfähigkeit des Bewohners und die Vertretungsbefugnis eines anderen gesetzlichen Vertreters nicht berührt.

(3) Der Verein hat dem Träger der Einrichtung und dem Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichts eine oder mehrere von ihm ausgebildete und für die besonderen Verhältnisse im Pflegebereich geschulte Personen namhaft zu machen, denen die Ausübung der Vertretungsbefugnisse zukommt (Bewohnervertreter). Der Vorsteher des Bezirksgerichts hat den Namen und die Büroadresse des Bewohnervertreters in der Ediktsdatei kundzumachen. Wenn der Verein die Namhaftmachung eines Bewohnervertreters widerruft, hat der Vorsteher des Bezirksgerichts die Kundmachung zu berichtigen.

(4) ...

Wie sich bereits aus dem Gesetz ergibt, ist gesetzlicher Vertreter des Bewohners der Verein, im vorliegenden Fall der NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung. Die Ausübung der daraus erfließenden Vertretungsbefugnisse kommt dagegen dem Bewohnervertreter zu, der vom Träger der Einrichtung und dem Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichts namhaft gemacht wurde und dessen Namen und Büroadresse der Vorsteher des Bezirksgerichts in der Ediktsdatei kundgemacht hat. Diese Personen werden für den Verein tätig (Barth/Engels, Das Heimaufenthaltsgesetz in ÖJZ 2005, 401 ff, 414 und FN 97). Im Edikt des Erstgerichts (Letztfassung vom 10. März 2006, GZ Jv 607-26/05) scheint die Einschreiterin zwar als Bewohnervertreterin für das Wohnhaus für behinderte Menschen - Caritas der Diözese St. Pölten in Krems an der Donau, in der die betroffene Bewohnerin wohnte und wohnt, aber nicht des Landesklinikums Krems auf, wo die Freiheitsbeschränkungen der Bewohnerin stattfanden. Dass Bewohnervertreter nur die Personen wären, die via RIS im allgemein zugänglichen Edikt (Kundmachung von Bewohnervertretern) aufscheinen, somit der Ediktseinschaltung eine konstitutive Wirkung zukäme, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Da der NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung mit jetzt aktenkundigen Schreiben vom 6. und 9. Juni 2005 an das Erstgericht und an den Magistrat der Stadt Krems die Einschreiterin als Bewohnervertreterin namhaft machte, bestehen gegen ihre Antragslegitimation keine Bedenken.

b) Das HeimAufG regelt nach dessen § 2 Abs 1 erster Satz allein die Voraussetzungen und die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen, Behindertenheimen sowie in anderen Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden können. Nach dem zweiten Satz dieser Norm ist dieses Bundesgesetz u. a. „in Krankenanstalten" nur auf Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege oder Betreuung bedürfen. Dagegen ist das HeimAufG nach dessen § 2 Abs 2 u. a. auf Krankenanstalten oder Abteilungen für Psychiatrie nicht anwendbar.

Fraglich ist nach dieser Regelung, ob das Gesetz auch in Fällen wie dem vorliegenden anzuwenden ist, in dem bei - wovon ohne weiteres auszugehen ist - weiter bestehender Pflegebedürftigkeit wegen psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung ein Unfall oder eine körperliche Erkrankung zu einer stationären Behandlung in einer Krankenanstalt führt und dabei eine Freiheitsbeschränkung erfolgt. Nach den Materialien (Erläut RV, 353 BlgNR 22. GP 7) gelte dieses Gesetz für Krankenanstalten (mit Ausnahme psychiatrischer Anstalten oder Abteilungen), soweit dort alte, behinderte oder chronisch kranke Menschen, die ständiger (also voraussichtlich auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit) Pflege und Betreuung bedürfen, Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden. Wesentlich sei hiebei, dass die Pflege oder Betreuung nicht durch die dem Patienten in der Anstalt oder Einrichtung zukommende medizinische Behandlung bedingt sei. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sei die Unterbringung in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie, die ausschließlich nach dem UbG zu beurteilen sei (aaO 8).

Im Schrifttum werden die Fragen nicht eindeutig beantwortet.

Barth/Engel (Heimrecht § 2 HeimAufG Anm 8; dieselben, Das

Heimaufenthaltsgesetz, ÖJZ 2005, 401 [403]) nennen, was allgemeine

Krankenanstalten betrifft, nur Abteilungen oder

Sonderkrankenanstalten für Innere Medizin als vom Gesetz erfasst,

(unfall-)chirurgische, an die man wohl leicht denken könnte, und

sonstige aber nicht. Sie scheinen also das Gesetz so zu verstehen,

dass nur die Fälle, in denen in der Anstalt nur die spezifisch durch

die dauernde Pflegebedürftigkeit erforderliche Pflege oder Betreuung

geleistet wird, erfasst seien (arg „... und nicht durch die ... in

der Anstalt ... zugekommene oder zugekommene medizinische Behandlung

bedingt ..."). Dem entspräche das gebrachte Beispiel von

Schlaganfallpatienten, die „nach Abschluss der medizinischen

Behandlung des Schlaganfalls aufgrund nunmehr fortgeschrittener

Altersdemenz ... ständiger Pflege und Betreuung bedürfen und ... im

Krankenhaus, auf einen Heimplatz warten'." In der Folge wird aber der Fall eines Autisten erwähnt, der zu autoaggressiven Verhaltensweisen neigt und in einem Heim auch durch freiheitsentziehende Maßnahmen vor sich selbst geschützt wird. Werde er etwa wegen einer Blutvergiftung in ein Krankenhaus gebracht und dort im Bett fixiert, gelte das HeimAufG ebenso wie für das Heim. Die Autoren betonen den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der „Grundkrankeit" und der ständigen Pflege und Betreuung.

Zierl (Heimrecht - Heimvertragsgesetz, Heimaufenthaltsgesetz und Mustervorlagen², 107 f) beruft sich auf die zitierten Ausführungen von Barth und Engel.

Nach Klaushofer (Heimaufenthaltsgesetz: ein erster Überblick, ZfV 2004, 590 [593]; Hervorhebungen nicht vom Autor) müsse ein Kausalzusammenhang zwischen der psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung und dem Aufnahmegrund bestehen. Das Gesetz sei in Krankenanstalten nicht anzuwenden, wenn derart betroffene Menschen wegen einer anderen Ursache, etwa eines Unfalls oder einer sonstigen Ursache, aufgenommen würden, und zwar auch dann nicht, wenn die sonstige Ursache letztlich auf die Grundkrankheit zurückzuführen sei. Sofern die medizinische Behandlung im Vordergrund stehe und die Pflege und Betreuung begleitend dazu erfolge, gelte dasselbe. An anderer Stelle heißt es, das HeimAufG sei anzuwenden, sofern in Krankenanstalten solcherart Betroffene versorgt werden. Das Gericht zweiter Instanz folgte der restriktiven Auslegung von Klaushofer. Dieser vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen.

Zutreffend legt die Revisionsrekurswerberin dar, dass sich diese weder aus dem Gesetzestext noch aus den Erläut zur RV ableiten lasse. Nach diesen sei wesentlich, dass die Pflege oder Betreuung nicht durch die dem Patienten in der Anstalt oder Einrichtung zukommende medizinische Behandlung bedingt sei. Das kann unbefangen, aber auch im Licht der Absicht der Gesetzesverfasser, den Anwendungsbereich (Erläut aaO 8) auf von der Sachlage her vergleichbare Institutionen auszudehnen, in denen ebenso ein Bedarf an klaren und eindeutigen Vorgaben bestehe, wohl nur so verstanden werden, dass nur solche Personen von der Geltung (und dem Schutz) des HeimAufG ausgenommen werden sollen, die durch die bzw. im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung pflege- oder betreuungsbedürftig werden. Dann und nur dann liegt ein anderer Fall vor, als wenn diese Bedürftigkeit unabhängig von der konkret im Krankenhaus behandelten körperlichen Beeinträchtigung (sei es Unfall oder Krankheit) bereits besteht. Es bliebe unerfindlich, weshalb Freiheitsbeschränkungen von solchen Personen bei Betreuung im Heim dem Gesetz unterfiele und bei sonst ganz vergleichbaren Umständen in Krankenanstalten nicht. Ein Zusammenhang zwischen dem Aufnahmegrund und der Grunderkrankung wird vom Gesetz nicht verlangt. Auf den vorliegenden Fall bezogen wäre es ein Wertungswiderspruch, die betreuungsbedürftige geistig Behinderte nach Abschluss der akuten Unfallbehandlung - ohne ergänzenden Feststellungen vorzugreifen - bei Verbleiben in der Krankenanstalt während der Heilung der Knochenbrüche als weniger schutzbedürftig zu erachten als bei Rückführung in das von ihr vor dem Unfall bewohnte Heim. In diesem wäre ja das HeimAufG jedenfalls anzuwenden. Entgegen Barth/Engel (ÖJZ 2005, 403) kann weder dem Gesetz noch den Materialien (aaO 7) eine Einschränkung seines Anwendungsbereichs auf bestimmte Arten von Spitalsabteilungen entnommen werden. Das von den Genannten gebrachte Beispiel eines zur Selbstschädigung neigenden Behinderten, auf den das Gesetz anzuwenden sei, ist dem hier zu beurteilenden Fall insofern vergleichbar, als auch bei jenem die Aufnahme in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht; ob Aufnahmegrund ein Unfall oder eine sonstige Erkrankung ist, kann keinen Unterschied machen. Abweichend von jenem Beispielsfall ist bei der hier Betroffenen nur der Umstand, dass die Freiheitsbeschränkung zwar durch die Behinderung (und die damit einhergehenden Bewegungen) bedingt war, sicher aber auch durch die eine medizinische Behandlung erforderlich machende körperliche Beeinträchtigung (konkret einen Unfall). Das nach den Materialien wesentliche Kriterium, dass die Pflege und Betreuung nicht durch die medizinische Behandlung bedingt war, ist aber zweifellos auch in diesem Fall gegeben, war eine solche doch wie feststeht schon vor dem Unfall erforderlich. Darauf, ob auch die Grundkrankheit in der Krankenanstalt „behandelt" wird, kann es nach dem Gesetz nicht ankommen (so aber anscheinend Barth/Engel in ÖJZ 2005, 403 FN 15). Damit spricht mangels eindeutiger Ergebnisse der Wortauslegung eine historische eindeutig gegen die von der zweiten Instanz gewonnene, wobei teleologische Erwägungen in dieselbe Richtung gehen. Sind Krankenanstalten mit Ausnahme von psychiatrischen Spitälern und psychiatrischen Abteilungen grundsätzlich vom HeimAufG erfasst und besteht die Betreuungsbedürftigkeit unabhängig vom „Aufnahmegrund", dann spricht der erwähnte Zweck der Einbeziehung auch von Krankenanstalten gegen die restriktive Auslegung der Vorinstanzen, die demnach zu Unrecht die Durchführung der Überprüfung der Freiheitsbeschränkung nach den §§ 11 ff HeimAufG ablehnten. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind demnach aufzuheben. Die Heimaufenthaltssache ist zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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