OGH 2Ob144/06z

OGH2Ob144/06z13.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Alex Z*****, geb. am *****, vertreten durch die Mutter Alexandra Monika Z*****, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Vaters Sandor Z*****, vertreten durch Dr. Werner Schwarz, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 20. Jänner 2006, GZ 20 R 161/05h-44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Oberpullendorf vom 22. Juni 2005, GZ 1 P 136/04g-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden - abgesehen von der bereits in Rechtskraft erwachsenen und daher unberührt bleibenden Abweisung eines Unterhaltsanspruchs von 216 EUR monatlich vom 1. 7. bis 31. 12. 2004, von 185 EUR monatlich vom 1. 1. bis 30. 4. 2005 und von 205 EUR monatlich ab 1. 5. 2005 - aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Der Antrag des Rechtsmittelwerbers auf Ersatz der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Urteil des Stadtgerichtes Sopron, Ungarn, vom 15. 9. 1999 rechtskräftig geschieden. Anlässlich der Scheidung haben die Eltern vereinbart, dass das Eigentum an der Ehewohnung von der Mutter übernommen und das Kind nach der Scheidung bei der Mutter untergebracht wird. Der Vater verpflichtete sich, für den Minderjährigen ab 1. 5. 2007 einen monatlichen Unterhalt von 1.500 ATS zu leisten; die Eltern waren sich ferner darüber einig, dass die Unterhaltszahlungen für das Kind bis 30. 4. 2007 mit dem Wert der den letzten gemeinsamen Wohnsitz bildenden Eigentumsgemeinschaft zum Zeitpunkt der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft verrechnet wird. Die Eltern erklärten daher zu Gerichtsprotokoll: „Die Parteien vereinbaren, dass der Vater bis 30. April 2007 von der Kinderunterhaltszahlungsverpflichtung befreit ist, weil den bis dahin entstehenden Betrag (8x12xATS 1.500 = Ft 2.600.000, in Worten [...]/mit Ft 18,15 gerechnet) die Parteien untereinander durch das Auflassen des gemeinsamen Eigentums ihres letzten gemeinsamen Wohnortes mit der Ablösesumme verrechnet haben und sehen diesen als abgerechnet an".

Am 22. 10. 2004 beantragte der Minderjährige, den monatlichen Unterhaltsbeitrag des Vaters ab 1. 7. 2004 mit 300 EUR zu bestimmen. Der Vater erziele als Kellner inklusive Trinkgeld ein so hohes Einkommen, um den geforderten Betrag, der dem Regelbedarf entspreche, leisten zu können.

Der in Ungarn wohnhafte Vater sprach sich gegen die Unterhaltsfestsetzung aus. Im Hinblick auf die am „3. 5. 1999" in Ungarn geschlossene Vereinbarung sei er erst ab dem 1. 5. 2007 verpflichtet, 1.500 ATS Unterhalt für seinen Sohn zu leisten. Die Mutter halte sich nicht an diese Vereinbarung. Er arbeite als Kellner im Restaurant des Hallenbades in Eisenstadt je nach Bedarf 20 oder 40 Stunden in der Woche und sei auf seinen PKW angewiesen, um den 100 km vom Wohnort entfernten Arbeitsplatz zu erreichen. In den Wintermonaten arbeite er 40 Wochenstunden und erhalte einen Nettolohn von 930 EUR monatlich. An Trinkgeld erhalte er durchschnittlich 100 EUR monatlich. Er sei in Ungarn noch für zwei weitere Kinder und für seine nunmehrige Ehegattin sorgepflichtig, die nur 20 Stunden in der Woche gearbeitet habe (Protokoll vom 1. 12. 2004 ON 9) und seit 17. 12. 2004 arbeitslos sei (Protokoll vom 24. 1. 2005 ON 15). Seit 6. 12. 2004 sei er arbeitslos, da er vom Betreiber des Hallenbades wegen Arbeitsmangels abgebaut worden sei. Dort habe er zuletzt 20 Stunden gearbeitet und ein Einkommen von 500 EUR monatlich zuzüglich 60 EUR Trinkgeld monatlich erzielt. Er könne in Österreich keine Vollzeitbeschäftigung finden. Am 20. 6. 2005 erklärte er beim Erstgericht zu Gerichtsprotokoll ua, seine Ehegattin sei berufstätig und habe ein eigenes Einkommen (ON 25a).

Das Erstgericht traf folgende Feststellungen: Der Minderjährige ist wie seine Mutter seit 2002 österreichischer Staatsbürger, wird im Haushalt der Mutter betreut und besucht die Volksschule in Sopron. Der Vater ist für seine Kinder Kata (18 Jahre) und Balosz (14 Jahre) sowie für seine berufstätige Ehegattin sorgepflichtig. Er ist in Österreich als Kellner beschäftigt und verdiente von Juli bis Dezember 2004 durchschnittlich 750 EUR monatlich netto (inklusive Sonderzahlungen), von Jänner bis April 2005 870 EUR und ab Mai 2005 740 EUR. Von August bis Dezember 2004 war der Vater in einem Cafe in Eisenstadt halbtags beschäftigt. An seiner jetzigen Arbeitsstelle in einem Restaurant ist er ab 1. 5. 2005 wegen Umbauarbeiten, die bis September dauern werden, ebenfalls nur halbtags beschäftigt. Infolge der unregelmäßigen Dienstzeiten des in Ungarn wohnenden Vaters fallen ihm monatlich 150 EUR an Kosten für den PKW an. Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 70 EUR für die Zeit vom 1. 7. 2004 bis zum 31. 12. 2004, von 90 EUR für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis zum 30. 4. 2005 und von 70 EUR für die Zeit ab 1. 5. 2005; das Mehrbegehren wies es ab. Die Unterhaltsbemessungsgrundlage betrage für den Zeitraum Juli bis Dezember 2004 600 EUR, für den Zeitraum Jänner bis April 2005 720 EUR und ab Mai 2005 590 EUR, wobei bereits jeweils für die berufsbedingten Fahrtkosten 150 EUR abgezogen worden seien. Die zugesprochenen Unterhaltsbeträge lägen zwar unter dem üblichen Prozentsatz, seien aber den Lebensverhältnissen des Vaters angemessen.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit vom 1. 7. 2004 bis 31. 12. 2004 mit 84 EUR, für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis 30. 4. 2005 mit 115 EUR und für die Zeit ab 1. 5. 2005 95 EUR festetzte; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage einer allfälligen Anerkennung von ungarischen Unterhaltsvergleichen nach dem Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen zulässig sei. Für die gegenseitige Anerkennung von ungarischen und österreichischen Entscheidungen im Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn gelte seit dem 1. 5. 2004 (Beitritt Ungarns zur EU) die Gerichtsstand- und Vollstreckungsverordnung Nr 44/2001 (EuGVVO). Deren Vorschriften seien jedoch nur auf solche Klagen und öffentliche Urkunden anzuwenden, die erhoben bzw aufgenommen worden seien, nachdem diese Verordnung in Kraft getreten ist (Artikel 66 EuGVVO; Grundsatz der Nichtrückwirkung), dies treffe auf die zwischen den Eltern in Ungarn 1999 abgeschlossene Unterhaltsvereinbarung nicht zu. Auch eine Anerkennung nach dem Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen vom 15. 4. 1958, auf das sich der Vater berufe und das sowohl von Österreich als auch von Ungarn unterzeichnet und ratifiziert worden sei, komme nicht in Betracht, weil die Vereinbarung der Kindeseltern keine Entscheidung über Unterhaltsansprüche iSd Artikel 1 dieses Übereinkommens sei. Ein Unterhaltsvergleich sei dann als Entscheidung im Sinne des genannten Übereinkommens zu beurteilen, wenn er nach der anzuwendenden Rechtsordnung der Überprüfung und Genehmigung des Gerichtes bedürfe. Weder aus dem vorgelegten Unterhaltsvergleich noch aus dem Scheidungsurteil könne jedoch abgeleitet werden, dass der Unterhaltsvergleich inhaltlich von einem ungarischen Gericht geprüft oder genehmigt worden sei. Darüber hinaus beziehe sich die Vereinbarung nur auf das Verhältnis zwischen den Eltern und wirke nicht direkt im Verhältnis zwischen dem Minderjährigen und dem Vater. Selbst wenn man dies zugunsten des Vaters bejahte, wäre für den Vater im Hinblick auf Artikel 2 Ziffer 5 des genannten Abkommens nichts gewonnen; eine Entscheidung sei nämlich dann nicht anzuerkennen, wenn sie mit der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich unvereinbar sei. Ein von Dritten vereinbarter jahrelanger Unterhaltsverzicht zu Lasten des Kindes widerspräche zweifellos dem ordre public. Das Erstgericht habe daher seine Entscheidung ohne Berücksichtigung der in Ungarn getroffenen Vereinbarung treffen müssen.

Es stehe nicht fest, ob der Vater die ungarische oder/und die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Im Hinblick auf das österreichische Personalstatut des Kindes komme österreichisches Recht zur Anwendung. Die Mutter erfülle ihre Unterhaltsverpflichtung dadurch, dass sie das Kind in ihrem Haushalt betreue (§ 140 Abs 2 ABGB). Dass das Gericht dem Vater nicht die Benützung der ungarischen Sprache ermöglicht habe, begründe keinen Verfahrensmangel. Der Vater falle nämlich nicht unter die Schutzbestimmungen zugunsten österreichischer Staatsbürger, die der kroatischen oder ungarischen Minderheit im Burgenland angehörten, weshalb hier die ungarische Sprache nicht zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zulässig sei. Der Vater sei ausreichend der deutschen Sprache mächtig, wie sich dies auch daraus ergebe, dass sämtliche Protokolle in Deutsch verfasst worden seien. Ein Rechtspfleger, der den Vater vernommen haben, habe von keinen Verständigungsschwierigkeiten berichtet. Auch arbeite der Vater seit Jahren als Kellner in Österreich und sei damit wohl ausreichend der deutschen Sprache mächtig.

In der konkreten Ausmittlung des Geldunterhalts sei der angefochtene Beschluss fehlerhaft. Das Erstgericht habe ohne nachvollziehbaren Grund die Unterhaltsbeträge unter dem üblichen Prozentsatz zugesprochen. Der Minderjährige habe unter Berücksichtigung der weiteren Sorgepflichten des Vaters für zwei Kinder für das Jahr 2004 Anspruch auf 14 % dessen möglichen Nettoeinkommens, ab dem Jahr 2005 auf 16 %. Für die nunmehrige Ehegattin des Vaters stehe kein Abzug zu, weil diese berufstätig sei und ein eigenes Einkommen beziehe. Selbst wenn diese nur halbtags beschäftigt wäre, wäre sie schon im Hinblick auf das äußerst geringe Einkommen des Vaters nicht unterhaltsberechtigt. Nach der Aktenlage komme eine Anspannung des Vaters derzeit nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

1. Der Vater macht geltend, die von ihm und der Mutter im ungarischen Scheidungsverfahren vorgelegte Vereinbarung, die auch Regelungen über den Kindesunterhalt umfasse, sei vom Gericht genehmigt worden; es liege damit eine Entscheidung im Sinne des Art 1 Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen vor, die von den österreichischen Gerichten im Unterhaltsverfahren zu berücksichtigen gewesen wäre.

1.1. Art 1 des Haager Übereinkommens vom 15. 4. 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (BGBl 1961/294 - Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen) lautet: Zweck dieses Übereinkommens ist es, in den Vertragsstaaten die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Klagen internationalen oder innerstaatlichen Charakters sicherzustellen, die den Unterhaltsanspruch eines ehelichen, unehelichen oder an Kindes statt angenommenen Kindes zum Gegenstand haben, sofern es unverheiratet ist und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Art 2 dieses Abkommens legt die näheren Bedingungen fest, unter denen Unterhaltsentscheidungen, die in einem der Vertragsstaaten ergangen sind, in den anderen Vertragsstaaten, ohne dass sie auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden dürfen, anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären sind.

1.2. Das genannte Abkommens regelt nach dem klaren Wortlaut seiner Art 1 und 2 die gegenseitige Anerkennung solcher behördlicher Entscheidungen, die in einem mit Klage eingeleiteten Verfahren über den Unterhaltsanspruch eines Kindes ergangen sind. Als Anspruchsteller einer solchen Verfahrens kommt regelmäßig das unterhaltsberechtigte Kind selbst - allenfalls vertreten durch einen gesetzlichen Vertreter - in Betracht; Streitgegenstand ist der vom Kind verfolgte Unterhaltsanspruch.

1.3. Unter Verweis auf die Entscheidung 3 Ob 9/86 (= SZ 59/53 = RIS-Justiz RS0074491) steht der Rechtsmittelwerber auf dem Standpunkt, auch vor einem ausländischen Gericht im Zuge eines Ehescheidungsverfahrens abgeschlossene, behördlich überprüfte und genehmigte Vereinbarungen betreffend den Unterhalt eines minderjährigen Kindes seien behördliche Entscheidungen iSd Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens; er sei daher erst ab 1. 5. 2007 zu einer Unterhaltszahlung verpflichtet. Diese Auffassung verkennt den Regelungsgehalt der von den Kindeseltern im Scheidungsverfahren vor einem ungarischen Gericht vorgelegten Vereinbarung.

1.4. Die Vereinbarung der Kindeseltern fällt jedenfalls insoweit nicht unter den Anwendungsbereich des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens, als die Eltern darin vereinbart haben, dass der Vater infolge Gegenverrechnung mit der Ablösesumme für „das Auflassen des gemeinsamen Eigentums" bis 30. 4. 2007 von der Unterhaltszahlung für sein minderjähriges Kind befreit sein soll. Dieser Punkt regelt nämlich seinem klaren Wortlaut nach ausschließlich die vermögensrechtlichen Verhältnisses der Kindeseltern im Innenverhältnis: Die Mutter, in deren Obsorge sich der Minderjährige befindet, erfüllt für diesen die Funktion einer Zahlstelle für die Unterhaltszahlungen des Vaters; sie erklärt sich in der Vereinbarung damit einverstanden, im Sinne einer erleichterten Verrechnung ihrer eigenen Zahlungspflichten gegenüber dem Vater so lange im Innenverhältnis der Eltern auch die Unterhaltspflicht des Vaters zu übernehmen, bis ihre Schuld ihm gegenüber getilgt ist. Insoweit werden durch diese Vereinbarung Interessen des Minderjährigen überhaupt nicht berührt, weshalb auch für ungarische Pflegschaftsbehörden keinerlei Veranlassung bestand, die Vereinbarung in diesem Punkt inhaltlich dahin zu überprüfen, ob sie dem Kindeswohl entspricht.

1.5. Keinesfalls kann jene Vereinbarung als von der Mutter namens des Kindes erklärter Unterhaltsverzicht gegenüber dem Vater beurteilt werden: Weder entspricht dies ihrem Wortlaut, noch ist für einen für mehrere Jahre abgegebenen Unterhaltsverzicht des Kindes gegenüber dem Vater irgend ein vernünftiger Grund erkennbar. Die Annahme einer Willenserklärung in Vertretung des Minderjährigen scheitert auch daran, dass die Vereinbarung angesichts der erkennbar gegenläufigen Interessenlage der Eltern und des Kindes wohl auch der Zustimmung eines für den Minderjährigen einschreitenden Kollisionskurators bedurft hätte, um Rechtswirkungen für das Kind entfalten zu können.

1.5. Ob eine in einem Scheidungsverfahren vor einem ungarischen Gericht geschlossene Vereinbarung zwischen Eltern betreffend die Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind von österreichischen Gerichten anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären ist, bedarf bei dieser Sachlage ebensowenig einer Klärung wie die Frage, ob die Kompensationsvereinbarung im Innenverhältnis der Eltern wirksam ist. Die eingangs zitierte Entscheidung ist nicht einschlägig, weil die Kindeseltern dort keine Verrechnungsvereinbarung getroffen haben.

2. Der Rechtsmittelwerber macht geltend, bei Zustellung der Entscheidungen erster und zweiter Instanz seien die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO) nicht eingehalten worden; es sei keine Übersetzung in die ungarische Sprache und keine Belehrung über das Recht auf Annahmeverweigerung angeschlossen gewesen. Dies habe zur Folge gehabt, dass der Vater den Inhalt der Entscheidungen nur teilweise verstanden habe; insbesondere sei ihm - wie auch schon bei Aufnahme des Gerichtsprotokolls vom 20. 6. 2005 - entgangen, dass seine nunmehrige Ehegattin berufstätig sein und über eigenes Einkommen verfügen solle, was unrichtig sei. Die Vorinstanzen hätten deshalb zu Unrecht seine Sorgepflicht für seine Ehegattin bei Ausmittlung des Kindesunterhalts nicht berücksichtigt.

2.1. Die am 31. 5. 2001 in Kraft getretene EuZVO (Art 25 Abs 1 EuZVO) ist als Rechtsakt des europäischen Gemeinschaftsrechts im Zustellverkehr mit allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark anzuwenden (Klauser/Kodek, ZPO16 EuZVO Vor Art 1 Anm 9). Sie gilt demnach seit 1. 5. 2004 auch für Zustellungen von Österreich nach Ungarn. Zivilsachen im Sinne dieser Verordnung sind regelmäßig auch Familiensachen (Jastrow in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, EuZVO Art 1 Rz 28); erfasst ist auch das Außerstreitverfahren (Brenn, Europäische Zustellverordnung Art 1 Anm c).

2.2. Art 14 Abs 1 EuZVO erlaubt jedem Mitgliedstaat, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Gem Art 14 Abs 2 EuZVO kann jeder Mitgliedstaat die Bedingungen bekanntgeben, unter denen er eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post zulässt. Die Republik Ungarn hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und in einer Mitteilung an die Kommission gem Art 23 EuZVO bekanntgegeben, die in Artikel 14 Absatz 1 genannte Art und Weise der Zustellung an die Empfänger, die ihren Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet haben, nur zuzulassen, sofern die nachstehend genannten Bedingungen erfüllt sind:

a) die zuzustellenden Schriftstücke müssen als Einschreiben mit Rückschein bei der Post aufgegeben werden;

b) die Zustellung einer Vorladung an den Empfänger muss mindestens dreißig Tage vor der Verhandlung oder einem anderen Verfahren erfolgen;

c) sofern die zuzustellenden Schriftstücke nicht in ungarischer Übersetzung vorliegen, ist folgender Hinweis in ungarischer Sprache beizufügen: „Das beigefügte amtliche Schriftstück wird Ihnen gemäß der Verordnung 1348/2000 /EG über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union L160 vom 30. 6. 2000, S. 37) zugestellt. Da diesem Schriftstück keine Übersetzung in die ungarische Sprache beigefügt ist, können Sie die Annahme mit der Begründung verweigern, dass Sie die Sprache, in der das Schriftstück abgefasst ist, nicht verstehen. Dazu reicht es aus, dass Sie das Schriftstück binnen fünfzehn Tagen nach Zustellung durch die Post an das Gericht (die Behörde) zurücksenden mit dem Hinweis, dass Sie die Annahme verweigert haben." (Heiderhoff in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht² 1243; Text auch abrufbar im Handbuch der europäischen Kommission zu Art 14 Abs 2 EuZVO unterhttp://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/ds_docs _de.htm mit dem Stand 18. 7. 2006).

2.3. Die Entscheidungen erster und zweiter Instanz sind dem Vater nach Ungarn jeweils durch die Post mit internationalem Rückscheinbrief zugestellt worden; der benannte Empfänger hat sie auch übernommen. Dass den Entscheidungen Übersetzungen ins Ungarische oder eine Belehrung entsprechend der Mitteilung Ungarns zu Art 14 EuZVO (dazu oben 2.2.) angeschlossen waren, steht nach der Aktenlage nicht fest. Die Zustellungen waren daher mangelhaft. Dessen ungeachtet hat der Vater gegen die Entscheidungen erster und zweiter Instanz jeweils Rechtsmittel ergriffen.

2.4. Die EuZVO enthält keine Vorschriften bezüglich der Heilung von Zustellmängeln (Sharma, Zustellungen im europäischen Binnenmarkt 103). In der Lehre wird davon ausgegangen, dass nach Art 14 EuZVO fehlerhafte Zustellungen unwirksam sind (Heiderhoff aaO 1241).

2.5. Ob und unter welchen Umständen eine Heilung nach der EuZVO mangelhafter Zustellvorgänge eintritt, bedarf im Anlassfall keiner näheren Untersuchung: Die Befugnis, meritorisch über ein Rechtsmittel zu entscheiden, hängt nämlich nicht davon ab, ob die angefochtene Entscheidung gesetzmäßig zugestellt worden ist. So kann schon vor der Zustellung eines ergangenen Beschlusses wirksam Rekurs erhoben werden (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 521 ZPO Rz 13 mN aus der Rsp). Das Rekursgericht hat daher trotz des Zustellmangels befugterweise über den Rekurs des Vaters entschieden, und auch der Senat darf über den Revisionsrekurs meritorisch absprechen.

2.6. Das Rekursgericht ist bei der Unterhaltsbemessung davon ausgegangen, dass dem unterhaltspflichtigen Vater bei Ausmittlung der Prozentkomponente kein Abzug für seine nunmehrige Ehegattin zustehe, weil diese berufstätig sei und ein eigenes Einkommen beziehe; selbst wenn sie nur halbtags beschäftigt wäre, wäre sie schon im Hinblick auf das äußerst geringe Einkommen des Vaters nicht unterhaltsberechtigt. Diese Ausführungen übergehen, dass nach dem bisher ermittelten Sachverhalt nicht einmal beurteilt werden kann, nach welcher Rechtsordnung die Frage zu beantworten ist, ob und - bejahendenfalls - in welcher Höhe der Antragsgegner gegenüber seiner Ehegattin unterhaltspflichtig ist. Die Klärung dessen ist aber die Voraussetzung für die Beurteilung der Höhe der Unterhaltspflicht des Antragsgegners gegenüber dem Minderjährigen, weil jede konkurrierende Unterhaltspflicht des Vaters durch einen Abzug von Prozentpunkten vom maßgebenden Unterhaltssatz zu berücksichtigen ist (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 25 mwN).

2.7. Das anzuwendende Recht in Fragen der persönlichen Rechtswirkungen einer Ehe (dazu zählt auch der Unterhalt während der Ehe: Verschraegen in Rummel, ABGB³ § 18 IPRG Rz 1) bestimmt sich nach § 18 IPRG. Danach kommt es in erster Linie auf das gemeinsame, mangels eines solchen auf das letzte gemeinsame Personalstatut der Ehegatten an, sofern es einer von ihnen noch beibehalten hat, sonst auf das Recht des Staates, in dem die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dem festgestellten Sachverhalt lässt sich das Personalstatut des Antragsgegners und jenes seiner Ehegattin nicht entnehmen.

2. 8. Wären der Antragsgegner und seine Ehegattin Ungarn, so wäre für die Ermittlung eines allfälligen Unterhaltsanspruchs der Letzteren ungarisches Sachrecht maßgebend, das gemäß § 4 Abs 1 IPRG von Amts wegen zu erforschen wäre. Die mit dem zuvor bezeichneten Feststellungsmangel behafteten Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit zur Klärung des Personalstatuts der Ehegatten aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Wäre als Folge dessen ein allfälliger Unterhaltsanspruch der Ehegattin des Antragsgegners nach ausländischem Sachrecht zu beurteilen, so wären auch die insofern maßgebenden Tatsachen festzustellen. Selbst wenn aber die Frage nach einem Unterhaltsanspruch der Ehegattin des Antragsgegners nach österreichischem Sachrecht zu klären wäre, bedürfte es konkreter Feststellungen über deren Erwerbseinkommen.

2.9. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren ferner von Amts wegen zu prüfen haben, ob der Antragsgegner soweit der deutschen Sprache mächtig ist, dass die Beiziehung eines Dolmetschers für die ungarische Sprache unterbleiben kann (vgl RIS-Justiz RS0042398).

3. Gem § 101 Abs 2 AußStrG findet in Verfahren über Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder ein Kostenersatz nicht statt. Der darauf abzielende Antrag des Rechtsmittelwerbers ist daher abzuweisen.

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