OGH 15Os126/06b (15Os127/06z)

OGH15Os126/06b (15Os127/06z)22.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Jänner 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hans Dieter L***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, AZ 27 U 65/06i des Bezirksgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1. die in der Hauptverhandlung vom 8. September 2006 entgegen § 252 StPO vorgenommene Verlesung gerichtlicher Zeugenaussagen, 2. die Unterlassung der Übersendung des Hauptverhandlungsprotokolles an den Angeklagten, 3. die Entgegennahme der mündlichen Anmeldung der Berufung durch einen Gerichtsbediensteten, 4. die Unterlassung der Belehrung des Angeklagten über sein Recht, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu erlangen und 5. die Nichtvornahme der Aufforderung an den Angeklagten anlässlich der mündlichen Berufungsanmeldung, die Beschwerdepunkte genau anzugeben, in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 27 U 65/06i des Bezirksgerichtes Salzburg verletzen:

1. Die in der Hauptverhandlung vom 8. September 2006 vorgenommene Verlesung der gerichtlichen Aussagen der Zeuginnen Erna und Roswitha L***** § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO;

2. die Unterlassung der Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls an den Angeklagten spätestens zugleich mit der Urteilsausfertigung § 271 Abs 6 letzter Satz StPO;

3. die Entgegennahme der mündlichen Anmeldung der Berufung am 22. September 2006 nicht durch einen Richter, sondern durch einen Gerichtsbediensteten § 467 Abs 4 StPO;

4. die Unterlassung der Belehrung des Angeklagten anlässlich der mündlichen Berufungsanmeldung über sein Recht, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung der angemeldeten Berufung zu erlangen, § 3 StPO iVm § 41 Abs 2 Z 4 StPO;

5. die Nichtvornahme der Aufforderung an den Angeklagten anlässlich der mündlichen Berufungsanmeldung, die Beschwerdepunkte genau anzugeben, verbunden mit der Nichtvornahme der Belehrung über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angabe § 467 Abs 4 StPO. Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 8. September 2006 sowie der zugleich gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Salzburg verwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Hans Dieter L***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, AZ 27 U 65/06i, führte das Bezirksgericht Salzburg am 8. September 2006 die Hauptverhandlung gemäß § 459 StPO in Abwesenheit des Beschuldigten durch (ON 21), weil dieser trotz eigenhändig zugestellter Ladung (S 89) nicht erschienen war. Dabei verlas die Richterin auch das gerichtliche Protokoll über die Vernehmung der Zeuginnen Erna L***** und Roswitha L***** (S 92). Mit Abwesenheitsurteil vom 8. September 2006 (ON 22) wurde Hans Dieter L***** sodann des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt. Beweiswürdigend stützte sich das Bezirksgericht Salzburg auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben der Zeuginnen (S 98).

Am 12. September 2006 verfügte die Richterin die Zustellung einer Urteilsausfertigung samt Rechtsbelehrung (S 1g verso), nicht aber einer Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung, an den Angeklagten im Wege des Stadtpolizeikommandos Salzburg. Nachdem die Zustellung am 21. September 2006 erfolgt war (nach S 105), erschien der - nicht durch einen Verteidiger vertretene - Angeklagte am 22. September 2006 bei Gericht. Gemäß dem von einem nichtrichterlichen Bediensteten aufgenommenen Protokoll erklärte er:

„Ich erhebe gegen das Urteil vom 8. September 2006 volle Berufung und beantrage Beweiswiederholung" (S 101). Nach der vom Obersten Gerichtshof eingeholten tatsächlichen Aufklärung (§ 285f StPO) wurde er dabei weder über sein Recht belehrt, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu beantragen, noch zur genauen Angabe der Beschwerdepunkte aufgefordert.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Bezirksgerichtes Salzburg verletzt - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:

1./ Nach der - gemäß § 458 Abs 5 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da im vorliegenden Fall nach der Aktenlage keiner dieser Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung des Protokolls über die gerichtliche Vernehmung der Zeuginnen Erna L***** und Roswitha L***** unzulässig. Insbesondere kann aus dem Nichterscheinen des Beschuldigten zur Hauptverhandlung nicht dessen Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0117012; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103).

Die unzulässige Verlesung war nach der Beweiswürdigung des Bezirksgerichtes die Grundlage für den Schuldspruch, sodass die Formverletzung dem Angeklagten auch zum Nachteil gereicht. 2./ Gemäß § 271 Abs 6 letzter Satz StPO idF der Strafprozessnovelle 2005 ist eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung den Parteien, soweit sie nicht darauf verzichtet haben, ehestmöglich, spätestens aber zugleich mit der Urteilsausfertigung zuzustellen (Fabrizy, StPO9 ErgH § 271 Rz 6; Danek, WK-StPO § 271 Rz 40). Indem das Bezirksgericht Salzburg dem Angeklagten alleine das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung zustellen ließ, ist es dieser Verpflichtung nicht nachgekommen.

3./ Geschieht die Anmeldung der Berufung mündlich, so hat nach § 467 Abs 4 StPO der Richter, der das Protokoll hierüber aufnimmt, den Beschwerdeführer zur genauen Angabe der Beschwerdepunkte besonders aufzufordern und über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angabe zu belehren. Aus dieser Bestimmung ist zu schließen, dass die Anmeldung der Berufung im Verfahren vor den Bezirksgerichten vor dem Richter und nicht gegenüber einer anderen Gerichtsperson zu erfolgen hat (vgl Ratz, WK-StPO § 467 Rz 6).

Unter Angabe der Beschwerdepunkte ist nicht bloß die Bezeichnung der kritisierten (Urteils-)Aussprüche (über die Schuld, die Sanktionen oder die privatrechtlichen Aussprüche) zu verstehen, sondern vielmehr auch die deutliche und bestimmte Bezeichnung geltend gemachter Nichtigkeitsgründe (WK-StPO § 467 Rz 6). Diese Unterweisung ist mit einer Belehrung über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angaben zu verbinden.

Gemäß § 41 Abs 2 Z 4 StPO ist die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung angemeldeter Rechtsmittel jedenfalls erforderlich, sofern beim Beschuldigten die vom Gesetz geforderten persönlichen Voraussetzungen gegeben sind. Da die Beigebung nur auf Antrag des Beschuldigten erfolgen kann, ist dieser gemäß § 3 StPO hierüber zu belehren (Achammer, WK-StPO § 41 Rz 31; Schmoller, WK-StPO § 3 Rz 84).

Nach dem Protokoll über die Berufungsanmeldung hat Hans Dieter L***** diese nicht vor einem Richter erklärt. Obwohl er nach der Aktenlage einkommens- und vermögenslos war (S 9), wurde er über sein Recht, zur Ausführung der angemeldeten Berufung einen Verfahrenshilfeverteidiger zu erlangen, nicht belehrt. Genauso wenig wurde er zu einer genauen Angabe der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe aufgefordert und über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angaben - nämlich die Zurückweisung der Berufung wegen Nichtigkeit - belehrt. Da sich die unzulässige Verlesung in der Hauptverhandlung vom 8. September 2006 zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war das in der Hauptverhandlung ergangene Urteil (samt dem zugleich ergangenen Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO) aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen.

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