OGH 4Ob238/06p

OGH4Ob238/06p19.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Marcella Prunbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 3.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2006, GZ 5 R 129/06m-21, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Die bundesweit tätige Beklagte ist eine Sozialversicherungsträgerin und sorgt in dem ihr durch das ASVG übertragenen Aufgabenbereich unter anderem dafür, dass die bei ihr versicherten Personen (das sind rund 3,3 % aller im Inland sozialversicherten Personen) und deren mitversicherte Angehörige auf ihre Rechnung (abgesehen von einem Selbstbehalt des Versicherten in Höhe von 14 %) entweder in ihren Einrichtungen oder bei ihren Vertragsärzten die gesetzlich vorgesehene medizinische Versorgung erhalten. 6.000 Vertragsärzte der Beklagten dürfen auch labormedizinische Leistungen erbringen; die mit ihnen abgeschlossenen Verträge entsprechen inhaltlich dem Gesamtvertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und der Ärztekammer. Daneben bestehen Verträge der Beklagten mit rund 18 Ambulatorien, nach denen labormedizinische Leistungen nach Tarifen vergütet werden, die sich an jenen der jeweiligen Gebietskrankenkassen der Bundesländer orientieren.

Die in den Honorarordnungen für Ärzte festgehaltenen Tarife der Beklagten für labormedizinische Leistungen sind für vergleichbare Leistungen in nahezu allen Fällen höher als jene im Laborkatalog der Wiener Gebietskrankenkasse. Die Beklagte stellt bei der Höhe der genannten Tarife für Ärzte (die sich im Vergleich zu anderen Sozialversicherungsträgern im oberen Bereich bewegen) auf den durchschnittlichen Allgemeinmediziner in Österreich ab, damit auch Ärzte in abgelegenen Gegenden noch kostendeckend arbeiten können und so die ärztliche Versorgung für die von der Beklagten betreuten Sozialversicherungsnehmer gewährleistet ist. Mangels besonderer Regelungen im Gesamtvertrag für diese Fälle profitieren einige Fachärzte für Labormedizin, die in Ärztegemeinschaften in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland tätig sind, infolge ihrer Spezialisierung und den dadurch gegebenen verhältnismäßig niedrigen Betriebskosten überproportional von den hohen Vergütungen. Die Beklagte ist deshalb bemüht, die den niedergelassenen Ärzten für Laborleistungen gezahlten Honorare zu senken; die letzte Erhöhung ist 1994 erfolgt, 2000 wurden die Tarife um 8,8 % gesenkt.

2. Der klagende Wettbewerbsverband vertritt ua die Interessen von Ambulatorien für Labormedizin in Form privater Krankenanstalten. Er begehrt im Wesentlichen, die Beklagte zu verpflichten es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs bei der Vergütung für medizinisch-diagnostische Laboratoriumsuntersuchungen Ambulatorien für Labormedizin bei gleicher Leistung gegenüber niedergelassenen Ärzten durch unterschiedliche Tarife bei gleichwertigen Leistungen zu diskriminieren. Das Berufungsgericht hat das abweisende Urteil des Erstgerichts bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Diese Entscheidung hält sich im Rahmen höchstgerichtlicher Rechtsprechung, unter welchen Umständen eine wettbewerbsrechtlich relevante Handlung vorliegt.

3. Ein Handeln zu Wettbewerbszwecken setzt nicht voraus, dass die auf Wettbewerb gerichtete Absicht das einzige oder wesentliche Ziel der Handlung ist. Sie darf nur gegenüber dem eigentlichen Beweggrund nicht völlig in den Hintergrund treten (RIS-Justiz RS0077647). Zu Zwecken des Wettbewerbs handelt zwar auch, wer den Wettbewerb eines anderen fördern will; in solchen Fällen muss aber grundsätzlich der Kläger die Wettbewerbsabsicht des beklagten Störers beweisen, es sei denn, es liegt eine typisch auf Förderung fremden Wettbewerbs gerichtete Handlung vor (RIS-Justiz RS0077619). Ob die (mitspielende) Wettbewerbsabsicht neben anderen Zielen der Handlung noch Gewicht hat, oder ob die Förderung fremden Wettbewerbs nur eine unbeabsichtigte Nebenwirkung bei der Verfolgung des eigenen wirtschaftlichen Interesses ist, ist als Wertung eine Rechtsfrage, die auf Grund der zu den konkurrierenden Motiven und Zwecken des Handelnden getroffenen Tatsachenfeststellungen sowie der offenkundigen Tatsachen zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0077647 [T8, T16]).

4. Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht hat im Lichte des Urteils des EuGH vom 16. 3. 2004, Rs C-264/01 , C-306/01 , C-354/01 und C-355/01 - AOK Bundesverband/Ichthyol, mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass Sozialversicherungsträger, wenn sie zur Sicherstellung des gesetzlich vorgegebenen Sachleistungssystems mit den Leistungserbringern privatrechtliche Verträge abschließen, eine Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht entfalten, mit der sie zur Verwaltung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems nach dem ASVG betraut sind und die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht, der durch die Gestaltung der Finanzierung (risikounabhängige Beitragsbemessung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit) und die im Wesentlichen gesetzliche Bestimmung des Leistungsumfangs verwirklicht wird. Sie kommen damit einer gesetzlichen Pflicht nach, die vollständig zur Tätigkeit der Krankenkassen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Insoweit verfolgen sie nach den Kriterien des EuGH einen rein sozialen Zweck und üben keine

wirtschaftliche Tätigkeit aus (16 Ok 5/04 = ecolex 2004, 724 [Hauck]

= wbl 2004, 495).

5. Mit den im Anlassfall unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten beanstandeten Abschlüssen der Einzelverträge mit niedergelassenen Ärzten und Ambulatorien verfolgt die Beklagte demnach in erster Linie das Ziel, die ihr übertragenen gesetzlichen Pflichten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bestmöglich zu erfüllen. Dazu gehören auch Vorkehrungen, die - etwa im Wege der Tarifgestaltung - ein unter regionalen Gesichtspunkten bundesweit und nahe am Versicherungsnehmer verfügbares Angebot an medizinischen Leistungen sicherstellen sollen.

Gegenüber dieser Absicht tritt bei den Vertragsabschlüssen eine mit der Tarifgestaltung allenfalls verbundene Absicht der Förderung fremden Wettbewerbs (hier: der niedergelassenen Ärzte gegenüber den Ambulatorien) völlig in den Hintergrund. Insoweit liegt demnach mangels relevanter Absicht, fremden Wettbewerb fördern zu wollen, keine Wettbewerbshandlung vor.

Die in der Zulassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen, inwieweit eine Wettbewerbshandlung spürbar sein muss und ob die beanstandeten Vertragsabschlüsse das Gleichbehandlungsgebot verletzen, sind somit unerheblich.

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