OGH 8ObS11/06k

OGH8ObS11/06k23.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margret M*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IAF Service GmbH, Europaplatz 12, 8020 Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. Franz Krainer als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der M*****gesellschaft mbH, Herrengasse 19/III, 8010 Graz, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (EUR 5.637,86 netto sA), über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss, sowie über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil je des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 2006, GZ 8 Rs 42/06 t-15, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

1. Der Revision und dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

2. Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 799,59 (darin EUR 133,66 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 1. 5. 1990 als Angestellte bei der M***** Handelsgesellschaft mbH (in der Folge: Arbeitgeberin) beschäftigt. Es war ihre Aufgabe, Belege zu sortieren, Personal einzuteilen und Waren von den Lieferanten entgegenzunehmen. Sie war auch Ansprechpartnerin für das Personal. Um die Bilanz kümmerte sie sich nicht. Die Klägerin war mit 25 % am Unternehmen beteiligt, mit der Geschäftsführung und der Führung des Unternehmens hatte sie nichts zu tun. Auf das Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag für Angestellte im Gast- und Hotelgewerbe Anwendung. Bis August 2003 wurde das Gehalt immer pünktlich bezahlt. Es konnten auch alle Zahlungen abgewickelt werden. Das gemeinschuldnerische Unternehmen betrieb ursprünglich zwei Standorte und zwar das Lokal „K*****, in dem die Klägerin beschäftigt war. Dieser Standort erwirtschaftete positive Deckungsbeiträge. Aus diesem Grund wurde in der Folge auch am J*****platz das Café „S*****" eröffnet. Das Lokal (gemeint: „K*****") wurde um den 4. 8. 2003 wegen eines baubehördlichen Abbruchbescheids geschlossen. Die Mitarbeiter wurden gekündigt, und das Haus, in dem sich das Lokal befand, Mitte Oktober 2003 abgerissen.

Der Betrieb im Café „S*****" wurde zunächst weiter geführt, wies jedoch immer bilanziell einen Verlust aus. Zwischen dem mit Verlust arbeitenden Café „S*****" und dem - bis zur Schließung - positiv wirtschaftenden Café „K*****" fand eine Quersubventionierung statt. Ca ein Monat nach Konkurseröffnung wurde das Café „S*****" vom Masseverwalter geschlossen.

Die Arbeitgeberin stellte am 25. 11. 2003 einen Antrag auf Konkurseröffnung, da die Gesamtüberschuldung damals EUR 220.000,-- betrug. Dieser Antrag wurde zur Verbesserung und zur Unterfertigung durch den Geschäftsführer der Antragstellerin zurückgestellt; dem Verbesserungsauftrag wurde aber nicht Folge geleistet. Nach Scheitern eines außergerichtlichen Ausgleichsversuchs wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30. 6. 2005, 26 S 54/05i, über das Vermögen der Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet und der Nebenintervenient zum Masseverwalter bestellt. Die Klägerin meldete im Konkursverfahren einen Betrag von EUR 5.749 im Wesentlichen bestehend aus Abfertigung und aliquoter Weihnachtsremuneration als Konkursforderung an: Der Masseverwalter bestritt die Forderung mit der Begründung es liege Eigenkapitalersatz vor.

Die Klägerin beantragte in derselben Höhe Insolvenz-Ausfallgeld bei der beklagten Partei. Diese erkannte ihr mit Bescheid vom 22. 8. 2005 anteilige Weihnachtsremuneration für die Zeit vom 1. 1. 2003 bis 31. 3. 2003 in Höhe von EUR 82,-- sowie Zinsen von EUR 12,-- und Kosten von EUR 17,-- netto zu und lehnte mit Bescheid vom 24. 8. 2005 den darüber hinausgehenden Antrag im Umfang von EUR 5.637,86 netto ab. Die Klägerin begehrt die Zahlung des mit Bescheid der beklagten Partei abgelehnten Betrages an Insolvenz-Ausfallgeld. Sie habe in keiner Weise laufendes Entgelt zu Lasten der beklagten Partei stehen gelassen und das Zahlungsrisiko erhöht. Zur Schließung hätten nicht wirtschaftliche, sondern externe Gründe geführt.

Die beklagte Partei bestritt und wendete ein, dass das Eigenkapitalersatzgesetz auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, da die Ansprüche bereits 2003 fällig gewesen und seit damals stehengelassen worden seien.

Der Masseverwalter im Konkurs der Arbeitgeberin trat dem Rechtsstreit als Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Partei im Wesentlichen mit der Begründung bei, dass das Stehenlassen von Entgeltansprüchen nach ständiger Judikatur als eigenkapitalersetzendes Darlehen gewertet werde. Es gelte die Rechtslage vor dem Eigenkapitalgesetz. Das Erstgericht gab dem der Höhe nach im Rechtsmittelverfahren unstrittigen Klagebegehren vollinhaltlich statt. Ob auf den vorliegenden Fall bereits das Eigenkapitalersatzgesetz Anwendung finde, sei strittig. Jedenfalls stehe der Klägerin der Klagsbetrag zu, da sie die laufenden Gehälter ausbezahlt erhalten habe. Nach der geltenden Judikatur zum Eigenkapitalersatz sei Schutzzweck die Vermeidung der unverhältnismäßigen und unsachlichen Überwälzung des Zahlungsrisikos auf den Fonds, wenn laufendes Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis stehengelassen worden sei. Im Fall der Klägerin seien lediglich die Weihnachtsremuneration 2003 und die Abfertigung offen gewesen. Von einem Stehenlassen der geltend gemachten Ansprüche könne daher nicht die Rede sein.

Das Berufungsgericht gab nach ausführlicher Darstellung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Frage der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil hinsichtlich eines Zuspruches von EUR 4.264,91 netto als Teilurteil, hob hinsichtlich des Betrages von EUR 1.372,95 netto das Ersturteil auf und verwies in diesem Umfang die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Die Frage der Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzgesetzes und die Auslegung des § 18 EKEG seien strittig, Rechtsprechung dazu bestehe nicht. Sowohl die Revision als auch der Rekurs an den Obersten Gerichtshof seien daher zuzulassen.

Die Revision der beklagten Partei sowie die Rekurse beider Parteien sind zulässig.

Der Rekurs der klagenden Partei ist auch berechtigt; hingegen sind die Rechtsmittel der beklagten Partei nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat in seiner jüngst ergangenen Entscheidung 8 ObS 12/06g neuerlich ausgesprochen, dass nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des EKEG die Entscheidung des Gesellschafters/Arbeitnehmers einer GmbH in der ihm erkennbaren Unternehmenskrise, seine offenen Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht durch gerechtfertigten Austritt geltend zu machen, die Anwendung der Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts auf solche Ansprüche bewirke (ecolex 2000/295 [Mazal] mwN; 8 ObS 69/00f; SZ 70/232 ua). Mit der Begründung, dass es nicht Zweck des IESG sei, dem Gesellschafter einer GmbH das Finanzierungsrisiko abzunehmen, sei auch die Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld abgelehnt worden (RIS-Justiz RS0018227). Der in der zitierten Entscheidung zu beurteilende Sachverhalt - der mit dem hier vorliegenden nahezu identisch ist - unterscheide sich wesentlich von den Fällen, in denen die Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts angewendet worden seien. Der Kläger habe keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis „stehen" lassen, ohne seinen vorzeitigen Austritt zu erklären: Vielmehr seien die geltend gemachten Forderungen überhaupt erst mit bzw nach Ende des Arbeitsverhältnisses entstanden. Von einem bewussten Zuführen von Beträgen an die Gesellschaft durch „Stehenlassen" könne daher keine Rede sein (siehe auch 8 ObS 200/02y).

Beim „Stehenlassen" von Arbeitsentgelt bestehe die verpönte Abwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds darin, dass der Gesellschafter/Arbeitnehmer seine Arbeitskraft trotz Nichtzahlung des Arbeitslohns der Gesellschaft zur Verfügung stelle. Insoweit führe er der Gesellschaft in der Krise bewusst Vermögenswerte (seine Arbeitsleistung) zu. Dieser Fall ist hier ebensowenig verwirklicht wie in jenem, der der Entscheidung 8 ObS 12/06g zugrunde liegt. Die beklagte Partei vertritt selbst die Auffassung, dass auf den vorliegenden Sachverhalt zur Gänze die Rechtslage vor Inkrafttreten des EKEG anzuwenden ist. Danach stehen der Klägerin aus den dargelegten Gründen die geltend gemachten Beträge zu. Da das Berufungsgericht in Verkennung der Rechtslage das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich eines Teilbetrags von EUR 1.372,95 aufgehoben hat, ist vom Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 2 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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