OGH 15Os85/06y

OGH15Os85/06y9.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. November 2006 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bussek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Giorgi D***** (alias: David B*****, Giorgi T*****, Zaza L*****) wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Mai 2006, GZ 22 Hv 5/06y-74, weiters die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemäß § 494 Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B./, in der gemäß § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (A./) und demgemäß auch im Strafausspruch, ebenso der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Beschluss aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, dieser auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Giorgi D***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und 15 StGB (A./) sowie des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 2 StGB (B./) schuldig erkannt. Danach hat er in Wien

A./ in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 3.000 Euro übersteigenden Wert anderen durch Einbruch in deren Wohnstätte mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

I./ weggenommen, und zwar

1. am 30. August 2004 Sakir A***** 60 Euro Bargeld, 1 Uhr, 1 Feuerzeug, 1 Uhrenset, 3 bis 4 Silberringe, Ohrringe, diverse Armreifen, Ringe und ein goldenes Set in einem Gesamtwert von zumindest 1.000 Euro;

2. am 10. September 2004 Josef J***** Golddukaten, Elektrogeräte, Sportgeräte, einen Ehering „und dergleichen" im Gesamtwert von 2.000 Euro;

II./ wegzunehmen versucht (§ 15 StGB), und zwar am 3. Februar 2005 Barbara R***** 1 Schmuckkassette, Geldbörsen, ein Lederetui, ein Handy, einen Rucksack, 3 Fotokameras, Silberschmuck und einige Uhren im Gesamtwert von ca 2.000 Euro;

B./ am 25. Februar 2005 Sachen in einem 3.000 Euro nicht übersteigenden Wert, nämlich 22 Schmuckstücke und einen Silbertaler, die aus mit Strafe bedrohten Handlungen gegen fremdes Vermögen, nämlich Diebstählen zum Nachteil nicht mehr feststellbarer Eigentümer, herrühren, von Unbekannten „gekauft und an sich gebracht".

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 8, 10 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch Abweisung des Antrages auf „Einholung einer Auskunft der georgischen Botschaft, Marok[k]anergasse 16, 1030 Wien, zum Beweis dafür, dass es sich bei dem in Haft befindlichen Angeklagten um David B*****, geboren am 24. März 1975 in Tiflis, Georgien, handelt und dieser der eineiige Zwillingsbruder des Georgiers Giorgi B*****, geboren am 24. März 1975, ebenfalls Tiflis, Georgien" sei, sowie ferner zum Beweis dafür, „dass nicht der Angeklagte die ihm angeklagten Fakten I./ und II./ begangen hat" (501/I), Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht beeinträchtigt. Denn der Antragsteller legte in der Hauptverhandlung nicht dar, aufgrund welcher der georgischen Botschaft offenstehenden Möglichkeiten einerseits ein Nachweis seiner Identität zu erwarten wäre, verfügt er doch nach eigenen Angaben weder über einen Lichtbildausweis (67/II) noch wurden ihm in Georgien oder in Moskau Fingerabdrücke abgenommen (89/II), und andererseits dadurch die Existenz eines eineiigen Zwillingsbruders bewiesen werden könnte.

Ohne Schmälerung von Verteidigungsrechten wurde auch von der Vernehmung der Zeugen Beso L***** und Amiran K***** sowie von der Einholung eines daktyloskopischen Sachverständigengutachtens (435/I) Abstand genommen.

Der Antragsteller hat nämlich nicht dargelegt, warum durch Aussagen über ein am 21. Februar 2006 erfolgtes Zusammentreffen mit einer Person, die auf „Giorgi B*****" hört und nach namentlicher Ansprache durch die Zeugen die Flucht ergriffen haben soll, das angestrebte Beweisthema, nämlich die Existenz eines eineiigen Zwillingsbruders, hätte erwiesen werden können. Das Begehren auf Einholung eines daktyloskopischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Verschiedenheit der dem Giorgi D***** in der Justizanstalt Wiener Neustadt abgenommenen Fingerabdrücke und jener des Angeklagten legt wiederum nicht dar, aus welchen Gründen von einer solchen Expertise ein von den erkennungsdienstlichen Befundaufnahmen der Polizei (ON 12, 14, 15, 21 und 64; S 489 ff/I) abweichendes und für den Nichtigkeitswerber günstigeres Ergebnis zu erwarten gewesen wäre. Ein vom Antrag in der Hauptverhandlung abweichendes oder diesen ergänzendes Vorbringen im Rechtsmittel schließlich ist infolge der stets auf den Antragszeitpunkt bezogenen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abweisung von Beweisanträgen unzulässig und daher unbeachtlich (WK-StPO § 281 Rz 325).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet eine urteilsmäßige Verwertung in der Hauptverhandlung nicht vorgekommener Beweismittel, weil der von der Justizanstalt Wien-Josefstadt übermittelte (und in der Hauptverhandlung vom 2. Mai 2006 nicht verlesene) „Bericht über Identitätsfeststellung" vom 27. März 2006 (ON 61) vom Erstgericht im einleitenden Referat der Beweismittel (US 6) erwähnt wurde. Tatsächlich enthält er bloß jene sicherheitsbehördlichen Erhebungsberichte, die bereits zu ON 14, 15 und 21 aktenkundig waren und ihrerseits - durch einvernehmlichen Vortrag (§ 252 Abs 2a StPO) - Eingang in die Hauptverhandlung fanden (91/II).

Dass sich der Angeklagte „im Brief vom 25. Mai 2006 (gemeint wohl 25. April 2006) an die Abteilung 7 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (ON 76)" (vgl US 22) des Familiennamens D***** bediente, wurde in der Hauptverhandlung ausdrücklich erörtert (65/II). Mit der bloßen Behauptung, ein bestimmter - von sonstigen Erwägungen isoliert betrachteter - Aspekt erstrichterlicher Beweiswürdigung (hier: Erwägungen zu Einlassungen des Angeklagten in früheren gegen ihn geführten Strafverfahren) erweise sich als „unstatthafte Vermutung zu Lasten des Angeklagten", wird der herangezogene Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung gebracht (15 Os 10/00).

Soweit der Beschwerdeführer im Hinblick auf die dem Zeugen C***** abgesprochene Glaubwürdigkeit weiters rügt, das Erstgericht habe sich hiebei auf nicht in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel (Bericht über die Anhaltung des Zeugen im eigenen Strafverfahren; Mitteilung der Justizanstalt Wien-Josefstadt vom 23. Mai 2006 [ON 80]) gestützt, verkennt er, dass die Tatrichter ihre Überzeugung von der mangelnden Glaubwürdigkeit des Zeugen C***** auf den in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck sowie auf die ihm in der Hauptverhandlung vorgehaltenen (S 85 f/II) Erinnerungslücken im eigenen Strafverfahren und auf den Umstand, dass der Zeuge in der Haft mit dem Angeklagten Kontakt hatte (S 81/II), gründeten (US 28 ff). Solcherart kommt den im Urteil ersichtlich bloß illustrativ (US 30: „vgl hiezu auch") erwähnten weiteren Beweisstücken keine nichtigkeitsrelevante Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0113210; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 458).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) leitet mit der Behauptung des Fehlens von Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich eines 3.000 Euro übersteigenden Gesamtschadens - und ohne einzelne Schuldspruchfakten anzufgreifen - nicht aus dem Gesetz (§ 29 StGB) ab, warum die Summe der Wert- oder Schadensbeträge aus allen Einzeltaten derselben Art vom Vorsatz des Täters umfasst sein müsse. Zu einer Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO bestand in diesem Zusammenhang kein Anlass, weil die Zusammenrechnungsregel des § 29 StGB nicht den Schuldspruch, sondern nur den Strafrahmen betrifft und an der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Taten nichts ändert (vgl Ratz in WK2 § 29 Rz 7; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 127 RN 203).

Mit zutreffender Argumentation wird hingegen unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 8 eine im Licht des Art 6 Abs 3 lit b MRK relevante Verletzung des Schutzzwecks des § 262 StPO aufgezeigt. Der Angeklagte wurde zum Urteilsfaktum B./, abweichend von der auf das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB gerichteten Anklage (ON 37), des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 2 StGB schuldig erkannt, ohne vorher gemäß § 262 StPO über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt gehört worden zu sein. Zwar steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. Doch hat das erkennende Gericht, das den Angeklagten - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage zugrundeliegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen schuldig erkennt, nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0113755; zuletzt 14 Os 17/06s) mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zuvor dem Schutzzweck des § 262 StPO zu entsprechen, um so dem Angeklagten ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu schaffen (Art 6 Abs 3 lit b MRK; Messner, ÖJZ 2006, 582). Da dies verabsäumt wurde, ist das Urteil insoweit mit Nichtigkeit nach Z 8 behaftet und eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden. Die zu diesem Schuldspruch vorgetragenen Einwände der Mängelrüge erweisen sich damit als hinfällig.

Hinsichtlich der zu A./ gemäß § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit hat der Oberste Gerichtshof von der ihm durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, auch nicht von der erfolgreichen Anfechtung betroffene Verfügungen zu beheben, um sicher zu gehen, dass der Angeklagte durch bloß formal trennbare Aussprüche des angefochtenen Urteils keinen inhaltlichen Nachteil erleidet (Ratz, WK-StPO § 289 Rz 3).

Im zweiten Rechtsgang wird die aufgelöste Subsumtionseinheit - gegebenenfalls unter Einbeziehung hinzukommender gleichartiger Taten - neu zu bilden sein (§ 29 StGB; RIS-Justiz RS0116734; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 10).

Die zwingend folgende Kassation des Strafausspruchs macht ein Eingehen auf die Sanktionsrüge (Z 11) entbehrlich. Im zweiten Rechtsgang wird das Gericht bei der Sanktionsfindung jedenfalls zu beachten haben, dass die - der Sache nach erfolgte (US 35) - erschwerende Wertung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO nach sich zieht. Der Angeklagte ist mit seinen verbleibenden Rechtsmitteln, die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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