OGH 9ObA98/06m

OGH9ObA98/06m18.10.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Mag. Thomas Maurer-Mühlleitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Morteza M*****, Techniker, *****, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 18.173,70 brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2006, GZ 7 Ra 63/06w-23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2006:009OBA00098.06M.1018.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Prüfung, ob die Entlassung des Klägers wegen beleidigender Äußerungen begründet sei, nur Äußerungen zugrundezulegen seien, welche im E-Mail des Klägers vom 9. 12. 2004 enthalten gewesen seien, während die in zeitlicher Hinsicht davor liegenden Äußerungen nicht mehr herangezogen werden könnten, weil die Entlassung insoweit bereits verspätet erfolgt wäre. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung ist zu untersuchen, ob in dem Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsgrunds zu erblicken ist oder ob dieses Zuwarten in Umständen begründet ist, welche die Annahme eines solchen Verzichts nicht rechtfertigen (RIS-Justiz RS0029267 ua). Diese Beurteilung kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen (RIS-Justiz RS0031571 ua). Dieser Frage kommt daher - von krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen, die hier allerdings nicht vorliegt, - keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (9 ObA 151/05d ua).

Richtig ist, dass es als ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, anzusehen ist, wenn sich der Angestellte erhebliche Ehrverletzungen gegen den Arbeitgeber zuschulden kommen lässt (§ 27 Z 6 AngG). Der Ehrenbeleidigung muss nach ständiger Rechtsprechung nicht nur eine Verletzungsabsicht in Bezug auf die beleidigte Person zugrundeliegen; sie muss auch objektiv geeignet sein, im erheblichen Maße ehrverletzend zu wirken, und sie muss diese Wirkung auch hervorgerufen haben (RIS-Justiz RS0029827 ua). Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob es allenfalls nur auf die subjektive oder objektive Seite ankomme, begründet demzufolge keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit der Ehrverletzung und der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sind nach ständiger Rechtsprechung auch Umstände wie etwa die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb oder die Gelegenheit, bei der die Äußerung gefallen ist, entscheidend (vgl RIS-Justiz RS0029630 ua). Erhebliche Ehrverletzungen verlieren nämlich den Charakter eines Entlassungsgrunds nach § 27 Z 6 AngG, wenn die Begleitumstände des Falls wie etwa die Erregung über das vorausgegangene Verhalten des Beleidigten oder die Verteidigung gegen einen vermeintlich ungerechtfertigten Standpunkt die Beleidigung im Einzelfall als noch entschuldbar (RIS-Justiz RS0029653, RS0060938 ua) und die Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers als noch nicht unzumutbar erscheinen lassen (vgl RIS-Justiz RS0060929 ua).

Letztlich kann die Berechtigung der Entlassung auf Grund beleidigender Äußerungen nur nach Prüfung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RIS-Justiz RS0029827 ua). Diesen kommt regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, sofern keine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt (vgl 9 ObA 174/98y ua). Dies ist hier nicht der Fall. Berücksichtigte das Berufungsgericht zugunsten des entlassenen Klägers ua dessen massive Enttäuschung und Aufregung, nachdem nicht nur seine geplante wirtschaftliche Beteiligung an der Beklagten und seine Bestellung zum Leiter der K*****stelle gescheitert waren, sondern er auch gekündigt und dienstfrei gestellt worden war und sich daher „aus dem Unternehmen gedrängt“ fühlte, so kann weder darin noch in der resümierenden Beurteilung, dass die Äußerungen des Klägers „gerade noch“ entschuldbar erscheinen, eine unvertretbare Beurteilung gesehen werden, die unter dem Aspekt der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Beurteilung einer Ehrenbeleidigung nach § 1330 ABGB, sondern um eine Entlassung nach § 27 Z 6 AngG geht. Mit der Zitierung von 6 Ob 208/98a wollte das Berufungsgericht nur (zutreffend) unterstreichen, dass die Frage, ob bestimmte im Gesamtzusammenhang stehende Äußerungen eine Ehrverletzung darstellen, eine Entscheidung im Einzelfall betrifft. Das Berufungsgericht ging auch nicht wie in der Revision behauptet davon aus, dass „Ehrverletzungen durch Wiederholung ihren Charakter als Entlassungsgrund verlieren“. Zutreffend berücksichtigte es aber im Rahmen der gebotenen, die Begleitumstände berücksichtigenden Gesamtbeurteilung den Verlauf der über eine gewisse Zeit emotionell geführten Diskussion zwischen den Parteien und die jeweiligen unterschiedlichen Reaktionen der Beklagten auf Äußerungen des Klägers. Zusammenfassend hält sich die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist daher die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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