OGH 8ObA23/06z

OGH8ObA23/06z21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Mag. Andrea Komar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Elfriede K*****, vertreten durch Mag. Michael Lang, Rechtsanwalt in Wien, gegen die erstbeklagte Partei Österreichischer Rundfunk, 1136 Wien, Würzburggasse 30, vertreten durch Korn Frauenberger, Rechtsanwälte OEG in Wien, und die zweitbeklagte Partei Ö***** AG, *****, wegen Leistung, in eventu Feststellung (Streitwert EUR 21.800,--), über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 2005, GZ 8 Ra 69/05h-20, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Oktober 2004, GZ 3 Cga 406/02z-16, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 13. 6. 1950 geborene Klägerin ist bei der erstbeklagten Partei seit 1981 im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist aufrecht.

Die Klägerin besaß gegenüber der erstbeklagten Partei eine direkte Leistungszusage auf eine Betriebspension als Einzelvertragsbestandteil nach dem sogenannten Pensionszuschussregulativ (PZR, Regulativ über die Gewährung von Zuschüssen zu den Pensionen nach den Bestimmungen des ASVG idF vom 1. 12. 1992, Anh zu § 38 der freien Betriebsvereinbarung für die Dienstnehmer des Österreichischen Rundfunks).

Im Unternehmen der erstbeklagten Partei wurde am 27. 8. 1999 die „Pensions-Betriebsvereinbarung 3" über die Übertragung erworbener Pensionsanwartschaften an eine überbetriebliche Pensionskasse abgeschlossen.

Die Klägerin nahm im Rahmen der von der erstbeklagten Partei zum Thema Neuordnung des Pensionssystems durchgeführten Informationskampagne an Informationsveranstaltungen teil und erhielt insbesondere folgende schriftliche Informationen:

direkte Pensionskasse

Leistungszusage

Pensions-

zahlungen 15 x p.a. 14 x p.a. (Steuervorteil)

Pensionshöhe Der ORF garantiert Gesamtprovision wird wie im

während der gesamten bisherigen System bemessen:

Pensionsdauer die Ge- Die Leistung der Pensions-

samtprovision, ASVG- kasse wird einmalig mit

Änderungen wirken Ende des Dienstverhält-

sich daher bei den nisses festgelegt, und zwar

Pensionisten nicht als Differenz zwischen der

aus. Gesamtprovision und einer

fiktiven ASVG-Pension;

ASVG-Verschlechterungen

gehen damit zu Lasten des

Pensionisten.

Erhöhung nicht vorgesehen über Gewinnkonto

der Gesamt- möglich

provision

Wertanpas-

sung mit dem ASVG- nach dem Veranlagungserfolg

Anpassungsfaktor der Pensionskasse sowie dem

versicherungstechnischen

Ergebnis. Das heißt: Pen-

sionsbezieher profitieren

vom Veranlagungserfolg.

Versteuerung einheitlich durch bei jedem Leistungserbrin-

den ORF ger (PVA, Pensionskasse,

ORF) mit Arbeitnehmerver-

anlagung im Nachhinein

Anrechnung

von Einkünf-

ten auf Eigen-

pension lt. PZR keine

Ruhenszeit-

raum zwingend wahlweise

Krankenzusatz-

versicherung Einbehalt durch Einbehalt der Eigen-

den ORF beträge durch die Pen-

sionskasse und Überweisung

an den ORF

Darüber hinaus sah sich die Klägerin auch Informationssendungen der

erstbeklagten Partei zu diesem Thema an und nahm am 27. 9. 1999 ein

persönliches Beratungsgespräch in der Dauer von rund 30 Minuten in

Anspruch. Für dieses Beratungsgespräch wurde der Klägerin vorweg ein

Datenblatt zur Verfügung gestellt, aus dem die voraussichtliche

Pension im Zeitpunkt des Pensionsantrittes jeweils brutto und netto

in den Varianten 1. keine Abfindung, 2. volle Abfindung und 3. halbe

Abfindung ausgewiesen war. Diese Daten standen dem Berater auch am PC

zur Verfügung und dienten der Beantwortung von individuellen Fragen.

Die Variante 1. keine Abfindung wird auf dem Datenblatt wie folgt erläutert:

„Im Pensionsfall besteht der volle Anspruch auf die leistungsorientierte Pensionszusage entweder gegenüber der Pensionskasse oder dem ORF. Unterschiede zwischen einer Jahrespension seitens der Pensionskasse oder des ORF (Pensionserhöhung aus dem Gewinnkonto in der Pensionskasse, unterschiedliche ASVG-Pensionsanrechnung, Versteuerung, Wertanpassung in der Pensionskasse nach Veranlagungsergebnis etc) können - weil nicht vorhersehbar - nicht dargestellt werden." Der weitere Pensionsverlauf war im Datenblatt nicht inkludiert. Im Falle der gänzlichen Übertragung der Pensionsanwartschaften in die Pensionskasse ist die Höhe der Antrittspension auf Grund der gemäß § 17 Pensions-Betriebsvereinbarung 3 für die erstbeklagte Partei bestehenden Nachschusspflicht unabhängig vom bis dahin erzielten Veranlagungserfolg der zweitbeklagten Partei.

Die Klägerin unterfertigte am 15. 11. 1999 im Personalbüro der beklagten Partei die „Zustimmungserklärung 4" und verpflichtete sich darin zur Leistung von Arbeitnehmerbeiträgen in der Höhe von 100 % der Arbeitgeberbeiträge an die Pensionskasse entsprechend § 19 Abs 1 der Pensions-Betriebsvereinbarung 3.

Die Klägerin hat frühestens am 1. 3. 2008 Anspruch auf eine Alterspension nach dem ASVG".

Die Klägerin begehrte die erstbeklagte Partei für schuldig zu erkennen ihr „eine Zusatzpension im Ausmaß des § 38 der freien Betriebsvereinbarung zu gewähren, in eventu die Feststellung, dass die erstbeklagte Partei schuldig sei, die zu Ungunsten der Klägerin entstehende Differenz zwischen den Zahlungen durch die ORF-Pensionskasse und jenen Beträgen, die ihr gegenüber der Beklagten gebührt hätten, wenn sie einer Übertragung ihrer Anwartschaften an die Pensionskasse nicht zugestimmt hätte, zu ersetzen." Die erstbeklagte Partei habe gegenüber der Klägerin in ihren Broschüren die Pensionskasse als „sicher" beworben. Weiters wäre die Möglichkeit einer höheren Pensionsvalorisierung in Aussicht gestellt worden und als Risiko eine „geringe Wertanpassung" genannt worden, wobei die Pensionskassenpartner bisher einen Veranlagungsüberschuss von 7,5 % pa durchschnittlich weit überschritten hätten. In der Folge habe sich herausgestellt, dass diese Zusagen nicht zutreffen. Die erstbeklagte Partei habe sie nicht über die Auswirkungen eines negativen Veranlagungserfolges der Pensionskassen informiert, sondern diese bewusst verschwiegen. Wäre sie von der erstbeklagten Partei darüber informiert worden, hätte sie die Übertragung ihrer Anwartschaften auf die Pensionskasse nicht vorgenommen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei umfassend aufgeklärt worden. Im Übrigen fehle es auch an dem für eine Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse der Klägerin. Bis zum Eintritt des Leistungsfalles bestehe eine Verpflichtung der erstbeklagten Partei die für das Deckungserfordernis zu diesem Zeitpunkt erforderlichen Beträge in die Pensionskasse nachzuschießen. Wie sich die Veranlagungsergebnisse in Bezug auf das Deckungserfordernis der Klägerin für ihre Pensionszusage entwickeln werden, könne frühestens im Sommer/Herbst 2008 beurteilt werden. Nach dem zwischenzeitig feststehenden Veranlagungsergebnis für 2003 sei es überdies mit 1. 1. 2004 zu einer höheren Nettovalorisierung der Pensionskassenpensionen im Vergleich zu einer Pension nach dem Pensionszuschussregulativ gekommen, sodass es der Klägerin auch aus diesem Grund am Feststellungsinteresse mangle.

Das Erstgericht wies, ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen, das Klagebegehren mangels rechtlichen Interesses ab. Die Klägerin befinde sich in einem aufrechten und ungekündigten Dienstverhältnis und habe frühestens am 1. 3. 2008 Anspruch auf eine Alterspension nach dem ASVG. Ob die von der Klägerin inkriminierte Übertragung ihrer Pensionsanwartschaften auf die Pensionskasse für sie einen Schaden bedeute, könne erst nach Vollbeendigung des Leistungsverhältnisses beurteilt werden. Vor dem Hintergrund dieses noch völlig unabsehbaren Zeitpunkts fehle dem Klagebegehren daher das Feststellungsinteresse.

Das Berufungsgerichtes hob das Ersturteil auf und wies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat zusammengefasst die Rechtsansicht, dass vom Obersten Gerichtshof ein Feststellungsinteresse auch ohne Vorliegen besonders schadensträchtiger Ereignisse - neben deliktischer Haftung- auch bei Vertragspflichtverletzungen bei der bloßen Möglichkeit eines späteren Schadenseintrittes anerkannt worden sei. So habe der Oberste Gerichtshof das Feststellungsinteresse für die begehrte Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden auf Grund einer fehlerhaften Anlageberatung bejaht, obwohl völlig ungewiss gewesen sei, in welcher Höhe und ob überhaupt ein Schaden daraus eintreten werde. Weder die Dauer des bis zum möglichen Schadenseintrittes verstreichenden Zeitraumes, noch die Ungewissheit über andere Faktoren, die für die Höhe der Pensionskassenleistung ausschlaggebend seien, könnten etwas daran ändern, dass ein Feststellungsinteresse bestehe. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der erstbeklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat bei vergleichbarer Sachlage in seiner Entscheidung 9 ObA 87/05t das Feststellungsinteresse einer Arbeitnehmerin der erstbeklagten Partei im Zusammenhang mit der Übertragung von Pensionsanwartschaften nach dem PZR auf eine Pensionskasse bejaht. Der Klägerin könne ein rechtliches Feststellungsinteresse dann nicht abgesprochen werden, wenn die behaupteten Einbrüche bereits aktueller Pensionsleistungen auf Grund unzureichender Veranlagungserfolge der Pensionskasse eingetreten seien und die beklagte Partei der berechtigte Vorwurf unzureichender Aufklärung treffen sollte: Während die frühere Judikatur (RIS-Justiz RS0040838) das Interesse an der Feststellung für die Haftung künftiger Schäden nur dann zuerkannt habe, wenn bereits ein (Teil-)Schaden eingetreten gewesen sei, sei in der Folge (SZ 56/38) darauf abgestellt worden, dass zwar der Eintritt eines Schadens nicht erforderlich sei, aber schon derart schadensträchtige Vorfälle vorgekommen sein müssten, dass der Schadenseintritt eher zufällig unterblieben sei und sich derartige Vorfälle mit möglichen Schäden jederzeit wiederholen könnten. In jüngerer Zeit sei ein Feststellungsinteresse auch ohne Vorliegen besonders schadensträchtiger Ereignisse - neben deliktischer Haftung nach § 1330 ABGB oder nach dem Urhebergesetz - auch bei Vertragspflichtverletzungen (Beratungsfehler: 6 Ob 288/98s; unberechtigter Vertragsrücktritt: 6 Ob 335/00h; Anraten der Beteiligung an einem Aktienfonds als „sichere Pensionsanlage" bei zunächst negativer, aber nicht endgültig absehbarer Entwicklung: 9 Ob 53/03i; jeweils in RIS-Justiz RS0040838) anerkannt worden. Dass Klagen auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden selbst dann zugelassen werden, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten sei und nur die Möglichkeit bestehe, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt ermöglichen könne, entspreche der Rechtsprechung (9 Ob 53/03i mwN). In diesen Fällen bejahe die Rechtsprechung das Feststellungsinteresse aus prozessökonomischen Gründen, obwohl streng genommen ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis noch nicht vorliege (Fasching LB2 Rz 1093). Lehre und Rechtsprechung bejahen ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung dann, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses bestehe, was insbesondere dann der Fall sei, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheine, etwa, wenn der Beklagte ein Recht des Klägers hartnäckig bestreite (Fasching aaO Rz 1096, 1098; Rechberger/Frauenberger in Rechberger ZPO2 § 228 Rz 7). Die Feststellungsklage diene nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Anspruchsverjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage. Sie solle vorbeugenden Rechtsschutz gewähren und sei daher immer schon dann zulässig, wenn auf Grund des Verhaltens des Beklagten eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechtes entstanden sei und diese Ungewissheit durch die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteiles beseitigt werden könne (6 Ob 335/00h mwN). Die in der Entscheidung 9 ObA 87/05t angestellten Überlegungen sind auch auf den hier zur beurteilenden Sachverhalt zur Gänze anwendbar. Auch im vorliegenden Verfahren bestreitet die beklagte Partei die Verletzung der Aufklärungspflicht sowie eine allfällige Ersatzpflicht. Als aktueller Anlass würden - ebenso wie im Verfahren 9 ObA 87/05t - bereits eingetretene Pensionsverluste anderer, bereits ausgeschiedener Mitarbeiter (aus mangelnden Veranlagungserfolgen) ausreichen, zumal es sich um eine Risikogemeinschaft handelt, der auch die Klägerin angehört.

Die Frage, wie künftig eine konkrete Schadensermittlung zu erfolgen hat (vgl die abschließenden Erwägungen in 9 ObA 243/02d), braucht für das hier angestrengte Feststellungsbegehren nicht beantwortet zu werden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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