OGH 10ObS65/06s

OGH10ObS65/06s17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Barbara M*****, Lektorin, *****, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Jänner 2006, GZ 25 Rs 69/05s-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Mai 2005, GZ 47 Cgs 170/04k-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, eine österreichische Staatsbürgerin, ist seit 6. 7. 2002 mit dem niederländischen Staatsangehörigen Peter B***** verheiratet. Dieser hat in Österreich keinen Wohnsitz. Aus dieser Ehe stammt die am 21. 8. 2003 geborene Tochter Lea. Aus Anlass dieser Geburt hatte die Klägerin bis 20. 10. 2003 Anspruch auf Wochengeld. Vom 15. 9. 1999 bis 31. 8. 2003 stand die Klägerin in einem jeweils auf ein Jahr befristeten Dienstverhältnis zu dem in Wien situierten Verein Ö***** in Wissenschaft, Bildung und Kunst, wobei sie als Lektorin der deutschen Sprache, österreichischen Literatur und Landeskunde an einer Universität in Ungarn tätig war. Die Klägerin und ihre Tochter sind seit 17. 4. 2003 bzw 21. 8. 2003 in Österreich unter der Adresse L*****, gemeldet. Die Klägerin hielt sich in den ersten drei Monaten nach der Geburt der Tochter sowie vom 22. 11. bis 23. 12. 2003 in Holland auf. Vom 24. 12. 2003 bis 1. 1. 2004 war sie mit ihrem Kind in L***** und sodann wiederum vom 2. 1. bis 18. 3. 2004 in Holland. Vom 19. 3. bis 1. 4. 2004 hielt sie sich mit dem Kind in Vorarlberg, Tirol, Wien und Salzburg auf und anschließend daran bis 1. 5. 2004 in Dublin und sodann vom 2. 5. 2004 bis 28. 6. 2004 wiederum in Holland. Vom 29. 6. bis 10. 8. 2004 war sie gemeinsam mit dem Kind einerseits in Klagenfurt und andererseits in L***** bei ihrer Mutter. Vom 4. 7. bis 10. 8. 2004 arbeitete die Klägerin von Montag bis Freitag an der Universität Klagenfurt und hielt sich an den Wochenenden in L***** auf. Vom 11. 8. bis 20. 10. 2004 war sie wiederum durchgehend mit dem Kind in Holland, und zwar wegen einer problematischen Schwangerschaft, welche schließlich zum Verlust des erwarteten Kindes geführt hat. Vom 21. 10. bis 4. 11. war sie in Österreich, vom 5. 11. bis 24. 12. 2004 in Holland und vom 25. 12. 2004 bis 1. 1. 2005 wieder in Österreich. Die Klägerin arbeitet durchgehend seit 2002 an ihrer Habilitationsschrift, die sie an der Universität Klagenfurt einreichen will. Die Tochter der Klägerin hat in den oben festgestellten Zeiträumen durchgehend zum Haushalt der Klägerin gehört.

Der Gatte der Klägerin übt in Utrecht in den Niederlanden eine Berufstätigkeit aus und bezieht für Lea das der österreichischen Familienbeihilfe entsprechende niederländische Kindergeld. Den von der Klägerin gestellten Antrag auf Gewährung der österreichischen Familienbeihilfe für das Kind Lea wies das Finanzamt Lienz mit rechtskräftigem Bescheid vom 1. 12. 2003 mit der Begründung ab, dass der Ehegatte der Klägerin in den Niederlanden eine Berufstätigkeit ausübe und sich ihre Tochter Lea ständig in den Niederlanden aufhalte, sodass dieser Staat vorrangig für die Erbringung der Familienleistungen zuständig sei.

Die beklagte Partei wies mit Bescheid vom 9. 2. 2004 den Antrag der Klägerin vom 24. 11. 2003 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes mit der Begründung ab, dass kein Anspruch auf Familienbeihilfe in Österreich bestehe und der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Ausland liege.

Das Erstgericht gab im ersten Rechtsgang dem auf Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes im gesetzlichen Ausmaß ab 21. 10. 2003 gerichteten Klagebegehren statt. Aufgrund der getroffenen Feststellungen stehe fest, dass sich das Kind seit der Geburt nicht ständig in den Niederlanden aufhalte, sodass Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe. Auch der rechtskräftige Abweisungsbescheid des Finanzamtes Lienz vom 1. 12. 2003 führe zu keinem für die beklagte Partei günstigeren Ergebnis. Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei das Ersturteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vermisste insbesondere ausreichende Feststellungen des Erstgerichtes zur Frage, ob die Klägerin seit der Geburt ihrer Tochter einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Österreich habe (§ 2 Abs 1 erster Satz FLAG) und ob sich ihr Kind in Österreich oder im Ausland ständig aufhalte (§ 5 Abs 3 FLAG). Das Berufungsgericht verwies weiters darauf, dass die Begriffe „Wohnsitz" und „gewöhnlicher Aufenthalt" bei der Beurteilung eines Anspruches nach dem FLAG nach § 26 BAO auszulegen seien.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen das Klagebegehren ab. Aufgrund der nunmehr ergänzend getroffenen Feststellungen stehe fest, dass sich die Klägerin und ihr Kind nicht ständig in Österreich aufhielten. Daher gebühre der Klägern kein Kinderbetreuungsgeld. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und erkannte die beklagte Partei schuldig, ihr Kinderbetreuungsgeld im Ausmaß von täglich EUR 14,53 für den Zeitraum vom 21. 10. 2003 bis zum 21. 2. 2006 zu bezahlen. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel, wonach es das Erstgericht unterlassen habe, in der Tagsatzung vom 4. 5. 2005 die vom Berufungsgericht im Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht mit den Parteien näher zu erörtern, und der Klägerin keine Möglichkeit zu einem ergänzenden Prozessvorbringen hinsichtlich des Mittelpunktes ihrer Lebensinteressen in Österreich gegeben habe, liege nicht vor, weil den Parteien der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes am 6. 4. 2005 zugestellt, in diesem Aufhebungsbeschluss ausdrücklich auf die Möglichkeit eines ergänzenden Prozessvorbringens zu dieser Frage hingewiesen, von den Parteien jedoch bis zum 4. 5. 2005 kein ergänzendes Vorbringen erstattet worden sei. Im Übrigen komme dem Klagebegehren auch ohne die von der Klägerin in ihrer Mängelrüge begehrten ergänzenden Feststellungen zu dem Umstand, dass sie zur Republik Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe, somit den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet habe und sich gemeinsam mit ihrer Tochter (zumindest in bestimmten Zeiträumen) ständig im Bundesgebiet aufgehalten habe und deshalb ihrem Anspruch auf Familienbeihilfe ausschließlich die von der Finanzbehörde in der Bescheidbegründung angesprochenen prioritätsrechtlichen Aspekte im Sinne des Art 76 VO (EWG) 1408/71 entgegengestanden seien, bereits aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Erwägungen Berechtigung zu. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Christine Dodl und Petra Oberhollenzer gegen Tiroler Gebietskrankenkasse vom 7. 6. 2005, Rs C-543/01 , besitze eine Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO (EWG) Nr 1408/71 idgF, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert sei, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es sei nach den Ausführungen des EuGH Sache des nationalen Gerichtes, die notwendigen Prüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob die Klägerinnen der Ausgangsverfahren in den Zeiträumen, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, einem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit angehört haben und damit unter den Begriff „Arbeitnehmer" im Sinne von Art 1 Buchstabe a fielen.

Im vorliegenden Fall sei von einer Teilversicherung der Klägerin in der Pensionsversicherung im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG auszugehen, wobei ein Abstellen auf die „Erziehung im Inland" aufgrund des Gemeinschaftsrechts unbeachtlich sei. Ein Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld könne daher mit Erfolg auf Art 73 der VO (EWG) Nr 1408/71 gestützt werden. Die Antikumulierungsvorschriften des Art 76 der genannten Verordnung sowie des Art 10 der Durchführungsverordnung Nr 574/74 seien hingegen nicht anzuwenden. Durch den rechtskräftigen Bescheid des Finanzamtes Lienz vom 1. 12. 2003 stehe für das Gericht nur bindend fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Familienbeihilfe habe. Da der Ehegatte der Klägerin jedoch eine gleichartige ausländische Leistung für das Kind beziehe, sei auch die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG erfüllt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur konkreten Auslegung des § 2 KBGG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem richtigerweise (vgl S 8 letzter Absatz der Rechtsmittelschrift) dahin zu verstehenden Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteiles abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihren Revisionsausführungen im Wesentlichen geltend, der Klägerin stehe weder aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften noch aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zu. Eine Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin im Sinne der VO (EWG) Nr. 1408/71 liege nicht vor, weil die Bestimmung über eine Teilversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG erst mit 1. 1. 2005 in Kraft getreten sei. Selbst unter der Annahme, die Klägerin sei in der Pensionsversicherung teilversichert und daher als Arbeitnehmerin iSd Art 1 lit a der zitierten Verordnung zu qualifizieren, bestünde kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Die Klägerin unterliege nämlich, da die österreichischen Rechtsvorschriften mangels einer aufrechten Beschäftigung im Inland nicht mehr auf sie anzuwenden seien, gemäß Art 13 Abs 2 lit f der VO 1408/71 den Rechtsvorschriften der Niederlande. Somit sei auch Art 73 der VO 1408/71 nicht auf sie anwendbar, da sie aufgrund der gemeinsamen Wohnsitznahme mit dem Ehemann und dem gemeinsamen Kind in den Niederlanden den niederländischen Rechtsvorschriften unterliege. Nach innerstaatlichem Recht bestehe ebenfalls kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, weil die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt in den Niederlanden habe. Ihr Ehemann sei in den Niederlanden beschäftigt und beziehe dort für das gemeinsame Kind Familienbeihilfe. Ein Wohnsitz des Ehemannes der Klägerin in Österreich liege nicht vor. Es würde auch dem Wesen der aufrechten Ehe der Klägerin widersprechen, einen Lebensmittelpunkt der Klägerin und des Kindes in Österreich anzunehmen, während der Lebensmittelpunkt des Ehemannes in den Niederlanden liege.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld aufgrund des Gemeinschaftsrechts:

Die VO (EWG) Nr. 1408/71 bestimmt in ihrem Art 2 Abs 1, dass sie unter anderem für Arbeitnehmer und Selbständige, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für deren Familienangehörige gilt. Die Begriffe „Arbeitnehmer" und „Selbständige" sind in Art 1 lit a der VO Nr. 1408/71 definiert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besitzt eine Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO Nr. 1408/71 , wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art 1 lit a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systemen der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Daraus folgt, dass das bloße Ruhen der Hauptverpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis während eines bestimmten Zeitraumes dem Beschäftigten nicht seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nehmen kann. Es ist dabei Sache des nationalen Gerichts, die notwendigen Prüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob die betreffende Person in den Zeiträumen, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, einem Zweig des Systems der sozialen Sicherheit angehört hat und damit unter den Begriff „Arbeitnehmer" iSd Art 1 lit a der VO Nr. 1408/71 fiel (EuGH, 7. 6. 2005, Rs

C-543/01 [Dodl/Oberhollenzer] = WBl 2005/242, 466 = ZAS 2005/154, 223

= RdW 2005/648, 564 mwN).

Zutreffend macht die beklagte Partei geltend, dass die vom Berufungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung angenommene Teilversicherung der Klägerin in der Pensionsversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG jedenfalls bis 31. 12. 2004 nicht vorgelegen ist, da diese Bestimmung erst mit 1. 1. 2005 in Kraft getreten ist und nur Zeiten ab dem Inkrafttreten betrifft. Für die Zeiten vor dem 31. 12. 2004 ist mangels einer Rückwirkungsbestimmung keine Teilversicherung vorgesehen. Die Einführung einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 ASVG war nämlich durch die Schaffung des Allgemeinen Pensionsgesetzes (APG) bedingt. Da nach der im Zuge der Pensionsharmonisierung neu geschaffenen Rechtslage die bisherige Differenzierung der Pensionszeiten in Beitrags-, Ersatz- und neutrale Zeiten wegfiel, war es notwendig, die bisherigen Ersatzzeiten für Kindererziehung (§ 227a ASVG) gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG in die Teilversicherung einzubinden. Die Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen für eine Teilversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG durch die Klägerin wäre in einem eigenen Verfahren durch den zuständigen Sozialversicherungsträger festzustellen, da eine solche Teilversicherung nur für Personen vorgesehen ist, die ihr Kind in den ersten 48 Kalendermonaten nach der Geburt tatsächlich und überwiegend iSd § 227a Abs 4 bis 7 ASVG im Inland erziehen. Doch selbst unter der Annahme, die Klägerin wäre grundsätzlich als Arbeitnehmerin gemäß Art 1 lit a der VO Nr. 1408/71 zu qualifizieren, bestünde aufgrund folgender Erwägungen kein Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen:

Die Kollisionsnormen des Art 13 bis 17a der VO Nr. 1408/71 befassen sich mit der Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften. Sie bewirken, dass Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, lückenlos von den mitgliedstaatlichen Systemen der sozialen Sicherheit erfasst werden. Sie stellen zugleich sicher, dass die Personen, die unter den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. So legt Art 13 Abs 1 der Verordnung als Grundsatz fest, dass für Personen, die der Verordnung unterliegen, die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates gelten. Dabei knüpft die Verordnung im Grundsatz an die Beschäftigung und nur hilfsweise an den Wohnort an. So unterliegt gemäß Art 13 Abs 2 lit a der Verordnung - von hier nicht in Betracht kommenden Sonderregelungen abgesehen - eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat. Für abhängig Beschäftigte finden somit grundsätzlich die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates Anwendung, in dem eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wird, wenn der Versicherte nur diese eine Beschäftigung ausübt. Diese Anknüpfung gilt für alle im Lohn- oder Gehaltsverhältnis Beschäftigten, also „Arbeitnehmer". Wer als Arbeitnehmer anzusehen ist, bestimmt sich wiederum nach gemeinschaftsrechtlicher Begriffsbestimmung (vgl Art 1 lit a der Verordnung). Nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall des Arbeitnehmers, der zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Leistungen nicht beschäftigt ist. Nach der früheren Rechtsprechung des EuGH war in diesem Fall auf die Vorschriften des Staates abzustellen, in dem der Arbeitnehmer zuletzt beschäftigt war, und zwar unabhängig davon, wieviel Zeit seit der Beendigung der fraglichen Tätigkeit verstrichen war. Nunmehr sieht Art 13 Abs 2 lit f der Verordnung - eingefügt durch die VO (EWG) Nr. 2195/91 vom 25. 6. 1991 - vor, dass in diesen Fällen das Recht des Wohnsitzstaates gilt (vgl dazu Steinmayer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 13 Rz 1, 7 ff und 12 mwN). Danach unterliegt eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates auf sie anwendbar würden, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen allein die Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates gelten, wenn ein Beschäftigungsverhältnis nicht mehr besteht, das die Anwendbarkeit der jeweiligen nationalen Rechtsordnung auslöst.

Zutreffend verweist die beklagte Partei in diesem Zusammenhang darauf, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 21. 10. 2003 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz keine Beschäftigung in Österreich ausübte und für sie auch kein aufrechtes (karenziertes) Beschäftigungsverhältnis in Österreich bestanden hat. Insofern unterscheidet sich die Situation der Klägerin grundlegend von der Situation der Klägerinnen in dem vom EuGH entschiedenen Verfahren der Rs C-543/01 , da sich diese beiden Klägerinnen in einem aufrechten, nach dem österreichischen Mutterschutzgesetz karenzierten Dienstverhältnis befunden haben, womit sie das Erfordernis des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung in Österreich erfüllten. Die Klägerin unterliegt daher, da die österreichischen Rechtsvorschriften mangels einer aufrechten Beschäftigung im Inland gemäß Art 13 Abs 2 lit a der VO Nr. 1408/71 nicht auf sie anzuwenden sind, gemäß Art 13 Abs 2 lit f dieser Verordnung ausschließlich den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt.

Art 1 lit h der VO Nr. 1408/71 bestimmt als „Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Durch diese Definition wird der Wohnort vom „Aufenthalt" grundsätzlich unterschieden, den Art 1 lit i der Verordnung als den „vorübergehenden Aufenthalt" definiert. Der Wohnort als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts befindet sich stets an demjenigen Ort, an welchem eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensführung bzw ihrer Lebensinteressen hat (Eichenhofer in Fuchs aaO Art 1 Rz 29 ff mwN).

Unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Klägerin offensichtlich bereits vor der Geburt ihres Kindes gemeinsam mit ihrem Ehemann den Lebensmittelpunkt in den Niederlanden hatte. Auch die Geburt des gemeinsamen Kindes erfolgte in den Niederlanden. Der Ehemann der Klägerin ist in den Niederlanden beschäftigt und bezieht dort für das gemeinsame Kind Kindergeld. Ein Wohnsitz des Ehemannes der Klägerin in Österreich lag bzw liegt nicht vor. Die Klägerin hielt sich auch nach der Geburt ihres Kindes überwiegend bei ihrem Ehemann in den Niederlanden auf. Aufgrund einzelner kürzerer Aufenthalte der Klägerin in Österreich und Irland ist lediglich erkennbar, dass sie unter Beibehaltung ihres Lebensmittelpunktes ihre früheren beruflichen Kontakte gepflegt und ihre Fort- und Weiterbildung (Habilitationsschrift) vorangetrieben hat. Aus diesen festgestellten kurzfristigen Aufenthalten der Klägerin in Österreich kann aber nicht auf eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes von den Niederlanden nach Österreich geschlossen werden. Dies zeigt sich auch darin, dass die Klägerin auch hinsichtlich des von ihr erwarteten zweiten Kindes, welches sie allerdings frühzeitig verlor, beabsichtigte, die Zeit der Schwangerschaft bzw Geburt bei ihrer Familie in den Niederlanden zu verbringen. Da der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthalts ihrer Familie zu finden sein wird, ist auch im Falle der Klägerin im Hinblick auf ihre familiären Beziehungen und ihre auch zeitlich überwiegenden Aufenthalte von einem Wohnort in den Niederlanden auszugehen. Dies bedeutet, dass Österreich weder als Beschäftigungs- noch als Wohnsitzstaat für die Gewährung von Familienleistungen an die Klägerin iSd Art 72 ff der VO Nr. 1408/71 leistungszuständig ist. Der Klägerin steht daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auch kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld iSd Art 73 der VO Nr. 1408/71 zu, weil sie, wie bereits dargelegt, im maßgebenden Zeitraum in Österreich nicht mehr beschäftigt war und aufgrund ihres Wohnortes in den Niederlanden den niederländischen Rechtsvorschriften unterliegt. In Art 73 der VO Nr. 1408/71 ist nur festgelegt, dass Arbeitnehmer und Selbständige, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen, für ihre in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Familienangehörigen Anspruch auf Familienleistung nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates haben, als ob die Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnen würden. Die Klägerin vermag daher ihr Klagebegehren nicht mit Erfolg auf gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zu stützen.

2. Zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld aufgrund der innerstaatlichen Rechtslage:

Nach § 2 Abs 1 Z 1 KBGG hat ein Elternteil für sein Kind Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl Nr. 376, besteht, oder für dieses Kind nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige ausländische Leistung besteht. Anspruch auf Familienbeihilfe haben nach § 2 Abs 1 lit a FLAG Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder. § 2 Abs 8 FLAG schränkte den Anspruch für Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen Wohnsitz haben, derart ein, dass diese nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben und sich die Kinder ständig im Bundesgebiet aufhalten. Nach § 2 Abs 2 FLAG idF BGBl I 2005/100 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, in dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Im vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob für das Kind der Klägerin Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Ein solcher Anspruch wurde mit Bescheid des Finanzamtes Lienz vom 1. 12. 2003 rechtskräftig verneint. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass grundsätzlich eine Bindung der Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden besteht. Die Frage, wie weit die Rechtskraftwirkung eines Bescheides geht, ist aber vom Gericht selbständig zu beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich die Bindung nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand und nicht (auch) auf dessen Begründung erstrecken (Schragel in Fasching/Konecny² II/2 § 190 ZPO Rz 14; Fucik in Rechberger, ZPO² § 190 Rz 5 jeweils mwN; SZ 51/64 ua). Es steht daher aufgrund der Bindungswirkung (nur) fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Die weitere Frage, ob im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG ein Anspruch auf Familienbeihilfe nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf gleichartige ausländische Leistung besteht, ist hingegen vom Gericht selbständig zu prüfen. Allgemeine Voraussetzung für den Anspruch auf Familienbeihilfe ist nach § 2 Abs 1 FLAG, dass der Anspruchswerber einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Begriffe „Wohnsitz" und „gewöhnlicher Aufenthalt" bei der Beurteilung eines Anspruches nach dem FLAG sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 30. 1. 1990, Zl 89/14/0054 ua) nach § 26 BAO auszulegen. Diese Bestimmung sieht vor, dass jemand dort einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften hat, wo er eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benützen wird. Der Wohnsitzbegriff des § 26 Abs 1 BAO knüpft - anders als der Begriff des Wohnsitzes nach § 66 Abs 1 JN - nicht an die Absicht (also ein subjektives Moment), an dem betreffenden Ort einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, an; es genügt steuerrechtlich vielmehr das objektive Moment der Innehabung einer Wohnung. Innehaben bedeutet, über eine Wohnung tatsächlich oder rechtlich verfügen zu können, sie also jederzeit für den eigenen Wohnbedarf benutzen zu können. Um einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften zu begründen, bedarf es daher nur der tatsächlichen Verfügungsgewalt über bestimmte Räumlichkeiten, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, also ohne wesentliche Änderung jederzeit zum Wohnen benutzt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein den persönlichen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten (VwGH 3. 11. 2005, Zl 2002/15/0102; 20. 6. 1990, Zl 89/16/0020 mwN ua). Der Wohnsitzbegriff des § 26 Abs 1 BAO erfordert nicht die ununterbrochene tatsächliche Benützung der Wohnung. Er ermöglicht, dass jemand auch mehrere Wohnsitze haben kann. Es reicht daher aus, dass eine Wohnung jährlich durch mehrere Wochen (zwei bis drei Monate) hindurch benutzt wird (VwGH 20. 6. 1990, Zl 89/16/0020 ua).

Nach den Feststellungen wohnte die Klägerin mit ihrer Tochter im maßgebenden Zeitraum wiederholt über Zeiträume von mehreren Wochen in Klagenfurt bzw bei ihrer Mutter in L*****. Nach den Angaben der Klägerin bewohnt sie im Haus ihrer Mutter die Räumlichkeiten im zweiten Stock. Es kann daher kein ernstlicher Zweifel darüber bestehen, dass die Klägerin im Bundesgebiet einen Wohnsitz im Sinn des § 26 BAO iVm § 2 Abs 1 FLAG hat und damit diese Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung einer Familienbeihilfe erfüllt. Da sich die Klägerin nach den Feststellungen im maßgebenden Zeitraum aber auch wiederholt über längere Zeiträume bei ihrem Ehegatten in den Niederlanden aufgehalten hat, ist davon auszugehen, dass sie auch dort einen Wohnsitz im Sinne der genannten Bestimmungen hat. Für diesen Fall sieht die bereits zitierte Bestimmung des § 2 Abs 8 FLAG einen Anspruch auf Familienbeihilfe nur für den Fall vor, dass die betreffende Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet hat. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat hiezu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Regelfall nach den Erfahrungen des Lebens die stärksten persönlichen Beziehungen zu dem Ort bestehen, an dem man regelmäßig und Tag für Tag mit seiner Familie lebt; dass also der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse einer verheirateten Person regelmäßig am Ort des Aufenthalts ihrer Familie zu finden sein wird. Diese Annahme setzt allerdings im Regelfall die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie als weiteren Umstand das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus (vgl VwGH, 16. 12. 1993, Zl 93/16/0138 ua).

Es wurde oben bereits näher begründet, dass die Klägerin den Mittelpunkt der Lebensinteressen im maßgebenden Zeitraum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz in den Niederlanden hatte. Es besteht daher auch aufgrund der innerstaatlichen Rechtslage kein Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld, weil sie die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 1 KBGG nicht erfüllt. Es war somit in Stattgebung der Revision der beklagten Partei das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht dargetan und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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