OGH 4Ob3/06d

OGH4Ob3/06d12.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** KG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gebrauchsmustereingriffs (Streitwert im Provisorialverfahren 34.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. November 2005, GZ 1 R 162/05h-11, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 24. Mai 2005, GZ 17 Cg 9/05p-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Inhaberin des mit Priorität 4. Juli 2003 geschützten Gebrauchsmusters AT-GM 7063. Gegenstand des Gebrauchsmusters ist eine Holzabdeckung für horizontal oder geneigt angeordnete Holzprofile.

Die streitgegenständlichen Ansprüche 1, 5, 9, 10, 11 und 13 lauten:

In der Gebrauchsmusterschrift wird die Erfindung wie folgt beschrieben:

„Es ist bekannt (AT 321 547 B), Geländer aus einzelnen Teilen zusammenzusetzen, und zwar aus Metallstehern, aus in den von den Stehern begrenzten Feldern angeordneten Füllungen aus Holz sowie einem auf das obere Ende der Steher aufgesetzten und eine Griffleiste bildenden Holm, der als Hohlprofil ausgebildet ist. Hierbei ist die gesamte Griffleiste aus Metall gefertigt, und ein solches Geländer erweckt eher den Eindruck eines Metallgestells. Ein Geländer dieser Art ist nicht nur schwer, sondern auch teuer in der Fertigung. Die Erfindung bezweckt die Vermeidung dieser Nachteile und Schwierigkeiten und stellt sich die Aufgabe, eine Holzabdeckung der eingangs beschriebenen Art zu schaffen, die an einer reinen Holzkonstruktion Verwendung finden kann. Diese Holzabdeckung soll einen Schutz für der Bewitterung ausgesetzte Holzprofile bilden können, ohne dass grundlegende Konstruktionen für diese Holzprofile, wie sie insbesondere bei Balkongeländern, Terrassenabgrenzungen, Stiegengeländern etc, zur Anwendung gelangen, geändert werden müssen. Auch soll die Möglichkeit gegeben sein, eine erfindungsgemäße Holzabdeckung auch nachträglich an einem bereits bewitterten Holzprofil anbringen zu können.

Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch eine Holzabdeckung gelöst, die gekennzeichnet ist durch ein das Holzprofil an dessen oberer Endfläche übergreifbares Metallprofil, das beidseitig seitlich des Holzprofils und im vertikalen und/oder seitlichen Abstand von diesem mit sich längs des Holzprofils erstreckbaren Tropfnasen ausgebildet ist."

Das von der Beklagten bei ihrem steirischen Kunden montierte Balkongeländer unterscheidet sich vom klägerischen Gebrauchsmuster dadurch, dass der Aluminiumhandlauf nicht auf dem Holz aufliegt, sondern lediglich auf den (mit Holz ummantelten) Metallstehern des Balkongeländers ruht. Zwischen den Handläufen und der Holzkonstruktion besteht daher - außer im Bereich der Steher - ein Abstand.

Auf der Messe „Bauen & Wohnen" im Jahr 2005 stellte die Beklagte ausschließlich aus Holz gefertigte Balkongeländerelemente und Blumenkistchen vor, gesondert davon aber auch Alu-Hohlprofile, welche wie oben beschrieben (Balkon des steirischen Kunden) zu montieren gewesen wären.

Bereits 2001 hatte die Beklagte bei einem Metallprofilhändler ein Aluminiumprofil gekauft, um es für Holzabdeckungen von Geländern zu verwenden. In weiterer Folge kaufte die Beklagte diverse andere Profile, darunter auch solche mit ovalem Querschnitt, die sich ebenfalls für Handläufe eigneten, am 16. März 2004 und in der Folge auch Handlaufprofile größerer Breite. Schon 1999 wurden vergleichbare Profile erzeugt und in Österreich angeboten.

Die Klägerin beantragt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, Holzabdeckungen für horizontal oder geneigt angeordnete Holzprofile, insbesondere für einer Bewitterung ausgesetzte Holzprofile, wie Handläufe, Gesimseleisten von Balkongeländern, Terrassengeländern, Stiegen etc, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen oder zu genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen, wenn diese Holzabdeckung als ein das Holzprofil an dessen oberer Endfläche übergreifbares Metallprofil, das beidseitig seitlich des Holzprofils und im vertikalen und/oder seitlichen Abstand von diesem mit sich längs des Holzprofils erstreckbaren Tropfnasen ausgebildet ist, wenn

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und im Sinn des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (RIS-Justiz RS0041774; Zechner in Fasching/Konecny² § 506 Rz 14 mwN) berechtigt.

Die Klägerin wirft der Beklagten zwei Verletzungen ihres Gebrauchsmusters vor, und zwar einerseits den Vertrieb eines Balkongeländers, das eine dem klägerischen Gebrauchsmuster entsprechende Holzabdeckung mittels Aluprofil aufweise, und andererseits eine gebrauchsmusterverletzende Abdeckung bei von der Beklagten vertriebenen Blumenkistchen.

1. Zum Balkongeländer

Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Auffassung des Rekursgerichts an, dass sowohl das tatsächlich ausgeführte Balkongeländer für den steirischen Kunden als auch die gleichartigen Angebote auf der Messe im Jahr 2005 von vornherein nicht geeignet waren, das Gebrauchsmuster der Klägerin zu verletzen. Dieses zielt auf eine metallische Abdeckung eines Holzprofils und bezweckt erklärtermaßen die Vermeidung der Nachteile und Schwierigkeiten von reinen Metallkonstruktionen. Es soll einen Schutz für Witterungseinflüssen ausgesetzte Holzprofile bilden, ohne dass diesen Holzprofilen zugrundeliegende Konstruktionen geändert werden müssen, wie sie insbesondere bei Balkongeländern angewendet werden. Auch eine nachträgliche Abdeckung bereits der Witterung ausgesetzter Holzprofile sollte möglich werden.

Die Beklagte deckte durch das von ihr beim steirischen Kunden verwendete und auch auf der Messe 2005 angebotene Metallprofil hingegen nicht einen hölzernen Handlauf ab, sondern ersetzte diesen. Das Balkongeländer der Beklagten besteht in seiner tragenden Konstruktion aus metallenen Stehern und einem ebensolchen Handlauf. Dass die metallenen Steher mit Holz ummantelt wurden und der Metallhandlauf im Bereich der Steher auch die Stirnseiten der für die Ummantelung verwendeten Holzprofile abdeckt, bewirkt keine Übereinstimmung mit dem klägerischen Gebrauchsmuster. Dieses soll - wie oben dargelegt - horizontale und geneigte Holzprofile vor Witterungseinflüssen schützen und nicht die Stirnseite senkrechter Holzprofile.

Angemerkt wird, dass die dem Rekursgericht vorgeworfene Aktenwidrigkeit im Zusammenhang mit der Beschreibung des klägerischen Gebrauchsmusters nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO; §§ 78, 402 Abs 4 EO).

2. Zur Abdeckung der Blumenkistchen

Die Abdeckung der Oberkanten der hölzernen Blumenkistchen durch aufgeklebte Aluprofile greift in das klägerische Gebrauchsmuster ein, weshalb in diesem Zusammenhang die Einwendungen der Beklagten zu prüfen sind, ihr komme ein Vorbenützungsrecht zu, die dem Gebrauchsmuster der Klägerin zugrundeliegende technische Lösung sei nicht neu, sowohl die Beklagte als auch andere Unternehmen hätten bereits vor dem Prioritätstag vergleichbare Holzabdeckungen aus Metallprofilen hergestellt.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen sind, die Beklagte habe die Nichtigkeit des klägerischen Gebrauchsmusters (ausreichend deutlich) in erster Instanz behauptet. In erster Instanz wurden Haupt- und Sicherungsverfahren gemeinsam geführt, weshalb die „Ergänzung der Klagebeantwortung" auch als weitere Äußerung zum Sicherungsantrag aufzufassen ist, ebenso wie die weitere Protokollierung ergänzenden Beklagtenvorbringens. Die erstinstanzlichen Feststellungen - das Rekursgericht hat zu Recht davon abgesehen, Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung als „an unzutreffender Stelle nachgetragene Feststellung" zu werten - reichen allerdings nicht aus, abschließend zu beurteilen, ob das klägerische Gebrauchsmuster nicht über den Stand der Technik hinausging, also nicht neu iSd § 3 Abs 1 GMG war, und, wenn dies zu verneinen und die Neuheit daher zu bejahen ist, ob der Beklagten ein Vorbenützungsrecht gemäß § 5 Abs 1 GMG zukommt, weil sie die Erfindung bereits vor dem Prioritätstag gutgläubig im Inland benützt oder die hiefür erforderlichen Veranlassungen getroffen hat.

Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass die Beklagte bereits im Jahr 2001 ein Aluminiumprofil mit der Bezeichnung B 09 kaufte, um es für die Holzabdeckung von Geländern zu verwenden. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang aber, ob dieses Geländerprofil B 09, wie seine Abbildung in der Preisliste Beilage ./I nahelegt, in Kombination mit einem U-Profil verwendet oder ob lediglich das Geländerprofil (Oberteil) auf ein Holzprofil (allenfalls speziell angepassten) Querschnitts aufgesetzt wurde und gleichartige Profile etwa auch als Abdeckung für Blumenkistchen gedient haben. Ebenso fehlen Feststellungen zur Behauptung der Beklagten, ebenfalls im Holzbalkon- und Geländerbau tätige Unternehmen hätten gleichfalls vor dem Prioritätstag Metallprofile zur Holzabdeckung verwendet, und zwar in einer Weise, die dem Gebrauchsmuster entspricht.

Trifft es zu, dass dem klägerischen Gebrauchsmuster vergleichbare Metallprofile vor dem Prioritätstag (4. Juli 2003) zur Holzabdeckung verwendet wurden, so ist das Gebrauchsmuster wegen fehlender Neuheit nichtig. Sollte zumindest die Beklagte eine dem klägerischen Gebrauchsmuster entsprechende Erfindung bereits vor dem Prioritätstag gutgläubig benützt haben, käme ihr ein Vorbenützerrecht iSd § 5 GMG zu, sodass sich die Klägerin ihr gegenüber nicht auf das Gebrauchsmuster berufen könnte.

Erweist sich die dem klägerischen Gebrauchsmuster zugrundeliegende Erfindung hingegen als neu und kommt der Beklagten auch kein Vorbenützerrecht zu, muss noch geprüft werden, ob die dem klägerischen Gebrauchsmuster zugrundeliegende Erfindung auf einem erfinderischen Schritt iSd § 1 Abs 1 GMG beruht.

Der Oberste Gerichtshof hat bislang lediglich festgehalten, dass für Gebrauchsmuster eine gewisse erfinderische Leistung gefordert wird, die Erfindungsqualität jedoch bloß in geringerem Ausmaß gegeben sein muss, als dies für die Patentierung erforderlich ist (4 Ob 6/96 = ÖBl 1996, 200 - Wurfpfeilautomat mwN).

Der Oberste Patent- und Markensenat hat ausgesprochen, es sei nicht zu untersuchen, ob sich der Gegenstand für einen Durchschnittsfachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Während beim Patent das Schutzhindernis der fehlenden Erfindungshöhe erst überwunden sei, wenn etwas „Nicht-Naheliegendes" geschaffen werde, seien im Bereich des Gebrauchsmusters die materiellen Schutzvoraussetzungen geringer; gefordert sei nur ein erfinderischer Schritt, für den ein geringeres Ausmaß an Erfindungsqualität genüge, als es für eine Patentierung erforderlich wäre (OGM 1/04 = PBl 2005, 39 - Präsentationsvorrichtung). Das bloße Vorhandensein eines technischen Effekts reiche für das Vorliegen eines erfinderischen Schritts nicht aus, denn ein (bekannter) technischer Effekt könne auch mit bekannten Mitteln erreicht werden. Wenn der erzielte Effekt neu sei, das heißt erstmals erzielt werde, dann könne dies auf einen erfinderischen Schritt schließen lassen (OGM 1/01 = PBl 2003, 94 - Bodenkonstruktion; Weiser, GMG², 484). Der Begriff des erfinderischen Schritts (der wegen der Verwandtschaft mit dem patentrechtlichen Terminus „inventive step" in Art 56 EPÜ kritisiert wird [Kucsko, Geistiges Eigentum, 975 mwN]) bedarf daher einer Abgrenzung von der für die Patentierbarkeit geforderten Erfindungshöhe. Goebel (Der erfinderische Schritt nach § 1 GebrMG, Rz 485) kommt nach eingehender Untersuchung (der diesbezüglich der österreichischen Rechtslage entsprechenden deutschen Rechtslage, Rz

363) zum Ergebnis, dass sich eine Erfindung als auf einem erfinderischen Schritt beruhend definieren lasse, wenn sie mit dem durchschnittlichen Fachkönnen des Fachmanns einerseits grundsätzlich zwar auffindbar sei, andererseits sich für ihn aber „nicht ohne Weiteres aus dem Stand der Technik ergibt". Für die Praxis sei eine solche mögliche Legaldefinition schlagwortartig auch dahin formulierbar, dass zur Anerkennung der gebrauchsmusterrechtlichen Erfindungshöhe objektiv eine Leistung vorliegen müsse, „die über fachmännische Routine hinausgeht".

Ungeachtet der in diesem Zusammenhang missverständlichen Formulierung des § 3 Abs 2 letzter Satz GMG („Bei der Beurteilung der Frage, ob sich die Erfindung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt..."; hiezu Goebel aaO Rz 363) schließt sich der erkennende Senat dem Definitionsvorschlag von Goebel an. Für das Vorliegen eines erfinderischen Schritts bedarf es daher nicht einer Leistung, die sich für einen Fachmann mit durchschnittlichem Können als nicht naheliegend aus dem Stand der Technik ergibt (Erfindungshöhe für Patent), es genügt vielmehr eine über die fachmännische Routine hinausgehende Lösung, die aber für den Durchschnittsfachmann grundsätzlich auffindbar ist. Wird „erfinderischer Schritt" in diesem Sinn verstanden, so ist sein Vorliegen beim klägerischen Gebrauchsmuster zu bejahen, wird doch eine Aufgabe in vorteilhafter Weise gelöst (vgl OGM 1/04). Wird ein Metallprofil samt Abtropfnasen als Abdeckung auf einem horizontalen oder geneigten, den Witterungseinflüssen ausgesetzten Holzprofil aufgebracht, so wird damit ein Schutz erreicht, der über den Stand der Technik (Blechabdeckung) hinausgeht.

Im fortzusetzenden Verfahren wird die Sachverhaltsgrundlage zur Frage der bestrittenen Neuheit und Vorbenützung im aufgezeigten Sinn zu verbreitern sein, um abschließend beurteilen zu können, ob die Beklagte durch die beanstandeten Holzabdeckungen der Blumenkistchen in das klägerische Gebrauchsmuster eingegriffen hat. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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