OGH 4Ob103/06k

OGH4Ob103/06k12.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Max Urbanek, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei B ***** GesmbH, *****, vertreten durch Brandl & Talos, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 4.547,41 EUR sA, über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Dezember 2005, GZ 60 R 165/05b-14, mit welchem aus Anlass der Berufung der Klägerin das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 29. August 2005, GZ 1 C 907/04w-10, teilweise als nichtig aufgehoben und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird in ihrem noch nicht rechtskräftig erledigten Teil an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem die Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte hatte einen Telefon-Mehrwertdienst eingerichtet. Sie bot den Dienst unter einer ihrer Telefonnummern an, die jener der Klägerin sehr ähnlich war. Diese Ähnlichkeit hatte zuvor immer wieder dazu geführt, dass Kunden der Klägerin irrtümlich bei der Beklagten anriefen. Die Klägerin hatte die Beklagte aus diesem Grund erfolglos um eine Änderung ihrer Rufnummer ersucht. Für einen gewissen Zeitraum wurden Anrufer des Mehrwertdienstes zur Klägerin weitergeleitet. Aufgrund dieses Sachverhalts begehrte die Klägerin, vertreten durch einen Anwalt, außergerichtlich Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR und die Unterfertigung und Veröffentlichung eines strafbewehrten Unterlassungsvergleichs. Die Veröffentlichung sollte die Beklagte mit weiteren 10.000 EUR „ablösen" können.

Nach einiger Korrespondenz einigten sich die Parteien auf den Abschluss eines vollstreckbaren Unterlassungsvergleichs. Der Schadenersatzanspruch blieb strittig. Der Klagsvertreter führte dazu in einem Schreiben an den Beklagtenvertreter aus, dass der Vergleich nicht weitere „Schadenersatzansprüche" erfassen sollte, und zwar 2.447,41 EUR an Kosten anwaltlicher Vertretung, 2.000 EUR für interne Fehlerrecherche und Kundenbetreuung, und 100 EUR für „generelle" Unkosten. In einer angeschlossenen Kostennote schlüsselte der Klagsvertreter diese Kosten auf. Als „Angelegenheit" war darin „Unterlassung nach UWG; § 43 ABGB wg. sittenwidriger Verbindung zu einer Mehrwertnummer" angeführt. Die Bemessungsgrundlage betrug 36.000 EUR.

Die Beklagte bot eine Unterlassungserklärung an, lehnte aber die „Schadenersatzansprüche" ab.

Am 27. 4. 2004 schlossen die Parteien vor dem Handelsgericht Wien einen prätorischen Unterlassungsvergleich. Die Beklagte verpflichtete sich darin zur Bezahlung der Pauschalgebühr. Die Schadenersatzansprüche wurden im Vergleich nicht erwähnt. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die schon vor dem Vergleichsabschluss strittigen 4.547,41 EUR (2.447,41 EUR Vertretungskosten wie in der außergerichtlichen Kostennote aufgeschlüsselt, 2.000 EUR für Fehlerrecherche und Kundenbetreuung, 100 EUR „generelle" Unkosten). Zur Begründung beruft sie sich auf das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten, das diesen Schaden verursacht habe. Der „Hauptanspruch" sei durch den prätorischen Vergleich erledigt worden. Daher könnten die „außergerichtlich aufgelaufenen Kosten" mit Klage geltend gemacht werden. Die Kosten seien für das Aufforderungsschreiben an die Beklagte mit der „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung", weitere Korrespondenz mit der Beklagten, interne Korrespondenz und die Tagsatzung zum Abschluss des prätorischen Vergleichs angefallen.

Die Beklagte wandte ein, dass die Vertretungskosten nach § 47 Abs 1 ZPO bereinigt seien. Eine „Fehlerrecherche" sei nicht notwendig gewesen, die geltend gemachten Kosten seien zudem überhöht. Aufrechnungsweise wandte die Beklagte „analog zu § 43 ZPO" ihre eigenen Vergleichskosten in Höhe von 1.529,04 EUR ein. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 2.100 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Die Klagsforderung bestehe in Bezug auf die Fehlerrecherche, die Kundenbetreuung und die generellen Unkosten zu Recht. Der Bestand der Gegenforderung sei nicht erwiesen. Die Vertretungskosten seien von der Bereinigungswirkung des § 47 Abs 1 ZPO erfasst.

Das Berufungsgericht hob den abweisenden Teil des Ersturteils samt dem zugrunde liegenden Verfahren als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Die vorprozessualen Vertretungskosten seien (auch) akzessorisch zum noch strittigen Zahlungsbegehren gewesen und hätten daher nicht gesondert eingeklagt werden können. Vielmehr wären sie in die Kostennote aufzunehmen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Klägerin erhobene Rekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat von Amts wegen einen Nichtigkeitsgrund wahrgenommen, der in erster Instanz nicht geprüft worden war. Dagegen ist der Vollrekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig; auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage kommt es nicht an (RIS-Justiz RS0116348; zuletzt mwN 2 Ob 295/05d). § 528 Abs 2 Z 3 ZPO steht dem nicht entgegen, weil ein Beschluss des Berufungsgerichts iSv § 519 ZPO zu beurteilen ist und zudem gerade die Frage, ob die Klägerin einen bloßen Kostenanspruch geltend macht, einer Klärung bedarf (4 Ob 69/89 = SZ 62/94).

2. Vorprozessuale Kosten können wegen der Akzessorietät des Kostenersatzanspruchs nur dann selbstständig eingeklagt werden, wenn ein Prozess in der Hauptsache nicht mehr möglich ist (RIS-Justiz RS0111906, RS0036070). Das kann sich etwa daraus ergeben, dass der Hauptanspruch durch Erfüllung oder Verzicht erloschen ist (2 Ob 390/97k) oder dass darüber ein Vergleich geschlossen wurde (4 Ob 165/00v). Für Anwaltskosten gilt das nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0120431) trotz des neu eingefügten § 1333 Abs 3 ABGB. § 23 RATG hat als speziellere Norm Vorrang vor dieser Bestimmung.

3. Im vorliegenden Fall kann die Klägerin einen Unterlassungsanspruch wegen des darüber geschlossenen vollstreckbaren Vergleichs nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg geltend machen. Dieser Vergleich begründet zwar nicht die Einrede der entschiedenen Sache (RIS-Justiz RS0037242). Es fehlen nun aber das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage (RIS-Justiz RS0037242) und die für einen Unterlassungsanspruch materiell erforderliche (RIS-Justiz RS0037456, RS0037660) Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr. Wenn schon das Angebot eines vollstreckbaren Vergleichs die Wiederholungsgefahr im Regelfall ausschließt (RIS-Justiz RS0079899), dann um so mehr der tatsächliche Abschluss. Das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses und der Wiederholungsgefahr müsste zur Abweisung einer Unterlassungsklage führen.

Hätte der Kläger von Anfang an nur den Unterlassungsanspruch geltend gemacht, wäre daher die Akzessorietät der Kostenforderung durch Erledigung des Hauptanspruchs jedenfalls weggefallen. Der Kläger könnte die Kosten daher gesondert einklagen. Die Bereinigungswirkung von § 47 Abs 1 ZPO wäre - wie jede Vergleichswirkung - auf materiellrechtlicher Ebene zu prüfen.

4. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, dass die Klägerin zunächst neben der Unterlassung auch den nun teilweise eingeklagten Schadenersatz begehrt hatte. Nach Auffassung des Berufungsgerichts haben sich die nun eingeklagten Kosten auch auf das Schadenersatzbegehren bezogen, weswegen die Akzessorietät insgesamt nicht aufgehoben sei.

Tatsächlich macht die Klägerin aber nur jene Kosten geltend, die bei der außergerichtlichen Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs angefallen sind. Nach ihrem Vorbringen beziehen sich die Kosten auf den mit Vergleich erledigten „Hauptanspruch", also auf das Unterlassungsbegehren. Die dem Klagebegehren zugrunde liegende (außergerichtliche) Kostennote bestätigt das: Darin ist zwar auch das erste Aufforderungsschreiben verzeichnet, das nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Schadenersatz gerichtet war. Als „Angelegenheit" wird aber nur „Unterlassung" aufgrund Wettbewerbs- und Namensrechts genannt; auch die Bemessungsgrundlage von 36.000 EUR ist typisch für solche Ansprüche. Damit ist offenkundig, dass sich die begehrten Kosten nur auf den bereits erledigten Anspruch beziehen.

4.2. In der Entscheidung 9 ObA 155/91 hat der Oberste Gerichtshof zwar ausgesprochen, dass eine vorprozessuale Kostenforderung ihren akzessorischen Charakter auch dann nicht verliert, wenn sie sich auf den erledigten Teil einer Forderung bezieht, deren anderer Teil noch offen ist. Voraussetzung dafür sei, dass die Teilforderungen nach § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen wären. Das träfe hier zu, da die Ansprüche der Klägerin auf demselben Wettbewerbsverstoß beruhten und daher in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl 4 Ob 105/88).

Der Senat sieht sich allerdings nicht in der Lage, diese Auffassung aufrecht zu erhalten. Die Akzessorietät des Kostenrechts ist damit begründet, dass die Kostenforderung nach dem in der ZPO angeordneten Erfolgsprinzip dem prozessualen Schicksal der Hauptforderung folgen soll. Diese Argumentation greift aber nicht mehr, wenn sich die Kostenforderung ausschließlich auf einen Teil einer Forderung bezieht, der nicht eingeklagt wurde und auch nicht mehr eingeklagt werden kann. Hier ist nicht ersichtlich, warum der Ausgang eines Prozesses über einen anderen Forderungsteil über die Berechtigung dieses Kostenbegehrens entscheiden soll. Daraus, dass die Teilforderungen zusammenzurechnen wären, wenn sie gemeinsam eingeklagt würden, kann nicht abgeleitet werden, dass das Schicksal der ausschließlich für eine der Teilforderungen angefallenen Kosten vom Erfolg bei der Durchsetzung der anderen Teilforderung abhängen soll. Damit fällt aber der tragende Grund für die Akzessorietät der Kostenforderung weg. Das führt zur Zulässigkeit des Rechtswegs für die Durchsetzung des strittigen Ersatzbegehrens.

5. Aus diesem Grund war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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