OGH 6Ob108/06k

OGH6Ob108/06k24.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Dr. Rainer Brachtel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach Margarete W*****, verstorben 30. Dezember 2001, zuletzt *****, vertreten durch die erbserklärte Erbin Dr. Hermine M*****, diese vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 4.692,67 sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2005, GZ 39 R 312/05d-25, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 20. Mai 2005, GZ 30 C 48/04f-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erblasserin verstarb am 30. 12. 2001. Die Klägerin begehrt die seit 1. 1. 2002 aushaftenden Mietzinse für die Wohnung Nr 6 im Haus *****. Die beklagte Partei stellte außer Streit, dass seit 1. 1. 2002 kein Mietzins geleistet wurde und ein Mietzinsrückstand in Höhe des Klagebegehrens bestehe. Die Verlassenschaft sei überschuldet; Nachlassaktiva in Höhe von EUR 3.899,66 stünden Passiva in Höhe von EUR 3.515,59 gegenüber. Abzüglich der privilegierten Begräbniskosten verbleibe lediglich ein Guthaben in Höhe von EUR 1.277,66. Der Antrag der erbserklärten Erbin auf Eröffnung des Verlassenschaftskonkurses sei vom Verlassenschaftsgericht abgewiesen worden. Auf Grund der bedingten Erbserklärung bestehe gegenüber den Gläubigern nur eine Haftung bis zum Wert des Nachlasses bei der Einantwortung. Der Erbe habe nach der Einantwortung - ebenso wie der Vertreter des ruhenden Nachlasses zuvor - dafür zu sorgen, dass die Befriedigung der Gläubiger ordnungsgemäß vor sich gehe und kein Gläubiger begünstigt werde. Die Verteilung richte sich nach den entsprechend anzuwendenden Regeln der Konkursordnung und des Erbrechtes. Die eingeklagte Forderung gehe anderen Forderungen wie den Gerichtsgebühren und den Gerichtskommissionskosten, aber auch den Begräbniskosten im Range nach. Da die betragsbeschränkte Haftung der erbserklärten Erbin keine Exekutionsbeschränkung, sondern eine Minderung ihrer materiell-rechtlichen Verpflichtung bedeute, könne dieser Umstand im vorliegenden Verfahren eingewendet werden. Die genaue Höhe und der Bestand der Forderung könnten nur mit den Mitteln der außerstreitigen Verlassenschaftsverfahrens geklärt werden. Die klagende Partei müsse ihre Forderung im Verlassenschaftsverfahren anmelden und sei auf die Zuteilung der ihr zustehenden Quote im Rahmen der kridamäßigen Verteilung nach § 73 AußStrG 1854 verwiesen. Die Klage sei daher unzulässig. Hilfsweise wandte die beklagte Partei ein, die Klagsforderung sei nicht fällig.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Im vorliegenden Verfahren könne nicht geprüft werden, ob die Klagsforderung in dem ihr zukommenden Rang volle Deckung findet, weil dies von den Ergebnissen des Verlassenschaftsverfahrens abhänge. Dies führe jedoch nicht zur Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges, sondern dazu, dass im vorliegenden Verfahren keine quotenmäßige Kürzung der Forderung vorgenommen werden könne. Mangels Feststellbarkeit der Quote habe ein voller Zuspruch der Forderung stattzufinden.

Das Berufungsgericht wies die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges ausdrücklich zurück und gab im Übrigen der Berufung nicht Folge. Eine dem Konkursverfahren (§ 6 KO) analoge Unterbrechung eines anhängigen streitigen Verfahrens gegen den Nachlass sehe das Außerstreitgesetz im Falle der Überlassung an Zahlungsstatt nicht vor. Einem Verlassenschaftsgläubiger sei es auch nicht zumutbar, die allfällige Einleitung eines Verteilungsverfahrens im Sinne des „§ 154 AußStrG 04" abzuwarten und damit die Gefahr einer Verjährung seiner Forderung in Kauf zu nehmen. Die rechtskräftige Entscheidung über die gesamte Forderung hindere nicht deren Anmeldung und quotenmäßige Befriedigung im Verlassenschaftsverfahren. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes sei daher nicht erkennbar. Mit Beschluss vom 22. 3. 2006 erklärte das Berufungsgericht in Abänderung des ursprünglichen Zulässigkeitsausspruches die ordentliche Revision für zulässig, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Einleitung eines Verfahrens zur kridamäßigen Verteilung des Nachlassvermögens gemäß „§ 154 AußStrG 2005" bzw § 73 AußStrG 1854 die Durchsetzung einer dieser Verteilung unterliegenden Forderung im streitigen Rechtsweg hindere, nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass nach der ausdrücklichen Übergangsbestimmung des § 205 AußStrG 2003 die Bestimmungen dieses Gesetzes auf Verlassenschaftsverfahren anzuwenden sind, die nach dem 31. 12. 2004 erstmals bei Gericht oder beim Gerichtskommissär anhängig gemacht wurden, sofern sie nicht schon früher eingeleitet hätten werden können. Damit ist im Hinblick auf den Todestag der Erblasserin 30. 12. 2002 im vorliegenden Fall noch das AußStrG 1854, nicht aber das vom Berufungsgericht angezogene AußStrG 2003, BGBl I 2003/111 (vom Berufungsgericht als „AußStrG 04" und „AußStrG 2005" bezeichnet) anzuwenden. Inhaltlich besteht zwischen der insoweit noch anzuwendenden Rechtslage nach § 73 AußStrG 1854 und § 154 Abs 1 AußStrG 2003 jedoch, soweit für den vorliegenden Fall von Belang, kein Unterschied.

2. Der Umstand, dass das Erstgericht in der Tagsatzung vom 1. 9. 2004 (ON 12) über Widerspruch der beklagten Partei das Versäumungsurteil vom 16. 3. 2004 (ON 6) aufhob, obwohl die Beklagte bereits Einspruch gegen den Zahlungsbefehl erhoben hatte (§ 442a Abs 1 Satz 2 ZPO), wurde weder von den Parteien noch von den Vorinstanzen releviert, sodass dieser - trotz des Rechtsmittelausschlusses des § 397a Abs 3 ZPO wegen fehlender Rechtsgrundlage für seine Erlassung anfechtbare (1 Ob 576/91; 7 Ob 291/00w) - Beschluss des Erstgerichtes in Rechtskraft erwachsen ist.

3. Nach § 73 Abs 1 AußStrG 1854 hat das Verlassenschaftsgericht, wenn der Nachlass unbedeutend und nach den Umständen zu vermuten ist, dass nur die dringendsten Verlasenschaftsschulden berichtigt werden können, die Parteien über die Beschaffenheit und den Wert des Nachlasses sowie über den Betrag der Krankheits- und Leichenkosten und anderer mit besonderem Vorrechte verbundener Forderungen zu vernehmen und das dadurch erschöpfte Vermögen den Gläubigern an Zahlungsstatt zu überlassen. Die Überlassung der Nachlassaktiva an die Gläubiger ist eine von Amts wegen getroffene Maßnahme des Verlassenschaftsgerichts, die den Zweck verfolgt, bei Überschuldung des Nachlasses auf kostengünstige Weise ein der Abwicklung eines Konkurses vergleichbares Ergebnis zu erzielen (vgl 5 Ob 549/84 uva). Im Übrigen ist die Befriedigung der Verlassenschaftsgläubiger nicht Sache des Verlassenschaftsgerichts, sondern des Vertreters des Nachlasses. Dieser hat für eine Befriedigung der Gläubiger nach der gesetzlichen Ordnung Sorge zu tragen (4 Ob 589/83 = JBl 1984, 553; 6 Ob 34/01w; Kralik, Erbrecht 348; Welser in Rummel, ABGB³ § 548 Rz 1). Nach der Einantwortung hat der Erbe dafür zu sorgen, dass die Befriedigung der Gläubiger nach der gesetzlichen Ordnung vor sich gehe und kein Gläubiger unrechtmäßig begünstigt werde (6 Ob 574/90 = NZ 1991, 248; 8 Ob 37/05g).

4.1. Der Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges wurde bereits von den Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend verworfen. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Die im Konkursverfahren vorgesehene Prozesssperre (§§ 6, 7 KO) ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Prüfungsverfahren im Konkurs durch Anmeldung und Prüfung der Forderung die Möglichkeit eröffnet, auf kostengünstige Weise zu einem Exekutionstitel in Form des Auszuges aus dem Anmeldungsverzeichnis (§ 1 Z 7 EO) zu gelangen. Für das Verlassenschaftsverfahren fehlt eine vergleichbare Vorschrift. Für eine von der beklagten Partei angestrebte analoge Anwendung der §§ 6, 7 KO fehlt jede Grundlage, zumal im vorliegenden Verfahren auch noch keineswegs feststeht, ob es überhaupt im Sinne der Behauptung der beklagten Partei zu einer kridamäßigen Verteilung des Nachlasses kommen wird. Die bloße Anmeldung einer Forderung im Verlassenschaftsverfahren kann niemals zu einem Exekutionstitel und auch nicht zu einer rechtskraftfähigen Entscheidung über den Bestand der Forderung führen; diese wird im Verlassenschaftsverfahren vielmehr überhaupt nicht geprüft. Im Hinblick auf diese Rechtslage würde es aber eine Verkürzung des aus Art 6 MRK ableitbaren Justizgewährungsanspruches der klagenden Partei bedeuten, wollte man diese bloß auf die Möglichkeit der Forderungsanmeldung im Verlassenschaftsverfahren verweisen. Dass es im Zuge des Verfahrens zur kridamäßigen Verteilung kein Prüfungsverfahren im Sinne der §§ 102 ff KO gibt, entspricht der herrschenden Auffassung (vgl nur Weiß in Klang2 III 1030).

4.2. Auch die Neuregelung der kridamäßigen Verteilung durch §§ 154 ff AußStrG 2003, womit das von der Praxis entwickelte Institut der kridamäßigen Verteilung eine nähere gesetzliche Regelung erfuhr, sieht keine Prozesssperre vor. Vielmehr führen die Materialien aus, dass derjenige, der über die zugewiesene Quote hinaus Ansprüche geltend machen wolle, auf einen Zivilprozess gegen die durch einen Kurator vertretene Verlassenschaft zu verweisen sei (vgl ErlRV zu § 154 AußStrG 2003, abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG 460). Damit geht der historische Gesetzgeber zweifellos implizit von der Möglichkeit der Erhebung einer Leistungsklage aus, ist doch nicht ersichtlich, in welcher anderen Form in diesem Zusammenhang eine Klage dem weitere Ansprüche behauptenden Gläubiger zu Erfolg verhelfen sollte.

5.1. Auch für einen der Revisionswerberin offenbar vorschwebenden Ausspruch einer bloß quotenmäßigen Haftung der beklagten Partei besteht keine Grundlage. Die Verlassenschaft schuldet unstreitig den Klagsbetrag; sie haftet demgemäß - im Gegensatz zum bedingt erbserklärten Erben (vgl nur Koziol/Welser II12 10) - grundsätzlich auch unbeschränkt. Die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft zur Befriedigung aller Forderungen hat lediglich Einfluss auf die faktische Durchsetzbarkeit von Ansprüchen, nicht aber auf den Umfang der Haftung.

5.2. Nach neuerer Auffassung ist in den Urteilsspruch auch keine Einschränkung dahingehend aufzunehmen, dass die Verpflichtung zur Zahlung nur „nach Zulangen der Verlassenschaft", nach Maßgabe der Verlassenschaftsaktiva oder ähnliches zu erfüllen ist (vgl 3 Ob 68/82 = JBl 1984, 317 unter Berufung auf SZ 50/79 [zu einem Begehren auf Leistung „nach Zulangen der Versicherungssumme"]; zur abweichenden älteren Rsp vgl Krasnopolski/Kafka, Erbrecht [1914] 229 FN 2).

5.3. Der beklagten Partei ist einzuräumen, dass im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, bei Überschuldung des Nachlasses müsse der Verlassenschaftskurator (Gleiches müsste für den die Verlassenschaft vertretenden erbserklärten Erben gelten) die Haftungsbeschränkung im Prozess einwenden (Weiß in Klang2 III 1031; Welser in Rummel, ABGB³ § 548 Rz 1 und § 802 Rz 8 aE). Diese Auffassung geht - soweit ersichtlich - auf Weiß (in Klang2 III 1031) zurück. Demnach habe das Urteil einen Betrag zu bestimmen, mit welchem der Vorbehaltserbe nach den Ergebnissen der Gläubigereinberufung zur Zahlung herangezogen werden könne, sobald ihm die Erbschaft eingeantwortet worden sei. Diese - in keiner Weise näher begründeten - Ausführungen vermögen jedoch nicht zu erklären, warum die bloß faktische Unzulänglichkeit der Verlassenschaft auch zu einer Beschränkung ihrer Haftung im Rechtssinne führen soll. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage bei der Haftung des Erben, der im Fall einer bedingten Erbserklärung nur nach Maßgabe der übernommenen Aktiva haftet, von derjenigen bei der direkten Inanspruchnahme der Verlassenschaft. Soweit sich Weiß (aaO) auf Krasnopolski/Kafka, Erbrecht [1914] 291 FN 3, beruft, ist ihm zudem entgegenzuhalten, dass diese Autoren dort die Haftung des Erben, nicht diejenige der Verlassenschaft behandeln.

5.4. Jene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, nach denen die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft zur Befriedigung der Gläubiger bereits im Titelverfahren eingewendet werden muss (vgl 6 Ob 574/90 = NZ 1991, 248; 2 Ob 563/93; 3 Ob 2384/96a; 3 Ob 53/99m), beziehen sich durchwegs auf Verfahren, in denen der Kläger - entweder ursprünglich (so möglicherweise in dem der Entscheidung 3 Ob 53/99m zugrundeliegenden Titelverfahren) oder auf Grund einer während des Verfahrens erfolgten Einantwortung (so in den Entscheidungen 6 Ob 574/90 = NZ 1991, 248; 2 Ob 563/93; 3 Ob 2384/96a) - Ansprüche gegen den Erben geltend machte. Soweit ersichtlich wurde lediglich in einer einzigen Entscheidung, nämlich in 3 Ob 68/82 (= JBl 1984, 317), diese Auffassung auch für den Fall vertreten, dass die Verlassenschaft unmittelbar in Anspruch genommen wird. Dieser Auffassung kann aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt werden.

5.5 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Parallele zur Masseinsuffizienz nach der Rechtslage vor der Einführung des § 124a KO durch die InsNov 2002 hinzuweisen: Diese begründet nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung keine Prozesssperre, sodass die Massegläubiger ihre Ansprüche im Erkenntnisverfahren durchsetzen und Exekutionstitel erwerben können (Riel, Befugnisse des Masseverwalters 132 f; ebenso zur neuen Rechtslage nach der InsNov 2002 Konecny, Masseunzulänglichkeit und ihre Folgen, Insolvenzforum 2002, 61 [82]; Engelhart in Konecny/Schubert § 47 KO Rz 11). Soweit zur Rechtslage nach der InsNov 2002 im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, nach Bekanntmachung der Masseunzulänglichkeit könnten Altmassegläubiger keine Leistungsklage, sondern nur mehr Feststellungsklage erheben (Mohr, Insolvenzrecht 2002, 86; G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, KO4 § 124a Rz 25 [in Druck]; ebenso die herrschende Meinung in Deutschland, vgl nur BGH ZIP 2003, 914 mwN; weitere Nachweise bei Engelhart in Konecny/Schubert § 47 KO Rz 11 aE), ist dies vor dem Hintergrund zu sehen, dass § 124a KO ein ausdrückliches Zahlungsverbot normiert. Das Gericht dürfe aber keinen Leistungsbefehl schaffen, der einem gesetzlichen Zahlungsverbot widerspreche. Für das Verlassenschaftsverfahren besteht aber weder ein ausdrückliches Zahlungsverbot noch - und zwar auch nicht nach der detaillierteren Regelung der Überlassung an Zahlungsstatt durch das AußStrG 2003 - eine § 124a KO vergleichbare Exekutionssperre. Im Übrigen sind nach § 124a KO Neumassegläubiger, deren Forderung nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit entstanden, jedenfalls zur Gänze zu befriedigen (Konecny, Insolvenzforum 2002, 86; G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, KO4 § 124a Rz 31 [in Druck]).

5.6. Außerdem begegnet die von der beklagten Partei offenbar angestrebte Berücksichtigung der Höhe der zur Verfügung stehenden Aktiva bereits im Titelverfahren gewichtigen praktischen Bedenken:

Jede Änderung der Höhe der Aktiva oder der Passiva müsste dann nicht nur Einfluss auf die Höhe der bei Überlassung an Zahlungsstatt zuzuweisenden Quote, sondern auch auf die Höhe der auszusprechenden titelmäßigen Verpflichtung entfalten, sodass diesbezügliche Änderungen jeweils zur Notwendigkeit einer Wiederaufnahmsklage führen würden (vgl Kralik, Erbrecht 356 FN 4). Dies ist besonders unbefriedigend, weil im Verlassenschaftsverfahren nur eine vorläufige Wertermittlung erfolgt (24 BlgNR 22. GP 95). Auch allfälliges ausländisches Vermögen des Erblassers, das nicht der Kognition des inländischen Verlassenschaftsgerichtes unterliegt, wäre dem Zugriff des Gläubigers entzogen, könnte dieser - wie von der Revisionswerberin vertreten - nur eine Feststellungsklage erheben.

5.7. Zudem gibt es im Konkursverfahren einen zur Wahrung der Interessen aller Beteiligten verpflichteten Masseverwalter und die Möglichkeit eines Abhilfeantrages (§ 124 Abs 3 KO) an das Konkursgericht. Im Verlassenschaftsverfahren besteht demgegenüber für Gläubiger kein vergleichbarer Rechtsschutz. Auch Vorschriften über eine Rechtskrafterstreckung im Sinne des § 112 KO sowie über die Beteiligung der (konkurrierenden) anderen Gläubiger am Verfahren im Sinne der §§ 102 ff KO fehlen (vgl auch Kropiunig, Das Verhältnis der §§ 813 ff ABGB zur Konkurseröffnungspflicht bei Überschuldung des Nachlasses, NZ 1993, 97 [101], die in Hinblick auf diese Schwierigkeiten für bestimmte Konstellationen die Einleitung eines Nachlasskonkurses empfiehlt). Das bloße Zuwarten, ob der Vertreter der Verlassenschaft die Befriedigung der Gläubiger nach den - auch bei kridamäßiger Verteilung anzuwendenden - Grundsätzen der §§ 46 ff KO verteilt, stellt jedenfalls keine Alternative zur Rechtsdurchsetzung in einem förmlichen Gerichtsverfahren dar.

5.8. Schließlich wäre ein Ausspruch der Beschränkung der Haftung der Verlassenschaft auch deswegen nicht sinnvoll, weil unter bestimmten Voraussetzungen auch der bedingt erbserklärte Erbe im größeren Umfang haftet. Die bedingte Erbserklärung und die Errichtung eines Inventars entfalten nämlich nur dann volle Wirkung, wenn sie mit einer Gläubigerkonvokation (§ 813 ff ABGB) verbunden sind (Koziol/Welser II12 532). Unterlässt der Erbe die Gläubigerkonvokation, so muss er ohne Rücksicht auf die Erschöpfung des Nachlasses einem späteren Gläubiger dasjenige leisten, worauf dieser bei Berücksichtigung aller bisher bekannten Gläubiger Anspruch gehabt hätte (§ 815 ABGB; Koziol/Welser II12 532).

5.9. Demgemäß entspricht es auch der herrschenden Lehre (Koziol/Welser II12 532; Welser in Rummel, ABGB³ § 811 Rz 1; Eccher in Schwimann, ABGB³ § 815 Rz 4) und Rechtsprechung (JB 20 = GlU 1957), dass die Gläubiger ihre Forderungen weiterhin einklagen können und gegen den Nachlass Exekution geführt werden kann. § 813 ABGB sieht lediglich die Möglichkeit der Innehaltung der Befriedigung der Gläubiger bis zum Ablauf der Ediktalfrist vor; während dieses Zeitraumes (LG Innsbruck RpflSlgE 1998/15) ist auch ein Antrag auf Aufschiebung der Exekution möglich (§ 42 Abs 1 Z 6 EO idF BGBl 1995/519; Heller/Berger/Stix I 543; Jakusch in Angst, EO § 42 Rz 51). Aus dieser Bestimmung ist aber im Umkehrschluss abzuleiten, dass dem Gesetz ein weitergehendes Leistungsverweigerungsrecht der Verlassenschaft wegen angeblicher Unzulänglichkeit fremd ist.

5.10. Dass aus der faktischen Unzulänglichkeit des Wertes der Verlassenschaft zur Befriedigung aller Forderungen keine Haftungsbeschränkung im Rechtssinne abzuleiten ist, ergibt sich auch aus der dem Anfechtungsrecht zugrundeliegenden Wertung: Zweck der Konkursanfechtung ist ja die Wahrung der Gleichbehandlung der Gläubiger. Die Konkursanfechtung zielt darauf ab, im Wege einer Gestaltungsklage (König, Anfechtung³ Rz 2/10; abweichend Koziol/Bollenberger in Bartsch/Pollak/Buchegger, KO4 § 27 Rz 18) die zwischen dem Schuldner und dem Anfechtungsgegner abgeschlossene Rechtshandlung gegenüber den Gläubigern für unwirksam zu erklären. Die Wirkung zwischen dem Schuldner und dem Anfechtungsgegner wird dem gegenüber auch durch eine erfolgreiche Anfechtung nicht beseitigt. Dazu kommt, dass nach österreichischem Recht dem Masseverwalter ein Anfechtungsmonopol zukommt (König, Anfechtung³ Rz 17/1); anders als etwa nach angloamerikanischem Recht kann der Schuldner selbst daher nie die Anfechtungsklage erheben. Dies ist letztlich Konsequenz der Relativität der Anfechtung, also des Umstandes, dass die Unwirksamerklärung der von ihm gesetzten Rechtshandlung nur im Verhältnis zu den Gläubigern, nicht auch im Verhältnis zwischen dem Schuldner und seinem Vertragspartner erfolgt. Kann aber der Schuldner selbst den Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung nicht mittels Anfechtungsklage geltend machen, spricht dies dagegen, dem Schuldner im Titelverfahren den Einwand zu eröffnen, im Hinblick auf die Gläubigergleichbehandlung sei er nur zur quotenmäßigen Befriedigung einer feststehenden Forderung berechtigt.

5.11. Die §§ 154 ff AußStrG 2003 bzw die Verteilungsgrundsätze der Konkursordnung sind daher lediglich Handlungsanweisungen an das Verlassenschafts- bzw Konkursgericht, den Vertreter der Verlassenschaft und den Masseverwalter; daraus ist aber keine beschränkte Haftung der Masse abzuleiten.

6. Dazu kommt, dass es sich im vorliegenden Fall bei der Forderung für die nach dem Tod der Erblasserin fällig gewordenen Mietzinse um

Masseforderungen im Sinne des § 46 Abs 1 Z 5 KO handelt (2 Ob 68/56 =

EvBl 1956/157; 5 Ob 48/72 = MietSlg 24.695; 5 Ob 549/84; LG St. Pölten 10 R 84/04m; vgl auch Engelhart in Konecny/Schubert § 46 KO Rz 298); ein Eintrittsrecht wurde im vorliegenden Fall nicht behauptet. In diesem Sinne wurde schon zur Rechtslage nach § 73 AußStrG 1854 vertreten, dass Mietzinse für die Wohnung der Erblasserin nach ihrem Tod bis zur Beendigung des Mietverhältnisses sowie die den Vermietern zwecks Durchsetzung ihres Räumungsanspruches gegenüber der Verlassenschaft auflaufenden Kosten als Masseforderungen zu behandeln sind (2 Ob 68/56 = EvBl 1956/157; 5 Ob 48/72 = MietSlg 24.695; 5 Ob 549/84; LG St. Pölten 10 R 84/04m; vgl auch Engelhart in Konecny/Schubert § 46 KO Rz 298). Dies ist nunmehr durch ausdrücklichen Verweis des § 154 Abs 2 Z 1 AußStrG 2003 auf die §§ 46, 47 KO ausdrücklich klargestellt.

Dieser Verweis umfasst ausdrücklich nicht nur die Masseforderungen als solche, sondern auch den ihnen zukommenden Rang im Fall der Masseunzulänglichkeit (§ 47 KO). Demnach sind vorweg die Kosten des Verfahrens zu befriedigen (§ 47 Abs 2 Z 1 und 2 KO) und nach Befriedigung bestimmter im vorliegenden Fall keine Rolle spielenden Forderungen alle übrigen Masseforderungen verhältnismäßig zu befriedigen (§ 47 Abs 1 Z 6 KO). Diese Auffassung gilt auch für die kridamäßige Verteilung nach dem AußStrG 1854. Die Entscheidung 5 Ob 549/84, wonach Mietzinsforderungen den Bestattungskosten im Rang vorgingen, ist durch die Neufassung des § 47 KO durch Art I Z 7 IRÄG 1997 überholt. Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin geht daher der Anspruch auf Erstattung der Kosten eines einfachen Begräbnisses (§ 46 Abs 1 Z 7 KO) der Klagsforderung nicht vor, sondern genießt den gleichen Rang wie diese.

7.1. Die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft zur Befriedigung aller Verlassenschaftsforderungen führt daher lediglich dazu, dass faktisch die Durchsetzung von Forderungen nicht oder nicht zur Gänze möglich ist. Dieser ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnende Umstand rechtfertigt aber keine Annahme einer Haftungsbeschränkung.

7.2. Dabei ist auch nicht zu besorgen, dass ein „vorpreschender" Gläubiger durch Klags- und Exekutionsführung die in den §§ 46 ff KO und §§ 154 ff AußStrG 2003 (§ 73 AußStrG 1854) vorgesehenen Verteilungsgrundsätze unterläuft, weil sich jeder Verlassenschaftsgläubiger dagegen durch Stellung eines Antrages auf Eröffnung des Verlassenschaftskonkurses wehren kann. Sofern der Vertreter der Verlassenschaft in Erfüllung seiner diesbezüglichen Verpflichtung eine Befriedigung der Nachlassgläubiger nach den Grundsätzen der §§ 46 ff KO vornimmt, wird eine Exekution eines einzelnen Gläubigers schon aus praktischen Gründen ins Leere gehen. Zudem besteht die Möglichkeit von Sicherungsmaßnahmen nach §§ 43 ff AußStrG 1854 (vgl dazu 5 Ob 549/84). Schließlich können sich die anderen Gläubiger gegen ein derartiges Vorgehen eines einzelnen Gläubigers durch einen Antrag auf Eröffnung eines Verlassenschaftskonkurses, für den im Übrigen - entgegen der Rechtsansicht der beklagten Partei - nicht das Bezirksgericht, sondern wegen der Eigenschaft des Nachlasses als juristische Person der Gerichtshof erster Instanz zuständig wäre (Holzhammer, Insolvenzrecht5 203; Mohr in Konecny/Schubert § 182 KO Rz 1; G. Kodek, Privatkonkurs Rz 45 aE) schützen. Diesfalls besteht jedenfalls eine Prozesssperre (§§ 6, 7 KO); allfällige bereits geleistete Zahlungen an einen Gläubiger wären anfechtbar. In diesem Fall wäre auch Kostendeckung für das Konkursverfahren gegeben, weil auch Anfechtungsansprüche zur Kostendeckung geeignetes Vermögen bilden können (vgl §§ 71 Abs 4, 71a Abs 1 KO). Im Hinblick auf diese Rechtslage wird es ein Gläubiger in aller Regel unterlassen, im Wege der Exekutionsführung eine überproportionale Befriedigung seiner Forderung zu versuchen, weil er sich damit der Anfechtung aussetzen würde. Allenfalls bestehen schließlich auch Ausgleichsansprüche zwischen den Gläubigern (dazu ausführlich S. Kropiunig, Ausgewählte Fragen der Nachlassseparation [1993] 213 ff).

8. Zusammenfassend führt daher die Unzulänglichkeit der Verlassenschaft nicht zu einer Beschränkung ihrer Haftung; im Titelverfahren ist die Verlassenschaft vielmehr zur Zahlung der geschuldeten Forderung in voller Höhe zu verurteilen. Über eine allfällige Haftung der Vertreterin des Nachlasses gegenüber den anderen Verlassenschaftsgläubigern wegen verspäteter Räumung und damit Entstehens erheblicher Masseforderungen, was zur völligen Aushöhlung des Nachlasses führte, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher im Ergebnis als frei von Rechtsirrtum, sodass der unbegründeten Revision ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 41, 50 ZPO.

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