OGH 1Ob264/05p

OGH1Ob264/05p4.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Rosenthal, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die (zweit-)beklagte Partei W***** Vertriebs GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johann Essl, Rechtsanwalt in Werfenweng, wegen EUR 14.625,95 sA, infolge „außerordentlicher Revision" der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2005, GZ 1 R 67/05m-21, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte von der (zweit-)beklagten Partei die Zahlung von EUR 14.625,95 an offenen Provisionen bzw Schadenersatz wegen Provisionsentgangs. Die beklagte Partei habe das Vertragsverhältnis zu Unrecht mit sofortiger Wirkung aufgelöst, obwohl nur eine ordentliche Kündigung zulässig gewesen wäre. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene „außerordentliche Revision" der klagenden Partei legte das Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vor. Diese Vorgangsweise widerspricht der seit Inkrafttreten der WGN 1997 geltenden Rechtslage:

Hatte das Berufungsgericht - wie im Anlassfall - über Klagebegehren gegen verschiedene Beklagte zu entscheiden, so ist die Zulässigkeit der Revision nach der Höhe des Entscheidungsgegenstands jedes einzelnen Rechtsstreits zu beurteilen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 2 JN iVm § 11 Z 1 ZPO vorliegen, diese also materielle Streitgenossen sind (Kodek in Rechberger ZPO2 § 502 Rz 1). Eine materielle Streitgenossenschaft liegt hier jedoch nicht vor. Eine solche wäre dann anzunehmen, wenn die Streitgenossen in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stünden oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet wären. Eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund im Sinne des § 11 Z 1 ZPO setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Tatbestand voraus, ohne dass für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten (SZ 60/277; SZ 56/162; RIS-Justiz RS0035450). Diese Vorraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die klagende Partei leitet ihre Forderungen gegen die beklagten Parteien aus zwar gleichartigen, aber doch jeweils getrennten Vertragsverhältnissen ab, sodass der ihrem Klagebegehren jeweils zugrundeliegende rechtserzeugende Sachverhalt nicht derselbe ist. Wenngleich die vorzeitige Beendigung der Vertragsverhältnisse durch ein- und dieselbe Person mit derselben Begründung und in einer Erklärung erfolgte, ergeben sich daraus nicht zwingend gleiche Rechtsansprüche. Die Klagebegehren haben somit lediglich gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche im Sinne des § 11 Z 2 ZPO zum Gegenstand. Es handelt sich bei den beklagten Parteien um bloß formelle Streitgenossen; die gegen sie gerichteten Ansprüche sind für die Frage der Rechtsmittelzulässigkeit nicht zusammenzurechnen (§ 55 Abs 1 Z 2, Abs 5 JN).

Der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, überstieg zwar hinsichtlich der erstbeklagten Partei den maßgeblichen Wert von 20.000 EUR, nicht aber hinsichtlich der zweitbeklagten Partei, für die der Entscheidungsgegenstand zwischen 4.000 und 20.000 EUR liegt. In einem solchen Fall kann eine Partei gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO einen beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, dieses möge seinen Ausspruch dahin abändern, dass die ordentliche Revision doch (nachträglich) für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen. Erhebt in diesen Fällen eine Partei Revision, so ist diese dem Berufungsgericht vorzulegen. Dies gilt auch, wenn sie als „außerordentliche" Revision bezeichnet ist. Der Oberste Gerichtshof darf über eine derartige „außerordentliche" Revision nur und erst dann entscheiden, wenn das Revisionsgericht gemäß § 508 Abs 3 aussprechen sollte, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Dies gilt auch dann, wenn in einer „außerordentlichen" Revision kein Abänderungsantrag im Sinn des § 508 Abs 1 ZPO gestellt wird, weil dieser Mangel gemäß § 84 Abs 3 ZPO verbesserbar ist. Das Erstgericht wird die „außerordentliche Revision" bezüglich der (zweit-)beklagten Partei dem Berufungsgericht vorzulegen haben. Die Akten sind daher dem Erstgericht zurückzustellen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte