OGH 1Ob272/05i

OGH1Ob272/05i7.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land N*****, vertreten durch Dr. Markus Ludvik, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gemeindeverband W*****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen EUR 209.357,27 sA und Feststellung (Streitwert EUR 10.900,93), infolge „außerordentlichen" Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Oktober 2005, GZ 15 R 136/05p-6, womit der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 16. August 2005, GZ 25 Nc 25/05w-3, in der Ablehnungssache gegen den Richter des Landesgerichts Korneuburg Dr. Otto B***** bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Im Rechtsstreit 5 Cg 58/99y des Landesgerichts Korneuburg lehnte die beklagte Partei am 21. 9. 2004 den Verhandlungsrichter Dr. Otto B***** wegen Befangenheit (erstmals) ab. Nach Vorliegen dessen Äußerung zum Ablehnungsantrag (ON 92) wurde dieser insbesonders mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen einer Befangenheit nicht vorlägen, weil die beklagte Partei die behaupteten Ablehnungsgründe im Hinblick auf § 21 Abs 2 JN verspätet geltend gemacht habe. Dieser Beschluss wurde nicht bekämpft und erwuchs in Rechtskraft( 25 Nc 31/04a). Auf die Äußerung des abgelehnten Richters wurde in der Entscheidung zumindest insoweit inhaltlich nicht eingegangen, als dieser darin unter anderem zum Ausdruck gebracht hatte, er verachte die Vorgangsweise, nach geschehenem (ärztlichen) Fehler selbst bei erdrückender Beweislage „noch alles zu unternehmen, um dem ohnehin gesundheitlich beeinträchtigten Opfer auch noch den Zugang zu seiner finanziellen Entschädigung zu vereiteln oder zu erschweren", und frage sich in diesen Fällen, „ob für die betreffenden Ärzte Menschlichkeit überhaupt noch einen Stellenwert" habe.

Am 15. 6. 2005 lehnte die beklagte Partei den Verhandlungsrichter neuerlich wegen Befangenheit ab. Dem Beklagtenvertreter sei zufällig dessen Äußerung im Akt 5 Cg 30/02p des Landesgerichts Korneuburg vom 23. 9. 2001 zu ihrem dortigen Ablehnungsantrag zur Kenntnis gelangt. In den in dieser Äußerung gebrauchten - gleich wie zum vorigen Ablehnungsantrag lautenden - Formulierungen dokumentiere sich die Voreingenommenheit des Richters sowie dessen negative Grundeinstellung gegenüber der beklagten Partei.

Der Verhandlungsrichter verwies auf seine Stellungnahme ON 92 und hielt diese aufrecht.

Das Erstgericht wies auch diesen Ablehnungsantrag zurück. Der abgelehnte Richter führe mehrere Verfahren, in denen die Ablehnungswerberin als Partei auftrete. In einem dieser Verfahren habe die Ablehnungswerberin - im Wesentlichen mit derselben Begründung - ebenfalls einen Ablehnungsantrag gestellt. Dieser sei bereits rechtskräftig zurückgewiesen worden. Der dort erhobene Vorwurf sei Gegenstand auch des vorliegenden Ablehnungsantrags. Das nunmehrige Vorbringen zum Vorliegen von Ablehnungsgründen habe bereits Eingang in das Vorverfahren gefunden und sei dort rechtskräftig erledigt worden, weshalb „entschiedene Rechtssache" vorliege. Zudem stelle die „zum Gegenstand des Ablehnungsantrags genommene Stellungnahme" schon deshalb keinen Befangenheitsgrund dar, weil der abgelehnte Richter darin zum Ausdruck gebracht habe, er gehe dennoch „an jede Rechtssache mit der beklagten Partei unvoreingenommen heran". Eine Befangenheit sei daher nicht zu erkennen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs gemäß § 24 Abs 2 JN jedenfalls unzulässig sei. Die „zum Gegenstand der neuerlichen Ablehnung gemachten Formulierungen" seien auch „in der Äußerung vom 27. 9. 2004 (ON 92) gemacht" worden und somit der Beurteilung durch den zuständigen Senat des Erstgerichts in dessen Entscheidung über den (ersten) Ablehnungsantrag unterzogen worden. Eine neuerliche Beurteilung ein und derselben Verhaltensweise des abgelehnten Richters sei ausgeschlossen.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete „außerordentliche" Revisionsrekurs der beklagten Partei ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Unzulässigkeit ist - entgegen der Ansicht des Rekursgerichts - nicht im § 24 Abs 2 JN begründet. Wenn nämlich - wie hier - das Gericht zweiter Instanz die Zurückweisung eines Ablehnungsantrags durch das Erstgericht ohne meritorische Prüfung der Ablehnungsgründe aus formellen Gründen „bestätigt", kommt § 24 Abs 2 JN nicht zur Anwendung und steht der Rechtszug an die dritte Instanz zwecks Prüfung dieser formellen Gründe grundsätzlich offen (RIS-Justiz RS0044509). Nach ständiger Rechtsprechung setzt aber jedes Rechtsmittel eine Beschwer - also ein Anfechtungsinteresse - voraus. Fehlt es im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel an einer Beschwer, die zum Zeitpunkt des Einlangens des Rechtsmittels noch bestand, ist das ursprünglich zulässige Rechtsmittel zurückzuweisen (Kodek in Rechberger, ZPO², Rz 9 zu vor § 461 mwN). Ein solcher Fall liegt hier vor:

Nach der Aktenlage ist das Verfahren, im Zuge dessen der hier zu behandelnde Ablehnungsantrag gestellt wurde, rechtskräftig beendet, denn das Urteil des Berufungsgerichts vom 2. 12. 2005 (ON 104) wurde nicht bekämpft, die Rechtsmittelfrist ist längst verstrichen. Voraussetzung einer (erfolgreichen) Geltendmachung des Ablehnungsrechts wäre aber, dass in der Hauptsache noch ein Rechtsmittel an die dritte Instanz offen stünde, in dem die Ablehnung als Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO (Teilnahme eines wegen Befangenheit erfolgreich abgelehnten Richters an der Entscheidung) geltend gemacht werden könnte. Nach rechtskräftiger Beendigung des Hauptverfahrens ist die Ablehnung nicht mehr zulässig, heilt doch der Mangel des Nichtigkeitsgrunds nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung (1 Ob 199/99t mwN). Da selbst die Nichtigkeit infolge Teilnahme eines mit Erfolg abgelehnten Richters durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung geheilt wird (vgl Kodek aaO § 529 Rz 3), sodass eine Wiederaufrollung des Verfahrens aus diesem Grunde ausgeschlossen ist, fehlt dem Ablehnungswerber ein rechtlich geschütztes Interesse daran, die Befangenheit des Verhandlungsrichters nach rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache geltend zu machen (1 Ob 273/99z). Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen, ohne dem Rekursgericht zuvor einen Ausspruch über die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzutragen, zumal der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses ohnehin nicht an den Ausspruch des Rekursgerichts gebunden wäre.

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