OGH 9ObA40/05f

OGH9ObA40/05f22.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef W*****, Zugbegleiter, *****, vertreten durch Dr. Willibald Rath ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, Elisabethstraße 9, 1010 Wien, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen EUR 199,30 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. Dezember 2004, GZ 7 Ra 109/04k-14, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juli 2004, GZ 36 Cga 62/04x-9, in der Hauptsache bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 166,66 (darin EUR 27,78 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 19. 5. 1981 bei der Beklagten beschäftigt und zwar zuletzt als Zugbegleiter (Qualitätszugchef) im Geschäftsbereich Personenverkehr Regionalleitung Steiermark, Graz Hauptbahnhof. Seine Tätigkeit verrichtet er überwiegend in bewegten Zügen, aber auch in stehenden Zügen sowie im Bahnsteig- und Gleisbereich. Dazu zählen: 25 Minuten vor Abfahrt des Zuges die Zugsvorbereitung (Kontrollieren von Beleuchtung, Heizung und Lüftung); die Begleitung von Regional- und Fernzügen mit betrieblichen und kundendienstlichen Tätigkeiten; die Zugdaten- und -statistikführung; das Schließen der Türen und die Abfertigung; das Bedienen der Zugfunkanlage; das Bedienen der Gegensprechanlage (FDL-Bahnsteig); fallweise Verschubarbeiten (Auf- und Festdrehen der Kupplungsspindel).

Am 4. 11. sowie vom 12. 11. bis 14. 11. 2003 fand wegen der geplanten Eingriffe in die privatrechtlichen Dienstverträge der Eisenbahner durch die von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwürfe und wegen der von der Regierung geplanten Umstrukturierung der Beklagten, wovon auch der Kläger betroffen gewesen wäre, ein von der Gewerkschaft der Eisenbahner organisierter Streik statt. Die Streikmaßnahmen, die sich auf alle Geschäftsbereiche erstreckten, führten zu einem völligen Erliegen des Zugverkehrs, weshalb es der Beklagten während dieser Zeiträume nicht möglich war, Personen- und Güterzüge zu führen.

Der Kläger, der nicht Mitglied der Gewerkschaft ist, hatte am 4. 11. 2003 von 8.16 Uhr bis 17.28 Uhr und am 14. 11. 2003 von 6.29 Uhr bis 17.40 Uhr Dienstschichten. Er erschien an beiden Tagen pünktlich zur Arbeit, um diese aufzunehmen und war jeweils während der gesamten Arbeitsschicht im Betrieb der Beklagten anwesend. Er ließ sich auch jeweils in eine von einem Streikposten geführte Liste als „nicht streikend" eintragen. Mangels Zugsverkehrs wurde der Kläger nicht eingesetzt. Wegen Urlaubssperre wäre ihm auch die Konsumation eines Urlaubs nicht möglich gewesen. Die Beklagte kürzte die Bezüge des Klägers entsprechend den Streikzeiten, nämlich für 4. 11. 2003 in der Zeit von 8.16 Uhr bis 12.00 Uhr und für 14. 11. 2003 in der Zeit von 6.29 Uhr bis 17.40 Uhr.

Der Kläger begehrt die Zahlung des seiner Ansicht nach zu Unrecht einbehaltenen Differenzbetrags von EUR 199,30 brutto sA. Er sei an beiden Tagen nachweislich arbeitsbereit gewesen. Trotz des Streiks, an dem er nicht teilgenommen habe, habe er gemäß § 1155 ABGB vollen Lohnanspruch.

Die Beklagte wendete ein, dass die Streikmaßnahmen im Streikzeitraum zu einem völligen Erliegen des Zugverkehrs geführt haben. Ihr sei es daher nicht möglich gewesen, den Kläger zu beschäftigen. Die Umstände, die zum Nichtzustandekommen der Dienstleistungen an den Streiktagen führten, seien nicht auf ihrer Seite gelegen. Der Kläger habe nachweislich vom Streik profitiert. Die Streikmaßnahmen hätten tatsächlich bewirkt, dass die Bundesregierung von ihren geplanten Eingriffen in das Dienstrecht Abstand genommen habe. Der von der Gewerkschaft initiierte rechtswidrige „politische Streik", der zur Unmöglichkeit der Beschäftigung des Klägers geführt habe, sei nicht der Sphäre der Beklagten zuzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt. Es ging auf der Grundlage der wiedergegebenen Außerstreitstellungen und Feststellungen in rechtlicher Hinsicht zusammenfassend davon aus, dass dem arbeitswilligen Kläger gemäß § 1155 ABGB ein Entgeltanspruch zustehe, weil dem österreichischen Recht der Grundsatz fremd sei, einem leistungsbereiten Arbeitnehmer den individuellen Entgeltanspruch dadurch streitig zu machen, dass man ihn kollektiv der Sphäre der Arbeitnehmer, von denen der Streik ausgegangen sei, zuordne.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung nur hinsichtlich des die gesetzlichen Zinsen von 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens Folge; im Übrigen bestätigte es das klagestattgebende Ersturteil. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Die Arbeitsbereitschaft des Klägers sei nicht bloß eine scheinbare gewesen. Der Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers sei nach § 1155 ABGB zu bejahen. Die von Teilen der Lehre angenommene „Interessensolidarität" der Nichtstreikenden mit den Streikenden überzeuge nicht und sei daher nicht geeignet, den individuellen Lohnanspruch eines Arbeitswilligen zu schmälern. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage des Entgeltanspruchs arbeitswilliger Arbeitnehmer im Fall eines schlichten Teilstreiks eine neuere Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In der zu 8 ObA 23/05y ergangenen Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof zur grundsätzlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auch nicht streikenden arbeitswilligen Arbeitnehmern das Entgelt verweigern kann, unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstands der Lehre Stellung genommen. Der erkennende Senat schließt sich - wie schon in der Entscheidung 9 ObA 71/05i vom 25. 1. 2006 - diesen Ausführungen an, sodass es ausreicht, darauf zu verweisen. Es gehört zu den Organisationspflichten des Arbeitgebers, mit denen auch die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht einher geht, dafür Sorge zu tragen, dass die am Streik nicht beteiligten Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsbereitschaft ernstlich und ausdrücklich erklären, darüber informiert werden, dass ihre Dienste streikbedingt nicht in Anspruch genommen werden. Den Arbeitgeber trifft somit grundsätzlich die Obliegenheit, den Arbeitnehmer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die angebotene Arbeitsleistung nicht annehmen will oder kann. Er kann sich daher nicht erst im Nachhinein darauf berufen, die Arbeitsbereitschaft des im Betrieb anwesenden Arbeitnehmers sei für ihn deshalb nicht von Vorteil gewesen, weil wegen des Streiks des Großteils der Belegschaft der gesamte Betrieb stillgestanden sei.

Im vorliegenden Fall ist der Kläger jeweils zum planmäßigen Dienstbeginn im Betrieb erschienen, hat - soweit ihm dies nach den Umständen möglich war - seine Arbeitsbereitschaft bekundet und die gesamte planmäßige Dienstzeit in den Betriebsräumlichkeiten verbracht. Damit hat er seine Arbeitsbereitschaft angeboten, ohne dass es zu deren Zurückweisung durch die Beklagte gekommen wäre, die ihm insbesondere auch nicht die Möglichkeit eröffnet hat, mit ihrem Einverständnis den Betrieb zu verlassen und die vorgesehene Dienstzeit anderweitig zu nutzen. Die schon in 8 ObA 23/05y geforderte (ernstliche und ausdrückliche) Erklärung, die Dienste des Klägers (streikbedingt) nicht in Anspruch zu nehmen, hat die Beklagte somit nicht abgegeben. Dass und gegebenenfalls aus welchen Gründen ihr eine solche Erklärung nicht möglich gewesen wäre, wurde von der Beklagten nicht vorgebracht. Hat sie aber die Entgegennahme der angebotenen Arbeitsleistungen nicht abgelehnt, kann sie die Zahlung des auf die Streiktage entfallenden Lohns schon aus diesem Grund nicht verweigern (s. 9 ObA 71/05i).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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