OGH Ds6/05

OGHDs6/0521.2.2006

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter hat am 21. Februar 2006 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zechner, Dr. Prückner und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin, in der Disziplinarsache gegen den Richter des Landesgerichtes ***** wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 101 Abs 1 RDG, über die (als „Berufung" bezeichnete) Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Disziplinargericht für Richter vom 11. April 2005, GZ Ds 10/02-78, nach Anhörung des Generalprokurators den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben; der Antrag des Disziplinaranwaltes auf Verhängung einer Ordnungsstrafe wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien erstattete am 3. Juli 2002 gegen den Disziplinarbeschuldigten wegen mehrerer Pflichtverletzungen Disziplinaranzeige (Tag des Einlangens beim Oberlandesgericht Graz als Disziplinargericht für Richter: 16. Juli 2002). Gegenstand des Verfahrens ist nur mehr das unter Punkt IV. der Disziplinaranzeige konkretisierte Verhalten des Disziplinarbeschuldigten: Er habe mit Schreiben vom 4. Jänner 2002 die Finanzprokuratur nach dem AHG aufgefordert, einen Widerruf iSd § 1330 ABGB abzugeben, weil der ***** Visitator am Landesgericht ***** in einem Schreiben (Entwurf zum Regelrevisionsbericht) sowohl über ihn persönlich als auch über die von ihm als Richter geleistete Arbeit wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt habe. Nach Ablehnung des Widerrufsbegehrens habe der Disziplinarbeschuldigte mit weiterem Schreiben vom 18. Februar 2002 die Finanzprokuratur nach dem AHG aufgefordert, einen Schadenersatz von 1.453,46 EUR (= 20.000 S) zu zahlen. Der Schaden sei ihm erwachsen, weil ***** als Visitator am Landesgericht ***** rechtswidrig und schuldhaft vorgegangen sei. Dadurch sei ihm eine zusätzliche, in der Geschäftsverteilung des Landesgerichtes ***** nicht vorgesehene Arbeit entstanden. Er sei berechtigt gewesen, den rechtswidrigen Angriff auf seine berufliche Leistung und auf seine persönliche und berufliche Ehre, den ***** völlig grundlos unternommen habe, zurückzuweisen und abzuwehren. Dies habe für ihn Arbeit ausgelöst, zu der er nach der Geschäftsverteilung nicht verpflichtet gewesen sei, und zwar in der Dauer von ca 4 Wochen, welche er vorwiegend an Samstagen erledigt habe. Als Richter könne er derartige durch nichts begründete unwahre und dazu noch aktenwidrige Vorwürfe eines Verwaltungsorganes nicht einfach mit Stillschweigen übergehen, weil er dadurch in der Folge (etwa bei Bewerbungen) beruflichen Schaden erleiden könnte. Das Bundesministerium für Justiz habe mit Erlass vom 6. Mai 2002 mitgeteilt, dass der Ersatzanspruch im administrativen Aufforderungsverfahren nach § 8 AHG zur Gänze verweigert worden sei. Daraus ergebe sich, dass sich der Disziplinarbeschuldigte untauglicher Rechtsverfolgungen bediente, die geeignet seien, die Achtung vor dem Richterstand zu schmälern. Zufolge dessen habe er die Pflicht zu ordnungsgemäßem Verhalten außer Dienst (§ 57 Abs 3 Satz 1 RDG) gröblich verletzt.

Die Oberstaatsanwaltschaft Graz beantragte (ON 3), gemäß § 123 Abs 1 RDG gegen den Disziplinarbeschuldigten ua wegen des wiedergegebenen Verhaltens die Disziplinaruntersuchung einzuleiten. Diese zur Rechtsverfolgung untauglichen Vorgangsweisen seien geeignet gewesen, die Achtung vor dem Richterstand zu schmälern.

Der Disziplinarbeschuldigte führte in seiner Stellungnahme vom 23. August 2002 (ON 6) aus, (auch) dieser Anschuldigungspunkt sei unzulässig. Es habe sich nur um eine Aufforderung nach dem AHG gehandelt, welche - im Übrigen wegen eines völlig identen Sachverhaltes - nur ergänzt worden sei; weiters habe einmal die Erledigung urgiert werden müssen. Hätte ***** den Inhalt der zwei Seiten, die er über den Disziplinarbeschuldigten verfasst habe (Visitationsbericht), als Privatmann verbreitet, wäre er von ihm geklagt worden. Wegen einer im AHG bestehenden Rechtsschutzlücke habe der Disziplinarbeschuldigte aber gegen den Visitator nichts unternehmen können. Dies verstoße seines Erachtens gegen Art 13 EMRK. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei zu Nr 7543/76 ein Verfahren gegen die Republik Österreich anhängig. In diesem Zusammenhang sei die Bescheinigung notwendig, dass es keine innerstaatliche Klagsmöglichkeit mehr gebe oder diese ineffektiv sei. Der Disziplinarbeschuldigte erachte es daher als unzulässig, dass man ihn in Österreich disziplinär dafür verfolgen wolle, weil er in einem beim EGMR anhängigen Verfahren einen Vorlageauftrag des zuständigen Referenten dieses Gerichtshofes befolgt habe.

Das Disziplinargericht fasste am 7. Oktober 2002 den Beschluss (ON

14) auf Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs 1 RDG

ua wegen der Verletzung der Verpflichtung, sich außer Dienst

vorwurfsfrei zu benehmen und alles zu unterlassen, was die Achtung

vor dem Richterstand schmälern könnte (§ 57 Abs 3 RDG). Die

Disziplinaruntersuchung richtete sich gegen vom

Disziplinarbeschuldigten verwendete Formulierungen in seinen zur

Rechtsverfolgung gegen die Republik Österreich wegen des Berichtes

des Oberlandesgerichtes Wien zu Jv 12.780-17b/00 über die

Regelrevision des Landesgerichtes ***** konkretisierten

Aufforderungen

a) vom 4. Jänner 2002 mit den darin enthaltenen Vorwürfen gegen den

visitierenden *****, hinsichtlich dessen „.......

Wahrheitswidrigkeiten ...., die er kannte oder kennen musste, .... im

Minibericht ... ein Sammelsurium von plumpen Aktenwidrigkeiten ....,

die ihn (den Disziplinarbeschuldigten) ..... offensichtlich nicht nur

persönlich ... unter Verletzung § 16 ABGB ..., sondern auch beruflich

herabsetzen .... und als schwarzes Schaf brandmarken ... sollen ...."

geltend gemacht werden, und

b) vom 18. Februar 2002 mit dem gegen den ***** erhobenen Vorwurf eines gesetz-, wahrheits-, aktenwidrigen und mobbinghaften Vorgehens, „welches in besonders krasser Form jedweder Objektivität Hohn" spreche.

Zur Begründung führte das Disziplinargericht aus, der Verfahrenseinlassung des Disziplinarbeschuldigten sei insofern zuzustimmen, als in der abstrakten Intention des Disziplinarbeschuldigten zu bloßer Rechtsverfolgung, also darin, dass er an die Finanzprokuratur zwei Aufforderungsschreiben nach dem Amtshaftungsgesetz gerichtet habe und insoweit den Widerruf des von ihm als verunglimpfend empfundenen Visitationsberichtes anstrebe, kein Verstoß gegen § 57 Abs 3 RDG erblickt werden könne. In seiner Einvernahme durch den Untersuchungskommissär am 18. November 2003 (ON 36) gab der Disziplinarbeschuldigte an, er habe den Visitator ***** weder beleidigen noch verletzen wollen; seine Schreiben seien vielmehr Ausdruck seiner Empörung über eine von ihm empfundene Diskriminierung durch die Art und Weise seiner Visitation und die Beurteilung seiner Person.

Die Oberstaatsanwaltschaft Graz beantragte am 30. Dezember 2003 (ON 39), ua wegen „unsachlicher und beleidigender Formulierungen in Eingaben an die Finanzprokuratur" gemäß § 130 Abs 2 RDG die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung zu beschließen. Der Disziplinarbeschuldigte unterstelle in seinen Aufforderungsschreiben vom 4. Jänner 2002 und vom 18. Februar 2002 dem Visitator nicht nur die Vornahme einer methodisch mangelhaften Revision, sondern darüber hinaus auch die Erstattung eines geradezu bewusst wahrheitswidrigen Revisionsberichtes. Dies wiege umso schwerer, als die Disziplinaruntersuchung die im Rahmen der Revision festgestellten Mängel im Großen und Ganzen bestätigt habe.

Das Disziplinargericht erster Instanz stellte mit Beschluss vom 14. Februar 2005 (ON 71) das gegen ***** eingeleitete Disziplinarverfahren gemäß § 130 Abs 1 RDG ein.

Nach Rechtskraft des Einstellungsbeschlusses wurde mit dem angefochtenen Beschluss vom 11. April 2005 (ON 78) erkannt, der Disziplinarbeschuldigte habe dadurch, dass er in seinen Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur Wien zum Bericht des Oberlandesgerichtes Wien zu AZ Jv 12780-17b/00 über die zwischen dem 12. Oktober 2000 und 28. August 2001 durchgeführte Regelrevision des Landesgerichtes ***** bzw zu den entsprechenden Ausführungen des visitierenden *****, nämlich

a) im Schreiben vom 4. Jänner 2002 die Formulierungen verwendete:

„Wahrheitswidrigkeiten ....., die er kannte oder kennen musste,

.......... im Minibericht .... ein Sammelsurium von plumpen

Aktenwidrigkeiten ...., die ihn (den Disziplinarbeschuldigten) ....

offensichtlich nicht nur persönlich .... unter Verletzung des § 16

ABGB ...., sondern auch beruflich herabsetzen ... und als schwarzes

Schaf brandmarken ... sollen ..." und

b) im Schreiben vom 18. Februar 2002 den Visitierenden eines gesetz-, wahrheits-, aktenwidrigen und mobbinghaften Verhaltens bezichtigte, „welches in besonders krasser Form jedweder Objektivität Hohn" spreche,

die Verpflichtung nach § 57 Abs 3 RDG, sich außer Dienst vorwurfsfrei zu benehmen und alles zu unterlassen, was die Achtung vor dem Richterstand schmälern könnte, verletzt; er habe hiedurch eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 101 Abs 1 zweiter Fall RDG begangen; über ihn werde hiefür gemäß § 103 Abs 1 lit b RDG die Ordnungsstrafe der Verwarnung verhängt.

Der Beurteilung der Formulierungen des Disziplinarbeschuldigten in seinen Aufforderungsschreiben vom 4. Jänner 2002 und vom 18. Februar 2002 an die Finanzprokuratur Wien legte das Disziplinargericht erster Instanz folgenden Sachverhalt zugrunde:

Am 4. Jänner 2002 forderte der Disziplinarbeschuldigte von der Finanzprokuratur unter Hinweis auf den Bericht über die Regelrevision des Landesgerichtes ***** im Jahr 2001 und den ihm am 2. August 2001 übergebenen von ***** verfassten Entwurf mit „wahrheits- und aktenwidrigen .... empörenden Behauptungen" und unter weiterem Hinweis auf die oben schon genannten Beschwerdepunkte den Widerruf der Behauptungen des ***** gegenüber dem leitenden Visitator und dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ausdrücklich als unwahr, dies unter Berufung auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes.

Das Aufforderungsschreiben enthält wörtlich folgende Passagen: Die

„Wahrheitswidrigkeiten ... lasse ich mir von niemand bieten, und

schon gar nicht von *****, dessen Minibericht .... ein Sammelsurium

von plumpen Aktenwidrigkeiten und sonstigen Behauptungen ist, die gemäß § 1330 Abs 2 ABGB meinen beruflichen Kredit und mein berufliches Fortkommen gefährden. Die Wahrheitswidrigkeit seiner Behauptungen kannte er oder musste sie kennen ....." ***** habe ..... ihn .... offensichtlich .... nicht nur persönlich, also auch unter Verletzung der Bestimmung des § 16 ABGB, sondern auch beruflich herabsetzen und als eine Art schwarzes Schaf brandmarken wollen. Sollte der Widerruf ausbleiben, werde er eine Amtshaftungsklage einbringen.

Am 18. Februar 2002 richtete der Disziplinarbeschuldigte ein neuerliches Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur. Dass nach dem Amtshaftungsgesetz nur Geldersatz möglich sei, stelle eine schon vom Höchstgericht festgestellte Rechtsschutzlücke dar. Dass diese noch nicht geschlossen sei, bedeute einen Verstoß gegen Art 13 EMRK, weswegen er bereits eine Individualbeschwerde an den EGMR gerichtet habe. In gesetzwidriger Weise berufe sich das Bundesministerium für Justiz auf eine vermeintliche Unzuständigkeit. Durch das gesetz-, wahrheits- und aktenwidrige sowie mobbinghafte Vorgehen des *****, der „bei seinen Untersuchungen methodisch falsch vorgegangen und .... zu einem Ergebnis mich betreffend gelangt" sei, „welches in besonders krasser Form jedweder Objektivität Hohn" spreche, sei dem Disziplinarbeschuldigten ein Schaden durch zusätzliche, in der Geschäftsverteilung des Landesgerichtes ***** nicht vorgesehene Arbeit „aufgebürdet" worden. ............... Er habe sich etwa vier Wochen lang überwiegend an Samstagen mit der Durchsicht der vom Visitator genannten Akten und den diversen Eingaben befassen müssen. Auch gebühre ihm Schadenersatz als „Mobbingopfer". Er mache 1.453,46 EUR (20.000 S) geltend.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, nach § 57 Abs 3 RDG habe sich ein Richter auch außer Dienst vorwurfsfrei zu benehmen und alles zu unterlassen, was die Achtung vor dem Richterstand schmälern könnte. Die Verbindlichkeit zu vorwurfsfreiem Benehmen bedeute, dass der Richter zu jeder Zeit von einem schuldhaft gesetzten und nicht gerechtfertigten Verhalten abzustehen habe, das sich entweder als Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung darstelle oder den Vorstellungen der mit allgemein anerkannten Werten verbundenen Bevölkerung über das von einem Richter im oder außer Dienst zu erwartende Verhalten zuwiderlaufe.

Ein Verstoß gegen die Vorstellungen der mit den allgemein anerkannten Werten verbundenen Bevölkerung über das von einem Richter zu erwartende Verhalten liege dann vor, wenn durch das Verhalten das Standesansehen (des Richters) nicht gewahrt wurde, ohne dass hiedurch eine Verletzung von anderen Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung eingetreten sei. Unter dem Standesansehen sei das positive Vorstellungsbild zu verstehen, das sich die mit den allgemein anerkannten Werten verbundene Bevölkerung von Richtern und vom Richterberuf mache. Das verlange, dass sich Richter im Interesse ihres Amtes bei öffentlichen Äußerungen Zurückhaltung auferlegen, mag dies auch in einem schwierigen Spannungsverhältnis zu dem auch ihnen eröffneten Recht auf freie Meinungsäußerung stehen. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung erfordere das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen. Auch eine im Wortüberschwang folgende Kritik sei in einer demokratischen Gesellschaft zu tolerieren und nicht mit einer disziplinären Verurteilung zu sanktionieren (Ds 8/01).

Andererseits habe das Höchstgericht (Ds 1/94) zur Beleidigung eines Richterkollegen dargelegt, dass der subjektive Aspekt unerheblich sei, ob der Disziplinarbeschuldigte die in seiner Äußerung eingeschlossene Beschimpfung nicht in Beleidigungsabsicht getan haben wolle. Selbst eine vorangegangene unberechtigte Beschuldigung durch den beleidigten Berufskollegen rechtfertige bzw entschuldige den Disziplinarbeschuldigten nicht. Diesfalls wäre es ihm unbenommen gewesen, zur Verfolgung des anderen Richters geeignete Schritte zu unternehmen. Das Höchstgericht verlange von einem Richter durch Fakten untermauerte Kritik.

Gerade eine solche habe ***** aber unterlassen. Er habe vielmehr weitgehend pauschal den wesentlichen Inhalt des Revisionsberichtes bzw weite Teile davon als unrichtig dargestellt und dem Visitierenden vorsätzliche Rechtswidrigkeiten vorgeworfen. Es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass der seinerzeitige Visitator ***** über die Ergebnisse der von ihm vorgenommenen Untersuchung zu irgendeinem Detail bewusst wahrheitswidrig berichtet und/oder den Vorsatz hatte, dem Disziplinarbeschuldigten zu schaden oder ihn auch nur in ein schlechtes Licht zu setzen. Wenn sich der Disziplinarbeschuldigte ungerechtfertigt behandelt gesehen habe, sei dies aus seiner Sicht nachvollziehbar. Er habe zunächst vergeblich am 7. und 10. August sowie am 2. und 14. November 2001 um Abhilfe bei den vorgesetzten Behörden ersucht, allerdings ohne die seiner Meinung nach unrichtigen Vorhaltungen konkretisiert aufzuzeigen. Letztlich in beleidigender Form Eingaben an die Finanzprokuratur zu formulieren und dem Visitator dort sinngemäß den Missbrauch seines Visitatoramtes vorzuwerfen, könne nicht konsequenzlos hingenommen werden. Wenn in den inkriminierten Eingaben an die Finanzprokuratur schon mangels breiter Öffentlichkeit des diesbezüglichen Verfahrens kein Dienstvergehen erblickt werden könne, so müsse die schuldhaft erhobene, dem Visitator ein vorsätzlich schädigendes Verhalten unterstellende Diktion in den vom Disziplinarbeschuldigten an die Finanzprokuratur gerichteten Aufforderungen vom 4. Jänner 2002 und vom 18. Februar 2002 jedenfalls als Ordnungswidrigkeit beanstandet werden.

Berücksichtige man, dass der Disziplinarbeschuldigte ungeachtet der diesbezüglichen Ausführungen schon im Einstellungsbeschluss nach wie vor darauf beharre, sachgerecht und vorwurfsfrei vorgegangen zu sein, und dass die inkriminierten Äußerungen nicht im Zuge einer emotionellen Aufwallung im Rahmen eines Streitgesprächs, sondern mit Überlegung und schriftlich dargelegt wurden, müsse zur gravierenderen Ordnungsstrafe iSd § 103 Abs 1 lit b RDG gegriffen werden, um den Disziplinarbeschuldigten und mögliche analog anfällige Richterkollegen davon abzuhalten, Kritik in derart beleidigender Form anzubringen, zumal bei der Strafbemessung auch auf Erwägungen der Spezial- und Generalprävention Bedacht zu nehmen sei. Die vom Disziplinarbeschuldigten gegen diesen Beschluss erhobene (unrichtig als „Berufung" bezeichnete) Beschwerde ist im Hinblick darauf, dass § 130 Abs 1 RDG anordnet, bei Einstellung des Disziplinarverfahrens nach den Vorschriften des § 121 RDG vorzugehen, wenn dem Disziplinarbeschuldigten eine mit einer Ordnungsstrafe zu ahndende Pflichtverletzung zur Last liegt, gemäß § 121 Abs 2 RDG zulässig (s dazu 1.597 BlgNR 18. GP, 49 zu § 121 RDG idF BGBl 1994/507; Ds 3/03; Ds 11/05); entgegen der vom Generalprokurator vertretenen Auffassung ist sie auch berechtigt.

Der Disziplinarbeschuldigte macht primär geltend, der angefochtene Beschluss stehe nicht mit dem Gesetz in Einklang, weil gemäß § 103 RDG der Zweck einer Ordnungsstrafe nicht darin liege, eine begangene Pflichtverletzung zu sühnen. Ein anderer Zweck sei aber dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Biete das Verhalten eines Richters größtmögliche Gewähr für die zukünftige Einhaltung der Amts- und Standespflichten, dann liege auch keine mit einer Ordnungsstrafe zu ahndende Ordnungswidrigkeit vor. Er selbst habe konkret unwiderruflich erklärt, dass er sich zur Justizverwaltung dieses Landes nicht mehr äußern werde; bei Problemen vertrete ihn Vizepräsident *****.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wird erwogen:

Gemäß § 101 Abs 2 zweiter Satz RDG ist dann eine Ordnungsstrafe (§ 103 RDG) zu verhängen, wenn kein Dienstvergehen, aber doch eine als Ordnungswidrigkeit zu ahndende Pflichtverletzung vorliegt. Der Zweck der Ordnungsstrafe liegt nicht darin, eine begangene Pflichtverletzung zu sühnen, sondern (bloß) die Erfüllung der Amtspflichten zu sichern (SSt 56/6; RIS-Justiz RS0072472). Gleiches hat auch dann zu gelten, wenn die Ordnungsstrafe erforderlich ist, um die Erfüllung der den Richter treffenden Standespflichten zu sichern. Eine Einschränkung bloß auf Amtspflichten, wie dies dem Wortlaut der ErlBem zur RV des RDG (506 BlgNR 9 GP, 42) entnommen werden könnte, ist im Gesetz, das in § 101 Abs 1 Satz 1 RDG ausdrücklich auf die Verletzung von Standes- oder Amtspflichten Bezug nimmt, nicht gedeckt.

Ist der den disziplinär belangten Richter treffende Verschuldensvorwurf besonders gering und bietet sein Verhalten außerdem größtmögliche Gewähr für die zukünftige Einhaltung der Amts- und Standespflichten, dann liegt auch keine mit einer Ordnungsstrafe zu ahndende Ordnungswidrigkeit vor (Ds 3/03; Ds 11/05). Hier ist nach den Ergebnissen des Disziplinarverfahrens davon auszugehen, dass die gegen den Disziplinarbeschuldigten im Besonderen auf Grund des Berichtes über die Regelrevision erhobenen Vorwürfe, die zur Disziplinaranzeige führten, zumindest insofern unbegründet waren, als ein disziplinär zu ahndendes Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten nicht vorlag. Dem Disziplinarbeschuldigten kann (entgegen der in der Disziplinaranzeige zum Ausdruck kommenden Ansicht des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien) keineswegs als Verletzung der Pflicht zu ordnungsgemäßem Verhalten außer Dienst (§ 57 Abs 3 Satz 1 RDG) zur Last gelegt werden, dass er Aufforderungsschreiben an die Finanzprokuratur nach dem AHG gerichtet hat. Davon ist auch das Disziplinargericht erster Instanz zutreffend ausgegangen. Zu den in diesem Schreiben gebrauchten Formulierungen ist vorweg hervorzuheben, dass es sich hiebei um Äußerungen handelt, die weder für die Öffentlichkeit bestimmt waren, noch dieser zur Kenntnis gelangten. Weiters ist bei deren Beurteilung wesentlich, dass - wie sich aus den vom Erstgericht im Beschluss auf Einstellung des Disziplinarverfahrens gemäß § 130 Abs 1 RDG getroffenen Feststellungen ergibt - nach den zusammenfassenden Erwägungen des Erstgerichts „die im Revisionsbericht erfolgten Beanstandungen nicht in Allem zutreffen und einzelne vom Visitator vorgenommene Wertungen nicht zwingend sind". ... Wenn sich der Disziplinarbeschuldigte ungerechtfertigt behandelt sah, „war dies aus seiner Sicht nachvollziehbar" (S 40 f des Beschlusses vom 14. 2. 2005 ON 71). Bei dieser Sachlage stellen die vom Disziplinarbeschuldigten erhobenen Vorwürfe trotz ihrer scharfen Formulierung noch keinen Wertungsexzess dar. Entgegen dem Standpunkt des Generalprokurators kann hier noch nicht bejaht werden, dass der Disziplinarbeschuldigte das Gebot der Sachlichkeit gravierend verletzt hätte, indem er auf die Beanstandungen im Revisionsbericht massiv überschießend und inhaltlich letztlich in beleidigender Form reagiert hätte. Da dem Disziplinarbeschuldigten demnach bei umfassender Berücksichtigung aller Begleitumstände, insbesondere der teilweisen objektiven Unhaltbarkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe von Fehlleistungen, eine Ordnungswidrigkeit nicht zur Last zu legen ist, war seiner Beschwerde Folge zu geben, der Beschluss erster Instanz aufzuheben und der Antrag des Disziplinaranwaltes auf Verhängung einer Ordnungsstrafe abzuweisen.

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