OGH 10ObS20/06y

OGH10ObS20/06y17.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Vera Moczarski (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine D*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2005, GZ 7 Rs 122/05w-16, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Leistungsrecht der Pensionsversicherung kennt neben den Versicherungsfällen Leistungsvoraussetzungen, deren Erfüllung bei der Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen grundsätzlich erforderlich ist und die sekundäre Leistungsvoraussetzungen genannt werden. Sie sollen den Standort des Leistungswerbers innerhalb der Versichertengemeinschaft, wenn er die Leistung begehrt, abstecken. Einerseits wollen sie durch die Wartezeit (§ 236 ASVG) sicherstellen, dass nur solche Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Gemeinschaft der Versicherten bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben. Andererseits wollen sie zusätzlich durch Bestimmungen über Bruchteilsdeckung (vgl insbesondere die hier maßgebende Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG über die Zweidritteldeckung der Ausübung „einer" Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag) gewährleisten, dass nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem - zeitlichen - Naheverhältnis zu dieser Versichertengemeinschaft stehen (SSV-NF 14/81 mwN).

Durch die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG wurde der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, dadurch verbessert, dass sie, wenn sie diese besagte Tätigkeit infolge von Krankheit oder eines sonstigen Gebrechens nicht mehr ausüben können, als invalid gelten, es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit zugemutet werden kann. Der Gesetzgeber stellt somit darauf ab, dass der Pensionswerber innerhalb eines gewissen Zeitraumes vor dem Stichtag eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten zeitlichen Ausmaß ausgeübt hat.

Soweit die Revisionswerberin geltend macht, die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG sei verfassungswidrig, weil sie als Forstarbeiterin aufgrund der saisonbedingten Unterbrechungen ihres Arbeitsverhältnisses die geforderte Mindestausübungsdauer nicht erreichen könne, ist ihr entgegenzuhalten, dass die vom Gesetzgeber für die Erfüllung des erleichterten Zuganges zur Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG festgelegten Mindestvoraussetzungen nicht den ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsrahmen überschreiten. So hat der Verfassungsgerichtshof immer wieder betont, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht davon abhängt, wie sie sich auf einzelne Anlassfälle auswirkt. Bei der Beurteilung einer Norm unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, ist vielmehr von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen. Dass sich vereinzelt (auch hinsichtlich einzelner Berufsgruppen) Härtefälle ergeben können, muss grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (10 ObS 289/98t; SSV-NF 4/153 mwN). Da die Finanzierung des gesamten Sozialversicherungssystems überwiegend durch Beiträge der Versicherten erfolgt, ist es überdies gerechtfertigt, Zeiten, in denen Beiträge geleistet wurden, für die Frage der Erfüllung der Bruchteilsdeckung günstiger zu behandeln als Zeiten, in denen keine Beiträge geleistet wurden. Durch die Leistung von Beiträgen wird ein wesentlich engeres Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt, weshalb die unterschiedliche Regelung für Beitragszeiten und Ersatzzeiten (im Falle der Klägerin: Zeiten eines Arbeitslosengeldbezuges) für die Frage der Bruchteilsdeckung sachlich durchaus gerechtfertigt ist (vgl SSV-NF 14/81 zu der in der Vorgängerbestimmung zu § 255 Abs 4 ASVG - § 253d Abs 1 Z 2 ASVG - vorgesehenen Bruchteilsdeckung; SSV-NF 9/4 ua). Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlasst, im Sinne der Anregung der Revisionswerberin einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Warum die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG in Widerspruch zur Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. 6. 1999 stehen soll, ist nicht erkennbar und wird auch in der Revision nicht näher ausgeführt.

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