OGH 9ObA5/06k

OGH9ObA5/06k25.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und ADir. RegRat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl. Päd. Johann M*****, gegen die beklagte Partei Land S*****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. November 2005, GZ 11 Ra 95/05b-16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Juni 2005, GZ 20 Cga 9/05h-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Schreiben der Beklagten, mit dem sie dem Kläger erklärte, ihre Entlassungserklärung vom 15. 12. 2004 mit sofortiger Wirkung zurückzunehmen, wurde ihm gleichzeitig mit der neuerlichen Entlassungserklärung vom 20. 12. 2004 zugestellt. Dem Klagebegehren, das sich (nur) gegen die zweite Entlassungserklärung wendete, hielt die Beklagte entgegen, die zweite Entlassung sei - aus näher dargelegten Gründen - berechtigt und wirksam gewesen. Die erste Entlassung sei wieder zurückgenommen worden und „daher" nicht mehr verfahrensgegenständlich; es bleibe unbestritten, dass das Dienstverhältnis durch die zweite Entlassungserklärung beendet worden sei. Erst in der letzten Tagsatzung wandte die Beklagte weiters ein, das Klagebegehren sei auch deshalb unberechtigt, weil das Dienstverhältnis bereits im Zeitpunkt der zweiten Entlassungserklärung nicht mehr bestanden habe; die erste Entlassung sei nämlich rechtswirksam geworden, weil der Kläger keine Anfechtungsklage erhoben habe.

Das Berufungsgericht hielt dieser Einwendung unter anderem entgegen, sie widerspreche Treu und Glauben, weil die Beklagte bis zuletzt im erstinstanzlichen Verfahren die Ansicht vertreten habe, ihre erste Entlassungserklärung sei wirksam zurückgenommen worden. Dieser Auffassung ist beizutreten. Selbst wenn die Rechtsauffassung der Revisionswerberin zutreffen sollte, dass der Kläger sein Einverständnis mit einer Rücknahme der Entlassungserklärung nicht hinreichend deutlich erklärt hat, so konnte die Erklärung der Beklagten, ihre erste Entlassungserklärung „mit sofortiger Wirkung zurückzunehmen", vom Kläger jedenfalls dahin verstanden werden, dass sie sich auch in Zukunft nicht darauf berufen werde, diese (zurückgenommene) Entlassungserklärung habe eine Beendigung des Dienstverhältnisses herbeigeführt. Dieses (übereinstimmende) Verständnis der „Rücknahmeerklärung" ergibt sich nicht nur aus dem Verhalten des Klägers - der insbesondere eine Anfechtung der ersten Entlassungserklärung unterlassen hat -, sondern auch aus den Prozesserklärungen der Beklagten, die bis kurz vor Ende der mündlichen Streitverhandlung wiederholt erklärt hat, es gehe in diesem Verfahren allein um die Entlassung vom 20. 12. 2004. Auch wenn die Rücknahme der ersten Entlassungserklärung allenfalls unwirksam geblieben sein sollte, kann auf den zuletzt in sittenwidriger Weise erhobenen Einwand der Beklagten nicht Bedacht genommen werden, weil diese den Kläger, der stets zu erkennen gegeben hat, dass er das Dienstverhältnis fortsetzen will, geradezu dazu veranlasst hatte, der ersten Entlassungserklärung keine Beachtung mehr zu schenken. Ob im konkreten Fall bestimmte Einwendungen einer Prozesspartei gegen Treu und Glauben verstoßen bzw als sittenwidrig nicht zu beachten sind, kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls an, sodass insoweit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegt. Wie bereits dargelegt, ist dem Berufungsgericht auch eine erhebliche Fehlbeurteilung, die zur Wahrung der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit aufgegriffen werden müsste, nicht vorzuwerfen.

2. Unstrittig handelt es sich bei einer Entlassung um eine Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 lit i PVG, auf die die Regelung des § 10 PVG anzuwenden ist. Nach der Grundregel in § 10 Abs 1 PVG sind beabsichtigte Maßnahmen des Dienststellenleiters dem Dienststellenausschuss spätestens zwei Wochen vor ihrer Durchführung nachweislich zur Kenntnis zu bringen. Die Maßnahme darf dann erst vollzogen werden, wenn der Dienststellenausschuss die Zustimmung erteilt oder sich innerhalb einer Frist von zwei Wochen nicht äußert. Demgegenüber sieht § 10 Abs 3 PVG zwei Fälle vor, in denen diese Frist wegen besonderer Dringlichkeit nicht eingehalten werden muss. Nach Satz 2 kann bei Maßnahmen, die keinen (zu ergänzen: 14-tägigen) Aufschub erleiden dürfen, vom Dienststellenleiter eine kürzere Äußerungsfrist bestimmt werden. Gemäß Satz 3 sind die Bestimmungen der Abs 1 und 2 auf Maßnahmen, die sofort getroffen werden müssen, insbesondere bei drohender Gefahr und in Katastrophenfällen, nicht anzuwenden; der Dienststellenausschuss ist jedoch unverzüglich von der getroffenen Maßnahme zu verständigen. Für Landeslehrer für Berufsschulen ist zuständiges Organ der Zentralausschuss, der gemäß § 42 lit b PVG bei der Landesregierung eingerichtet ist. Das Berufungsgericht hat sich nun der Auffassung der Beklagten nicht angeschlossen, bei der Entlassung habe es sich im Sinne des § 10 Abs 3 Satz 3 PVG um eine Maßnahme gehandelt, die „sofort getroffen" werden musste. Die Voraussetzungen des § 10 Abs 3 letzter Satz PVG seien nach dem Maßstab der angeführten Beispielsfälle (drohende Gefahr, Katastrophen) streng zu prüfen und lägen in der Regel auch bei einer Entlassung nicht vor. Das von der Beklagten als Begründung für die Entlassung am 20. 12. 2004 angeführte Verhalten des Klägers sei nicht so schwerwiegend gewesen. Die Verständigung des Dienststellenausschusses erst am Entlassungstag, wenn auch noch vor dem Ausspruch der Entlassung, sei nicht ausreichend gewesen. Auch die Frage, ob eine bestimmte Maßnahme ohne jegliche Äußerungsfrist für den Dienststellenausschuss (hier: des Zentralausschusses) sofort getroffen werden muss (§ 10 Abs 3 Satz 3 PVG) oder ob sie bloß keinen 14-tägigen Aufschub erleiden darf, sodass eine kürzere Äußerungsfrist zu bestimmen ist (§ 10 Abs 3 Satz 2 PVG), kann stets nur unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet werden, sodass regelmäßig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen ist. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Entlassung sei nicht so dringlich gewesen, dass es zulässig gewesen wäre, diese auszusprechen, ohne dem Dienststellenausschuss (hier: dem Zentralausschuss) eine Äußerungsmöglichkeit einzuräumen, begegnet keinen Bedenken. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gesetz eine sofortige Entscheidung des Dienststellenleiters nur in ganz besonders gravierenden Fällen ermöglichen will, wobei beispielshaft drohende Gefahr und Katastrophenfälle angeführt werden. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren die ihrer Ansicht nach zulässige unverzügliche Auflösung des Dienstverhältnisses im Wesentlichen mit vergangenem Fehlverhalten des Klägers begründet und nur ganz allgemein behauptet, es habe „Gefahr in Verzug" bestanden, ohne jedoch näher darzulegen, welche konkreten Nachteile sie durch ein zukünftiges Verhalten des Klägers befürchtet habe. Mit ihrer Einwendung, es sei ihr nicht möglich gewesen, den Dienststellenausschuss (richtig: den Zentralausschuss) zwei Wochen vor Ausspruch der Entlassung zu informieren, lässt sie im Übrigen offen, warum sie nicht die Möglichkeit wahrgenommen hat, im Sinne des § 10 Abs 3 Satz 2 PVG die Äußerungsfrist wegen der besonderen Dringlichkeit der beabsichtigten Maßnahme zu verkürzen. Dazu wird auch in der Revision nichts ausgeführt. Insbesondere wird nicht dargelegt, warum es die Beklagte als sofortige Maßnahme nicht bei einer (vorläufigen) Suspendierung belassen und dem zuständigen Ausschuss nicht zumindest wenige Tage für die Abgabe einer Äußerung gewährt hat. Auch unter Berücksichtigung des von der Beklagten geschilderten Sachverhalts und der behaupteten Verfehlungen des Klägers ist nicht erkennbar, aus welchem Grund eine (nicht näher dargelegte) Gefahrensituation ausschließlich durch die sofortige Entlassung zu bereinigen gewesen wäre.

3. Eine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 10 PVG vermag der erkennende Senat nicht festzustellen. Darüber hinaus wurde die Anregung einer Überprüfung in diese Richtung davon abhängig gemacht, dass der Oberste Gerichtshof die Regelung des § 10 Abs 1 PVG für anwendbar halten sollte. Dazu war jedoch keine abschließende Stellungnahme erforderlich, weil es für die rechtliche Beurteilung dahingestellt bleiben kann, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die (14-tägige) Frist des § 10 Abs 1 PVG oder eine gemäß § 10 Abs 3 Satz 2 PVG verkürzte Frist einzuhalten.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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