OGH 4Ob244/05v

OGH4Ob244/05v24.1.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. I***** GmbH (zuvor I***** Gesellschaft m.b.H.), 2. I*****gesellschaft m. b.H., beide *****, beide vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Jürgen N*****, wegen Unterlassung (Streitwert im Sicherungsverfahren 200.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 17. Oktober 2005, GZ 6 R 196/05v-16, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 2. September 2005, GZ 30 Cg 147/05d-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Bezeichnung der erstklagenden Partei wird in "I***** GmbH" berichtigt.

2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.416,38 EUR (darin 402,73 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

1. Die Erstklägerin hat ihre Firma geändert. Ihre Parteibezeichnung war gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen (RIS-Justiz RS0039550).

2. Die Klägerinnen betreiben ein Einkaufszentrum, das durch den Neubau eines Einrichtungshauses auf einer im Eigentum der Zweitklägerin stehenden benachbarten Liegenschaft erweitert werden soll.

Der Beklagte ist Rechtsanwalt. Er erwarb mit Kaufvertrag vom 22. 12. 2004 von seinem Mandanten Mag. Gerold B***** die Liegenschaft EZ ***** GB ***** um einen Kaufpreis von 181.700 EUR. Er bewohnt das darauf befindliche Wohngebäude nicht, sondern hat es vermietet. Die Mieterin hat ihn bevollmächtigt, sämtliche Anrainerrechte in allfälligen Verwaltungsverfahren in ihrem Namen, aber auf eigene Kosten wahrzunehmen. Der Mandant des Beklagten hatte die Liegenschaft 2001 um 2,5 Mio S erworben. Im Oktober 2004 hatte er ein Angebot der Zweitklägerin abgelehnt, ihr die Liegenschaft um 1 Mio EUR zu verkaufen.

Im Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs war ein Verfahren gegen den Mandanten des Beklagten vor dem Erstgericht anhängig. Das Erstgericht erließ am 7. 4. 2005 eine einstweilige Verfügung, mit der diesem im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken jede rechtsmissbräuchliche Behinderung der Klägerinnen verboten wurde, insbesondere durch Herbeiführung von Verzögerungen in Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit Änderungen und Erweiterungen des Einkaufszentrums der Klägerinnen, insbesondere durch Erhebung von Einwendungen und/oder Rechtsmitteln; weiters wurde ihm aufgetragen, eine im Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verfahren der Umweltabteilung der oö Landesregierung erhobene Berufung zurückzuziehen. Mit Urteil vom selben Tag gab das Erstgericht dem inhaltsgleichen Klagebegehren statt und stellte die Haftung des Mandanten des Beklagten für alle durch Erhebung der Berufung entstandenen Schäden fest. Es sei erwiesen, dass dieser die Liegenschaft allein deshalb erworben habe, um im Interesse eines Mitbewerbers der Klägerinnen durch Einwendungen aller Art in den Verwaltungsverfahren den Ausbau des Einkaufszentrums zu behindern und zu verzögern. Beide Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig.

Der Beklagte gab in diesem Verfahren an, die von seinem Rechtsvorgänger betriebenen Verwaltungsverfahren aus persönlicher Überzeugung weiterführen zu wollen. In einem Schreiben an den Klagevertreter erklärte er, er werde Entscheidungen, die ihn persönlich verpflichten, selbstverständlich respektieren und erfüllen. Die Entscheidungen des Erstgerichts gegen seinen Mandanten entfalteten ihm gegenüber keine Bindungswirkung. Der Beklagte erklärte auch gegenüber dem Klagevertreter, er werde gegen alle Entscheidungen Rechtsmittel erheben, die gegen ihn oder gegen seinen Mandanten ergehen.

Der Umweltsenat des Landes Oberösterreich wies am 15. 3. 2005 die im Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verfahren erhobene Berufung zurück. Der Berufungswerber habe infolge Eigentumsverlusts seine Parteistellung verloren; dies habe auch der Beklagte gegen sich gelten zu lassen. Er habe schriftlich erklärt, in die Parteirechte seines Rechtsvorgängers einzutreten. Gegen diesen Bescheid erhob der Beklagte eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 B-VG wegen Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte und beantragte hilfsweise, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragen die Klägerinnen, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils zu unterlassen, die Klägerinnen rechtsmissbräuchlich zu behindern, insbesondere dadurch, dass er in von den Klägerinnen eingeleiteten Verwaltungsverfahren, etwa in Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, in Bauverfahren, in Wasserrechtsverfahren und/oder sonstigen Verfahren welcher Art auch immer, die der Modernisierung und/oder der Erweiterung des Shopping-Center H*****, etwa durch die Errichtung eines neuen I*****Einrichtungshauses und/oder durch sonstige Änderungen wie Neu-, Zu- und/oder Umbauten, dienen, Verzögerungen im eigenen oder fremden Namen herbeiführt, und zwar insbesondere durch die Erhebung von Einwendungen und/oder ordentlichen oder außerordentlichen Rechtsmitteln und/oder Rechtsbehelfen welcher Art auch immer. Der Beklagte habe sich auf der Liegenschaft niemals aufgehalten und daher an persönlichen Anrainerrechten kein eigenes Interesse. Er habe sich zunächst an den rechtsmissbräuchlichen Behinderungsmaßnahmen seines Mandanten beteiligt und dann dessen Liegenschaft nur deshalb erworben, um die Klägerinnen zu schädigen und den Wettbewerb eines Mitbewerbers der Klägerinnen zu fördern. Damit handle er sittenwidrig im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB und wettbewerbswidrig im Sinne des § 1

UWG.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Als Rechtsanwalt stehe er mit den Klägerinnen in keinem Wettbewerbsverhältnis. Er handle nicht rechtsmissbräuchlich, sondern sei der Überzeugung, die Flächenwidmung für die Liegenschaften zur geplanten Erweiterung des Einkaufszentrums der Klägerinnen sei gesetzwidrig verordnet worden. Der Umweltsenat habe die Berufung zu Unrecht zurückgewiesen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die Klägerinnen hätten nicht behauptet und bescheinigt, dass die einstweilige Verfügung zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens notwendig sei. Das bisherige Verhalten des Beklagten sei weder rechtsmissbräuchlich noch schikanös.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das von den Klägerinnen angestrebte Verbot schaffte eine Sachlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, bestehe doch im Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit, versäumte Verfahrenserklärungen nachzuholen. Im Sicherungsverfahren sei es aber unzulässig, einen endgültigen Zustand herbeizuführen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage besteht, ob durch einstweilige Verfügung Prozesshandlungen in Verwaltungsverfahren verboten werden können; das Rechtsmittel ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Klägerinnen bekämpfen die Auffassung des Rekursgerichts, das angestrebte Unterlassungsgebot führte einen endgültigen und unumkehrbaren Zustand herbei, der nach der Entscheidung im Verwaltungsverfahren nicht mehr beseitigt werden könnte. Dem Beklagten stehe die Möglichkeit offen, im Verwaltungsverfahren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, sollte das mit einstweiliger Verfügung gesicherte Begehren unbegründet sein. Das von den Vorinstanzen abgewiesene Sicherungsbegehren richtet sich im Kern gegen eine rechtsmissbräuchliche Behinderung der Klägerinnen in Verwaltungsverfahren durch die Erhebung von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen. Dem Beklagten soll im Ergebnis die Rechtsverfolgung (Wahrnehmung von Anrainerrechten) in laufenden oder künftig abzuwickelnden behördlichen Verfahren untersagt werden. Mit dem Verbot der Rechtsverfolgung in einem Verfahren hat sich die Rechtsprechung bisher insoweit befasst, als es um die Frage ging, ob Prozessbehauptungen und Aussagen in (Gerichts-)Verfahren untersagt werden können. Ein Verbot von Prozessbehauptungen und Aussagen wird für zulässig erachtet, soweit es sich um vorsätzlich falsche Anschuldigungen handelt. Sie können nicht mit dem Interesse am Funktionieren der Rechtspflege gerechtfertigt werden. Dieses Interesse bildet einen Rechtfertigungsgrund, wenn in einem Verfahren herabsetzende Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder objektiv unrichtige Aussagen gemacht werden, die nicht wissentlich falsch sind

(4 Ob 168/93 = SZ 67/10; 6 Ob 50/98s; s auch 6 Ob 148/00h = SZ

73/105; 6 Ob 146/01s = MR 2001, 231 - Spitzelaffäre; RIS-Justiz

RS0022784). Ob diese Grundsätze in gleicher Weise gelten, wenn sich das Verbot gegen Vorbringen und Aussagen in Verwaltungsverfahren richtet, war bisher nicht zu entscheiden.

Die deutsche Lehre und Rechtsprechung ist der Auffassung, dass die Durchsetzung von - sowohl allgemeinen als auch wettbewerbsrechtlichen - Abwehransprüchen, namentlich des Unterlassungsanspruchs, ausgeschlossen ist, soweit sich diese Ansprüche gegen Äußerungen oder andere Verhaltensweisen richten, die ihrerseits der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen (Nachweise bei Teplitzky, Die prozessualen Folgen der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, wrp 2005, 1433 ff FN 13). Dieser Auffassung liegt die Erwägung zugrunde, dass auf den Ablauf eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens nicht dadurch Einfluss genommen oder seinem Ergebnis dadurch vorgegriffen werden darf, dass ein an diesem Verfahren Beteiligter durch Unterlassungs- oder Widerrufsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird. Der von Unterlassungsansprüchen der genannten Art ausgehende Rechtszwang sei ein unzulässiger Übergriff in ein anderes Verfahren und könne - wegen der Vorrangigkeit des Erstverfahrens - nicht als geeignetes Mittel zur Beseitigung oder Verhinderung eines Störzustands angesehen werden. Seien aber Ansprüche von Vornherein - ohne die Möglichkeit einer Sachprüfung - ausgeschlossen, weil der von ihnen ausgehende Rechtszwang mit der rechtlichen Ordnung unvereinbar wäre, so bestehe kein schutzwürdiges Interesse daran, für die Verfolgung solcher „Ansprüche" ein gerichtliches Verfahren zu eröffnen; in diesen Fällen fehle das Rechtsschutzbedürfnis (BGH GRUR 1987, 568 - Gegenangriff; GRUR 1998, 587 - Bilanzanalyse, je mwN).

Baumgärtel (Die Klage auf Vornahme, Widerruf oder Unterlassung einer Prozesshandlung in einem bereits anhängigen Prozess, FS Schima 41) folgt der herrschenden Auffassung, schränkt sie aber insoweit ein, als er die Klagbarkeit bejaht, wenn in einem Verfahren ehrverletzende Behauptungen aufgestellt werden. Ein völliges Abschneiden solcher Klagen führte dazu, dass auch in den Fällen der evident bewusst unwahren Behauptung oder der in erheblicher Weise über den Erstprozess hinauswirkenden Ehrverletzung eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt des berechtigten Interesses abgeschnitten würde (Baumgärtel aaO 56 ff).

Die Auffassung Baumgärtels (aaO) deckt sich mit der oben wiedergegebenen (österreichischen) Rechtsprechung. Danach kann durch ein „Zweitverfahren" insoweit in ein „Erstverfahren" eingegriffen werden, als bewusst wahrheitswidrige Behauptungen und Aussagen untersagt werden.

Im vorliegenden Fall geht es nicht um Behauptungen und Aussagen, sondern um Prozesshandlungen in Verwaltungsverfahren, die in Einwendungen, Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen bestehen. Rechtsgrundlage für das begehrte Verbot ist nicht der Schutz der Ehre und des Kredits, sondern die Abwehr von (angeblichem) Rechtsmissbrauch. Ob aber Verfahrenshandlungen rechtsmissbräuchlich vorgenommen werden, ist im jeweiligen Verfahren zu klären. Insoweit ist der - oben wiedergegebenen - deutschen Lehre und Rechtsprechung zu folgen, die das Verbot von Prozesshandlungen als unzulässigen Übergriff auf ein anderes Verfahren wertet. Das muss um so mehr gelten, wenn - wie hier - durch einstweilige Verfügung bestimmte Handlungen in Verwaltungsverfahren verboten werden sollen, die der Rechtswahrung in diesen Verfahren dienen. Einem solchen Verbot steht schon der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung gemäß Art 94 B-VG entgegen, weil das Gericht damit über die Zulässigkeit einer Verfahrenshandlung im Verwaltungsverfahren entschiede (s VfGH B 339/73 = VfSlg 7273, wonach die Entscheidung eines Gerichts über eine verfahrensrechtliche Frage eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens vor der Gemeinde mit Art 94 B-VG unvereinbar ist; s auch Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht³, 298).

Die Vorinstanzen haben den Sicherungsantrag daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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