OGH 7Ob226/05v

OGH7Ob226/05v9.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der antragstellenden und gefährdeten Partei Ilse K*****, Studentin, *****, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch ua, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwalt in Wien, gegen den Gegner der antragstellenden und gefährdeten Partei Jiri A*****, Student, *****, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, über den Revisionsrekurs der antragstellenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Juli 2005, GZ 45 R 236/05x-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Döbling vom 9. März 2005, GZ 7 C 34/04b-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen den auf § 382b EO (betreffend den "Schutz vor Gewalt in der Familie") gestützten Sicherungsantrag der Antragstellerin im zweiten Rechtsgang ab, ohne darauf einzugehen, ob die von der Antragstellerin relevierten Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben. Diese habe mit dem Antragsgegner in keiner "familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft" iSd § 382b Abs 3 EO, sondern in einer insgesamt eher unverbindlichen - wenn auch sexuelle Kontakte einschließenden - "lockeren" Beziehung gestanden; es fehle ihr daher die für die beantragte einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 2 EO erforderliche Stellung als "naher Angehöriger" des Antragsgegners.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil - soweit überblickbar - zu § 382b EO in der Fassung seit dem Inkrafttreten der EO-Nov 2003, BGBl I Nr 31/2003, noch keine Rsp des Obersten Gerichtshofes bestehe.

Auch die Antragstellerin beruft sich zur Zulässigkeit ihres - auf Abänderung im antragsstattgebenden Sinne, in eventu Aufhebung gerichteten - Rechtsmittels darauf, dass Rsp zur "Angehörigeneigenschaft" iSd § 382b EO idF BGBl I Nr 31/2003 fehle. Sie vertritt jedoch den Standpunkt, das Merkmal der "häuslichen Gemeinschaft" hätte, weil die EO-Nov 2003 davon abgegangen sei, hier nicht als entscheidungswesentlich erachtet werden dürfen; sachgerecht wäre - entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen - eine Differenzierung nach dem "Grad der emotionalen Bindung".

Der Antragsgegner hat auf die Erstattung einer Rekursbeantwortung verzichtet (ON 28).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach stRsp zu § 382b EO wird mit dem Angehörigenbegriff in Abs 3 leg cit das Opfer der Gewalt definiert. Die Angehörigeneigenschaft muss im Zeitpunkt der umschriebenen Handlungen gegeben sein. Als Voraussetzung ist jedenfalls das Zusammenleben in einer Wohnung oder zumindest das frühere Zusammenleben gefordert (RIS-Justiz RS0109528). Die Definition der geschützten "nahen Angehörigen" in der bis zum Inkrafttreten der EO-Nov 2003 (ab 1. 1. 2004) geltenden Fassung erforderte nämlich nicht nur eine bestimmte Qualifikation der Person (vgl die Aufzählung der geschützten Ehegatten, Lebensgefährten und Verwandten in § 382b Abs 3 Z 1 lit a bis c sowie Z 2 lit a und b EO idaF), sondern vielmehr auch, dass der Antragsteller "mit dem Antragsgegner in häuslicher Gemeinschaft lebt oder innerhalb der letzten drei Monate vor der Antragstellung lebte" (§ 382b Abs 3 letzter Satz EO idaF; Zechner, Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung § 382b EO Rz 2 mwN).

Wenn die Revisionsrekurswerberin nun meint, die EO-Nov 2003 sei vom Merkmal der "häuslichen Gemeinschaft" abgegangen, wird dabei übersehen, dass sich dieser Begriff auch in der novellierten Fassung des § 382b EO weiterhin in dessen Abs 4 findet; darin ist nämlich ausdrücklich normiert, dass eine einstweilige Verfügung nach § 382 Abs 1 und 2 EO nicht nur ohne Zusammenhang mit den dort genannten (Ehe-)Verfahren, sondern auch unabhängig vom "Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft der Parteien" erlassen werden kann.

Außerdem ist auch den ErläutRV EO-Nov 2003 (39 BlgNR 22. GP 19) nur zu entnehmen, dass der spezielle Schutz des § 382b EO (der sich nach der aF des Abs 3 nur auf die dort taxativ aufgezählten Personen erstreckt hatte) mit der neuen, allgemeinen Umschreibung der "nahen Angehörigen" (als "Personen, die mit dem Antragsgegner in familiärer oder familienähnlicher Gemeinschaft leben oder gelebt haben") etwa auf Stiefkinder und Personen, die nach Auflösung der Ehe "weiterhin zusammenleben", sowie über den engen Begriff der Lebensgefährten hinaus ausgedehnt werden sollte. Gleichzeitig wird dort aber klargestellt, dass es hier weiterhin um "ehemals zusammenlebende Personen" geht, deren emotionale Beruhigung nur nicht innerhalb von drei Monaten erwartet werden könne, weshalb "der Gewaltschutz nicht [mehr] von Fallfristen abhängig" sein sollte (ErläutRV EO-Nov 2003 abgedruckt in Breinl/Kodek, EO idF EO-Nov 2003, 226 f bzw in Angst/Jakusch/Mohr, EO14 [2004] § 382b FN 3).

Demnach ist aber davon auszugehen, dass auch zwischen den Parteien, die iSd § 382b Abs 3 EO nF in einer familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft leben oder gelebt haben, eine "häusliche Gemeinschaft" bestanden haben muss, damit sie den Schutz vor der Gewalt "in der Familie" nach § 382b EO in Anspruch nehmen können. Zur Klärung der - vom Gesetzgeber offengelassenen - Frage, unter welchen Voraussetzungen und ab welcher Dauer (Breinl/Kodek, aaO 227) des Zusammenlebens von einer derartigen Gemeinschaft auszugehen ist, bleibt die diesbezügliche Rsp somit weiter anwendbar.

Wie schon in der E vom 8. 6. 2004, 4 Ob 126/04i aufgezeigt, hat der Oberste Gerichtshof den Begriff "häusliche Gemeinschaft" aber bereits wiederholt ausgelegt:

"In der Entscheidung 10 Ob 103/98i (SZ 71/52 = EvBl 1998/138 = JBl 1998, 593) wurde - ausgehend vom weiten Kreis der nahen Angehörigen und vom Zweck der Bestimmung, jede Art von Gewalt in der Familie zu verhindern - ausgesprochen, eine häusliche Gemeinschaft sei auch dann anzunehmen, wenn die Angehörigen zwar nicht im selben Haus oder in derselben Wohnung, aber doch in einem solchen (räumlichen) Naheverhältnis lebten, dass es zu regelmäßigen persönlichen Kontakten komme.

Der 3. Senat hat in der Entscheidung 3 Ob 293/99f (= EvBl 2000/98) daraus als Grundsatz abgeleitet, dass eine häusliche Gemeinschaft naher Angehöriger im Sinne des § 382b Abs 3 EO schon bei Vorliegen eines räumlichen Naheverhältnisses, das Gewalt in der Familie gewöhnlich ermögliche, zu bejahen sei, ohne dass der Wille des Gewalttäters oder seines Opfers von Bedeutung wäre, ein solches Naheverhältnis endgültig zu beenden, auf Dauer weiterhin aufrechtzuerhalten oder nach einer temporären Unterbrechung dauerhaft wiederherzustellen, und ist dieser Ansicht vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks, nahen Angehörigen effektiven Schutz vor Gewalt in der Familie zu gewähren, beigetreten. Verdeutlichend wurde ausgesprochen, die häusliche Gemeinschaft von Ehegatten im Sinne des § 382b Abs 3 EO sei solange nicht aufgehoben, als deren Lebensbereiche faktisch noch nicht durch eine weitgehende Beendigung der Haushalts- oder Wirtschaftsgemeinschaft getrennt seien und ein vorübergehend abwesender Partner nach Belieben in ein räumliches Naheverhältnis mit seinem Ehegatten zurückkehren könne und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch zurückkehren werde.

Diese Entscheidungen gehen von dem gemeinsamen, am Zweck der Bestimmung orientierten Grundgedanken aus, wonach für die Annahme einer häuslichen Gemeinschaft auf das Vorliegen eines räumlichen Naheverhältnisses mit der Gelegenheit zu regelmäßigen persönlichen Kontakten abzustellen ist, wodurch Gewalt in der Familie ermöglicht werde" (4 Ob 126/04i Hervorhebung in Fettdruck nicht im Original).

Im Übrigen hat auch der Oberste Gerichtshof - wie der Revisionsrekurs selbst festhält - bereits mehrfach ausgesprochen, dass § 382b EO eine lex specialis darstellt, deren Schutz nicht Jedermann zur Verfügung steht, der außerhalb des Familienbereichs Schutz vor Gewalt sucht, und dass in diesem Zusammenhang auch eine planwidrige Lücke im Gesetz nicht zu erkennen ist (RIS-Justiz RS0114306; zuletzt: 5 Ob 170/02i mwN).

Was die dargestellten Voraussetzungen, denen auch der vorliegende Sicherungsantrag zu entsprechen hatte, betrifft, ist hier von folgendem bescheinigten Sachverhalt auszugehen:

Die von 1996 bis 2000 bestehende [auch damals offenbar nur lose] Beziehung der Antragstellerin zum Antragsgegner wurde von ihr im März 2000 beendet. [Auch] während dieses Zeitraumes hielt er sich "wenn überhaupt wohl primär" nur zum Übernachten in ihrer Wohnung [von der er nicht ständig Schlüssel besaß] auf. Er brachte nicht einmal seine Kleidung dorthin, weil er zum Umziehen [aber nicht nur dazu] jeweils in seine Wohnung zurückkehrte.

Während des gesamten Dauer dieses "Zusammenseins" hatte jeder der beiden eine eigene Wohnung bzw Wohnmöglichkeit. Anschließend versuchte sie noch über ca zwei bis drei Jahre in freundschaftlichem Kontakt mit ihm zu bleiben, ging mit ihm essen bzw ins Kino und hatte mit ihm zumindest einmal auch sexuellen Kontakt; er hatte zwar seit 2001 eine neue Freundin, erklärte der Antragstellerin jedoch immer wieder, dass er sie liebe, sodass diese "wieder schwach" wurde.

Dass die oa Voraussetzungen, insb jene einer "häuslichen Gemeinschaft" auf dieser Grundlage nicht erfüllt sind, erkennt offenbar auch die Revisionsrekurswerberin, da sie sich (wie bereits ausgeführt: zu Unrecht) nur noch darauf beruft, das Merkmal der "häuslichen Gemeinschaft" wäre "rechtsrichtig nicht [mehr] als entscheidungswesentlich" anzusehen gewesen. Zur Antragstellung nach § 382b Abs 1 und 2 EO sind aber [weiterhin] nur jene Personen legitimiert, die mit dem Antragsgegner in einer familiären oder familienähnlichen Gemeinschaft leben oder gelebt haben, wobei derartige einstweilige Verfügungen auch unabhängig vom "Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft" dieser Parteien erlassen werden können (§ 382b Abs 3 und 4 EO idgF):

Schließlich hat auch die Bundesministerin für Justiz erst jüngst in einer Anfragebeantwortung an den Nationalrat zur Notwendigkeit eines Anti-Stalking-Gesetzes (Zl 2137/J-NR/2004) ausgeführt, dass die Schutzmechanismen gemäß § 382b EO idF der EO-Nov 2003 (nur) gegen "Gewalttäter ... aus dem Familienkreis - insb gegen Ex-Gatten und Lebensgefährten" zu erlassen seien, "auch wenn sie schon längere Zeit nicht mehr mit der gefährdeten Person zusammengelebt haben". Auch daraus ergibt sich, dass - nach wie vor - von einer "häuslichen Gemeinschaft" (arg: "zusammengelebt") auszugehen ist, diese Voraussetzung bei den Verfahrensparteien aber nicht zutraf bzw zutrifft.

Dass der vorliegende Sicherungsantrag auf Grundlage des bescheinigten Sachverhalts abgewiesen wurde, ist somit nicht zu beanstanden. Es bestehen nämlich auch angesichts der mit der EO-Nov 2003 eingeführten allgemeinen Umschreibung des Begriffs "naher Angehöriger" - die den Schutz des § 382b EO auf Stiefkinder und Personen, die nach Auflösung der Ehe weiterhin zusammenleben sowie über den engen Begriff der Lebensgefährten hinaus ausdehnen soll (Angst/Jakusch/Mohr, EO14 [2004] § 382b FN 3) - keine Bedenken gegen die Vefassungskonformität der von der Antragstellerin bekämpften Auslegung dieser Bestimmung durch die Vorinstanzen; soll doch auch die genannte Erweiterung des Schutzes vor Gewalt "in der Familie" in sachgerechter Differenzierung offenbar nur Personen gewährt werden, die in einer (zumindest familienähnlichen) "häuslichen Gemeinschaft" leben oder gelebt haben (vgl zu diesem Begriff: König, Einstweilige Verfügung im Zivilverfahren2, Rz 2/155 Abs 2; sowie die Kritik Zechners [aaO § 382b EO Rz 2 Abs 2] an einer Anwendung des Begriffs der häuslichen Gemeinschaft auf Sachverhalte, die über "gemeinsames Wohnen im engeren Sinn" hinausgehen).

Da als Voraussetzung der - somit zu Recht verneinten - Angehörigeneigenschaft auch nach § 382b Abs 3 EO nF weiterhin jedenfalls das Zusammenleben in einer Wohnung oder zumindest das frühere Zusammenleben gefordert ist (RIS-Justiz RS01095528), das im vorliegenden Fall nicht bescheinigt wurde, war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 50, 40 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte