OGH 2Ob137/05v

OGH2Ob137/05v3.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****U*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Mag. Franz Galla, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 30.000), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 5. April 2005, GZ 15 R 134/04t-32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Die beklagte Partei geht von der unzutreffenden Prämisse aus, dass dem Feststellungsbegehren der klagenden Partei der originäre Regressanspruch nach § 334 Abs 1 ASVG zugrunde liegt. Wie sich aus dem Vorbringen in der Klage und dem Klagebegehren selbst ergibt, hat sich die klagende Partei ausschließlich auf die in § 332 Abs 1 ASVG angeordnete Legalzession gestützt. Das diesbezügliche Prozessvorbringen der klagenden Partei hat die beklagte Partei nicht substantiiert bestritten und die Aktivlegitimation ohne Einschränkungen außer Streit gestellt. Insbesondere hat sie weder im Verfahren erster Instanz noch in ihrer Berufung die dem gesetzlichen Schulerhalter nach § 333 Abs 1 iVm § 335 Abs 3 ASVG zukommende Haftungsbefreiung zu ihren Gunsten releviert. Es ist daher zu prüfen, ob auf den erstmals in der außerordentlichen Revision erhobenen Einwand noch eingegangen werden könnte.

Nach herrschender Rechtsprechung ist die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG nicht von Amts wegen wahrzunehmen (SZ 43/44; ZVR 1991/95; RIS-Justiz RS0085007; Neumayr in Schwimann, ABGB² § 333 ASVG Rz 91). Das bedeutet aber lediglich, dass vom Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nicht von Amts wegen zu erforschen sind (ZVR 1973/71; 2 Ob 387/97v; SZ 71/120 ua). So wie der Einwand des Mitverschuldens muss auch der Einwand des Haftungsausschlusses nicht ausdrücklich erhoben werden; es genügt, wenn sich dem Vorbringen eine entsprechende Behauptung entnehmen lässt (2 Ob 387/97v; SZ 71/120; 2 Ob 353/97v).

Die beklagte Partei hat zwar vorgebracht, dass der Bund bis zum 1. 1. 2001 Eigentümer der Schulliegenschaft war, nicht jedoch, dass er die Stellung als „Träger der Einrichtung" im Sinne des § 335 Abs 3 ASVG innehat.

Doch selbst wenn man dem Vorbringen der beklagten Partei ein derartiges Tatsachensubstrat unterstellen wollte, käme die erfolgreiche Geltendmachung der Haftungbefreiung in der Revision nicht mehr in Betracht. Die Berufung der beklagten Partei enthielt nämlich nur Rechtsausführungen zu den Haftungsvoraussetzungen des § 1319 ABGB. Damit hätte die beklagte Partei den - unterstellten - Einwand der Haftungsbefreiung, bei dessen Berechtigung eine Legalzession im Sinne des § 332 Abs 1 ASVG gar nicht eintreten konnte und die klagende Partei auf das - von ihrem Feststellungsbegehren allerdings nicht gedeckte - originäre Rückgriffsrecht nach § 334 Abs 1 ASVG verwiesen war (2 Ob 280/98k; Neumayr aaO § 333 ASVG Rz 1), nicht aufrecht erhalten. Die allseitige Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsurteiles durch den Obersten Gerichtshof beschränkt sich jedoch auf jene Umstände, die Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen sind (1 Ob 14/01t mwN; RIS-Justiz RS0043573 [T 31, 36, 41 und 42]).

Mit ihren erstmaligen Ausführungen zur Haftungsbeschränkung nach den §§ 333 ff ASVG zeigt die beklagte Partei in der Revision daher keine für die Entscheidung präjudizielle, somit aber auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 Rz 60).

2. Der Besitzer eines Werkes haftet gemäß § 1319 ABGB, wenn das Schadensereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat. Erforderlich sind jene Schutzvorkehrungen und Kontrollmaßnahmen, die vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung erwartet werden können. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzuwenden. Es ist zu prüfen, welche Schutzvorkehrungen und Kontrollen ein sorgfältiger Eigentümer getroffen hätte (1 Ob 334/99w mwN). Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt richtet sich dabei immer nach den Umständen des Einzelfalles und begründet - von einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (1 Ob 277/97k; 9 Ob 44/02i; RIS-Justiz RS0029874, RS0029991).

Nach der von der Lehre gebilligten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wird die Haftung nach § 1319 ABGB auch auf Bäume ausgedehnt (MietSlg 35.260; SZ 59/121; ZVR 2002/21; SZ 74/78; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1319 Rz 11; Koziol, Haftpflichtrecht II² 395; Harrer in Schwimann, ABGB² § 1319 Rz 16). Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen oder die Ablösung von Ästen verursacht werden, sind daher im Wege der Analogie in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung einzubeziehen.

Den Besitzer eines Werkes nach § 1319 ABGB trifft eine Gefährdungshaftung (insoweit klarstellend ZVR 2002/21; ebenso ZVR 2003/37; zustimmend Reischauer aaO Rz 15), von der sich der Halter nur durch den Beweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, befreien kann. Die Haftung des Besitzers setzt jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch die Vorhersehbarkeit der Gefahr voraus (RIS-Justiz RS0023525). Über seine Diligenzpflicht nach § 1297 ABGB hinausgehende besondere Vorsichtsmaßnahmen werden vom Besitzer nicht verlangt (EvBl 1970/294; 9 Ob 44/02i; RIS-Justiz RS0026229).

In dem der Entscheidung SZ 59/121 zugrunde gelegenen Anlassfall stürzte ein auf dem Gelände einer Krankenanstalt stehender Baum auf einen Passanten. Die Haftung der beklagten Stadt wurde bejaht, weil sie trotz vorhandener Fachleute im zuständigen Gartenbauamt das Durchtrennen der Baumwurzeln im Zuge großflächiger Umbauarbeiten nicht durch geeignete Vorkehrungen verhindert hat. In dieser Entscheidung wurde als sorgfaltserhöhend hervorgehoben, dass der Baum in unmittelbarer Umgebung einer öffentlichen Krankenanstalt und an einer Straße stand, an der auch eine von Schülern besuchte Bundeserziehungsanstalt etabliert war, sodass bei einem Absturz von Astwerk oder dem Umstürzen des ganzen Baumes eine besondere Gefahr für Leben oder Gesundheit von Passanten entstehen musste.

Auch in der Entscheidung 6 Ob 549/80 (Umstürzen einer 30 m hohen Pappel auf das Nachbargebäude) wurde bei der Beurteilung der Sorgfaltsanforderungen an den Besitzer auf den - dort fremdes Eigentum gefährdenden - Standort des Baumes abgestellt. Der Baumbesitzer hätte nach den damaligen Ausführungen des Obersten Gerichtshofes Überlegungen anstellen müssen, unter welchen Voraussetzungen - auch ohne für Laien erkennbare Anzeichen einer Erkrankung oder sonst vom normalen Wachstum abweichenden Entwicklung - Zweifel an der Festigkeit und Elastizität des Stammes zu weiterreichenden Überprüfungen des Baumes als einer bloß optischen Beobachtung des Laubs Anlass hätte geben müssen.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, der Standort des Baumes in einem belebten Schulhof habe im Hinblick auf die dort im Jahre 1982 stattgefundenen Bauarbeiten ausnahmsweise die Befassung eines Fachmannes mit der Verkehrssicherheit des Baumes erforderlich gemacht, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Daran ändert nichts, dass nur eine begrenzte Anzahl von Fachleuten die erst später aufgetretenen Krankheitssymptome des Baumes (Einfaulungen, Versorgungsschatten) richtig deuten hätte können. Kam es doch zunächst einmal darauf an, sich über die Möglichkeit bei den Bauarbeiten eingetretener Schädigungen und deren allfällige Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit des Baumes Aufklärung zu verschaffen. Die in der Revision abermals aufgestellte Behauptung, das Fachwissen und die Methoden der periodischen Überprüfung der Verkehrssicherheit zur Beurteilung der Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen habe sich erst im Jahr 2001 langsam zum Stand der Technik zu entwickeln begonnen, ist durch den festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt.

Die beklagte Partei gesteht die Richtigkeit der von den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht, sie müsse sich das Verhalten ihrer Rechtsvorgängerin zurechnen lassen, ausdrücklich zu (Revision Seite 5). Danach kommt es hier aber in erster Linie darauf an, ob die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei (die Republik Österreich) die von ihr nach der Verkehrsauffassung zu erwartende Sorgfalt angewendet hat.

Die diesbezüglich behauptungs- und beweisbelastete beklagte Partei hat zu den näheren Umständen, unter denen die Bauarbeiten des Jahres 1982 in Auftrag gegeben, durchgeführt und überwacht worden sind, kein Vorbringen erstattet. Aus diesem Grund blieb ungeklärt, ob und gegebenfalls welche Vorkehrungen zur Hintanhaltung einer Schädigung des Baumes auf der Schulliegenschaft getroffen worden sind. Ebenso wurde nicht dargelegt, aufgrund welchen - über das Ergebnis einer Sichtkontrolle hinausgehenden - Kenntnisstandes die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei allenfalls davon ausgehen durfte, dass nach Beendigung der Bauarbeiten für die den Schulhof benützenden Personen in Hinkunft keine von dem Baum ausgehende Gefahr bestehen werde und daher während eines Zeitraumes von nahezu zwanzig Jahren auf jegliche Überprüfung seiner Verkehrssicherheit verzichtet werden konnte.

Bei dieser Beweislage ist aber in der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die beklagte Partei könne sich nicht auf die mangelnde Erkennbarkeit oder Vorhersehbarkeit eines Schadenseintrittes zurückziehen und sie habe den Entlastungsbeweis nicht erbracht, keine auffallende Fehlbeurteilung zu erblicken.

Da es der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht bedurfte, war die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.

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