OGH 13Os97/05x

OGH13Os97/05x12.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dschamschid S***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung und die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) des Angeklagten gegen das Urteil und den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. Juni 2005, GZ 114 Hv 17/05p-49, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Bacher, des Angeklagten und dessen Verteidigerin Magistra Lorenz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das ansonsten unberührt bleibt, in dem zu 1) ergangenen Schuldspruch wegen des Vergehens des Diebstahls sowie im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung (und überdies der zugleich gefasste Beschluss auf Verlängerung der Probezeit) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Dschamschid S***** hat am 24. Februar 2005 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz ein Parfumfläschchen der Marke „Naomi Campbell" im Wert von 12,90 Euro Gewahrsamsträgern „der Fa Bipa" wegzunehmen versucht und hiedurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB begangen. Hiefür und für die Begehung des zu 2) des angefochtenen Urteils genannten Vergehens der versuchten Nötigung wird über den Angeklagten nach § 105 Abs 1 StGB in Anwendung der §§ 28 Abs 1 und 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen und für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 90 Tagen verhängt. Der Tagessatz wird mit 2 Euro bestimmt. Gemäß § 43a Abs 1 StGB wird ein Teil der Geldstrafe in der Höhe von 90 Tagesssätzen für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Die Vorhaftanrechnung sowie die Verlängerung der Probezeit zum AZ 8 U 38/04z des Bezirksgerichtes Mattersburg werden aus den angefochtenen Entscheidungen übernommen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Es fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Dschamschid S***** wurde der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB

(1) und der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er am 24. Februar 2005 in Wien

1) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz ein Parfumfläschchen der Marke „Naomi Campbell" im Wert von 12,90 Euro Gewahrsamsträgern „der Fa Bipa" weggenommen;

2) den Kaufhausdetektiv Roland Josef H***** durch Umsichschlagen an seiner Anhaltung zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der - gegen 2) - aus Z 9 lit a und - gegen 1) - aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Die gegen den zu 1) ergangenen Schuldspruch gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) zeigt zutreffend auf, dass das Schöffengericht zu Unrecht den Diebstahl des Parfumfläschchens als vollendet beurteilt hat. Zwar geht namentlich bei Gegenständen, die unauffällig in der Bekleidung oder in mitgeführten Behältnissen verborgen werden können, der Gewahrsam in der Regel schon durch die Ansichnahme verloren. Vermag der Gewahrsamsträger indes - wie hier - durch einen Kaufhausdetektiv die Sache trotzdem im Auge zu behalten und den Täter unmittelbar vor dem Geschäftslokal zu stellen (US 5 letzter Absatz), hat der Täter den für die Vollendung des Diebstahls erforderlichen Gewahrsamsbruch noch nicht bewirkt, sodass der Diebstahl beim Versuch geblieben ist (vgl RIS-Justiz RS0090667, aM Bertel in WK2 § 127 Rz 45 f).

Auch wenn recht besehen die Annahme von Versuch statt Vollendung nur einen Strafbemessungsaspekt berührt, nimmt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen derartigen Rechtsfehler aus Z 10 wahr (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 645).

Das von den Tatrichtern festgestellte Umsichschlagen des Angeklagten, mit dem Ziel, sich gegen die Anhaltung durch den Kaufhausdetektiv (§ 86 Abs 2 StPO) zur Wehr zu setzen (US 5 f), überschreitet, der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider, ohne weiteres die für die Subsumtion unter den Gewaltbegriff des § 105 Abs 1 StGB erforderliche Erheblichkeitsschwelle. Dafür genügt es nämlich, dass die vom Täter zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes eingesetzte physische Kraft nicht ganz unerheblich ist (Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 22, Jerabek in WK2 § 74 Rz 35, jeweils mwN). Für die nicht weiter begründete Meinung von Schwaighofer (WK2 § 105 Rz 36), nach der die Einwirkung so intensiv sein muss, dass sie den „Widerstand unmöglich macht", findet sich weder im Gesetz (vgl nur §§ 100 Abs 1, 201 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60) noch in den Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt. Soweit sich die Beschwerde darauf beruft, muss sie versagen. Bei der Strafneubemessung war das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen erschwerend zu werten. Als mildernd kommt dem Angeklagten demgegenüber zustatten, dass beide Taten beim Versuch geblieben sind und er im Vorverfahren noch weitgehend geständig war. Für eine Begehung des Diebstahls aus bloßer Unbesonnenheit fehlt dem Berufungsvorbringen zuwider ein fassbarer Anhaltspunkt. Dem Umstand, dass kein Schaden entstanden ist, wird durch die mildernde Wirkung des Versuchs hinreichend Rechnung getragen (vgl § 34 Abs 1 Z 13 StGB).

Die vom Erstgericht ausgemessene (hinsichtlich eines Teils von fünf Monaten bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe von sieben Monaten ist, was die Berufungsargumentation des Angeklagten zu Recht hervorhebt, zur Ahndung der in Rede stehenden Kleinkriminalität bei weitem überhöht (vgl bereits das in dieser Sache zum AZ 13 Os 46/05x ergangene Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes über eine berechtigte Grundrechtsbeschwerde).

Der Hinweis auf das (generelle) Erfordernis unbedingter Freiheitsstrafen, um „Angehörigen aus dem Kulturkreis des Angeklagten mit Deutlichkeit vor Augen" zu führen, „dass es sich bei österreichischen Supermärkten keinesfalls um Selbstbedienungsläden für Kriminelle handelt," weil „gerade in den letzten Jahren die Vermögensdelikte durch Asylwerber insbesondere aus den ehemaligen GUS-Staaten erschreckende Ausmaße" angenommen hätten (US 9), stellt auf die Volkszugehörigkeit eines Menschen als Gesichtspunkt für die Strafbemessung ab und verstößt solcherart in unvertretbarer Weise gegen die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, denen ein derartiges Unterscheidungskriterium fremd ist (vgl § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO). Trotz der - nicht einschlägigen - Vorverurteilung wegen zweier Urkundendelikte stehen der Verhängung einer Geldstrafe (anstelle der vorliegend der Höhe nach angezeigten Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten; § 37 Abs 1 StGB) keine zwingenden spezial- oder generalpräventiven Erfordernisse entgegen. Insoweit zutreffend hatte bereits das Erstgericht dem Diebstahl gegenüber dem als kriminell kaum ins Gewicht fallenden - wenngleich nach § 28 Abs 1 StGB (vgl Ratz in WK2 § 28 Rz 6) den Strafrahmen bestimmenden - Nötigungsversuch bei der Sanktionsfindung die entscheidende Bedeutung beigemessen. Der Diebstahl eines Parfumfläschchens im Wert von 12,90 Euro in einem Selbstbedienungsladen ohne Hinzutreten besonderer, in der Person des Täters gelegener, vorliegend nicht ersichtlicher Erfordernisse der Spezialprävention rechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des in der Bestimmung des § 37 StGB zum Ausdruck kommenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht (vgl Flora in WK2 § 37 Rz 3; vgl auch dies aaO Rz 13 unter Berufung auf Schroll sowie Rz 15 unter Berufung auf Burgstaller).

Spezial- und generalpräventiven Bedürfnissen ist durch die unbedingte Verhängung der Hälfte der mit 180 Tagesssätzen tatschuld- und täterpersönlichkeitsgerecht ausgemessenen Strafe Genüge getan (§ 43a Abs 1 StGB; vgl auch Jerabek in WK2 § 43 Rz 25).

Mit Blick auf die Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Angeklagten, der eine monatliche Unterstützung von 820 Euro erhält, sowie dessen Sorgepflicht für eine Frau und drei Kinder war die Höhe des Tagessatzes mit zwei Euro zu bestimmen (§ 19 Abs 2 StGB). Der aus dem angefochtenen Urteil übernommene Beschluss auf Verlängerung der Probezeit für eine Freiheitsstrafe von vier Wochen auf nunmehr fünf Jahre lässt eine weitere Abhaltewirkung erwarten. Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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