OGH 1Ob110/05s

OGH1Ob110/05s27.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Brauneis, Klauser & Prändl, Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte Partei W***** Günther W*****, vertreten durch Dr. Udo Elsner, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 679,49 sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. Dezember 2004, GZ 50 R 95/04h-37, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 27. Mai 2004, GZ 17 C 63/03v-31, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Ein Interessent (in der Folge „Käufer") bestellte am 18. 10. 2001 „auf der Internetseite der beklagten Partei" einen Flachbildmonitor zum Preis von EUR 2.179,46. Mittels einer entsprechenden Auswahlfunktion entschied er sich für die Abholung der Ware im Geschäft der beklagten Partei. Unverzüglich erhielt er per E-Mail eine von der beklagten Partei automatisch erstellte Bestellbestätigung, die zugleich generelle Informationen betreffend Abholung, Lieferzeit etc enthielt. Noch am selben Tag erreichte den Käufer ein weiteres E-Mail der beklagten Partei mit der Benachrichtigung, der Monitor sei ab einem bestimmten Tag der folgenden Woche abholbereit. Am 19. 10. 2001 holte der Käufer den Monitor im Geschäft der beklagten Partei gegen Barzahlung ab. Dabei wurde das Paket geöffnet und das Aussehen des Monitors sowie das Vorhandensein des Zubehörs kontrolliert. Am 29. 10. 2001 erklärte der Käufer seinen Rücktritt vom Vertrag und brachte die Ware zurück. Der Betriebsstundenzähler des Geräts wies zu diesem Zeitpunkt eine Betriebsdauer von 43 Stunden und 33 Minuten auf. Die beklagte Partei veräußerte den Monitor am 11. 2. 2002 zu einem Preis von 1.645 EUR weiter. Der Verkauf verzögerte sich insbesondere deshalb, da bereits wenige Monate später ein Nachfolgemodell auf den Markt kam und das Erscheinen des neuen Geräts bereits angekündigt war. Die beklagte Partei erstattete dem Käufer nicht den gesamten Kaufpreis, sondern lediglich 1.499,96 EUR. Das marktübliche Benutzungsentgelt für den Monitor betrug für 10 Tage EUR 709,89.

Die klagende Partei, an die der Käufer seine Ansprüche abgetreten hat, begehrte die Rückzahlung des Kaufpreisrestes von 679,49 EUR. Der Kaufvertrag sei im Wege des Fernabsatzes geschlossen worden und habe der Käufer von seinem Rücktrittsrecht fristgerecht Gebrauch gemacht. Auf Grund der „Fernabsatz-Richtlinie" dürfe der Käufer nur mit Rücksendekosten belastet werden.

Die beklagte Partei wendete ein, dass der Kaufvertrag erst in den Geschäftsräumlichkeiten der beklagten Partei geschlossen worden sei, weshalb kein „Fernabsatz" vorliege. Jedenfalls stünde ihr eine Gegenforderung bis zur Höhe des Klagsbetrags aus dem Titel des angemessenen Nutzungsentgelts bzw des Schadenersatzes zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Im zweiten E-Mail der beklagten Partei vom 18. 10. 2001 sei eine zumindest schlüssige Annahmeerklärung (des Anbots des Käufers) infolge Mitteilung eines konkreten Abholtermins enthalten. Damit sei der Kaufvertrag ohne gleichzeitige Anwesenheit der Parteien im Wege des Fernabsatzes im Sinne des § 5a KSchG zustandegekommen. Unter Berücksichtigung des Nationalfeiertages und der beiden Wochenenden, die nicht als Werktage zählten, sei durch die Rücktrittserklärung die gesetzliche Frist von 7 Werktagen (§ 5e KSchG) gewahrt. Die beklagte Partei habe somit die erhaltene Zahlung rückzuerstatten, der Käufer habe die empfangene Leistung zurückzugeben und ein angemessenes Entgelt für den Gebrauch einschließlich einer Entschädigung für eine damit verbundene Minderung des gemeinen Werts zu leisten (§ 5g KSchG). Diese nationale Bestimmung stehe jedoch im Widerspruch zu Art 6 Abs 2 der „Fernabsatz-Richtlinie", wonach dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Rücktrittsrechts als einzige Kosten die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware auferlegt werden dürften. Eine richtlinienkonforme Interpretation sei nicht möglich, da der nationale Gesetzgeber keinen Gestaltungsspielraum übrig lasse. Eine unmittelbare Wirkung der „Fernabsatz-Richtlinie" komme nicht in Betracht, da sich ein Einzelner nicht direkt auf eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Richtlinie berufen könne, um für sich daraus Rechte gegen einen anderen Marktbürger abzuleiten. Die beklagte Partei habe zu Recht den klagsgegenständlichen Betrag als angemessenes Entgelt für den Gebrauch des Monitors einbehalten.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge Berufung der klagenden Partei dahin ab, dass die Klagsforderung mit EUR 679,49, die Gegenforderung mit EUR 330,-- als zu Recht bestehend erkannt und die beklagte Partei zur Zahlung von EUR 349,49 sA verpflichtet wurde; es erklärte die Revision für zulässig. Die beklagte Partei habe mit der Benachrichtigung des Käufers, das Gerät sei zu einem gewissen Zeitpunkt abholbereit, konkludent zum Ausdruck gebracht, sie wolle dessen Anbot annehmen. Der Kaufvertrag sei daher im Sinne des § 5a KSchG im Fernabsatz - unter ausschließlicher Verwendung eines Fernkommunikationsmittels - geschlossen worden. Infolge der rechtzeitigen Erklärung des Rücktritts komme § 5g KSchG zur Anwendung. Die klare Absicht der „Fernabsatz-Richtlinie" sei, den Konsumenten vor jeglichem Entscheidungsdruck zu bewahren, der sich daraus ergeben könnte, dass er bei Rücksendung der bestellten Ware im Regelfall mit Entgeltforderungen des Verkäufers konfrontiert wäre. Die Auferlegung eines angemessenen Nutzungsentgelts für eine Benutzung der Ware bewirke jedoch keinen Entscheidungsdruck. Es stehe nämlich im Belieben des Konsumenten, ob er die Ware nach Erhalt lediglich überprüft und ohne deren weitere Benutzung den Rücktritt erklärt, oder ob er die Ware über die bloße Überprüfung hinaus benützt und schließlich gebraucht an den Verkäufer retourniert. Aus diesem Grund bestehe keine Veranlassung, den in der Richtlinie gebrauchten Ausdruck „Kosten" so auszulegen, dass damit dem Verbraucher ungeachtet seines Rücktrittsrechts ein entgeltfreier Gebrauch der verkauften Ware bis zur Ausübung des Widerrufsrechts ermöglicht werde. Angesichts dieses aus der Richtlinie klar ersichtlichen Regelungszwecks sei eine Fragestellung an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 234 des EG-Vertrages über die Richtlinienkonformität des § 5g KSchG nicht erforderlich. Die Höhe des Benützungsentgelts habe sich nicht am „ortsüblichen Mietzins" zu orientieren, da dieses bei Sachen, die auf lange Zeit üblicherweise nicht gemietet, sondern käuflich erworben werden, schon in verhältnismäßig kurzer Zeit die Höhe des Barverkaufswerts erreichen würde (hier nach 30 Tagen). Dies würde zu nicht sachgerechten und höchst unbilligen Ergebnissen führen. In solchen Fällen sei das angemessene Benützungsentgelt unter Berücksichtigung jenes Aufwands zu ermitteln, den der Käufer vornehmen hätte müssen, um sich den Gebrauchsnutzen einer gleichwertigen Sache durch Kauf und Weiterverkauf nach Gebrauch zu verschaffen. Nicht auf den festgestellten konkreten Wiederverkaufserlös sei abzustellen, sondern seien Durchschnittsmaßstäbe anzusetzen. Die Wertminderung sei als Kalkulationselement mit Hilfe allgemeiner betriebswirtschaftlicher Abschreibungssätze festzustellen, wobei lediglich der Wertverlust durch tatsächliche Nutzung zu beachten sei. Wertminderungen, die durch zufällige Ereignisse - wie die Verzögerung des Verkaufs wegen Erscheinens eines Nachfolgemodells - bewirkt würden, dürften bei der Berechnung des Benützungsentgelts keine Rolle spielen. Da das Treffen von Feststellungen zur Bemessung des Benützungsentgelts und der Wertminderung in Relation zum Streitgegenstand einen unverhältnismäßigen Aufwand erforderte, seien diese Beträge gemäß § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung festzusetzen: Zum Ankaufspreis bestehe eine Differenz von 534,46 EUR; das marktübliche Benützungsentgelt für 10 Tage betrage 709,89 EUR. Unter Ausklammerung des Erscheinens des Nachfolgemodells sei unter der Annahme einer mehrjährigen Nutzungsdauer des Monitors und unter Berücksichtigung des Gebrauchsnutzens bei fiktivem Verkauf ein Benützungsentgelt in der Höhe von rund 15 % des Ankaufspreises, gerundet 330 EUR, als angemessen zu erachten. In dieser Höhe bestehe die Gegenforderung zu Recht.

Die gegen diese Entscheidung gerichteten Revisionen beider Parteien sind zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, der Vertrag sei im Fernabsatz unter ausschließlicher Verwendung eines Fernkommunikationsmittels (Internet) geschlossen worden. Insofern genügt der Verweis auf die Ausführungen des Berufungsgerichts (Seite 5 bis 7 des Berufungsurteils), die frei von Rechtsirrtum sind und denen die beklagte Partei in ihrer Revision nichts Stichhältiges entgegensetzt.

Der den Widerruf des Vertragsabschlusses im Fernabsatz behandelnde Art 6 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz („Fernabsatz-Richtlinie") in der zum Zeitpunkt des hier maßgeblichen Vertragabschlusses gültigen Fassung lautet in den hier bedeutsamen Passagen:

„(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung des Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. ...

(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich, in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen."

Bestimmungen darüber, welches Schicksal der Fernabsatzvertrag erleidet, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht geltend macht, fehlen. Ebensowenig enthält Art 6 der „Fernabsatz-Richtlinie" weitere Normen zur Rückabwicklung des Vertrags sowie zur Haftung des Verbrauchers bei (Teil-)Unmöglichkeit der Herausgabe oder Verschlechterung der Ware. Ob und inwieweit der Verbraucher zum Ersatz der gezogenen Nutzungen verpflichtet sein soll und welcher Verschuldensmaßstab heranzuziehen ist, lässt die Richtlinie ebenfalls offen (Meents, Verbraucherschutz bei Rechtsgeschäften im Internet, 203 ff). Der genannte Artikel trifft somit keine umfassende, gleichsam perfekte Regelung, sondern beschränkt sich - entsprechend dem grundsätzlichen Wesen der Richtlinie - auf Zielvorgaben (Fischer/Köck/Karollus, Europarecht4 Rz 1263). Damit im Einklang steht der Erwägungsgrund 14 der „Fernabsatz-Richtlinie", nach dem es Sache der Mitgliedstaaten ist, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen. In Wahrnehmung des in diesen Bereichen dem nationalen Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraums hat der österreichische Gesetzgeber die „Fernabsatz-Richtlinie" durch Einführung der §§ 5a - 5i KSchG (BGBl I 1999/185) umgesetzt.

§ 5g KSchG lautet:

„(1) Tritt der Verbraucher nach § 5e vom Vertrag zurück, so hat Zug um Zug

1. der Unternehmer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen zu erstatten und den vom Verbraucher auf die Sache gemachten notwendigen und nützlichen Aufwand zu ersetzen sowie

2. der Verbraucher die empfangenen Leistungen zurückzustellen und dem Unternehmer ein angemessenes Entgelt für die Benützung, einschließlich einer Entschädigung für eine damit verbundene Minderung des gemeinen Werts der Leistung, zu zahlen; die Übernahme der Leistungen in die Gewahrsame des Verbrauchers ist für sich allein nicht als Wertminderung anzusehen.

(2) An Kosten dürfen dem Verbraucher nur die unmittelbaren Kosten der Rücksendung auferlegt werden, sofern die Parteien dies vereinbart haben.

(3) § 4 Abs 2 und 3 ist anzuwenden."

Nimmt man die Auslegung des § 5g KSchG im Hinblick auf das Gebot vor, inhaltlich von der Richtlinie berührte Normen soweit wie möglich im Einklang mit der Richtlinie („richtlinienkonform") auszulegen (Thun-Hohenstein/Cede/Hafner, Europarecht5, 181 f mwN), ist vorerst nach dem Zweck des Art 6 der Richtlinie zu fragen. Der Erwägungsgrund 14 der Fernabsatzrichtlinie führt dazu aus, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht deshalb zukommen solle, da er in der Praxis keine Möglichkeit habe, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Typischerweise fehlt auch eine persönliche Beratung durch den Verkäufer (vgl SZ 2003/52). Das Rücktrittsrecht soll damit dem Verbraucher die Möglichkeit geben, bei Erhalt des Erzeugnisses und dessen Überprüfung vom Vertrag zurücktreten zu können; es dient als Korrektiv für unüberlegte Bestellungen, zu denen der Verbraucher mittels entsprechender Werbe- und Marketingmaßnahmen verleitet wurde. Der Verbraucher im Fernabsatz soll einem Käufer, der die Ware vor Vertragsabschluss begutachten und überprüfen kann, im Ergebnis gleichgestellt werden. Nur der Widerruf ermöglicht dem Verbraucher, die Vorteile des Distanzvertriebs zu nutzen und sich dennoch in einer vergleichbaren Position zu sehen wie jemand, der den Vertragsgegenstand vor Vertragsschluss intensiv untersuchen kann (Meents, aaO 199). Ausgehend davon ergibt sich gemäß dem Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der „Fernabsatz-Richtlinie" (Amtsblatt Nr C 17 vom 22. 1. 1996, S 51), dass notwendigerweise die vom Verbraucher getragenen Ausgaben auf die Portokosten für die Rücksendung zu begrenzen sind, da dieses „sonst ein formales Recht bliebe".

Die Regierungsvorlage zu den Bestimmungen des KSchG über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz (1998 BlgNR 20. GP) führt zum Rücktrittsrecht aus, der mit der Übergabe der Sache begonnene Lauf der Rücktrittsfrist hindere den Verbraucher nicht daran, die übergebene Sache zu gebrauchen. Wenngleich der Sachgebrauch nicht zur Verwirkung des Rücktrittsrechts führe, soll der Verbraucher aber - in Anlehnung an § 4 KSchG - verhalten sein, ein allfälliges Benützungsentgelt sowie eine allfällige Wertminderung zu zahlen, sofern er die Sache benützt hat. Weiters wird ausgeführt, die Richtlinie lasse eine solche Regelung zu, zumal sie (nur) weitergehende Kostenforderungen (etwa eine Bearbeitungsgebühr oder Überweisungsgebühr) des Unternehmers ausschließe, nicht aber Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche. Das „angemessene Entgelt für die Benützung" im Sinne des § 5g KSchG sei als Gegenleistung für den tatsächlich zur Verfügung gestellten Gebrauch der Vertragsleistung durch den Verbraucher zu qualifizieren, weshalb in diesem Zusammenhang nicht von „Kosten" gesprochen werden könne.

Bei gebotener richtlinienkonformer Interpretation wäre die Auferlegung von Benützungsentgelt bzw Wertminderungsabgeltung in § 5g KSchG mit dem Zweck des Widerspruchsrechts nach Art 6 der Richtlinie nur dann nicht vereinbar, wenn dem Verbraucher die Verpflichtung zur Zahlung eines Benützungsentgelts sowie zum Ausgleich einer Wertminderung schon dann auferlegt würde, wenn er die Sache lediglich begutachtet oder zwecks Erprobung bestimmungsgemäß kurzfristig in Gebrauch genommen hat. Derartige finanzielle Belastungen, die der Verbraucher regelmäßig im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts zu gewärtigen hätte, stellten eine richtlinienwidrige Sanktion dar, die das Widerspruchsrecht umgehen oder dessen Ausübung erschweren würden. Da bei den in körperlicher Anwesenheit beider Parteien abgeschlossenen Kaufverträgen der Kaufgegenstand regelmäßig entgeltfrei begutachtet (beispielsweise etwa anprobiert) werden kann, muss dies auch bei im Fernabsatzweg geschlossenen Kaufverträgen möglich sein, andernfalls eine Schlechterstellung gegeben wäre.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist aber völlig anders gelagert: Der Käufer nahm den von ihm im Fernabsatzweg erworbenen Flachbildschirm während acht Werktagen etwa 43 1/2 Stunden lang in Betrieb, was einem „Vollbetrieb" während einer (gesamten) Arbeitswoche entspricht. Damit liegt eindeutig nicht mehr ein „Testbetrieb", sondern ein Gebrauch des Monitors vor. Die Fragen, ob die Eigenschaften des Monitors (Schnelligkeit des Bildaufbaus, Auflösungsvermögen) mit den in der Produktbeschreibung genannten Eigenschaften übereinstimmen und er auch den subjektiven Anforderungen und Vorstellungen des Verbrauchers entspricht, sind nämlich jedenfalls nach einer weitaus kürzeren Betriebsdauer beurteilbar. Im Hinblick auf diesen extensiven Gebrauch stellen sich - in anderen Fällen allenfalls problematische - Abgrenzungsfragen zwischen Begutachtung und Gebrauch nicht. Für Sachverhalte, bei denen eine derart intensive Nutzung des Kaufobjekts vor der Rücktrittserklärung erfolgt, sieht die Richtlinie keine Regelung vor, sodass dem nationalen Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum offen stand, um die Richtlinie zu ergänzen. Dass der zu diesem Zweck geschaffene § 5g KSchG diesen Regelungsspielraum überschreitet, ist gerade im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Zweck der Richtlinie, den Konsumenten bei Ausübung des Widerrufsrechts vor Entscheidungsdruck zu bewahren, ist nämlich nicht in Frage gestellt, wenn ihm für den Gebrauch einer der Abnutzung unterliegenden Ware im Einklang mit dem Bereicherungsrecht ein angemessenes Benützungsentgelt einschließlich einer Entschädigung für eine mit der Benützung verbundene Minderung des gemeinen Werts auferlegt wird. Eine von der Richtlinie verpönte Sanktion wäre nur dann gegeben, wenn die Regelung zuließe, dem Verbraucher ein derart hohes Benützungsentgelt aufzuerlegen, dass dieses den Charakter einer Strafzahlung annähme, wodurch dem Konsumenten aus wirtschaftlichen Gründen die Möglichkeit des Vertragsrücktritts faktisch wieder genommen wäre. Dem wird aber durch die Einschränkung auf ein „angemessenes" Benützungsentgelt entgegengewirkt. § 5g KSchG verhindert somit in Fällen extensiver Benützung eine einseitige Risikoverlagerung zu Lasten des Unternehmers und bewirkt dadurch einen Ausgleich der Interessen zwischen Verbraucher und Unternehmer.

Eine dem § 5g KSchG vergleichbare Gesetzeslage findet sich übrigens auch im deutschen Recht. Das am 30. 6. 2000 in Kraft getretene deutsche Fernabsatzgesetz, mit dem die „Fernabsatz-Richtlinie" innerstaatlich umgesetzt wurde, ist seit 1. 1. 2002 in das dBGB integriert worden (Lütcke, Fernabsatzrecht, 1f). Im § 357 dBGB wurden die Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe geregelt. Auch für den deutschen Rechtsbereich wird die Ansicht vertreten, der Verbraucher sei im Falle der Nutzung einer Sache zum „Ersatz der Nutzungen" verpflichtet, was sich schon aus § 346 Abs 1 dBGB ergebe und weil der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nicht infolge des Widerrufs entstehe, sondern auf Grund des Gebrauchs der zurückzugebenden Sache (siehe nur Lütcke aaO, Rz 35 zu § 357 dBGB, und Kaiser in Staudinger, BGB, 2004, Rz 40 f zu § 357).

Hat also der Verbraucher - wie hier - einen der Abnützung und Wertminderung unterliegenden Kaufgegenstand während der Rücktrittsfrist viele Stunden lang in Gebrauch genommen, sodass der Unternehmer diesen nicht mehr als neuwertig, sondern um einen erheblich niedrigeren Kaufpreis nur mehr als „gebraucht" weiter veräußern kann, steht die Auferlegung eines angemessenen Nutzungsentgelts einschließlich einer Entschädigung für eine damit verbundene Minderung des gemeinen Werts gemäß § 5g KSchG im Einklang mit Art 6 Abs 2 der Richtlinie. Die Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation werden durch dieses Auslegungsergebnis nicht überschritten, da der normative Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmt werden muss, sondern mit dem Bereicherungsrecht in Einklang steht (vgl SZ 73/131).

Die Anregung der klagenden Partei, dem Europäischen Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art 234 EGV zur Auslegung von Art 6 der Fernabsatz-Richtlinie" vorzulegen, war trotz Fehlens einer Rechtsprechung dieses Gerichtshofs nicht aufzugreifen. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts (hier: Art 6 der Richtlinie) derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. In derartigen Fällen ist das nationale Gericht seiner Vorlagepflicht enthoben (SZ 2002/157; SZ 2003/52 uva).

Dem Standpunkt der klagenden Partei, infolge des Wortlauts von Art 6 der „Fernabsatz-Richtlinie" sei diese fehlerhaft umgesetzt worden, da die dort getroffene Regelung den Mitgliedstaaten in allen Fällen verbiete, den Verbraucher mit einer Nutzungsentschädigung zu belasten, ist daher nicht zu folgen. Auf die Frage der Direktwirkung von Bestimmungen nicht umgesetzter Richtlinien auf Privatpersonen („direkte horizontale Wirkung von Richtlinienbestimmungen") muss daher nicht eingegangen werden.

Zur Höhe des „angemessenen Entgelts für die Benützung" im Sinne des § 5g KSchG:

In Übereinstimmung mit der vom Obersten Gerichtshof zur Rückabwicklung von Kaufverträgen nach § 921 ABGB wiederholt vertretenen Rechtsansicht (SZ 68/116; JBl 1992, 247) ging das Berufungsgericht davon aus, das angemessene Benützungsentgelt für den Zeitraum bis zur Rückgabe des Kaufgegenstands sei unter Berücksichtigung des Aufwands zu ermitteln, den der Käufer hätte tragen müssen, um sich den Gebrauchsnutzen eines gleichwertigen Gegenstands durch Kauf und Weiterverkauf nach Gebrauch zu verschaffen. Auch die Ansicht, die Wertminderung sei nur so weit abzugelten, als sie auf den tatsächlichen Gebrauch, nicht aber auf davon unabhängige Ereignisse (wie den Preisverfall infolge Erscheinens eines Nachfolgemodells) rückführbar sei, stellt keine Fehlbeurteilung dar (Krejci aaO Rz 19 zu § 4 KSchG). Dass die Bemessung eines Benützungsentgelts nach § 273 ZPO erfolgen kann, entspricht ebenfalls herrschender Rechtsprechung (vgl Rechberger in Rechberger ZPO2 § 273 Rz 4 mwN).

Dem Revisionsvorbringen der klagenden Partei zur Wertminderung unter der Annahme eines „linearen Wertverlaufs" ist entgegenzuhalten, dass der Wert von Gütern des täglichen Gebrauchs durch eine kurzzeitige Benützung überproportional gemindert wird, weswegen der Verbraucher auch die über den linearen Nutzen hinausgehende Wertminderung der Sache zu ersetzen hat (vgl Kaiser aaO, Rz 25 zu § 357). Die Streitteile vermögen nicht überzeugend darzulegen, aus welchen Gründen die Festsetzung eines angemessenen Benützungsentgelts und der Entschädigung für die mit der Nutzung verbundene Minderung des gemeinen Werts nicht - wie vom Berufungsgericht vorgenommen - mit 330 EUR hätte erfolgen sollen (siehe hiezu beispielsweise auch JBl 1986, 186).

Zusammenfassend sind die Revisionen beider Parteien nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Streitteile waren jeweils nur mit ihrer Revisionsbeantwortung erfolgreich.

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