OGH 3Ob49/05k

OGH3Ob49/05k24.8.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 22. Jänner 2004 verstorbenen Maria P*****, zuletzt wohnhaft in D*****, infolge Revisionsrekurses des erbl Enkels Erik H*****, Angestellter, D*****, vertreten durch Dr. Josef Faulend-Klauser und Dr. Christoph Klauser, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 19. Oktober 2004, GZ 1 R 373/04m-21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 10. September 2004, GZ 1 A 46/04h-18, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufgehoben wird.

Text

Begründung

Die Verstorbene hinterließ ein Testament, in dem sie ihren Enkel, den Sohn der erbl. Tochter Friederike M*****, zum Alleinerben einsetzte und die weiteren gesetzlichen Erbberechtigten auf den Pflichtteil verwies.

Die erbl. Tochter teilte dem Gericht mit, dass der bereits vorverstorbene erbl. Sohn Johann K***** einen unehelichen Sohn hinterlassen habe, der jedoch zur Adoption freigegeben worden sei. Weiteres sei nicht bekannt.

Das Erstgericht bestellte einen „Erben- und Abwesenheitskurator" gemäß §§ 77 Z 2, 131 AußStrG für den unehelichen Sohn des vorverstorbenen erbl. Sohnes und zur Ausforschung allfälliger weiterer Erben; es führte zur Begründung aus, die Abhandlungsbehörde habe von Amts wegen einen Kurator zu bestellen, wenn zwar die Person eines Erben bekannt, dessen Aufenthalt aber unbekannt sei. Es sei daher „ein Verlassenschaftskurator" zu bestellen gewesen.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss mit der Maßgabe, dass der Kurator für den unehelichen Sohn des vorverstorbenen erbl. Sohnes gemäß § 276 2. Fall ABGB bestellt wurde. Die 2. Instanz führte dazu aus, die Bestellung eines Erbenkurators für eine unbekannte Person, bei der weder Name noch Anschrift bekannt seien, sei schon dem Wortlaut des § 131 AußStrG nach nicht zulässig. Auch ein Abwesenheitskurator dürfe nur bestellt werden, wenn eine namentlich bekannte Person abwesend sei. Bei Unbekanntheit der Person selbst komme nur die Bestellung eines Kurators für unbekannte Teilnehmer an einem Geschäft in Frage. Diese Kuratorenbestellung sei aber notwendig, weil die Beteiligten im Verlassenschaftsverfahren, zu denen auch der Noterbe gehöre, aufgrund ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör dem Verfahren beizuziehen seien, soweit ihre Beteiligtenstellung aktenkundig sei oder nach der Aktenlage vermutet werden könne. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 20.000 EUR nicht übersteige, und erklärte (über Antrag auf Änderung des Zulässigkeitsausspruchs) den Revisionsrekurs mit der Begründung für zulässig, dass eine oberstgerichtliche Entscheidung zur Frage der Bestellung eines Kurators für unbekannte Teilnehmer am Verlassenschaftsverfahren fehle und die - auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbare - neue Rechtslage nach dem AußStrG 2003 keine Kuratorenbestellung für unbekannte Erben vorsehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Das Unterlassen der Beiziehung eines Noterben zur Verlassenschaftsabhandlung begründet nach stRspr die Nichtigkeit des Abhandlungsverfahrens (RIS-Justiz RS0005734). Fraglich ist, auf welche Weise die Beiziehung eines namentlich unbekannten Noterben, dessen Vorhandensein nach dem Akteninhalt vermutet werden kann, zu erfolgen hat. Hiebei sind gemäß § 205 AußStrG BGBl I 2003/111 noch die Bestimmungen des AußStrG RGBl 1854/208 (in der Folge: AußStrG 1854) anzuwenden, weil der Todestag vor dem 1. Jänner 2005 liegt.

Im AußStrG 1854 sind die Fälle der Kuratorenbestellung im Verlassenschaftsverfahren in den §§ 77 ff geregelt. §§ 128 f und 131 f AußStrG 1854 treffen Vorschriften über das dabei einzuhaltende Verfahren.

§ 77 Z 2 AußStrG 1854 sieht die Bestellung eines („Erben"-)Kurators für vermutliche Erben oder Miterben vor, deren Aufenthaltsort unbekannt oder so weit entfernt ist, dass sie nicht im Stande sind, in gehöriger Zeit ihre Rechte selbst zu vertreten. Nach dem diese Bestimmung näher konkretisierenden § 131 AußStrG 1854 hat das Gericht den Erbenkurator zu bestellen, wenn ihm die Person eines Erben zwar bekannt, der Aufenthalt desselben aber unbekannt ist. §§ 77 Z 2, 131 AußStrG 1854 sind zwar analog auf Noterben anzuwenden (6 Ob 9/59 = SZ 32/13; 6 Ob 318/63), § 131 AußStrG 1854 schließt jedoch schon nach seinem Wortlaut die Bestellung eines Erbenkurators für unbekannte Erben aus (vgl dazu Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht, 73). Unbekannt ist der (Not-)Erbe, wenn - wie hier - sein Name und seine Anschrift unbekannt sind (Klement in NZ 1979, 113). Die vom Erstgericht vorgenommene Bestellung eines Erbenkurators erfolgte daher nicht zu Recht.

Vorkehrungen für den Fall der Unbekanntheit der Erben trifft § 78 AußStrG 1854. In diesem Fall, oder wenn neben den bekannten Erben weitere unbekannte vermutet werden können (Klement aaO, 112), ist ein („Verlassenschafts"-)Kurator zur Verwaltung des Nachlasses zu bestellen. Der Nachlass kann den bekannten Erben dann nicht sogleich zur Besorgung und Verwaltung überlassen werden; vielmehr sind die unbekannten Erben gemäß § 128 AußStrG 1854 von Amts wegen mittels Edikt zu verständigen. Erst nach fruchtlosem Verstreichen der 6-monatigen Ediktalfrist ist die Verlassenschaft mit denjenigen, die sich erbserklärt haben, zu verhandeln. Nach § 129 AußStrG 1854 ist der Verlassenschaftskurator verpflichtet, auch alle (neben dem Edikt) übrigen Mittel zur Ausforschung der Erben anzuwenden.

Der Fall des Vorhandenseins eines namentlich unbekannten Noterben ist im AußStrG 1854 hingegen nicht ausdrücklich geregelt. Fraglich ist, ob diesfalls die Vorschriften der §§ 78, 128, 129 AußStrG 1854 - ganz oder zum Teil - anzuwenden sind.

Der in § 129 AußStrG 1854 bestimmte Geschäftskreis des Verlassenschaftskurators umfasst die Vertretung und Verwaltung des Nachlasses. Der Kurator ist nur Vertreter des Nachlasses, nicht der Erben (RIS-Justiz RS0007737). Voraussetzung der Bestellung eines Verlassenschaftskurators ist das Vorhandensein einer Verlassenschaftsmasse, deren Verwaltung oder Vertretung erforderlich ist. Bei Unbekanntheit vermutlicher Erben darf die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses auch den daneben vorhandenen bekannten Erben vor Ablauf der Ediktalfrist nicht überlassen werden, da die Erben in Ansehung des Erbrechts nach dem Verhältnis ihrer Erbteile eine Miteigentumsgemeinschaft bilden, die den allgemeinen Regeln der §§ 825 ff ABGB untersteht. Wird daher der Gegenstand der Gemeinschaft, nämlich das Erbrecht, vor der Einantwortung nur einem oder einigen von ihnen gegen den Willen der anderen überlassen, stellt dies einen Eingriff in die Rechte dieser anderen dar (Knell aaO, 97 ff).

Der Pflichtteilsberechtigte hat dagegen keinen Anspruch auf eine Teilhabe an der Verwaltung und Vertretung des Nachlasses. Der Pflichtteilsanspruch besteht lediglich in einer Geldforderung (Welser in Rummel³, Vor § 762 ABGB Rz 2; Eccher in Schwimann², § 764 ABGB Rz 1). Dem Pflichtteilsberechtigten kommen zur Sicherung seiner Forderung die Rechte zu, die Inventarisierung des Nachlasses zu verlangen (§ 804 ABGB), dessen Schätzung beizuwohnen (§ 784 ABGB), sowie dessen Separation zu verlangen (§ 812 ABGB). Nach letzterer Bestimmung kann (unter anderen) ein Noterbe, der besorgt, dass er durch Vermengung der Verlassenschaft mit dem Vermögen des Erben für seine (Pflichtteils-)Forderung Gefahr laufen könnte, vor der Einantwortung verlangen, dass die Erbschaft von dem Vermögen des Erben abgesondert, vom Gerichte verwahrt oder von einem („Absonderungs-")Kurator verwaltet, sein Anspruch darauf vorgemerkt und berichtigt werde.

Die Bestellung eines solchen Absonderungskurators setzt voraus, dass der Gläubiger oder Pflichtteilsberechtigte konkrete Umstände anführt, die seine subjektive Besorgnis begründet erscheinen lassen. Die subjektive Besorgnis muss durch Anführung konkreter Umstände begründet sein. Die bloße abstrakte Möglichkeit von Verfügungen der Erben über den Nachlass, die in jedem Fall gegeben ist, rechtfertigen eine solche Nachlassabsonderung nach stRspr nicht (5 Ob 600/77 = JBl 1978, 152; 4 Ob 519/79 = EFSlg 33.690; vgl Eccher in Schwimann², § 812 ABGB Rz 5).

Eine volle analoge Anwendung der §§ 78, 128, 129 AußStrG 1854 auf Pflichtteilsberechtigte liefe nun darauf hinaus, dass entgegen diesen Grundsätzen bei Unbekanntheit eines Noterben auch ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung seiner Forderung ein Kurator zur Verwaltung des Nachlasses zu bestellen und dem Erben entgegen seinen durch § 810 ABGB eingeräumten Rechten die Verwaltung des Nachlasses vorzuenthalten wäre. Daraus folgt, dass eine volle analoge Anwendung der Bestimmungen über den Verlassenschaftskurator auf den Fall der Unbekanntheit eines Pflichtteilsberechtigten nicht in Betracht kommt.

Fraglich ist, ob die Beiziehung des unbekannten Noterben daher - wie vom Rekursgericht angenommen - durch Rückgriff auf allgemeinere Vorschriften, konkret durch Bestellung eines Kurators für unbekannte Teilnehmer an einem Geschäft gemäß § 276 2. Fall ABGB, zu erfolgen hat.

Aufgrund der Systematik und Detailliertheit der Regelungen der §§ 77, 78, 128, 129 und 131 AußStrG 1854 ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber damit die im Verlassenschaftsverfahren auftretenden Kuratelsfälle abschließend regeln wollte. Dabei hat er sich zwar an sich der allgemeinen zivilrechtlichen Unterscheidung zwischen dem Fall des bekannten, aber abwesenden Beteiligten (§ 276 1. Fall ABGB) und dem Fall des unbekannten Beteiligten (§ 276 2. Fall ABGB) bedient (vgl dazu Klement aaO, 108), während er jedoch für den Fall der Abwesenheit des (Not-)Erben den Erbenkurator gemäß § 77 Z 2 AußStrG 1854 als Unterfall des zivilrechtlichen Abwesenheitskurators vorgesehen hat, ist für den Fall des unbekannten Erben im Verlassenschaftsverfahren keine Bestellung eines Kurators für eine bestimmte Person selbst, sondern ein spezielles Ediktalverfahren und die Bestellung eines Kurators für den Nachlass vorgesehen (§§ 78, 128, 129 AußStrG 1854). Nach fruchtlosem Verstreichen der Frist soll das Verlassenschaftsverfahren ungehindert und ohne Rücksicht auf das etwaige Vorhandensein unbekannter Beteiligter fortgesetzt werden können. Der Gesetzgeber ist im Bereich des Verlassenschaftsverfahrens somit bewusst von der allgemeinen Regelung des § 276 2. Fall ABGB abgewichen.

Die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Beiziehung eines unbekannten Noterben hat daher nicht durch Bestellung eines Kurators für unbekannte Teilnehmer an einem Geschäft, sondern mit den vom Gesetzgeber vorgesehenen Mitteln des Verlassenschaftsverfahrens selbst zu erfolgen.

Nun scheidet zwar aus den oben dargelegten Gründen eine volle analoge Anwendung der §§ 78, 128, 129 AußStrG 1854 auf den Fall des unbekannten Noterben aus, weshalb auch kein Kurator für den Nachlass zu bestellen ist. Dies gilt jedoch nicht für die Vorschriften des § 128 AußStrG 1854 über das Ediktalverfahren. Durch die analoge Anwendung dieser Bestimmungen ist - auf gleiche Weise wie beim unbekannten Erben - das rechtliche Gehör des unbekannten Noterben gesichert.

Der Beschluss des Rekursgerichts ist daher dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufgehoben wird. Das Erstgericht wird in sinngemäßer Anwendung des § 128 AußStrG 1854 den unbekannten Noterben durch Durchführung eines Ediktalverfahrens der Verlassenschaftsabhandlung beizuziehen und gegebenenfalls mit der Einantwortung bis zu einem fruchtlosen Ablauf der Ediktalfrist zuzuwarten haben.

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