OGH 8Ob29/05f

OGH8Ob29/05f21.7.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** GmbH, ***** vertreten durch Saxinger Chalupsky Weber & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wider die beklagte Partei Dr. Hans P*****, vertreten durch Mag. Volker Leitner, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 35.983,44 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 3. November 2004, GZ 15 R 121/04f-20, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 4. März 2004, GZ 2 Cg 82/03z-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 22. 10. 2001, 27 S 419/01f, wurde über das Vermögen der H***** GmbH der Konkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.

Mit Beschluss vom 22. 10. 2002 wurde der Konkurs nach rechtskräftiger Bestätigung des am 21. 5. 2002 geschlossenen Zwangsausgleichs gemäß § 157 Abs 1 KO aufgehoben und dieser Beschluss am 23. 10. 2002 in der Insolvenzdatei öffentlich bekannt gemacht. Dem Masseverwalter wurde der Beschluss am 28. 10. 2002 zugestellt.

Mit Beschluss vom 13. 11. 2002 wurde die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses vom 22. 10. 2002 bestätigt und die Rechtskraftbestätigung am 14. 11. 2002 in der Insolvenzdatei öffentlich bekannt gemacht.

Die Rechnung der Klägerin für aufgrund einer Bestellung des Beklagten vom 21. 8. 2002 gelieferte Waren datiert vom 30. 9. 2002 und langte beim Beklagten am 15. 10. 2002 ein. Sie war binnen 30 Tagen netto zahlbar.

Am 6. 11. 2002 befand sich am Massekonto ein Guthaben in Höhe von 3.613,47 EUR; am 13. 11. 2002 ein Guthaben in Höhe von 12.867,44 EUR und am 14. 11. 2002 ein Guthaben in Höhe von 27.382,44 EUR. Die Klägerin begehrt zuletzt (S 1 in ON 7) 35.983,44 EUR samt 10,2 % Zinsen aus 35.162,40 EUR vom 10. 1. 2003 bis 30. 6. 2003 sowie 9,47 % Zinsen aus 35.162,40 EUR ab 1. 7. 2003 (8 % über den Basiszinssatz). Der Beklagte als Masseverwalter habe im Zuge des Fortbetriebes am 21. 8. 2002 Waren bestellt. Nach einer einvernehmlichen Mengenreduktion sei die bestellte Ware am 20./23.9.2002 geliefert worden. Am 30. 9. 2002 sei die Warenlieferung mit 41.162,40 EUR inklusive USt fakturiert worden. Der Betrag sei innerhalb von 14 Tagen abzüglich eines 3 %igen Skontos zahlbar gewesen; innerhalb von 30 Tagen, somit spätestens am 30. 10. 2002, aber jedenfalls fällig gewesen. Die Konkursaufhebung sei am 14. 11. 2002 rechtskräftig geworden. Erst mit diesem Zeitpunkt habe die Vertretungsbefugnis des Beklagten für die Masse geendet. Masseforderungen seien ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrens zu befriedigen. Der Masseverwalter habe gemäß § 124 Abs 2 KO dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Beträge rechtzeitig, also bei Fälligkeit, verfügbar seien. Die frühere Gemeinschuldnerin habe am 9. 1. 2003 lediglich eine Teilzahlung von 6.000 EUR geleistet. Der Pflichtenverstoß des Beklagten, der ihn gemäß § 81 Abs 3 KO haftbar mache, gründe sich darauf, dass der Beklagte die Bezahlung der Masseforderung pflichtwidrig unterlassen habe. Über das Vermögen der früheren Gemeinschuldnerin sei neuerlich der Konkurs eröffnet worden.

Der Beklagte bestreitet das Klagebegehren, das im Umfang der geltend gemachten Rechnungssumme aus der Warenlieferung zwar als rechnerisch richtig zugestanden wird, das aber im Umfang des Zinsenbegehrens auch der Höhe nach bestritten wird (vgl S 2 in ON 7 und S 4 in ON 7). Die Klägerin habe nicht einmal behauptet, dass für den Beklagten zum Zeitpunkt der Warenbestellung absehbar gewesen sei, dass diese Forderung aus der Masse nicht mehr erfüllbar sei. Das sei aber Voraussetzung für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch. Zum Zeitpunkt der Freigabe des Massevermögens sei für den Masseverwalter nicht absehbar gewesen, dass die Gemeinschuldnerin nach Aufhebung des Konkurses die Forderung nicht mehr begleichen werden könne. Vielmehr sei zu diesem Zeitpunkt (Konkursaufhebung am 22. 10. 2002) ein Masseguthaben von 70.000 EUR gegeben gewesen. Offenen Kundenforderungen in Höhe von 131.000 EUR seien offene Masseverbindlichkeiten von rund 100.000 EUR gegenüber gestanden. Überdies müsse sich die Klägerin die im nunmehrigen Konkursverfahren (neuerliche Konkurseröffnung über das Vermögen der ehemaligen Gemeinschuldnerin) erzielte Quote auf ihren behaupteten Schadenersatzanspruch anrechnen lassen. Die Konkursaufhebung sei am 6. 11. 2002 rechtskräftig geworden. Fälligkeit der Rechnungssumme sei zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass die Tätigkeit des Masseverwalters mit Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses gemäß § 157 Abs 1 KO ende. Maßgeblich für die Auslösung der Rekursfrist sei der Tag der öffentlichen Bekanntmachung in der Datei. Davon ausgehend sei der Aufhebungsbeschluss mit 7. 11. 2002 rechtskräftig geworden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Rechnung nicht fällig gewesen. Eine Verpflichtung des Beklagten als Masseverwalter, diese Rechnung aus vorhandenem Massevermögen zu bezahlen, habe nicht bestanden.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtlich billigte das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Es sei nicht als haftungsbegründend behauptet worden, dass der Beklagte als Masseverwalter entgegen § 150 Abs 1 KO die Schlussrechnung nicht pflichtgemäß erstellt oder sonst die Aufhebung des Konkurses entgegen § 157 KO pflichtwidrig veranlasst habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist zulässig: Das erstinstanzliche Vorbringen, der Beklagte habe sich in seiner Eigenschaft als Masseverwalter dadurch pflichtwidrig verhalten, dass er trotz Kenntnis, dass die Masseforderung bereits vor Konkursaufhebung entstanden sei, diese Forderung nicht befriedigt habe, beinhaltet als bloßes minus den Vorwurf, dass der Masseverwalter der in § 150 Abs 1 KO normierten Sicherstellungspflicht nicht entsprochen habe.

Die Revision ist auch im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung berechtigt.

Gemäß § 150 Abs 1 KO iVm § 157 Abs 1 KO darf das Konkursgericht den Konkurs (nach Bestätigung des Zwangsausgleiches) erst dann aufheben, wenn für die nach § 149 Abs 1 und § 150 Abs 1 KO etwa erforderlichen und die im Ausgleich sonst noch bestimmten Sicherheitsleistungen vorgesorgt und der Nachweis darüber vorgelegt worden ist. Daraus wird abgeleitet (8 ObS 111/02k = ZIK 2003/254; Bachmann, Befriedigung der Masseforderungen, 169; Bartsch/Pollak KO³ 634; Petschek/Reimer/Schiemer, Insolvenzrecht 644 f; siehe dazu auch Riel,

Der zusammengebrochene Zwangsausgleich, ZIK 2003/107), dass auch nicht fällige Masseforderungen sicherzustellen sind. Reckenzaun (ZIK 1998, 141) differenziert dagegen und stellt auf den Zeitpunkt bis zur voraussichtlichen Rechtskraft der Konkursaufhebung ab. Masseforderungen, die in diesem Zeitraum voraussichtlich fällig werden, müsse der Masseverwalter sicherstellen bzw bei Eintritt der Fälligkeit berichtigen.

Beizupflichten ist Reckenzaun darin, dass dem Masseverwalter jedenfalls nicht generell zugemutet werden kann, sämtliche nicht fällige Masseforderungen durch Sicherstellung zu berücksichtigen, wenn ihr Entstehungszeitpunkt nicht absehbar ist, somit nicht einmal absehbar ist, ob sie bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fassung des Konkursaufhebungsbeschlusses überhaupt entstehen werden. Demgemäß verneint ein Teil der Lehre auch eine Sicherstellungspflicht des Masseverwalters für noch nicht festgesetzte bzw fällige Ertragssteuern (Kofler/Kristen, Insolvenz und Steuern², 66; Reckenzaun aaO; s. auch Chalupsky/Duursma-Kepplinger in Buchegger, InsR III § 81 KO Rz 70).

Berücksichtigt man jedoch die Interessen der Massegläubiger, die insbesondere in der Endphase des Konkursverfahrens als besonders schutzwürdig zu erachten sind (vgl dazu Reckenzaun aaO), ist eine Sicherstellungspflicht des Masseverwalters jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Masseverwalter nach objektiven Gesichtspunkten damit rechnen musste, dass bis zur Fassung des Aufhebungsbeschlusses eine Masseforderung entstehen werde. Dabei mag es durchaus Fälle geben (etwa im Rahmen eines Großkonkurses), bei welchen dem Masseverwalter subjektiv nicht vorgeworfen werden kann, das Entstehen einzelner Masseforderungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht bedacht zu haben. In diesem Fall könnte es, wenn der Masseverwalter seine Sicherstellungspflicht objektiv verletzt, dennoch an seinem Verschulden an einem Schadenseintritt mangeln. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass Masseforderungen, mit deren Entstehen der Masseverwalter bis zum maßgeblichen Zeitpunkt rechnen musste, auch dann sicherzustellen sind, wenn ihre Fälligkeit vor Konkursaufhebung noch nicht eingetreten ist.

Im hier zu beurteilenden Fall darf nicht übersehen werden, dass der Masseverwalter selbst im Rahmen des Fortbetriebes die Warenbestellung bei der Klägerin tätigte, die Klägerin ihrer Lieferverpflichtung vor Konkursaufhebung nachkam und die Rechnung zu einem Zeitpunkt legte, zu welchem der Konkurs ebenfalls noch nicht aufgehoben war. Selbst unter Zugrundelegung der Auffassung Reckenzauns musste der Beklagte hier nach der Aktenlage wohl damit rechnen, dass Fälligkeit der Rechnung vor Konkursaufhebung eintreten würde: Die der Rechnung zugrunde liegende Lieferung erfolgte nach dem insoweit unstrittigen Vorbringen der Klägerin am 20./23. 9. 2002. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beklagte darauf verlassen konnte, dass ihm die mit 30. 9. datierte Rechnung erst am 15. 10. 2002 zugehen würde und daher Fälligkeit vor Konkursaufhebung nicht eintreten würde, bestehen nicht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte selbst davon ausging, dass das Massevermögen zum Zeitpunkt der Konkursaufhebung ausgereicht hätte, die nunmehr geltend gemachte Klageforderung zu berichtigen. Davon ausgehend wäre der mit der Klage geltend gemachte Schaden bei der Klägerin nicht eingetreten, hätte sich der Beklagte pflichtgemäß verhalten und die der Höhe nach völlig unstrittige, allerdings zum Zeitpunkt der Konkursaufhebung noch nicht fällige Masseforderung sichergestellt. Darauf, ob und in welchem Umfang der frühere Gemeinschuldner für die Masseforderung nach Konkursaufhebung haftet (vgl zum Meinungsstand Jelinek/Nuner/Krautgasser in Konecny/Schubert, §§ 60, 61 KO Rz 9 ff), kommt es hier deshalb nicht an, weil es in Lehre und Rechtsprechung anerkannt ist, dass die in § 81 Abs 3 KO normierte verschuldensabhängige Haftung des Masseverwalters gegenüber den Beteiligten des Konkursverfahrens (wozu auch die Klägerin als Massegläubigerin zählt) nicht subsidiär ist, sondern wahlweise besteht. § 81 KO ist als Ausdruck einer gesetzlichen Sonderbeziehung aufzufassen, in der die Organe des Insolvenzverfahrens zu den Beteiligten stehen, und deren Verletzung schadenersatzrechtliche Folgen auslöst. Es steht daher dem Schadenersatzberechtigten wahlweise zu, an wen er sich nach Konkursaufhebung hält (vgl dazu ZIK 1998, 101 mwN). Die Rechtssache ist allerdings deshalb noch nicht spruchreif, weil es dem Beklagten - der sonst überrascht würde, nehme man einen Verstoß gegen die in erster Instanz nicht ausdrücklich zur Sprache gekommene Sicherstellungspflicht zum Anlass für eine Abänderung - ermöglicht werden muss, dazu Stellung zu nehmen, warum er seiner aus § 150 Abs 1 KO abzuleitenden Sicherstellungsverpflichtung nicht nachkam. Auch die Schadenshöhe wird im Hinblick auf das Vorbringen, die Klägerin müsse sich die im zweiten Konkursverfahren erzielte Quote anrechnen lassen, zu erörtern sein.

Der Klägerin wird Gelegenheit zu geben sein, ihr vom Beklagten ausdrücklich bestrittenes Zinsenbegehren näher zu präzisieren. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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