OGH 11Os46/05g

OGH11Os46/05g7.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Juni 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kreitner als Schriftführer, in der Maßnahmensache des Betroffenen Roland M***** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 1. Februar 2005, GZ 28 Hv 23/04a-55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit Urteil vom 20. April 2004 (ON 41a) wurde die Unterbringung des Ronald M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er seine Mutter Alena M***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhenden Zustandes mit dem Tod und einer Brandstiftung gefährlich bedroht hatte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Abs 2 StGB), und zu befürchten war, er werde sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen.

Die dagegen erhobene, nur gegen die Einweisung gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen wurde zurückgewiesen, aus deren Anlass aber gemäß § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen das - im Ausspruch über die Begehung der Anlasstaten unberührt bleibende - Urteil (nur) im Ausspruch über die Unterbringungsanordnung mangels ausreichender Feststellungen zur Prognosetat aufgehoben und insoweit die Neudurchführung des Verfahrens angeordnet (Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 19. Oktober 2004, AZ 11 Os 97/04). Im zweiten Rechtsgang erklärte die Mutter des Betroffenen, die von ihr im ersten Rechtsgang erteilte Ermächtigung zur Strafverfolgung zurückzuziehen (S 382). Mit dem angefochtenen Urteil wurde erneut die Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB verfügt, wozu die für die Beurteilung der Prognosetat als eine solche mit schweren Folgen erforderlichen Feststellungen, gestützt auf das (ergänzte) Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, getroffen wurden (US 3).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die formal auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit c, der Sache nach Z 11, des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen; sie schlägt fehl. Der Betroffene reklamiert unter Bezugnahme auf § 2 Abs 5 StPO die Unzulässigkeit des Ausspruchs der vorbeugenden Maßnahme mit der Behauptung, dass ungeachtet der rechtskräftigen Feststellung der Anlasstaten deretwegen keine Einweisung hätte mehr erfolgen dürfen, weil „für eine Bestrafung oder eine ihr gleichzusetzende Art der Verurteilung durch die Zurücknahme der Ermächtigung die Anklage fehlte".

Gegenstand einer Anklage ist jedoch (nur) ein dem Gericht gegenüber erklärter formeller Antrag des berechtigten Anklägers auf Verfolgung einer individuell bestimmten Person unter der Behauptung, diese habe eine individuell bestimmte strafbare Handlung begangen, und dem Ziel, das Gericht möge im Rahmen einer durchzuführenden Hauptverhandlung den Vorwurf überprüfen und im Fall seiner Überzeugung von dessen Richtigkeit einen Schuldspruch fällen (Mayrhofer, WK-StPO Vor § 207 Rz 2). Ein Antrag auf Verhängung einer (bestimmten) Sanktion ist hingegen nicht vorgesehen und somit auch nicht erforderlich (vgl § 255 Abs 1 letzter Satz StPO). Für einen Unterbringungsantrag nach § 429 Abs 1 StPO gelten die Bestimmungen über die Anklageschrift sinngemäß. Demgemäß muss der Antrag (nur) einen Anklagetenor enthalten, in dem die Anlasstat mit allen im § 207 Abs 2 Z 1 bis 3 StPO angeführten Angaben und Benennungen zu individualisieren ist (Medigovic, WK-StPO § 429 Rz 2).

Die Ermächtigung zur Verfolgung wiederum ist nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs 5 StPO lediglich prozessuale Voraussetzung für einen Schuldspruch und einen diesem soweit gleichgestellten Ausspruch über die Anlasstat, nicht aber für die Sanktionsfrage, welche im Fall des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen notwendige (vgl Danek, WK-StPO § 256 Rz 6), amtswegig wahrzunehmende, und nicht von einer eigenen Willenserklärung einer Partei abhängige gesetzliche Folge des Schuldspruchs bzw Ausspruchs über die Anlasstat ist. Einer eigenen Ermächtigung zur Bestrafung bedarf es somit bei einem vorliegenden Schuldspruch wegen eines Ermächtigungsdelikts bzw Ausspruch über eine derartige Anlasstat nicht.

Grundlage für den - soweit einem Strafausspruch gleichgestellten - Maßnahmenausspruch, dessen Kontrolle und dessen Effektuierung ist somit der - soweit einem Schuldspruch gleichgestellte - Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO über die Anlasstat. Dieser begründet den im Fall des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB jedenfalls zu effektuierenden Anspruch des Staates auf einen Maßnahmenausspruch, der nicht durch die Bedingung eingeschränkt ist, dass es in der Folge zu keiner Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für den Ausspruch über die Anlasstat kommt. Ist letzterer rechtmäßig zustande gekommen und rechtskräftig (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 289 Rz 8), so ist er bei Entscheidungen über die Maßnahme oder deren Effektuierung nicht neu zu prüfen (vgl 11 Os 95/02, SSt 2003/45). Der Ausspruch über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB bedurfte infolge rechtskräftigen Vorliegens eines Ausspruchs über die Anlasstat weder eines weiteren Verfolgungsantrags des öffentlichen Anklägers noch einer eigenen Ermächtigung der Verletzten, sodass das Schöffengericht seine Sanktionsbefugnis nicht überschritten hat. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die - nach § 290 Abs 1 letzter Satz StPO implizierte - Berufung folgt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte