OGH 14Os46/05d

OGH14Os46/05d7.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Juni 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wolfgang W***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB, AZ 42 Hv 519/01v des Landesgerichtes Wiener Neustadt, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Antrag des Wolfgang W***** auf Erneuerung des Strafverfahrens wird Folge gegeben.

Es werden das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24. August 2001, GZ 42 Hv 519/01v-13, der gleichzeitig gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO verkündete Beschluss sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 23. Oktober 2001, AZ 20 Bs 347/01 (ON 23), aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen. Mit seinen weiteren Aufhebungsanträgen wird Wolfgang W***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24. August 2001, GZ 42 Hv 519/01v-13, wurde Wolfgang W***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, von welcher gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von vierzehn Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gleichzeitig fasste der Einzelrichter den Beschluss, gemäß § 53 Abs 1 und 2 StGB, § 494a Abs 2 StPO vom Widerruf der dem Verurteilten im Verfahren 38 Vr 1131/98 des Landesgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern.

Nach dem Schuldspruch hat Wolfgang W***** vom März bis 5. August 2001 in Traiskirchen mit dem am 2. Juni 1984 geborenen David T***** durch wiederholte Vornahme von Oral- und Analverkehr gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben.

Das Oberlandesgericht Wien gab mit Urteil vom 23. Oktober 2001, AZ 20 Bs 347/01 (ON 23 des Hv-Aktes), der Berufung und der Beschwerde des Angeklagten nicht Folge, setzte jedoch in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft den bedingt nachgesehenen Teil der Freiheitsstrafe mit zehn Monaten fest.

Mit Erkenntnis vom 21. Oktober 2004 (W***** und W***** gegen Österreich, Application nos. 69756/01 und 6306/02) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine in der Verurteilung wegen § 209 StGB gelegene Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK fest, weil die in der Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletzte.

Aufgrund dieses Urteils beantragt Wolfgang W***** die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der angeführten Entscheidung des EGMR sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben:

§ 209 StGB wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 (G 6/02) unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Durch das am 14. August 2002 in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde die Strafbestimmung des § 209 StGB beseitigt. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter bestimmten, hier nicht erfüllten Voraussetzungen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen. Zur Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung normiert die Übergangsregelung (Art X), dass nach Aufhebung des Urteils erster Instanz unter anderem infolge Erneuerung des Strafverfahrens iSd §§ 1 und 61 StGB vorzugehen ist.

Da die Konventionsverletzung einen für den Verurteilten, dessen neuerliche Bestrafung wegen des in Rede stehenden Verhaltens nach dem Gesagten nicht mehr in Betracht kommt, nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidung ausübt (§ 363a Abs 1 StPO) und nicht dem - mit dem Straffall bisher nicht befassten - Obersten Gerichtshof zuzurechnen ist, war in Stattgebung des Erneuerungsantrages und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 3 StPO wie im Spruch zu entscheiden (vgl Reindl, WK-StPO § 363c Rz 8). Mit seinem Antrag auf Aufhebung von weiteren Beschlüssen des Landesgerichtes Wiener Neustadt und des Oberlandesgerichtes Wien war Wolfgang W***** hingegen auf diese Entscheidung zu verweisen, weil durch die Erneuerung des Strafverfahrens unter Aufhebung der schuldigsprechenden Entscheidungen allen anderen Verfahrensschritten der Boden entzogen wurde.

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