Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der Antragsteller ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft im Rahmen der Wirtschaftskammer Österreich, der - als gesetzliche Mitglieder - sämtliche österreichische Reisebüros angehören und deren wirtschaftliche Interessen sie vertritt.
Die Antragsgegnerin ist die größte deutsche Fluggesellschaft. Sie verfügte im Zeitraum von Jänner bis August 2004 über einen Marktanteil von 20 % und beförderte über 221.000 Passagiere von Österreich nach Deutschland.
2002 betrug der Anteil der reinen Flugreisen am Geschäftsbetrieb der österreichischen Reisebüros 28,4 % oder 6,2 % vom Gesamtumsatz. Die Geschäftsbeziehungen zwischen den internationalen Luftlinien und den österreichischen Reisebüros richten sich nach der IATA Resolution
824. Die IATA ("International Air Transport Association") ist die Interessenvertretung von rund 270 internationalen Luftlinien, darunter auch die Antragsgegnerin. Vertragliche Grundlage war bisher der "Passageagenturvertrag". Dieser sah im Wesentlichen vor, dass die Luftlinie das Reisebüro zum Verkauf von Beförderungsleistungen und zur Ausstellung der Beförderungsdokumente im Namen und auf Rechnung der Luftlinie ermächtigte. Dabei war das Reisebüro an die Tarife und Geschäftsbedingungen der jeweiligen Luftlinie gebunden und übernahm auch das Inkasso beim Flugpassagier. Gemäß Art 9 der Resolution 824 verpflichtete sich die Luftlinie, an das Reisebüro ein Entgelt zu leisten, welches dem Reisebüro sämtliche mit seiner Tätigkeit verbundene Kosten ersetzte. Aufgrund dieser Vereinbarung vergütete die Antragsgegnerin den Reisebüros zuletzt eine Basisprovision von 5 % des Ticketpreises. Der Flugscheinvertrieb selbst beruht auf dem "Billing and Settlement Plan" (BSP), einem multilateralen Verrechnungssystem, in dessen Rahmen die einzelnen Reisebüros die von ihnen vereinnahmten Beträge aus dem Flugscheinverkauf nicht direkt an die jeweiligen Luftlinien überweisen, sondern auf ein Verrechnungskonto der IATA einzahlen, von wo aus die saldierte Weiterleitung an die Luftlinien erfolgt. Über dieses System werden alle Dokumente sämtlicher Fluggesellschaften, die über IATA Reisebüros ausgestellt werden, abgerechnet. Für das Jahr 2004 bestanden zwischen der Antragsgegnerin und den Reisebüros Incentivevereinbarungen, die auch für das Jahr 2005 angeboten werden. Gegenstand dieser Vereinbarungen sind Incentivezahlungen der Antragsgegnerin an das Reisebüro für den Verkauf von Flugscheinen für von der Antragsgegnerin durchgeführte Flüge.
Am 21. 4. 2004 kündigte die Antragsgegnerin mit Wirkung zum 31. 10. 2004 die bestehenden Vermittlungsverträge mit den Reisebüros; diesem Beispiel folgten andere Fluglinien. Die Antragegegnerin bot den Reisebüros stattdessen die "Vereinbarung über den Verkauf von L***** Dokumenten" zum Abschluss an. Während nach dem bisherigen Passageagenturvertrag das Reisebüro als Agent bezeichnet wurde, bestimmt die neue Vereinbarung in Punkt 3, dass das Reisebüro Vermittlungs- und Buchungsleistungen nicht gegenüber der Antragstellerin, sondern als Dienstleister ausschließlich gegenüber seinem Auftraggeber erbringt. Die Antragsgegnerin vergütet daher den Verkauf von Beförderungsleistungen durch das Reisebüro nicht mehr. Das Reisebüro verpflichtet sich jedoch, den von der Antragstellerin erhobenen Nettopreis inklusive Steuern, Gebühren und sonstiger Zuschläge gemäß dem bisher üblichen BSP-Verfahren in Übereinstimmung mit den von der Antragsgegnerin mitgeteilten Abrechnungsregeln abzuführen. Die Vorschriften des IATA-Abrechnungsplanes gemäß BSP Handbuch behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Die Antragstellerin bietet Flüge zu bestimmten Nettopreisen an. Diese Flüge können entweder vom Kunden direkt bei der Antragsgegnerin - etwa über das Internet - gebucht werden, oder der Kunde nimmt hiefür die Dienste eines Reisebüros in Anspruch. In letzterem Fall bucht das Reisebüro den Flug für den Kunden im elektronischen Buchungssystem der Antragsgegnerin zu deren Nettotarif, ist dabei jedoch - anders als der Kunde bei einer Direktbuchung - von der Zahlung einer "Ticket Service Charge" befreit. Der Buchungsvorgang des Reisebüros läuft wie folgt ab: Das Reisebüro gibt die Anfrage seines Reisekunden nach einer bestimmten Flugverbindung der Antragsgegnerin in das elektronische Buchungssystem der Fluggesellschaften ein. Das System antwortet mit der Verfügbarkeit und dem Preis für die Flugreise. Das Reisebüro gibt - nach Freigabe durch den Kunden - die Buchung des Kunden ein, die sodann vom System der Antragsgegnerin angenommen wird. Das Reisebüro erbringt für den Kunden Beratungs- und Buchungsleistungen, wobei es dem Reisebüro selbst überlassen ist, für diese Leistungen ein Serviceentgelt beim Kunden einzuheben. Im Geschäftskundenbereich war es durchwegs üblich, die vormals durch die Antragsgegnerin gewährten Provisionen weiterzugeben und statt dessen für die Beratung ein Serviceentgelt ("Transaction Fee" bzw "Management Fee") zu verlangen. Vertragspartner des vermittelten Beförderungsvertrags bleibt nach diesem Vertragsmodell nach wie vor die Antragsgegnerin.
Seit 1. 11. 2004 hebt die Antragsgegnerin beim Eigenverkauf - zusätzlich zur Beförderungsleistung - Buchungsentgelte in der Höhe von 35 EUR (Kontinentalflüge) bzw 45 EUR (Interkontinentalflüge) mit 8 EUR Zuschlag für Papiertickets ein. Reisebüros sind insoweit begünstigt, als sie Flugreisen bei der Antragsgegnerin zum reinen Nettopreis buchen können und keine Ticket Service Charge entrichten müssen. Somit setzt sich der Gesamtpreis eines Flugtickets bei Buchung im Reisebüro aus dem Nettopreis der Antragsgegnerin und einem allfälligen Serviceentgelt der Reisebüros zusammen. Das Reisebüro ist bei Festsetzung des Serviceentgelts an keine Vorgaben der Antragsgegnerin gebunden; die Geschäftsbedingungen der Beförderungsdokumente kann das Reisebüro hingegen nicht abändern. Die Antragsgegnerin legt ihren Verkaufspreis, zu dem sie zum Abschluss eines Flugreisevertrags mit dem Reisekunden bereit ist, in Form des Nettopreises fest. Dieser wird in Form von "Fare/Total" auf das Ticket direkt aufgedruckt. Diese Auszeichnung des Flugpreises dient vor allem der Transparenz für den Kunden. Der auf dem Ticket aufgedruckte Preis ist der an die Antragsgegnerin abzuführende Preis; in der Gestaltung des Gesamtpreises (= Nettopreis + Serviceentgelt) ist das Reisebüro nicht gebunden. Um das Ausfallsrisiko der Reisebüros bei Zahlungen von Dokumenten der Antragsgegnerin (ausgenommen Bar- und Kreditkartenzahlungen) gering zu halten, hat die Antragsgegnerin mit einer Versicherungsgruppe eine Vereinbarung über die Übernahme eines verbleibenden Ausfallrisikos abgeschlossen und auch die Bezahlung der Prämie übernommen. Die Frage einer Preisbindung bei diesem Vertriebsmodell wurden mit der Europäischen Kommission nicht erörtert; in den Verhandlungen mit dem Bundeskartellamt betreffend Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung wurde das Thema Preisbindung zwar zu Beginn erwähnt, aber nicht näher untersucht.
Der Antragsteller begehrt,
das Kartellgericht möge gemäß § 25 Abs 2 iVm § 42f Abs 1 KartG der Antragsgegnerin die weitere Durchführung der "Vereinbarung über den Verkauf von L*****-Dokumenten" (Beilage ./C) und/oder die Verwendung inhaltlich übereinstimmender Vertragsmuster untersagen; insbesondere möge der Antragsgegnerin untersagt werden,
a) die Ermächtigung der österreichischen Reisebüros zum Verkauf von Flugscheinen an die Bedingung zu knüpfen, dass die Buchung nur zu den von der Antragsgegnerin festgesetzten Nettotarifen erfolgen darf; und/ oder
b) den Reisebüros die Verwendung von Beförderungsdokumenten aufzuerlegen, in denen der vom Kunden zu bezahlende Nettopreis aufgedruckt ist; dies alles solange, als die Antragsgegnerin den Reisebüros nicht sämtliche mit dem Inkasso des Entgelts für die Beförderungsleistung verbundenen Kosten vollständig ersetzt. Der Antragsteller begehrt weiters, bis zur Rechtskraft des über den Hauptantrag ergehenden Beschlusses eine mit dem Hauptantrag inhaltsgleiche einstweilige Verfügung zu erlassen.
Der Antragsteller brachte vor, bei wirtschaftlicher Betrachtung verlagere die Antragsgegnerin mit der Einführung des Nettopreismodells einen wesentlichen Teil des wirtschaftlichen Risikos im Zusammenhang mit dem Flugscheinverkauf auf die Reisebüros, ohne diesen dafür Kostenersatz zu leisten. Dabei handle es sich sowohl um finanzielle Risiken aus den vermittelten Geschäften als auch um das Risiko, keine Amortisation geschäftsspezifischer Investitionen zu erreichen, insbesondere die Belastung des Reisebüros mit den erheblichen Kosten (Manipulationsaufwand) für die Fakturierung der Beförderungsleistung gegenüber dem Kunden und für die Abrechnung der vereinnahmten Zahlungen gegenüber dem BSP, das finanzielle Ausfallrisiko sowie geschäftsspezifische Inventionen (Lizenzen für IATA und das zugrundeliegende Buchungssystem), für die die Reisebüros aufzukommen hätten. Die Reisebüros seien gezwungen, die ausschließlich durch das Inkasso für die Luftlinie anfallenden Kosten beim Kunden in Form von Beratungsentgelten einzuheben. Aus der Sicht der Endkunden bedeute die Einführung des Nettopreismodells eine Preiserhöhung um 5 %, weil trotz Ersparung der Provision an die Reisebüros die Antragsgegnerin die Preise für Flugtickets nicht entsprechend gesenkt habe. Der Flugscheinverkauf der österreichischen Reisebüros für die Antragsgegnerin betreffe zum weitaus überwiegenden Teil Beförderungsleistungen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weshalb das europäische Kartellrecht auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sei. Die Reisebüros unterlägen einer Preisbindung, weil sie verpflichtet seien, die Flugscheine nur zu den von der Antragsgegnerin bestimmten Bedingungen auszugeben, und weil auf den Beförderungspapieren (deren Inhalt hinsichtlich des Tarifs von der Antragsgegnerin bestimmt werde) der Nettopreis angegeben sei. Der Nettopreis werde so dem Endkunden ohne jeden Unverbindlichkeitshinweis bekannt. Schon allein der Flugschein verwirkliche damit den Tatbestand eines Ankündigungskartells nach § 12 Abs 2 KartG. Das neue Vertriebsmodell der Antragsgegnerin sei auch unter diesem Aspekt mit dem Preisbindungsverbot nach § 13 KartG und Art 81 EG unvereinbar.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung der Anträge. Sie besitze im Nachbarschaftsverkehr zwischen Österreich und Deutschland gegenüber den Reisebüros keine beherrschende Stellung und sei für diese kein unverzichtbarer Geschäftspartner. Das neue Vertriebsmodell sei nur eine Anpassung an bereits bestehende Verhältnisse: Die Reisebüros seien schon vor der geplanten Vertriebsumstellung keine "klassischen" Handelsvertreter gewesen, die auf die Kunden zugegangen seien, um ihnen die Produkte "ihres" Unternehmens zu verkaufen. Sie verträten nicht mehr die Interessen der Flugreiseanbieter, sondern jene ihrer Kunden. Die neu abgeschlossene Vereinbarung stelle klar, dass Reisebüros keinerlei Vermittlungs- oder sonstige Vertriebspflichten gegenüber der Antragsgegnerin träfe und zwischen den Vertragspartnern kein Handelsvertreterverhältnis bestehe. Reisebüros erbrächten mit der Vermittlung einer Flugreise der Antragsgegnerin eigenständige Dienstleistungen gegenüber ihren Kunden, weshalb ihnen keine Ansprüche auf Grundprovision oder Aufwendungsersatz zustünden. Die Antragsgegnerin bevollmächtige die Reisebüros nicht, in ihrem Namen und auf ihre Rechnung Flugreisen zu vertreiben; den Reisebüros werde vielmehr ermöglicht, als Dienstleister für den Kunden die Buchung in den elektronischen Buchungssystemen der Antragsgegnerin vorzunehmen. Reisebüros würden daher als Erklärungsboten der Kunden tätig und übermittelten nur eine Willenserklärung ihrer Kunden. Die Reisebüros hätten keinen Einfluss auf die Willenserklärung der Antragsgegnerin, die als Antwort über das Buchungssystem gegeben würde: Das Buchungssystem der Antragsgegnerin nehme ein Angebot entweder an oder übermittle eine Ablehnung. Es sei somit den Reisebüros überlassen, für ihre Leistungen beim Kunden eine Vergütung einzuheben. Zwischen dem Kunden und dem Reisebüro werde ein Vertrag über Beratungs- und Buchungsleistungen gegen ein Serviceentgelt abgeschlossen; der Vertrag über die Flugbeförderung komme hingegen zwischen dem Kunden und der Antragsgegnerin zustande. Der Aufdruck des Nettopreises auf den Beförderungspapieren ändere daran nichts, sondern diene der Dokumentation der vertraglichen Einigung zwischen Kunden und Antragsgegnerin über den Verkauf einer Flugreise zum Nettopreis. Es liege somit keine "Einkaufs- und Weiterverkaufskonstellation" vor, weil der Vertragsabschluss immer zwischen Fluggesellschaft und Kunde direkt erfolge; dies sei auch der Wunsch der Kunden. Die Reisebüros nähmen dem Kunden nur jene Buchungsschritte ab, die er im Fall einer Direktbuchung bei der Antragsgegnerin selbst vornehmen müsste. Damit liege keine Vertriebssituation vor, wie sie in den Leitlinien der Europäischen Kommission für vertikale Beschränkungen bei Abgrenzung der Tätigkeit echter Handelsvertreter von unechten Handelsvertretern beschrieben würden. Das Vertriebsmodell enthalte keine kartellrechtlich relevante Preisbindung. Das Reisebüro trage das wirtschaftliche Risiko für den Absatz der Flugreise nicht, das Forderungsausfallsrisiko nur dann, wenn es eine Flugreise auf Ziel ohne Absicherung herausgeben und der Flug abgeflogen würde. Das neue Vertriebssystem der Lufthansa sei in Deutschland bereits Gegenstand einer Untersuchung des Bundeskartellamts gewesen. Die Vereinbarung mit den österreichischen Reisebüros stimme im Wesentlichen mit der deutschen Vereinbarung überein. Das Bundeskartellamt habe weder eine Preisbindung noch einen Verstoß gegen die Missbrauchsverbote festgestellt und die Prüfung sei ohne Einleitung eines Verfahrens eingestellt worden. Auch der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission sei das neue Vertriebssystem bereits im Februar 2004 vorgestellt worden; die Kommission habe keinerlei Bedenken gehabt. Es liege keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art 81 Abs 1 EG vor. Selbst wenn es sich um eine Wettbewerbsbeschränkung handelte, so wäre diese nach Art 81 Abs 3 EG freigestellt, weil das neue Vertriebssystem zur Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts durch Verbesserung der Transparenz hinsichtlich des für eine Flugreise zu entrichtenden Gesamtentgelts beitrage und keine Möglichkeit schaffe, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten. Das neue System führe auf lange Sicht zu einer Senkung der Flugpreise, weil durch die verbesserte Transparenz der Wettbewerb unter den Fluglinien erhöht werde.
Beide Amtsparteien haben sich am Verfahren beteiligt. Die Bundeswettbewerbsbehörde bestätigte in ihrer Stellungnahme die Angaben der Antragsgegnerin zu deren Gespräch mit der Europäischen Kommission und führte dazu aus, dass Preisbindungsaspekte nicht erörtert worden seien. Bei den in Deutschland und Großbritannien durchgeführten Verfahren habe man sich auf die Prüfung des Marktmachtmissbrauchs konzentriert, der von keiner Wettbewerbsbehörde angenommen worden sei.
Das Erstgericht wies beide Anträge ab.
Die Leitlinien der Europäischen Kommission für vertikale Beschränkungen (ABl 2000 C 291/1) behandelten die Grundsätze für die Beurteilung vertikaler Vereinbarungen nach Maßgabe des Art 81 EG bezogen auf Waren und Dienstleistungen. Danach finde Art 81 EG Anwendung auf vertikale Vereinbarungen, die den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet seien und den Wettbewerb verhinderten, einschränkten oder verfälschten. Art 81 Abs 3 EG erlaube die Freistellung von Vereinbarungen von diesem Verbot, sofern sie mehr Effizienzgewinne als wettbewerbswidrige Wirkungen mit sich brächten. Rein nationale Preisbindungssysteme seien nicht geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen; sie fielen daher nicht unter das Verbot des Art 81 EGV. Ein rein nationales Preisbindungssystem liege dann nicht mehr vor, wenn die Preisbindung für mehrere Mitgliedstaaten gelten solle oder zwischen Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten vereinbart werde. Auf den gegenständlichen Sachverhalt sei daher gemeinschaftsrechtliches Wettbewerbsrecht anzuwenden. Art 81 Abs 1 lit a EG verbiete die Festsetzung der An- und Verkaufspreise und erfasse jede mit Hilfe oder auf Grund einer Absprache angestrebten oder durchgeführten Eingriff in die Freiheit der Unternehmen, Preise und Konditionen von Geschäften, die sie mit Dritten abschließen, selbst und in autonomer Weise zu bestimmen. Demzufolge seien vertikale Absprachen über die Festsetzung der Wiederverkaufspreise unzulässig, unabhängig davon, ob die Preisbindung zunächst auf der vorgelagerten Wirtschaftsstufe kollektiv vereinbart und dann der folgenden Wirtschaftsstufe auferlegt, oder ob sie von zwei auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätigen Unternehmen individuell abgesprochen werde. In beiden Fällen handle es sich um einen Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit der Wiederverkäufer. Es seien jedoch nur solche Absprachen gemeint, die eine Preis- oder Konditionenfestsetzung für zukünftige Vereinbarungen der beteiligten Unternehmen mit Dritten enthielten. Die Antragsgegnerin vereinbare den Tarif, zu dem sie einen Flug anbiete, direkt mit dem Kunden über das Buchungssystem, wobei das Reisebüro für den Kunden die entsprechende Willenserklärung abgebe. Der Beförderungsvertrag komme sodann direkt zwischen der Antragsgegnerin und dem Kunden zustande. Für diesen Flugreisevertrag lege die Antragsgegnerin ihren Verkaufspreis in Form des Nettopreises fest. Zusätzlich könne ein weiterer Vertrag zwischen dem Reisebüro und dem Reisekunden über Beratungsleistungen zustande kommen; den Preis für diese Beratungsleistungen lege das Reisebüro selbständig fest. Um von einer verbotenen Preisbindung im Sinne des Art 81 EG sprechen zu können, fehle dieser Konstellation die typische Bindung des Wiederverkaufspreises. Das Reisebüro kaufe gerade nicht zuerst die Flugreise von der Antragsgegnerin und verkaufe diese dann an den Kunden weiter, sondern der Vertrag über die Flugreise komme sofort zwischen der Antragsgegnerin und dem Kunden zustande. Die Antragsgegnerin habe keinen Einfluss auf das vom Reisebüro gegenüber dem Kunden eingehobene Serviceentgelt und damit auch nicht auf den "Gesamtpreis". Dadurch werde das Reisebüro nicht in seiner wettbewerblichen Handlungsfreiheit beschränkt, weil es den Preis für seine eigene Leistung - die Beratungsleistung - und somit den Gesamtpreis frei festlegen könne. Mangels Vereinbarung zwischen der Antragsgegnerin und dem Reisebüro, in der ein Gesamtpreis für eine Flugreise - einschließlich allfälliger Beratungs- und Bearbeitungsgebühren des Reisebüros - festgelegt werde, liege keine verbotene Preisbindung gem Art 81 Abs 1 EG vor. Das Reisebüro werde nicht im Auftrag der Antragsgegnerin tätig, für sie Verträge auszuhandeln oder abzuschließen; es handle sich daher weder um ein echtes, noch um ein unechtes Handelsvertreter-Verhältnis im Sinne der genannten Leitlinien und um keine klassische Einkaufs- und Weiterverkaufs-Konstellation.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Antragstellers wegen unvollständiger Tatsachenfeststellungen und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung und das Durchführungsverbot antragsgemäß zu erlassen. Die Antragsgegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, Reisebüros seien beim Vertrieb von Flugtickets als Absatzmittler für die Antragsgegnerin tätig; auch die Bindung eines Absatzmittlers an Preis- und Konditionenvorgaben des Herstellers seien Wettbewerbsbeschränkungen iSd Art 81 Abs 1 EG, weil sie dem Absatzmittler die Möglichkeit nähmen, ihren Kunden die vertragsgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen zu anderen Preisen oder Geschäftsbedingungen zu verschaffen. Ein derartiger Eingriff in die Handlungsfreiheit des Absatzmittlers verändere die Marktverhältnisse, werde doch dadurch der intra-brand-Wettbewerb ausgeschaltet. Dazu ist zu erwägen:
Der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit gilt für alle Wirtschaftsstufen (EuGH 29. 10. 1980 Van Landewyck/FEDETAB Slg 1980, 3125) und für alle Wettbewerbsformen, also nicht nur im Verhältnis der Marke eines Herstellers zu anderen Konkurrenzprodukten (inter-brand-Wettbewerb), sondern auch beim Absatz von Produkten desselben Herstellers durch seine verschiedenen Absatzmittler (intra-brand-Wettbewerb; von Stoephasius in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht9 Art 81 Rz 161).
Zutreffend ist das Kartellgericht daher davon ausgegangen, dass nach Lehre und Rechtsprechung auch vertikale Preisabsprachen als Wettbewerbsbeschränkung iSd Art 81 Abs 1 EG anzusehen sind, weil durch solche Abmachungen („Preisbindung der zweiten Hand") die Unternehmen der nächsten Stufe (Wiederverkäufer) in ihrer Wettbewerbsfreiheit beschränkt werden (Klotz in Groeben/Schwarze, Kommentar zum EGV nach Art 81 EG - Fallgruppen Rz 210 ff; Klotz in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum europäischen Wettbewerbsrecht Art 81 - Fallgruppen Liefer- und Bezugsvereinbarungen Rz 11 je mwN). Die vertikale Bindung bewirkt, dass die Unternehmen der folgenden Handels- und Absatzstufen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, sich auch hinsichtlich der gelieferten Waren gegenseitig Konkurrenz zu machen (von Stoephasius aaO).
Zu prüfen ist daher, ob die vertragliche Beziehung zwischen der Antragsgegnerin als Anbieterin von Dienstleistungen und den Reisebüros, die diese Dienstleistungen namens und auf Rechnung ihrer Kunden nachfragen, als vertikaler Kooperationsvertrag (Absatzmittlungsvertrag) zu beurteilen ist, durch den ein freier und funktional unabhängiger Absatzmittler, der auf einer anderen Wirtschaftsstufe steht als der Anbieter der Dienstleistung, an die Interessen des Anbieters, insbesondere an dessen Preise, gebunden wird.
Unter Vertrieb versteht die unternehmerische Praxis sämtliche Handlungen, Vorgänge und Verhältnisse, die den Weg (Umsatz) eines Produkts vom Produzenten bis zur produktiven oder konsumtiven Verwendung betreffen. Produkte sind dabei Sachgüter ebenso wie Dienstleistungen als immaterielle Güter, weil auch bei diesen Erzeugung und Verbrauch auseinanderfallen und sie daher Gegenstand einer Distributionstätigkeit sind (Martinek in Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts § 1 Rz 1).
Dem Produzenten stehen verschiedene Vertriebssysteme zur Verfügung:
Er kann seine Produkte zum einen direkt (zentral oder über Niederlassungen in Form eines Filialsystems) vertreiben und damit die Absatzpolitik, insbesondere die Preispolitik, selbst gestalten, oder er wählt eine Form des indirekten Vertriebs unter Einbindung von Groß- und Einzelhändlern als Absatzmittler, wodurch eine neue Wirtschaftsstufe geschaffen wird (vgl Werner, Der Kfz-Absatzmittler im Anwendungsbereich des Art 81 Abs 1 EGV, 28 f).
Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits eingehend mit dem Begriff des Absatzmittlers auseinandergesetzt. Ausgehend von der Überlegung, dass erst die Interessenwahrungspflicht ein Absatzorgan zum Absatzmittler macht, ist der Senat dabei der Auffassung von Ebenroth (Absatzmittlungsverträge 22) gefolgt, wonach der Kreis der Absatzmittler im engeren Sinn (Handelsvertreter, Kommissionsagent, Vertragshändler) nur solche rechtlich selbständige Vertriebsorgane umfasst, die es für eine gewisse Dauer mit vertraglicher Bindung an ein Unternehmen übernommen haben, den Absatz eines Produkts zu fördern (16 Ok 6/99 = SZ 72/203). Die Absatzmittler im weiteren Sinn (Handelsmakler und Kommissionäre iSd HGB) werden demgegenüber nur gelegentlich für den Lieferanten tätig (Martinek aaO 11). Eine Dienstleistung ist dadurch charakterisiert, dass das Leistungsergebnis nicht vom Leistenden getrennt werden kann. Das schließt aber nicht aus, dass auch mehrere Unternehmen in vertikal organisierter Folge von konsumfernerer zu konsumnäherer Stufe an der Dienstleistungserbringung beteiligt sein können. Bei derartigen vertriebsvertraglichen vertikalen Kooperationssystemen des reinen Dienstleistungsabsatzes (etwa im Bereich Hotellerie, Immobilien- oder Partnerschaftsvermittlung, Sprachschulen uä) kommt es zu einer Zusammenarbeit zwischen einerseits der Dienstleistungszentrale, die die Leistung in standardisierter Form aufbereitet, die Abfolge von Leistungsakten programmiert und die Ausgestaltung der Leistungserbringung programmiert, und andererseits den Dienstleistungseinzelbetrieben, die diese Leistung sodann in Anwendung einer Marketingkonzeption (zumeist als atypische Erscheinungsform des Franchising) programmgemäß erbringen (Martinek aaO 24).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass durch die hier zu beurteilende "Vereinbarung über den Verkauf von L***** Dokumenten" kein vertikales Kooperationssystem des Dienstleistungsabsatzes im dargestellten Sinn geschaffen wird. Dem unabhängigen Vertragspartner dieser Vereinbarung mit der Antragsgegnerin steht es frei, ob er namens seiner Kunden Dienstleistungen der Antragsgegnerin über das Reservierungssystem der Fluglinien nachfragt, bejahendenfalls, ob und in welcher Höhe er ein Entgelt für sein Tätigwerden von den Kunden verlangt. Eine besondere Interessenwahrungspflicht gegenüber der Antragsgegnerin, die über jene hinausgeht, die mit der Inkassotätigkeit für die Antragsgegnerin verbunden ist, besteht für das Reisebüro nicht. Das Reisebüro ist insbesondere nicht verpflichtet, den Absatz von Dienstleistungen gerade der Antragsgegnerin zu fördern, sondern wird selbst als Dienstleister für seine eigenen Kunden tätig, indem es ihnen etwa den jeweils preisgünstigsten Anbieter der gewünschten Destination ermittelt, ihnen eine Direktbuchung bei der Antragsgegnerin erspart und für sie die Zahlung abwickelt. Damit ist das Reisebüro - entgegen der im Rekurs vertretenen Auffassung - kein auf nachgeordneter Wirtschaftsstufe stehender, an Preise und Konditionen des Produzenten vertraglich gebundener und zu dessen Interessenwahrung verpflichteter Absatzmittler der Antragsgegnerin. Die Vereinbarung erfüllt somit schon aus diesem Grund den Tatbestand einer vertikalen Preisbindung (Preisbindung der zweiten Hand) nicht. Die vom Rekurswerber genannten Beispiele vertikaler Preisbindungen im Dienstleistungsbereich (Erwerb von Software oder von Versicherungsverträgen) betreffen durchwegs andere Branchen, beruhen auf anderen vertraglichen Grundlagen und sind damit nicht einschlägig.
Der Rekurswerber wirft dem Kartellgericht vor, es habe nicht berücksichtigt, dass das Reisebüro nach dem Vertriebsmodell der Antragsgegnerin durch die dabei für die Antragsgegnerin ausgeübte Inkassotätigkeit deren finanzielle und geschäftliche Risiken aus dem Grundgeschäft zu tragen habe, ohne hiefür eine Provision zu erhalten. Diese Ausführungen übersehen, dass es allein dem Reisebüro überlassen bleibt, welche Zahlungsmittel oder Zahlungsziele es von seinen Kunden akzeptiert; von einer „Risikoüberwälzung" kann insoweit daher keine Rede sein. Auch hat die Antragsgegnerin mit einer Versicherungsgruppe eine Vereinbarung über die Übernahme eines verbleibenden Ausfallrisikos (außerhalb von Bar- und Kreditkartenzahlungen) abgeschlossen und auch die Bezahlung der Prämie übernommen. Die Frage der Verteilung finanzieller oder geschäftlicher Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung des Art 81 Abs 1 EGV stellt sich im übrigen nur beim Vertrieb durch Handelsvertreter bei der Prüfung, ob die Vorgaben des Geschäftsherrn funktionsnotwendig oder rechtsgeschäftsimmanent sind (Eilmansberger in Streinz, EGV Art 81 Rz 191 f); sie sind im Anlassfall gegenstandslos, weil ein Absatzmittlerverhältnis zwischen den Vertragsparteien - wie zuvor aufgezeigt - nicht vorliegt.
Von den Fragen, mit welcher Kostenbelastung die Inkassotätigkeit der Reisebüros nach dem neuen Vertriebsmodell der Antragsgegnerin verbunden ist oder ob dieses zu einer Preiserhöhung beim Flugpreis geführt hat, hängt die Entscheidung nicht ab; fehlende Feststellungen zu diesen Themen machen das Verfahren daher nicht ergänzungsbedürftig.
Dem Rekurs ist ein Erfolg zu versagen.
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