OGH 5Ob248/04p

OGH5Ob248/04p24.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann, Dr. Hurch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. Adolf C*****, 2. Erika C*****, beide ***** beide vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Margit K*****, vertreten durch Baier Lambert, Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Juli 2004, GZ 39 R 195/04x-33, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. März 2004, GZ 45 C 440/02v-23, abgeändert wurde, nachstehenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind Eigentümer des Hauses ***** in *****. Die Beklagte ist Hauptmieterin der Wohnung Tür Nr 26 in diesem Haus. Die Wohnung steht, obwohl vollständig eingerichtet, leer. Die Beklagte wohnt an der Adresse ***** in *****. Die Beklagte kümmert sich allerdings um die Wohnung und behebt, wenn sie dort aufhältig ist, auch die Post aus dem Postkasten.

Der monatliche Mietzins für die Wohnung beträgt seit 2002 monatlich EUR 110,82.

Per 1. 1. 2002 bestand ein Mietzinsrückstand der Beklagten von 58 Cent. Der Mietzins für Jänner 2002 wurde erst am 15. 1. 2002 gutgebucht. Am 23. 1. 2002 wurden die aushaftenden 58 Cent bezahlt, sodass zu diesem Zeitpunkt kein Mietzinsrückstand bestand. Der Mietzins für Februar 2002 langte erst am 7. März 2002 am Konto der Kläger ein. Per 2. April 2002 bestand ein Mietzinsrückstand der Beklagten von EUR 220,46 (für März und April 2002). Ein Mahnschreiben an die Beklagte per Adresse ***** erfolgte mit 25. 4. 2002. Der Mietzins für April und Mai 2002 wurde am 2. 5. 2002 gutgeschrieben. Ein Monatsmietzins (März 2002) war zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch mit EUR 110,82 offen.

Am 5. 8. 2002 wurden die Mietzinse für Juni, Juli und August 2002 bezahlt.

Am 21. 8. 2002 wurde die gegenständliche Mietzins- und Räumungsklage an die Beklagte zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt haftete für März 2002 ein Mietzins in Höhe von EUR 109,64 offen aus. Dieser Betrag wurde zwei Tage später, nämlich am 23. 8. 2002 nachbezahlt. Gleichzeitig erfolgten am 23. 8. 2002 Mietzinszahlungen für September bis Dezember 2002.

Mahnungen waren an die Beklagte per Adresse der nicht bewohnten Wohnung in der ***** am 25. 4. 2002, am 4. 6. 2002 und am 24. 6. 2002 ergangen.

Auch nachdem während des laufenden Verfahrens der Mietzinsrückstand durch die Beklagte bis Dezember 2002 auf Null gestellt worden war, entstanden in der Folge durch verspätete Zahlungen wiederum Rückstände, durch Vorauszahlungen aber auch mehrfach Gutschriften. Im gegenständlichen, auf § 1118 zweiter Fall ABGB gestützten Verfahren war im Zeitpunkt der ersten mündlichen Streitverhandlung kein Mietzinsrückstand gegeben, weil dieser bereits am 23. 8. 2002 nachbezahlt worden war. Deshalb wurde von der klagenden Partei auch am 8. 11. 2002 das Verfahren auf Räumung und Kosten eingeschränkt. Das Räumungsbegehren wurde darauf gestützt, dass die Beklagte am Zustandekommen des Mietzinsrückstandes ein grobes Verschulden getroffen habe. Weitere Mietzinsrückstände, die erst im folgenden Jahr aufliefen und jeweils wieder bezahlt wurden, wurden von der klagenden Partei nicht mehr zur Begründung des Räumungsbegehrens herangezogen.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen bejahte das Erstgericht ein grobes Verschulden der Beklagten am Zustandekommen des Mietzinsrückstandes. Die Beklagte habe schon in der Vergangenheit sehr unregelmäßig bezahlt. Das Erstgericht schloss sich dem Vorbringen der Beklagten nicht an, dass die unregelmäßigen Zinszahlungen aufgrund ihrer psychischen Erkrankung erfolgt waren. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, dass im Zeitpunkt der Klagseinbringung ein qualifizierter Zinsrückstand bestanden habe. Dazu findet sich die Feststellung, dass der Beklagten sämtliche Mahnungen an die Adresse der verfahrensgegenständlichen Wohnung zugestellt wurden, dass die Beklagte dort jedoch nicht gewohnt habe. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht dazu aus:

„Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte sehr wohl die Mahnungen der Hausverwaltung erhalten hat, weil der Zeuge K***** in AS 61 diesbezüglich angibt, kein Wissen darüber zu haben, ob die Beklagte Mahnschreiben erhalten hat oder nicht. Seine Angabe, dass, wenn die Beklagte Mahnschreiben erhalten hätte, sie ihm davon erzählt hätte, ist in Betracht dessen, dass die Beklagte ihm auch von den manifesten Mietzinsrückständen nichts erzählt hat, unglaubwürdig. Als dem Zeugen K***** vorgehalten wird, wieso die Beklagte von Mahnschreiben erzählen sollte, wenn sie von Mietzinsrückständen nichts erzählt hat, kann der Zeuge K***** darauf keine befriedigende Erklärung und Antwort geben. Jedenfalls gibt der Zeuge K***** an, dass sich die Beklagte um ihre Wohnung in der ***** kümmert und dort auch Post behebt. Die Angaben des Zeugen K*****, dass die Beklagte an die Adresse ***** keine Post bekommt, ist allerdings absolut unglaubwürdig und gibt der Zeuge K***** ohnedies zu, eben kein Wissen darüber zu haben, ob die Beklagte Mahnschreiben erhalten hat oder nicht."

Daraus schloss das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung, dass im Zeitpunkt der Klagszustellung der Mietzinsrückstand insofern qualifiziert war, als der Beklagten vor dem Zeitpunkt der Auflösungserklärung (Zustellung der Klage) eine Mahnung wegen des mehr als ein Monat hindurch aushaftenden Mietzinsrückstandes zugegangen sei.

Einer dagegen von der Beklagten erhobene Berufung gab das Gericht zweiter Instanz Folge und änderte das erstinstanzliche Urteil im Sinne einer Abweisung des Räumungsbegehrens ab.

Unter zutreffender Wiedergabe der einschlägigen Rechtsprechung führte das Erstgericht aus:

„Der Beweis, die Beklagte habe diese Mahnungen und insbesondere die den klagsgegenständlichen Mietzinsrückstand für März 2002 betreffende Mahnung erhalten, wurde nicht erbracht. Die diesbezüglich in der rechtlichen Beurteilung ihren Niederschlag findende Annahme des Erstgerichts, es sei davon auszugehen, dass die Beklagte diese Mahnungen erhalten habe, stellt nur eine durch nichts gerechtfertigte Mutmaßung dar, zumal es nicht einmal einen Rechtssatz gibt, dass bei bewiesenem Absenden eines nicht eingeschriebenen Briefes mit der Post der Zugang beim Adressaten zu vermuten wäre. Umso weniger kann das gelten, wenn der Empfänger die Wohnung, an die die Mahnung gesendet wurde, gar nicht mehr bewohnt, sondern nur mehr in festgestellten Abständen diese aufsuchte, um nach dem Rechten zu sehen. Konnte aber eine der Aufhebungserklärung vorangehende wirksame Mahnung über den Mietzinsrückstand für März 2002 nicht als erwiesen angenommen werden, so fehlte es schon im Zeitpunkt der Klagseinbringung an einem qualifizierten Mietzinsrückstand."

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision in Hinblick auf die zitierte höchstgerichtliche Judikatur nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen, in eventu das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die beklagte Partei hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten und darin beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der klagenden Parteien erweist sich als zulässig, weil dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unterlaufen ist. Die klagenden Parteien rügen in ihrer außerordentlichen Revision einen Verstoß gegen § 488 Abs 4 ZPO als solchen erheblichen Verfahrensfehler. Die Frage des Zugangs einer Mahnung sei eine Tatsachenfeststellung. Das Berufungsgericht sei ohne mündliche Berufungsverhandlung und somit ohne Beweiswiederholung von den erstgerichtlichen Feststellungen über den Zugang der Mahnung an die Beklagte abgegangen. Der dadurch bewirkte Verfahrensfehler sei beachtlich, weil er geeignet gewesen sei, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen.

Diesen Ausführungen ist beizupflichten:

Die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht gehört zu den tragenden Grundsätzen des Verfahrensrechts, deren Verletzung auch über eine außerordentliche Revision wahrzunehmen ist (SZ 57/142; RIS-Justiz RS0041365, zuletzt 5 Ob 214/04p; RS0042151; RS0043057; Kodek in Rechberger² Rz 4 zu § 502 ZPO mwN). Anders liegt der Fall nur, wenn vom Berufungsgericht ohne Durchführung einer Beweiswiederholung offenbar bedenkliche, aber nicht entscheidungsrelevante Feststellungen des Erstgerichtes nicht übernommen werden (vgl 9 ObA 27/93 unter Bezug auf SZ 59/6; 5 Ob 214/04p).

Im vorliegenden Fall bedeutet die Nichtübernahme der erstgerichtlichen Feststellung über den Zugang der Mahnung eine Veränderung des wesentlichen Sachverhaltssubstrats durch das Berufungsgericht. Das verstößt - ohne Durchführung einer Beweiswiederholung - gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, zumal die Beklagte in ihrer Berufung, wenn auch in eventu, die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt hatte. Mit der geschilderten Vorgangsweise wurde ein Verfahrensfehler von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bewirkt, was zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Gericht zweiter Instanz zu führen hat.

Die außerordentliche Revision der klagenden Parteien war damit im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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