OGH 8Ob33/05v

OGH8Ob33/05v28.4.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Anat J*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, 1220 Wien, Kapellenweg 35, dieses vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Alon S*****, vertreten durch Dr. Heinrich Kellner, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Kurator, wegen Feststellung der Vaterschaft und Unterhalt, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2004, GZ 45 R 176/04x-149, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 9. Jänner 2004, GZ 19 C 42/03a-122, ebenso wie das ab 1. September 2003 geführte Verfahren als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht verwiesen.

Die Entscheidung über den Antrag des für den Beklagten bestellten Kurators auf Ersatz der Kosten des Rekurses bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung

Mit der am 13. 3. 1997 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Vaterschaft des Beklagten und dessen Verpflichtung, ab 5. 4. 1995 Unterhaltsleistungen zu erbringen. Als Zustelladresse gab die Klägerin eine Anschrift in Israel bekannt.

Versuche, die Klage an dieser Adresse zuzustellen, verliefen erfolglos.

Die ehemalige Arbeitgeberin des Beklagten teilte dem Erstgericht zwei aus den Personalunterlagen aufscheinende Wiener Adressen mit. Aus einer vom Erstgericht eingeholten Meldeanfrage ergab sich, dass der Beklagte sich am 31. 3. 1995 von seiner letzten Meldeanschrift nach Israel abgemeldet hatte.

Die Mutter sagte bei ihrer Befragung zum Aufenthaltsort des Beklagten aus, bei der in der Klage angegebenen Anschrift handelt es sich ihres Wissens um jene des Bruders des Beklagten. Eine Adresse des Beklagten könne sie nicht bekanntgeben. Sie habe lediglich gehört, dass der Beklagte als Berufssoldat in Israel tätig sei.

Die Israelitische Kultusgemeinde teilte dem Erstgericht mit, über den derzeitigen Wohnsitz des Beklagten keine Informationen zu haben. Auch eine Sozialversicherungsanfrage führte zu keinem Ergebnis.

Über Antrag des Amtes für Jugend und Familie bestellte das Erstgericht mit Beschluss vom 18. 11. 1999 Dr. Kellner zum Kurator und veranlasste die Bekanntmachung der Kuratorbestellung durch Edikt und Einschaltung in der Wiener Zeitung.

Das - nach Durchführung des Verfahrens mit dem Kurator - im ersten Rechtsgang gefällte klagestattgebende Urteil vom 2. 12. 2000 wurde über Berufung des Beklagten vom Berufungsgericht aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückgewiesen.

Im fortgesetzten Verfahren vor dem Erstgericht gab die Mutter am 11. 2. 2003 zu Protokoll, dass sie mittlerweile den derzeitigen Arbeitgeber des Beklagten, ein Unternehmen in Frankfurt, ausfindig gemacht habe. Eine Kontaktaufnahme unter der ihr bekannt gewordenen Mobilnummer des Beklagten sei ergebnislos verlaufen; der Beklagte habe mit ihr „über die Sache" nicht sprechen wollen.

Ein vom Amt für Jugend und Familie gestelltes Amtshilfeersuchen an das Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt am Main ergab, dass der Beklagte seit 19. 3. 2000 unter einer Anschrift in Frankfurt gemeldet ist. Dort lebe er in guten wirtschaftlichen Verhältnissen mit einer israelischen Staatsbürgerin.

Im Zuge eines vom Erstgericht gestellten Rechtshilfeersuchens an das Amtsgericht Frankfurt wurde dem Kurator ein Schreiben einer Frankfurter Anwaltskanzlei unter Anschluss der Fotokopie einer Vollmacht des Beklagten an diese Kanzlei übermittelt. Die Rechtsanwaltskanzlei gab dem Kurator bekannt, dass sie zur Vertretung des Beklagten vor dem „Familiengericht Frankfurt/Main" bevollmächtigt sei.

Bei seiner Einvernahme vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main am 8. 7. 2003 gab der Beklagte an, er sei 1994 und 1995 beruflich viel unterwegs gewesen, er könne nicht genau sagen, wann er wo gewesen sei. Er sei bereit, sich bei einem „deutschen Institut" Blut entnehmen zu lassen, bestehe aber auf einer Gutachtenserstattung durch dieses Institut, weil er kein Vertrauen in österreichische Institute habe. Nur unter dieser Voraussetzung erteile er seine Zustimmung. Er sei beruflich sehr viel unterwegs, auch in Israel. Zur Darlegung seiner Einkommensverhältnisse sei er erst bei Feststellung seiner Vaterschaft bereit.

Eine weitere deutsche Rechtsanwaltskanzlei zeigte dem Kurator am 11. 8. 2003 an, nun den Beklagten zu vertreten. Die Einvernahme des Beklagten vor dem Amtsgericht Frankfurt sei rechtswidrig gewesen, weil der Beklagten der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Dem Amtsgericht Frankfurt teilte diese Rechtsanwaltskanzlei am 30. Juli 2003 mit, dass der Beklagte seinen Lebensmittelpunkt nach Israel zurückverlegen werde. Dabei wurde auch eine „c/o" Anschrift des Beklagten in Haifa, Israel, bekanntgegeben. Ferner teilte die Rechtsanwaltskanzlei mit, dass der Beklagte in Zukunft von einem namentlich genannten Rechtsanwalt in Israel vertreten werde. Dieser sei zustellbevollmächtigt.

Die zuletzt genannte deutsche Rechtsanwaltskanzlei teilte dem Erstgericht am 17. 9. 2003 mit, dass sie den Beklagten nicht mehr vertrete. Zustellungen an den Beklagten könnten an den - neuerlich genannten - Rechtsanwalt in Israel erfolgen.

In der Folge legte der Kurator, der Kontakt mit dem Rechtsanwalt in Israel hergestellt hatte, dem Erstgericht eine E-Mail des Rechtsanwaltes in Israel vom 20. 10. 2003 vor, in welcher darauf verwiesen wird, dass der Beklagte israelischer Staatsbürger sei, der nicht in Österreich lebe, weshalb die Frage nach der Autorität des österreichischen Gerichtes gestellt werde.

Das Erstgericht stellte auch im zweiten Rechtsgang die Vaterschaft des Beklagten fest und verpflichtete ihn zu Unterhaltszahlungen.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der dagegen vom Kurator erhobenen Berufung das angefochtene Urteil und das ab 1. 9. 2003 geführte Verfahren als nichtig auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Rekurs zulässig sei, weil zur Frage der weiteren Aufrechterhaltung der Bestellung eines Prozesskurators trotz Wegfalls der Voraussetzungen höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtlich ging das Berufungsgericht zusammengefasst davon aus, dass die Kuratorbestellung rechtmäßig erfolgt sei, weil der Beklagte zu Prozessbeginn abwesend (im Sinne von postalisch nicht erreichbar) gewesen sei. Der Kurator sei zu entheben, wenn die Voraussetzungen für die Bestellung nicht mehr vorlägen. Die Funktion ende nicht mit dem Wegfall der Prozessunfähigkeit der Partei, es bedürfe stets eines ausdrücklichen Enthebungsbeschlusses. Bis zu diesem Zeitpunkt könne der Kurator auch Rechtsmittel für den Vertretenen einbringen. Die Enthebung des Kurators dürfe erst dann erfolgen, wenn die nun nicht mehr abwesende Partei oder der bestellte Vertreter selbst vor Gericht aufträten. Die bloße Bekanntgabe der Anschrift sei für die Enthebung ebensowenig ausreichend wie die Abgabe „eines Lebenszeichens" der abwesenden Personen an das Gericht ohne manifeste Beteiligungsabsicht. Trete der Abwesende selbst vor Gericht auf oder benenne er einen Bevollmächtigten, sei die Enthebung vorzunehmen.

Dem Erstgericht bzw dem Kurator seien seit Februar 2003 eine Arbeitsadresse und in der Folge auch eine Wohnadresse bekannt geworden. Der Beklagte sei auch vom Rechtshilfegericht in Deutschland einvernommen worden. Zwei deutsche Rechtsanwaltskanzleien hätten erklärt, für ihn im Verfahren einzuschreiten. Im Hinblick auf § 6 EuRAG schade es nicht, dass die Bekanntgabe der Bevollmächtigung durch deutsche Rechtsanwälte erfolgt sei. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass der Beklagte sich spätestens mit seinem Erscheinen vor dem Rechtshilfegericht nicht nur persönlich am Verfahren beteiligt habe, sondern auch - allenfalls verbesserungsfähig - Vollmachten erteilt habe. Spätestens mit Ablauf August 2003 wäre der Kurator daher im Sinne des § 117 ZPO zu entheben gewesen. Nach herrschender Rechtsprechung sei das mit einem zu Unrecht bestellten Kurator abgewickelte Verfahren nichtig. Das habe auch für den Fall zu gelten, dass ein ordnungsgemäß bestellter Kurator rechtswidrig nicht enthoben worden sei.

Im Hinblick auf die Stellungnahme des Kurators im Rahmen des dem Erstgericht aufgetragenen Verbesserungsverfahrens habe ein weiterer Sanierungsversuch im Sinne des § 6 Abs 2 ZPO nicht zu erfolgen. Es läge daher sowohl der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO als auch jener des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO vor.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Kurator erhobene Rekurs - die Klägerin beteiligte sich am Rekursverfahren nicht - ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Der Rekurs ist auch berechtigt.

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es sich beim Beschluss über die Bestellung wie auch über die Enthebung eines Kurators um rechtsgestaltende Beschlüsse handelt. Diese entfalten mit Wirksamkeit, also Zustellung der schriftlichen Ausfertigung an die Parteien, ihre Gestaltungswirkung (RIS-Justiz RS0102031). Solange der Kuratorbestellungsbeschluss aufrecht ist, ist der Kurator zu vertretungsweisem Einschreiten befugt (immolex 1997/112 [Pfiel]).

Auch unter Anlegung des von Lehre und Rechtsprechung geforderten strengen Maßstabes (Stummvoll in Fasching/Konecny² II/2 § 116 Rz 13 bis 18; Rassi, Der prozessuale Abwesenheitskurator, RZ 1996. 215; RIS-Justiz RS0036484; 3 Ob 187/94; JBl 1980, 267) waren die Voraussetzungen für die Kuratorbestellung zum Bestellungszeitpunkt verwirklicht. Die Zustellung unter der einzigen der Kindesmutter bekannten Adresse in Israel konnte nicht bewirkt werden. Eine Anfrage beim ehemaligen Arbeitgeber des Beklagten, eine Sozialversicherungsanfrage und eine Anfrage bei der Israelitischen Kultusgemeinde verliefen ebenso erfolglos wie die Einholung einer Meldeauskunft.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aus § 117 Abs 1 Satz 2 ZPO („bis zu ihrem eigenen Auftreten oder der Namhaftmachung eines Bevollmächtigten...") abgeleitet wird, dass die Enthebung des Kurators erst dann zu erfolgen hat, wenn der Abwesende durch aktives Handeln erkennen lässt, dass er sich am Verfahren künftig selbst beteiligen wird (RIS-Justiz RS0036504; Stummvoll aaO § 117 Rz 7). Nach der zweitinstanzlichen Rechtsprechung (Nachweise bei Stummvoll aaO § 117 Rz 7) muss sich der Kurand oder sein Vertreter persönlich oder schriftlich an das Gericht (und nicht bloß an den Kurator wenden). Nicht ausreichend für eine Enthebung ist die Bekanntgabe einer Abgabestelle des Kuranden durch eine andere Person. Dem Auftreten gleichgestellt ist die gehörige Namhaftmachung eines Bevollmächtigten. Diese Namhaftmachung kann auch durch den Bevollmächtigten selbst geschehen.

Dieser Auffassung ist beizupflichten: Aus Gründen der Rechtssicherheit und des aus § 117 Abs 1 Satz 2 hervorleuchtenden Gebotes einer zügigen Verfahrensführung (Stummvoll aaO § 117 Rz 7) ist nur bei zweifelsfreier Verfahrensaufnahme durch den Kuranden (selbst oder durch einen Bevollmächtigten) die Kuratorenthebung angebracht. Es müssen alle Unklarheiten darüber beseitigt sein, dass der Kurand selbst es ist, der das Verfahren weiter betreibt (betreiben lässt).

Unter Anlegung dieser Grundsätze ist nicht davon auszugehen, dass die Enthebungsvoraussetzungen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im zweiten Rechtsgang verwirklicht waren: Der Beklagte ließ bei seinem einzigen „Auftreten" anlässlich seiner Einvernahme im Rechtshilfeweg vor dem Amtsgericht Frankfurt - unabhängig davon, ob die Ergebnisse der Einvernahme im Hinblick auf die Behauptung, der Beklagte sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, überhaupt verwertbar sind - gerade nicht erkennen, dass er sich am Verfahren in Hinkunft beteiligen werde.

Aber auch die „Bevollmächtigungsanzeigen" zweier deutscher Rechtsanwaltskanzleien, die das Berufungsgericht zur Begründung der von ihm bejahten Enthebungsvoraussetzungen anführt, stellen sich nicht als Namhaftmachung eines Bevollmächtigten im Sinne des § 117 Abs 1 Satz 2 ZPO dar: Die erste eingeschaltete deutsche Rechtsanwaltskanzlei zeigte dem Amtsgericht Frankfurt lediglich eine Bevollmächtigung „vor dem Familiengericht Frankfurt/Main" an. Die zweite in diesem Verfahren für den Beklagten auftretende deutsche Anwaltskanzlei behauptete dem Amtsgericht Frankfurt am Main gegenüber eine Bevollmächtigung des Beklagten, wies allerdings ausdrücklich darauf hin, dass der Beklagte seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland habe und das Gericht für weitere Anhörungen oder die Einholung von Gutachten unzuständig sei; die anwaltliche Vertretung werde von einem namentlich genannten Anwalt in Israel vorgenommen. In diesem Zusammenhang beantragte die zweite für den Beklagten einschreitende deutsche Rechtsanwaltskanzlei Zustellungen in Israel an den dort genannten bevollmächtigten Rechtsanwalt vorzunehmen.

Eine Bevollmächtigungsanzeige des nunmehr offensichtlich für den Beklagten in Israel einschreitenden Rechtsanwaltes gegenüber dem Erstgericht erfolgte nicht.

Das im Akt erliegende, in englischer Sprache verfasste Schreiben des Anwaltes aus Israel langte erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung beim Erstgericht ein.

Da somit der Beklagte weder im Verfahren auftrat und erkennen ließ, dass er sich am Verfahren künftig selbst beteiligen werde noch eine Namhaftmachung eines Bevollmächtigten gegenüber dem Erstgericht vor Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte, erübrigt sich auch ein Eingehen auf die vom Berufungsgericht genannte Bestimmung des § 6 EuRAG (vgl dazu JBl 2005, 51).

Dem Rekurs des Beklagten war daher schon deshalb Folge zu geben, weil jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im zweiten Rechtsgang die Enthebungsvoraussetzungen nicht vorlagen. Eine Prüfung, welche Konsequenzen die Nichtenthebung des Kurators trotz Vorliegens der Enthebungsvoraussetzungen auf ein dennoch (weiter) mit ihm abgeführtes Verfahren haben, erübrigt sich daher.

Das Berufungsgericht wird die Berufung des Beklagten einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen haben.

Zur Entscheidung über die Rekurskosten des Kurators des Beklagten ist der Oberste Gerichtshof funktionell unzuständig. Die Kosten sind durch das bestellende Gericht (hier durch das Erstgericht) zu bestimmen (RIS-Justiz RS0035322; zuletzt 6 Ob 112/04w).

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