OGH 1Ob1/05m

OGH1Ob1/05m15.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Björk Katharina Florence F*****, geboren am *****, wegen Unterhaltsvorschusses, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Linz (Amt für Jugend und Familie), gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Juli 2004, GZ 15 R 231/04b-13, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 7. April 2004, GZ 4 P 51/04p-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die am 21. 3. 2001 geborene Minderjährige ist ein uneheliches Kind. Sie ist österreichische Staatsbürgerin und wird im Haushalt ihrer Mutter in Österreich betreut. Der Vater hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Nach der vom Landratsamt Traunstein (Kreisjugendamt) errichteten, vom Vater unterfertigten „Urkunde über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung" vom 24. 4. 2001 erklärte der Vater, seinem Kinde ab dessen Geburt „Unterhalt beziffert bzw als Vomhundertsatz eines oder des jeweiligen Regelbetrages nach §§ 1612a - 1612c BGB in Verbindung mit der Regelbetragsverordnung in der zur Zeit geltenden Fassung (dynamisierter Unterhalt) zu zahlen". Gemäß § 1 Regelbetragsverordnung wurde der Unterhalt ab 21. 3. 2001, ab 1. 3. 2007 und ab 1. 3. 2013 mit jeweils „100 Vomhundertsatz des jeweiligen Regelbetrages" bestimmt und festgehalten, dass nach der „erfolgten Kindergeldanrechnung ... derzeit Unterhalt in Höhe von 345,00 DM" monatlich im Voraus zu zahlen ist, das anrechenbare Kindergeld für „ein 1 Kind derzeit 10 DM" beträgt, und „der Kindergeldanteil in der Höhe, in der der geschuldete Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetrages unterschreitet", gemäß § 1612b Abs 5 BGB nicht anrechenbar ist. Der Vater erklärte ferner, sich „wegen der Erfüllung der Verbindlichkeit aus dieser Urkunde ... der sofortigen Zwangsvollstreckung" zu unterwerfen. Die Urkunde trägt die Aufschrift: „Erste Vollstreckbare Ausfertigung" und enthält im Übrigen folgende Klausel:

„Vorstehende, mit der Urschrift gleichlautende Ausfertigung wird dem Kinde z. Hd. seines jeweiligen gesetzlichen Vertreters zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt.

Beglaubigte Abschrift dieser vollstreckbaren Ausfertigung ist dem Vater durch Aushändigung bei der oben genannten Behörde nach §§ 170, 212b ZPO, 60 Satz 2 SGB VIII heute zugestellt worden."

Auf Grund dieses Titels bewilligte das Erstgericht der Minderjährigen mit Beschluss vom 11. 3. 2004 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse von 176,40 EUR monatlich vom 1. 3. 2004 bis 28. 2. 2007.

Am 29. 3. 2004 (Einlangen) beantragte die Minderjährige - vertreten durch den Magistrat der Stadt Linz - die Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse ab 1. 3. 2004 auf 199 EUR monatlich. Dieser Betrag entspreche dem vom Vater zu leistenden Regelbetrag.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Eine Erhöhung der Vorschüsse gemäß § 19 Abs 2 UVG erfordere einen rechtskräftigen und vollstreckbaren Unterhaltstitel, der den Voraussetzungen nach § 7 EO genüge. Hier sei die titulierte Unterhaltsleistung bloß bestimmbar. Das reiche nicht aus. Der zu leistende Unterhalt müsse daher „vorerst ... ziffernmäßig" festgesetzt werden, um gewährte Vorschüsse erhöhen zu können. Da auch der Bruder der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse beantragt habe, lasse sich nicht einmal beurteilen, ob der in der Titelurkunde ausgewiesene Unterhaltsbetrag von derzeit 345 DM monatlich zustehe, sei doch „Kindergeld in unbestimmter Höhe" abzuziehen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, § 19 Abs 2 UVG sei nur dann anzuwenden, „wenn der Unterhaltsbeitrag während des Laufes der Vorschüsse erhöht" werde. Hier sei vorgebracht worden, dass die behauptete Unterhaltserhöhung an sich bereits ab dem 1. 7. 2003, demnach ab einem Zeitpunkt vor der ersten Antragstellung gebühre. Das Begehren sei somit als solches „auf Gewährung eines zusätzlichen Vorschussbetrages" zu werten. Demzufolge seien alle Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen neuerlich zu prüfen. Eine dieser Voraussetzungen sei das Vorliegen eines im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels. Nach der Rechtsprechung von Gerichten zweiter Instanz seien ausländische Exekutionstitel solche im Sinne des § 3 Z 1 UVG, es sei denn, deren Vollstreckbarkeit im Inland scheide mangels Vorliegens eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags aus. Soweit völkerrechtliche Verträge ein „Exequatur-Verfahren" nicht vorgesehen hätten, sei die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Exekutionstitels im Inland selbständig als Vorfrage zu beurteilen gewesen. Die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des im Anlassfall maßgebenden Titels im Inland sei nach dem EuGVÜ zu beurteilen. Dieses Übereinkommen habe den Vertrag zwischen Österreich und Deutschland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 6. 6. 1959 ersetzt. Dagegen sei das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. 4. 1958 - diesem Übereinkommen seien Österreich und Deutschland beigetreten - gemäß § 57 EuGVÜ weiterhin anwendbar. Es beziehe sich jedoch nur auf Entscheidungen, demnach nicht auf Vergleiche und Unterhaltsvereinbarungen. Deshalb sei die Vollstreckbarkeit des deutschen Titels nur nach dem EuGVÜ zu beurteilen. Während Art 26 EuGVÜ bestimme, dass die in einem Vertragsstaat ergangenen „'Entscheidungen'" in den anderen Vertragsstaaten anerkannt würden, ohne dass es dafür eines besonderen Verfahren bedürfe, gelte Gleiches nicht auch für öffentliche Urkunden über zivilrechtliche Verpflichtungen, die - wie titulierte Unterhaltspflichten - in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens fielen. Eine „ipso-iure-Anerkennung" solcher Urkunden sei bewusst nicht normiert worden. Aus Art 31 EuGVÜ folge, dass die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat deren Vollstreckbarerklärung voraussetze. Das gelte gemäß Art 50 EuGVÜ auch für die Exekution im Inland auf Grund einer im Ausland errichteten öffentlichen Urkunde. Gemäß Art Ve des Protokolls zum EuGVÜ seien als öffentliche Urkunden nach Art 50 Abs 1 des Übereinkommens auch vor Verwaltungsbehörden geschlossene oder vor ihnen beurkundete Unterhaltsvereinbarungen oder -verpflichtungen anzusehen. Ein vollstreckbarer Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG liege somit nur dann vor, wenn der Titel „nach den Vorschriften und in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach den Art 50 iVm (Art) 31 ff EuGVÜ für vollstreckbar erklärt" worden sei. Die Vollstreckbarkeit der in einer ausländischen öffentlichen Urkunde titulierten Leistungspflicht im Inland dürfe das Pflegschaftsgericht nicht „selbständig als Vorfrage" beurteilen. Erst wenn die beurkundete Unterhaltspflicht für Österreich für vollstreckbar erklärt worden sei, liege ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG vor. Da es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Lösung dieser Frage auf dem Boden des EuGVÜ mangle, hänge die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG aF ab.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

I. Unterhaltsvorschüsse - ausländischer Exekutionstitel

1. Entwicklung der Rechtslage - Regelungsmotive

1. 1. Das Unterhaltsvorschussgesetz wurde 1976 erlassen (BGBl 1976/250). Es bezweckt eine „wirksame Sicherung bereits festgesetzter Unterhaltsansprüche" durch Vorschüsse auf die vom Schuldner zu erbringenden Leistungen (RV 5 BlgNR XIV. GP, 5), weil Unterhaltsleistungen „ihrem Wesen nach in der Regel nur dann ihren Zweck" erfüllen können, „wenn sie vollständig und rechtzeitig erbracht werden". Verfehle eine Exekution gegen den Unterhaltsschuldner ihr Ziel, so müsse der Staat „aushilfsweise ... unmittelbar eingreifen", um „für die vollständige und rechtzeitige Befriedigung des Unterhaltsanspruchs durch die Gewährung entsprechender Vorschüsse" zu sorgen (RV 5 BlgNR XIV. GP, 8). Sollen die Vorschüsse „ihre Aufgabe erfüllen", so seien sie „in einem möglichst straffen und konzentrierten Verfahren" zu gewähren. Dieses Verfahren solle „möglichst rasch und ohne viel Förmlichkeiten abgewickelt werden" (RV 5 BlgNR XIV. GP, 9).

1. 2. Nach § 3 Z 1 UVG hängt die Gewährung von Vorschüssen auf gesetzliche Unterhaltsansprüche vom Vorliegen eines im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels ab. Der Wortlaut dieser Norm entspricht noch der Stammfassung des Gesetzes. Insoweit wird in den Materialien festgehalten, dass „im Ausland geschaffene Titel, denen unsere Rechtsordnung die Vollstreckbarkeit im Inland mangels eines Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags versagt, ... nicht Grundlage von Unterhaltsvorschüssen sein" können (RV 5 BlgNR XIV. GP, 10). Die Auslegung des Gesetzeswortlauts und seine Erläuterung in der Regierungsvorlage setzen die Aufhellung des rechtlichen Umfelds des damals geltenden Exekutionsrechts voraus. Seinerzeit mangelte es an einem besonderen Verfahren zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel. Die nach dem jeweils maßgebenden fremden Recht exequierbaren Titel waren gemäß § 79 EO aF im Fall einer durch Staatsverträge oder kundgemachte Regierungserklärungen verbürgten Gegenseitigkeit im Inland vollstreckbar (Näheres bei Heller/Berger/Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung I4 770). Einem Exekutionsantrag auf Grund eines ausländischen Titels war daher bei verbürgter Gegenseitigkeit nach Maßgabe der weiteren Voraussetzungen gemäß §§ 80 ff EO aF stattzugeben.

Deutsche Exekutionstitel waren nach dem Vertrag zwischen Österreich und Deutschland vom 6. 6. 1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1960/105 - Abdruck bei Heller/Berger/Stix aaO 821 ff) im Inland vollstreckbar. Kraft Art 13 Abs 1 dieses Vertrags wurden die in einem Staat errichteten und dort vollstreckbaren öffentlichen Urkunden im anderen Staat wie rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen vollstreckt. Zu diesen Titeln gehörten „insbesondere gerichtliche oder notarielle Urkunden und die in Unterhaltssachen von einer Verwaltungsbehörde - Jugendamt - aufgenommenen Verpflichtungserklärungen und Vergleiche". Nach Art 13 Abs 2 des Vertrags hatte der betreibende Gläubiger dem Exekutionsantrag „eine mit amtlichem Siegel oder Stempel versehene Ausfertigung der öffentlichen Urkunde beizufügen". In - der Sache nach - ähnlicher Weise konnte in Österreich gemäß Art 7 Abs 1 des Vertrags eine Exekutionsbewilligung auf Grund einer rechtskräftigen deutschen gerichtlichen Entscheidung in einem Verfahren, auf das sich die unterlegene Partei eingelassen hatte, erwirkt werden; diesfalls waren dem Exekutionsantrag eine amtliche Ausfertigung des Titels, ein Zeugnis über dessen Rechtskraft und die Vollstreckungsklausel beizufügen. Nach dieser Rechtslage bedurfte es im Anwendungsbereich des erörterten Vertrags keiner besonderen Vollstreckbarerklärung eines deutschen Exekutionstitels wie etwa der öffentlichen Urkunde eines Jugendamtes über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung, um die vom Unterhaltsschuldner infolge dieses Titels zu erbringenden Leistungen im Einklang mit § 3 Z 1 UVG bevorschussen zu können.

1. 3. Das Rekursgericht führte zutreffend aus, dass die Vollstreckbarkeit des hier maßgebenden deutschen Unterhaltstitels in Österreich nach dem EuGVÜ zu beurteilen ist. Das wird im Revisionsrekurs nicht in Zweifel gezogen, sodass es insoweit keiner weiterführenden Begründung bedarf. Dieses Übereinkommen ersetzte gemäß dessen Art 55 - wie im Übrigen vorher bereits das LGVÜ - (auch) den unter 1. 2. erörterten Vertrag zwischen Österreich und Deutschland vom 6. 6. 1959. Es hat nach der Präambel u. a. den Zweck, die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sicherzustellen sowie „die Anerkennung von Entscheidungen zu erleichtern und ein beschleunigtes Verfahren einzuführen, um die Vollstreckung von Entscheidungen sowie von öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen sicherzustellen" (siehe zu diesem Wortlaut etwa: Klauser, EuGVÜ und EVÜ 125). Ob durch das EuGVÜ wirklich eine Erleichterung der Anerkennung von deutschen öffentlichen Urkunden als Unterhaltsexekutionstitel und eine Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens gegenüber der Rechtslage nach dem Vertrag zwischen Österreich und Deutschland vom 6. 6. 1959 erreicht wurde, muss hier nicht erörtert werden.

2. Auslegung des § 3 Z 1 UVG

2. 1. Legte man die Wendung in § 3 Z 1 UVG, es müsse zur Gewährung von Unterhaltsvorschüssen „ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel" bestehen, dahin aus, dass es gemäß Art 50 Abs 1 EuGVÜ einer besonderen Vollstreckbarerklärung der öffentlichen Urkunde eines deutschen Landratsamts „über die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung" nach Art 31 ff EuGVÜ bedürfe, damit diese Urkunde als „vollstreckbarer Exekutionstitel" im Sinne des § 3 Z 1 UVG angesehen werden kann, so hätte sich die Rechtsposition von Unterhaltsgläubigern durch das Inkrafttreten des EuGVÜ gegenüber der Rechtslage nach dem unter 1. 2. erörterten völkerrechtlichen Vertrag vom 6. 6. 1959 zwischen Österreich und Deutschland erheblich verschlechtert, bedurfte es doch nach diesem Vertrag keines besonderen Verfahrens, um einen nach deutschem Recht vollstreckbaren Unterhaltstitel in der Gestalt einer öffentlichen Urkunde in Österreich für vollstreckbar zu erklären. Hätte ein Unterhaltsgläubiger in Österreich die rechtskräftige Erklärung der Vollstreckbarkeit eines solchen deutschen Exekutionstitels als Erfolgsvoraussetzung eines Begehrens auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in dem - nach der geltenden Rechtslage allenfalls in drei Instanzen zu führenden - Verfahren gemäß §§ 83 f EO (mit Neuerungserlaubnis für den Antragsgegner im Rekursverfahren gemäß § 84 Abs 2 Z 2 und Abs 3 EO) zu erwirken, so wäre der unter 1. 1. erläuterte Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes vereitelt, könnte doch ein erfolgversprechender Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen erst nach Vorliegen einer rechtskräftigen Vollstreckbarerklärung eingebracht werden. In Fällen, in denen eine Exekution in Österreich mangels eines inländischen Drittschuldners und mangels irgendwelcher sonstiger pfändbarer Vermögenswerte des Unterhaltsschuldners im Inland gemäß §§ 18 f EO nicht in Betracht käme, diente die Erklärung der Vollstreckbarkeit einer deutschen Titelurkunde nach Art 50 Abs 1 iVm Art 31 ff EuGVÜ überdies nicht dem Zweck, die Voraussetzung für eine Exekution gegen den Unterhaltsschuldner in Österreich zu schaffen, sondern lediglich der Erfüllung eines Formalerfordernisses für die Bevorschussung des titulierten Unterhaltsanspruchs nach § 3 Z 1 UVG. Ein derartiger Sachverhalt könnte auch hier vorliegen, weil der erste Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen auf Grund einer Behauptung der Vorschusswerberin erfolgreich war, eine Exekution erscheine aussichtslos, „weil kein Dritt-Schuldner und kein pfändbares Vermögen des (Kindes-)Vaters bekannt" seien.

2. 2. Der erkennende Senat sprach als verstärkter Senat in der Entscheidung 1 Ob 107/98m (= SZ 71/183) aus, ein Gesetz sei - selbst im Rahmen historischer Auslegung - nach der "ihm eigenen Vernünftigkeit", also teleologisch "gemäß den erkennbaren Zwecken und dem Grundgedanken einer Regelung" zu verstehen. Als Auslegungsziel seien immer (nur) "die heute rechtlich maßgebenden relevanten Sinngehalte der Norm zu suchen". Die Anwendung objektiv-teleologischer Kriterien könne jedoch auch zur Fortschreibung eines gesetzlichen Leitgedankens trotz der steten Entwicklung der Rechtslage durch Novellen und Rechtsprechung führen, solange dabei weder widersprüchliche Ergebnisse erzielt würden noch das nächstliegende Verständnis offenbare Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provoziere. Daran ist festzuhalten. Vor dem Hintergrund dieses Auslegungsziels kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, er habe durch die mit Inkraftreten des EuGVÜ bewirkte - unter 1. 3. erörterte - Änderung der Rechtslage eine Vereitelung des Zwecks des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend den Erwägungen zu 2. 1. herbeiführen wollen. Angesichts dieser Erkenntnis ist die Frage, ob ein ausländischer Exekutionstitel in Österreich als vollstreckbar im Sinne des § 3 Z 1 UVG anzusehen ist, als Vorfrage der im Verfahren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zu treffenden Entscheidung zu lösen. Stünde einer Vollstreckbarerklärung kein Hindernis entgegen, so besteht ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG.

Die bisherigen Erwägungen sind somit wie folgt zusammenzufassen:

Ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel nach § 3 Z 1 UVG besteht auch dann, wenn die zur Lösung einer Vorfrage erforderliche Prüfung des einem Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zugrunde liegenden ausländischen Exekutionstitels ergibt, dass dieser für Österreich für vollstreckbar zu erklären wäre.

Hier besteht nach dem Akteninhalt kein Zweifel daran, dass einer Vollstreckbarerklärung der vom Landratsamt Traunstein (Kreisjugendamt) errichteten Titelurkunde vom 24. 4. 2001 in dem gemäß Art 34 EuGVÜ zunächst einseitigen Verfahren kein Hindernis entgegenstünde, sodass diese Urkunde nach der zuvor begründeten Leitlinie einen im Inland vollstreckbaren Exekutionstitel im Sinne des § 3 Z 1 UVG bildet.

3. Stellung des Unterhaltsschuldners

3. 1. Da der Unterhaltsschuldner im Verfahren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nicht gehört wird, hat die zuvor erläuterte Rechtslage folgende weitere Konsequenz:

Ein Unterhaltsschuldner, gegen den der Präsident des Oberlandesgerichts geleistete Unterhaltsvorschüsse mangels schuldbefreiender Zahlungen gemäß § 31 Abs 1 UVG zwangsweise hereinbringt, kann im Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung in analoger Anwendung des § 84 EO einwenden, der ausländische Exekutionstitel, der der Gewährung von Unterhaltvorschüssen zugrunde liege, sei in Österreich nicht vollstreckbar; in diesem Fall ist auch § 84a Abs 2 EO analog anzuwenden.

3. 2. Sollte sich der Unterhaltsschuldner mit der unter 3. 1. erörterten Einwendung durchsetzen, so hätte der Bund Leistungen bevorschusst, die gegen den Unterhaltsschuldner in Österreich nicht hätten hereingebracht werden können. Das müsste zur Abweisung des Exekutionsantrags im Rechtsmittelverfahren führen. Diese Sachlage verwirklichte den die Einstellung gewährter Unterhaltsvorschüsse regelnden Tatbestand nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG, eine Rechtslage, die wie folgt zusammenzufassen ist:

Erhob der Unterhaltsschuldner im Rekurs gegen eine nach § 31 Abs 1 UVG erwirkte Exekutionsbewilligung erfolgreich die Einwendung, dass der der Gewährung von Unterhaltvorschüssen zugrunde liegende ausländische Exekutionstitel in Österreich nicht vollstreckbar sei, so erfüllt dieser Sachverhalt den Tatbestand des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG.

4. Bestimmbarkeit der vollstreckbaren Leistung

4. 1. Der Oberste Gerichtshof sprach in der Entscheidung 3 Ob 104/03w aus, das EuGVÜ werde bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen vom Gedanken der Wirkungserstreckung getragen. Demnach habe die Gerichtsentscheidung eines Vertragsstaats in allen anderen Vertragsstaaten die gleiche Wirkung wie im Staat des erkennenden Gerichts. Eine Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel sei zwar deren „hinreichende Bestimmtheit", insoweit dürften jedoch nicht dieselben Anforderungen wie an inländische Titel gestellt werden. Besonders bei „'europäischen Titeln'", die im Ursprungsstaat vollstreckbar seien, habe eine strenge Bestimmtheitsprüfung zu unterbleiben. „'Offene Titel'" müsse das Exekutionsgericht konkretisieren. Allerdings müsse die vollstreckbare Forderung „ohne weitere Wertungsentscheidung" berechenbar sein. Bei dem nach der deutschen Regelbetragsverordnung in der jeweils geltenden Fassung festgesetzten Unterhalt handle es sich um eine Schuld, deren Höhe ohne ein Zwischenverfahren ermittelt werden könne. Wegen des vom EuGVÜ angestrebten Systems „des 'freien Verkehrs der Urteile' innerhalb der Vertragsstaaten" zur Förderung der Anerkennung und Erleichterung der Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen dürften „allfällige Schwierigkeiten bei der Ermittlung oder Überprüfung des Inhalts ausländischer Gesetze und Verordnungen ... nicht dazu herangezogen werden, die Vollstreckung in einem anderen Vertragsstaat erwirkter Exekutionstitel zu erschweren oder zu vereiteln". Diese Grundsätze prägen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch in Fällen, die nicht unter dem Regime des LGVÜ/EuGVÜ oder der EuGVVO stehen (vgl 3 Ob 71/03t [Exekutionsbewilligung auf Grund eines für vollstreckbar erklärten slowenischen Unterhaltsurteils vom 20. 6. 1989]).

4. 2. Auf dem Boden der soeben erörterten, fortzuschreibenden Rechtsprechung erweist sich die Ansicht des Erstgerichts als unzutreffend, der Antrag der Vorschusswerberin vom 29. 3. 2004 müsse scheitern, weil die nach dem maßgebenden deutschen Exekutionstitel geschuldete Leistung bloß bestimmbar sei. Nach der deutschen Rechtslage lässt sich auch ermitteln, ob - und bejahendenfalls in welcher Höhe - Kindergeld auf die titulierte Unterhaltsschuld anzurechnen ist.

II. Ergebnis

Gegen die zutreffende Ansicht des Rekursgerichts, der Antrag der Vorschusswerberin sei kein solcher nach § 19 Abs 2 UVG, sodass alle Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen neuerlich zu prüfen seien, wird im Rekurs nichts ins Treffen geführt. Dem Rechtsmittel ist jedoch nach allen voranstehenden Erwägungen im Rahmen des - im Abänderungsantrag enthaltenen - Aufhebungsbegehrens stattzugeben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren werden alle Gewährungsvoraussetzungen neuerlich zu prüfen, insbesondere wird auf die mittlerweilige Vorschussgewährung vom 16. 9. 2004 Bedacht zu nehmen sein.

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