OGH 15Os4/05k

OGH15Os4/05k17.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pablik als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ernst R***** wegen der Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 7. Oktober 2004, GZ 7 Hv 154/04k-75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Ernst R***** wurde mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthält, der Verbrechen (1) der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und

(2) des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 30. März 2004 in Gralla, Bezirk Leibnitz,

(1) seine Lebensgefährtin Hannelore W***** durch Versetzen von wuchtigen Stichen mit einem Fleischmesser mit einer ca 30 cm langen Klinge in den Brustkorb absichtlich am Körper schwer zu verletzen versucht, indem er zum Stich ausholte, wobei die Tatvollendung durch ihre Gegenwehr und das Eingreifen ihres Sohnes Marco G***** fehlschlug;

(2) Marco G***** durch Versetzen von wuchtigen Stichen mit einem Fleischermesser mit einer ca 30 cm langen Klinge in den Brustkorb zu töten versucht, nämlich durch Ausführen eines wuchtigen und tiefgehenden Stiches gegen den Bereich der linken Schulter mit einem senkrechten Stichkanal in den Brustkorb und durch den linken Lungenflügel sowie weiterer Stiche gegen den Brustkorb und den linken Oberschenkel, wobei die Tatvollendung nur durch die von Hannelore W*****, Christine L***** und Richard L***** ergriffenen Maßnahmen sowie durch die von den einschreitenden Gendarmeriebeamten Gendarmerieinspektor Karl Z***** und Revierinspektor Guido K***** veranlasste Notoperation von Ärzten des LKH Wagna fehlschlug. Die Geschworenen haben die anklagekonforme Hauptfrage I, gerichtet auf Mordversuch nach §§ 15, 75 StGB betreffend Hannelore W***** verneint, die zugehörige Eventualfrage I/1 nach versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung zum Nachteil der Hannelore W***** bejaht und demgemäß die Beantwortung der Eventualfragen I/2, gerichtet auf versuchte schwere Körperverletzung nach § 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB sowie die Eventualfrage I/3, zielend auf gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB entfallen lassen. Weiters bejahten sie die anklagekonforme Hauptfrage II lautend auf Verbrechen des versuchten Mordes betreffend Marco G***** nach §§ 15, 75 StGB, sodass die Beantwortung der diesbezüglichen Eventualfragen II/1 nach versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung des Marco G***** nach §§ 15, 87 Abs 2 StGB und auf schwere Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1, Abs 2 Z 1 StGB zum Nachteil des Marco G***** entfiel.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten gegen den Schuldspruch aus Z 4 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel. Mit dem Nichtigkeitsgrund des § 354 Abs 1 Z 4 StPO rügt der Angeklagte eine Verletzung des mit Nichtigkeit bedrohten Umgehungsverbotes nach § 252 Abs 4 StPO, weil den Geschworenen in der Hauptverhandlung nicht vorgekommene Aussageprotokolle, nämlich diejenigen der Zeugen Hannelore W***** und Marco G***** vor der Sicherheitsbehörde, überlassen worden seien. Da die Aussagen des Zeugen G***** aus dem Vorverfahren aufgrund des berechtigterweise in Anspruch genommenen Entschlagungsrechtes nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO nicht verlesen wurden, weiters die Angaben der Zeugin W*****, die zwar in der Hauptverhandlung vernommen wurde, dort jedoch die Tathandlungen konträr zu ihren Depositionen vor der Sicherheitsbehörde - welche ebenfalls in der Hauptverhandlung nicht verlesen wurden - geschildert habe, hätten diese Protokolle nach Ansicht des Beschwerdeführers aus den Akten ausgenommen werden müssen.

Den Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde ist insoweit beizupflichten, als Verstöße gegen die im § 322 StPO angeführten Vorschriften vom taxativen Katalog des § 345 Abs 1 Z 4 StPO grundsätzlich nicht erfasst werden (RIS-Justiz RS0100697). Missachtet der Vorsitzende jedoch den gesetzlichen Auftrag, Vernehmungsprotokolle oder andere von § 252 Abs 1 StPO erfasste Schriftstücke, die in der Hauptverhandlung nicht verlesen oder sonst prozessförmig vorgekommen sind, auszusondern, wodurch sie den Geschworenen bekannt werden, verstößt er gegen das Umgehungsverbot nach § 252 Abs 4 StPO (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 9, 11 Os 79/03). Dem Beschwerdevorbringen betreffend die Zeugin Hannelore W***** zuwider ist dies hier jedoch schon deshalb nicht gegeben, weil die Zeugin (die zunächst vor der Sicherheitsbehörde Angaben gemacht und sich sodann vor der Untersuchungsrichterin der Aussage entschlagen hatte) in der Hauptverhandlung unter Verzicht auf ihr Entschlagungsrecht eine Aussage ablegte, wobei ihr in der Hauptverhandlung auch ihre anderslautenden Depositionen vor der Sicherheitsbehörde vorgehalten wurden (vgl S 23 bis 29 des Hv-Protokolls ON 74/II). Damit fanden ihre Angaben vor der Sicherheitsbehörde S 25 ff/I, 31 f/I, 39 f/I Eingang in die Hauptverhandlung und wurden auch dort den Geschworenen zur Kenntnis gebracht.

Bezüglich des Zeugen Marco G***** ergibt sich aus der Aktenlage, dass er am 31. März 2004 in der Intensivstation des Landeskrankenhauses Wagna von zwei Beamten des Gendarmeriepostens Leibnitz zum Sachverhalt befragt wurde und dazu zum Tathergang angab:

„... wurde ich wach. Als ich aufschaute, sah ich Ernst R***** mit einem langen Messer im Zimmer stehen. Da ich von vorangegangenen Drohungen weiß und ich befürchtete, dass etwas passieren könnte, stand ich auf und ging auf Ernst zu. Was dann genau geschehen ist kann ich nicht sagen, jedoch verspürte ich einen Stich. Es ging alles sehr schnell. Kurz darauf sah ich auch schon viel Blut. Ich kann mich dann nur mehr erinnern, dass ich ins Wohnzimmer gebracht wurde und kurz darauf die Rettung sich um mich kümmerte" (S 43/I). Anlässlich seiner Vernehmung als Zeuge entschlug sich Marco G***** der Aussage (ON 31/I).

Der Angeklagte verantwortete sich in der Hauptverhandlung dahingehend, dass er, als Marco G***** auf ihn zukam, das Messer in der Hand hatte und ihn im Schulterbereich gestochen habe, weil er ihm wehtun wollte, und dass er gesehen habe, dass alles voller Blut sei (S 3, 4, 6 ff des Hv-Protokolls ON 74/II). Da alles voller Blut gewesen war, habe er den Boden mit einem Fetzen aufgewischt (S 6 und 7 des Hv-Protokolls). Aus dem Inhalt dieser mit den Depositionen des Zeugen G***** insoweit völlig übereinstimmenden Angaben, der zum Tathergang keine weitere Schilderung abgegeben hat, ist klar ersichtlich, dass der Zeuge keine über das Geständnis des Angeklagten hinausgehende, diesen in irgendeiner Weise zusätzlich belastende Angaben gemacht hat. Damit ist unzweifelhaft erkennbar, dass selbst bei Bekanntwerden der Depositionen des Zeugen G***** eine solche Formverletzung, wenn sie vorgelegen wäre, auf die Entscheidung keinen den Angeklagten nachteiligen Einfluss hätte üben können (§ 345 Abs 3 StPO).

Weiters wird unter dem bezeichneten Nichtigkeitsgrund kritisiert, die Inhalte der Anzeigen ON 53 und der Sachverhaltsmappe ON 56 (beides bezogen auf Vorfälle in Semriach) seien zu Unrecht verlesen worden, weil „sie für die Sache nicht von Bedeutung" und damit die Verlesungsvoraussetzungen tatsächlich nicht gegeben waren. Im Übrigen seien in der Anzeige ON 53 „Angaben von vernommenen Zeugen enthalten", sodass auch in diesem Punkt auf vorstehenden Ausführungen des Rechtsmittels verwiesen werde, zumal diese Niederschriften nach dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht dargestellt wurden. Diesem Vorbringen ist eine deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Schriftstücke, welche dem Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO unterfallen sollen, sodass das Verlesungsverbot in nichtigkeitsbegründender Weise umgangen worden wäre, nicht zu entnehmen (Ratz aaO § 285d Rz 10). Warum der „Vorfall Semriach", auf den sich nicht nur die Anklage, sondern der Angeklagte selbst anlässlich der Vorfallsschilderung betreffend die von ihm geäußerten Drohungen und zur subjektiven Tatseite bezieht (S 411/I, 61/I, 5/II), nicht von Bedeutung sein soll und daher die bezughabenden Aktenteile nicht hätte verlesen werden dürfen, legt die Beschwerde mit der pauschalen Behauptung, dass die Verlesungsvoraussetzungen nicht gegeben wären, ebenfalls nicht dar, sodass insoweit allfällige Nichtigkeit bewirkende Umstände wiederum nicht deutlich und bestimmt bezeichnet werden.

Das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 10a), aufgrund des Schuldbekenntnisses des Angeklagten in Übereinstimmung mit den Aussagen der Zeugin W***** in der Hauptverhandlung ergäbe sich kein erkennbar auf Verletzung dieser Zeugin zielender Vorsatz, zur Verletzung von Marco G***** lägen keine objektiven, den Angeklagten belastenden Ergebnisse der Hauptverhandlung in Richtung Tötungsvorsatz vor, vermag keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Verdikt festgestellten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Vielmehr erschöpft sich die Beschwerdeargumentation im Bestreben des Angeklagten, seiner mit Bejahung der Eventualfrage I/1 (wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung) bzw Hauptfrage II (wegen versuchten Mordes) abgelehnten Version der entsprechenden subjektiven Tatseite der Delikte neuerlich zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Beschwerdebehauptung, von den Geschworenen seien die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten worden, stützt sich auf nicht näher präzisierte Spekulationen wie „... offensichtlich Stimmungsbildern folgend und unter dem Eindruck der Lichtbildbeilage betreffend den Vorfall Semriach stehend ..." (S 7 der Beschwerde) und ist daher mangels Konkretisierung des Beschwerdevorbringens nicht erwiderungsfähig.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung der Verteidigung - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO). Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a StPO.

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