OGH 12Os8/05a

OGH12Os8/05a17.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Petö als Schriftführer, in der Strafsache gegen Kurt L***** wegen mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) sechster Fall und Abs 2 Z 1 SMG sowie anderer strafbarer Handlungen, AZ 8 Hv 115/03f des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Beschwerdegericht vom 5. August 2004, AZ 11 Bs 352/04, (ON 60 der Hv-Akten) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Mag. Fuchs, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Kurt L*****, AZ 8 Hv 115/03f des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 5. August 2004 (ON 60) das Gesetz in der Bestimmung des § 39 Abs 1 SMG.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Graz die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Kurt L***** (ON 58) gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22. Juni 2004 (ON 57) aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit (seit 28. Jänner 2004 rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 3. September 2003 wurde Kurt L***** mehrerer Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) sechster Fall und Abs 2 Z 1 SMG (1) sowie nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster, zweiter und sechster Fall SMG (2) schuldig erkannt und (unter Vorhaftanrechnung) zu einer fünfzehnmonatigen Freiheitsstrafe, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein zehnmonatiger Strafteil unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt (ON 39 iVm ON 46). Per Beschluss vom 22. Juni 2004 (ON 57) wies das Landesgericht für Strafsachen Graz den Antrag des Verurteilten auf Gewährung eines Aufschubs des Strafvollzugs gemäß § 39 Abs 1 SMG (ON 50) nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens (ON 54) im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Verurteilte habe Suchtmittel nicht aufgrund seiner Gewöhnung daran konsumiert, sondern diese in Verbindung mit deren Weitergabe an jüngere Frauen „eingesetzt", um sexuellen Verkehr zu erreichen. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Verurteilten (ON 58) gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 5. August 2004 (ON 60) nicht Folge. Begründend führte das Beschwerdegericht (zusammengefasst) aus, nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten sei der Verurteilte zwar im Tatzeitraum an Suchtmittel gewöhnt gewesen und nach wie vor behandlungsbedürftig, hingegen liege eine aktuelle Suchtmittelgewöhnung nicht (mehr) vor, aus welchem Grund eine der Voraussetzungen für die Aufschubsgewährung nach § 39 Abs 1 SMG nicht gegeben sei.

Am 9. September 2004 (ON 62) bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Graz dem Verurteilten gemäß Art 65 § 1 Abs 2 Z 1 des Budgetbegleitgesetzes 2003 BGBl I 71 den Strafaufschub bis zum 19. August 2005.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht die dargelegte, im Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 5. August 2004 (ON 60) geäußerte Rechtsansicht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die Bestimmungen des § 39 SMG dienen der Fortführung und Erweiterung des mit der SGG-Novelle 1985 BGBl 184 in das SGG eingefügten Modells „Therapie statt Strafvollzug" (RV 110 BlgNR 20. GP 51), dessen Grundintention darin besteht, hinkünftige Delinquenz von Straftätern durch gesundheitsbezogene Maßnahmen (§ 11 Abs 2 SMG) hintanzuhalten. Dies setzt logisch voraus, dass die vom Gesetz als Aufschubsvoraussetzung geforderte Gewöhnung an ein Suchtmittel für die Tatbegehung (zumindest mit-)kausal, demgemäß zur Tatzeit gegeben gewesen sein muss, weil die Behandlung einer Sucht, die keinen Kausalzusammenhang mit der abgeurteilten Straftat aufweist, nicht als geeignet angesehen werden kann, künftiges strafbares Verhalten des Täters zu verhindern. Die Verwendung des Begriffs „Verurteilter" durch den Gesetzgeber folgt aus dem Strafvollzugscharakter der Norm des § 39 SMG. Eine - wie dargelegt dem Regelungsziel widersprechende - Verlagerung der genannten Aufschubsbedingung in den Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils ist daraus nicht abzuleiten, was schon durch die Bestimmung des zweiten Teilsatzes des § 39 Abs 2 SMG eindeutig zum Ausdruck kommt. Im Übrigen würde die Unterstellung der privilegierenden Wirkung persönlicher Tätereigenschaften, die in keinem Zusammenhang mit der beurteilten Tat stehen, einer verfassungskonformen (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG) Interpretation nicht standhalten.

Die Annahme des Erfordernisses der auch im Zeitpunkt der Entscheidung über einen Aufschubsantrag gegebenen Suchtmittelgewöhnung widerspräche ebenfalls der ratio legis. Gemäß § 40 Abs 1 SMG ist nämlich die gesundheitsbezogene Maßnahme - soweit nicht einer der in § 39 Abs 5 SMG genannten Widerrufsgründe eintritt sowie unter Beachtung der Aufschubshöchstdauer des § 39 Abs 1 SMG - so lange fortzusetzen, bis sie zum Erfolg führt. Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn die Gewöhnung, also der aktuelle, auf fortgesetzte Einnahme des Suchtmittels gerichtete Wunsch des Verurteilten beseitigt, sondern erst dann, wenn das fallbezogen aus Sicht der medizinischen Wissenschaft mögliche Ziel erreicht ist (13 Os 129/94, ÖJZ-LSK 1995/46). Demgemäß ist auch der Umstand, dass schon vor der Entscheidung über einen Aufschubsantrag gesundheitsbezogene Maßnahmen gesetzt worden sind und Teilerfolge erbracht haben, der Anwendung der Bestimmungen des § 39 SMG nicht hinderlich, sofern das - nach den dargelegten Kriterien zu beurteilende - Behandlungsziel noch nicht erreicht ist (13 Os 129/94, ÖJZ-LSK 1995/47).

Die gegenteilige Rechtsansicht hätte im Übrigen den - dem Gesetzgeber nicht zusinnbaren - Wertungswiderspruch zur Folge, dass ein (auch weiterhin) behandlungsbedürftiger Verurteilter eine bereits begonnene Therapie fortsetzen dürfte, soweit diese zunächst erfolglos verlaufen ist, nicht jedoch dann, wenn sie den Teilerfolg der Entwöhnung erbracht hat.

Da anhand der Aktenlage nicht feststellbar ist, ob die Voraussetzungen der Bestimmung des § 40 Abs 1 SMG - deren Anwendung zwar grundsätzlich von einer Aufschubsgewährung nach § 39 SMG unabhängig ist, aber nach dem oben Ausgeführten (in gleicher Weise) nur dann in Betracht kommen kann, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der Tatbegehung und der Gewöhnung an ein Suchtmittel besteht - vor dem Ende der nunmehr gewährten Aufschubsfrist (ON 62) eintreten werden (oder schon eingetreten sind), ist nicht auszuschließen, dass sich die rechtsfehlerhafte Beschlussfassung des Oberlandesgerichtes Graz zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, weil die zulässige Höchstdauer des Aufschubs nach § 39 Abs 1 SMG zwei Jahre, nach Art 65 § 1 Abs 2 Z 1 des Budgetbegleitgesetzes 2003 jedoch nur achtzehn Monate beträgt, weshalb die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte