OGH 15Os111/04

OGH15Os111/0413.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Jänner 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pablik als Schriftführer, in der Strafsache gegen Senad D***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 26. Mai 2004, GZ 142 Hv 54/04h-62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten (wegen des Ausspruchs über die Strafe) sowie der Staatsanwaltschaft werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Senad D***** wurde (I) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und (II) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 11. Oktober 2003 in Wien

(I) dem Zehrudin C***** durch einen Messerstich eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Stichwunde in der linken Brustkorbhälfte mit Eröffnung der Brusthöhle und einen Durchstich des Zwerchfells sowie Läsion der Milz und des Dickdarms absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge (§ 85 StGB) nach sich zog, nämlich zur Entfernung der Milz führte; (II) Gordan T***** unter Verwendung eines Messers und mit den Worten "Ich stech' dich ab, ich bringe dich um" gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Zu Unrecht reklamiert der Beschwerdeführer in der Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung seiner in der Hauptverhandlung am 12. Mai 2004 und 26. Mai 2004 gestellten Anträge auf neuerliche Vernehmung der Zeugin Melissa Z***** sowie zeugenschaftliche Vernehmung seines Vaters Safet D*****. Die Zeugin Melissa Z***** war in der Hauptverhandlung am 21. April 2004 vernommen worden (S 461 ff/I). Der Antrag auf neuerliche Vernehmung dieser Zeugin erfolgte sowohl in der Hauptverhandlung am 12. Mai als auch derjenigen am 26. Mai 2004 ohne Angabe eines Beweisthemas, wobei sich der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung am 26. Mai 2004 dem ebenso unbegründeten Antrag der Staatsanwaltschaft angeschlossen hatte. Die Vernehmung des Vaters des Angeklagten, Safet D*****, sollte zum Beweis dafür dienen, "dass die Tante des Opfers bereits wenige Tage nach dem Vorfall Schmerzengeld in enormer Höhe vom Vater verlangt hat" (S 501/I). Wie das Erstgericht - zwar unter Missachtung der Bestimmung des § 238 StPO, jedoch im Ergebnis zutreffend (S 29/II iVm US 15 und 16) - in seinem abweisenden Zwischenerkenntnis (S 51/II) darlegt, konnten die Beweisaufnahmen ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben. Denn es gebricht zum einen dem Antrag auf wiederholte Vernehmung der Zeugin Z***** an der Darlegung eines Beweisthemas, insbesondere bleibt offen, welche - über die Aussage dieser Zeugin (S 461 bis 467/II) in der Hauptverhandlung vom 21. April 2004 hinausgehenden - Beweisergebnisse die beantragte Beweisaufnahme erwarten lasse. Das bloße Verlangen einer Partei auf neuerliche Vernehmung bereits abgehörter Zeugen, ohne darzutun, weshalb diese von ihrer bisherigen Aussage abweichen sollten, zielt auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab, weil nur eine Beweiswiederholung in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses begehrt wird (Ratz WK-StPO § 281 Z 4 Rz 330 und 331). Zum anderen ist nach Lage des Falles unzweifelhaft erkennbar, dass die unterbliebene Befragung des Zeugen Safet D***** keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss auf die Sachentscheidung bewirken konnte. Die Formulierung des darauf zielenden Beweisantrages in der Hauptverhandlung lässt nicht erkennen, inwieweit die verlangte Beweisaufnahme von entscheidungswesentlicher Relevanz sein soll. Die erst in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Erwägungen haben dabei außer Betracht zu bleiben, weil bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung und den dazu vorgebrachten Gründen auszugehen ist (Mayerhofer/Hollaender StPO § 281 Z 4 E 41). Überdies ist unerheblich, ob die Tante des Opfers nach dem Vorfall Schmerzengeldansprüche an den Zeugen Safet D***** gestellt hat. Des weiteren moniert die Rüge zu Unrecht eine Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte im Hinblick auf den Vorbehalt der Beschlussfassung in der Hauptverhandlung. Behält sich nämlich der Gerichtshof - wenngleich gesetzwidrig - die Begründung der noch in der Hauptverhandlung getroffenen Entscheidung den Urteilsgründen vor, so ist es Sache des Beschwerdeführers, durch einen dahin zielenden Antrag auf Einhaltung der Formerfordernisse des § 238 StPO zu dringen (Ratz aaO Rz 316). Ein derartiger Antrag wurde aber nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles nicht gestellt.

Zur umfänglichen Mängelrüge (Z 5) ist vorweg zu bemerken, dass der Gerichtshof verpflichtet ist, die Entscheidungsgründe gedrängt darzustellen (§ 270 Abs Z 5 StPO). Naturgemäß hat er daher nicht auf jedes Detail einzugehen, sondern in einer Gesamtschau aller Beweisergebnisse die entscheidungswesentlichen Tatsachen zu bezeichnen und diese schlüssig sowie zureichend zu begründen, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen. Dabei ist das Gericht (§ 258 Abs 2 StPO) nicht nur auf zwingende Schlussfolgerungen beschränkt, sondern kann auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu Tatsachenfeststellungen heranziehen, welche, wenn sie logisch und somit vertretbar, sind, als Ergebnis freier richterlicher Beweiswürdigung mit Nichtigkeitsbeschwerde unanfechtbar bleiben. Eine Mängelrüge ist daher dann erfolglos, wenn sie - wie hier - unter Hervorhebung isolierter Details von Verfahrensergebnissen selbst nach Art einer Schuldberufung Beweiswerterwägungen anstellt und damit in Wahrheit - unter dem Prätext von Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, fehlender bzw offenbar unzureichender Gründe sowie "merkwürdiger Scheinbegründungen" - bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft, ohne formale Begründungsmängel aufzuzeigen.

Das Schöffengericht hat - der Beschwerde zuwider - keine erheblichen Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen. Denn es konnte den Schuldspruch zu der dem Beschwerdeführer unter (I) zur Last gelegten Tat ohne Verstoß gegen die Grundsätze folgerichtigen Denkens und denjenigen empirischer Erkenntnisse auf die Aussage des Zeugen Zehrudin C***** stützen und hat auch hinreichend dargelegt, warum es diese für glaubwürdig erachtete und der Einlassung des Angeklagten sowie der Verantwortung der ihm nahestehenden Zeugen zum Umstand, dass auch andere Täter den Zeugen Zehrudin C***** verletzt haben könnten, nicht folgte (US 11 bis 15). Insoferne die Rüge versucht, Undeutlichkeit betreffend die Urteilsfeststellungen Seite 6 ("der Angeklagte wurde ..... aus dem Lokal getragen, wobei er einen oder beide Schuhe verlor") geltend zu machen, und argumentiert, dass eine Tatausführung des Angeklagten - ohne Schuhe - "wenig lebensnah" und "äußerst unwahrscheinlich" sei, verkennt sie, dass Tatsachenfeststellungen nur soweit mit Mängel- (und Tatsachenrüge) anfechtbar sind, als sie für den Ausspruch über die Schuld oder den anzuwendenden Strafsatz entscheidende Umstände betreffen (vgl Ratz aaO § 281 Z 5 Rz 399). Wie der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bekleidet war, ist jedoch ebensowenig entscheidungswesentlich wie die Frage, ob er ohne Schuhe nach Tatausführung hätte weglaufen können und ob das Opfer die Messerstiche liegend oder stehend erhielt. Für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten als absichtliche schwere Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB sind diese Umstände ohne Bedeutung.

Der Einwand gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. Wolfgang Denk, "aufgrund falscher Namen sei das vorgelegte Messer zur Zufügung von Verletzungsfolgen gar nicht geeignet", ist mangels näherer Hinweise auf die Aktengrundlage nicht deutlich und bestimmt bezeichnet. Auf die Namensverwechslung im Gutachten ist das Erstgericht eingegangen und hat begründet dargelegt, warum kein Zweifel daran besteht, dass sich das Gutachten auf den Angeklagten Senad D***** bezieht (US 9).

Ein innerer Widerspruch des Ersturteiles - wie der Beschwerdeführer vermeint - kann nicht in dem Umstand erblickt werden, dass das Schöffengericht zutreffend die Ergebnisse des Beweisverfahrens hinsichtlich des Zeugen Zvezdan K***** in einem Fall anders würdigt als in den anderen (Mayerhofer/Hollaender aaO § 281 Z 5 E 104). Dass aus den von den Tatrichtern angeführten Prämissen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, vermag den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht herzustellen.

Der Beschwerde gelingt es insgesamt nicht, der Mängelrüge zum Erfolg verhelfende Umstände aufzuzeigen. Sie bekämpft vielmehr, wie sich schon aus dem Verweis auf den Grundsatz "in dubio pro reo" ergibt, in Wahrheit lediglich unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) legt nicht dar, inwieweit der Angeklagte an der Ausübung seines Rechtes, die Beweisaufnahme betreffend "der ihm zugänglichen Beweismittel", von denen "das Erstgericht" nach der "Aktenlage Kenntnis hatte", sachgerecht zu beantragen gehindert war und daher hätte belehrt werden müssen (§ 3 StPO), um so die Ermittlung der Wahrheit zu fördern (Ratz aaO Rz 480; RIS-Justiz RS0114036), weshalb nichtigkeitsbegründende Umstände ebenso wie dem pauschalen Hinweis auf die Ausführungen zu § 281 Abs 1 Z 4 und Z 5 StPO nicht deutlich und bestimmt bezeichnet sind. Mit diesem Vorbringen vermag sie keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken. Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist mangels eines diesbezüglichen Vorbringens mit dem bloßen ziffernmäßigen Verweis in der Beschwerde nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Rechtsmittelantrag unter anderem begehrt, seiner Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten und die Sache zu nochmaliger Verhandlung vor das zuständige Gericht erster Instanz zu verweisen. Hiezu ist anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof nach der erwähnten Gesetzesbestimmung nur im Fall des Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 281a StPO (Unzuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz, der die Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen hat) die Hauptverhandlung "vernichtet", die Sache an das zuständige Gericht erster Instanz verweist und die nötige Verfahrensverbesserung anordnet. Da im vorliegenden Strafverfahren ein Oberlandesgericht gemäß §§ 214 und 218 StPO nicht tätig war, ist nicht nachvollziehbar, worin der Angeklagte den Nichtigkeitsgrund nach § 281a StPO erblickt. Auf diesen verfehlten Beschwerdeantrag ist daher nicht näher einzugehen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der auf die schriftliche Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verweisenden Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Dieses Schicksal teilt auch die vom Angeklagten angemeldete Berufung wegen Schuld, weil ein derartiges Rechtsmittel gegen Urteile von Kollegialgerichten nach der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist. Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie diejenige der Staatsanwaltschaft fällt demnach in die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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