OGH 6Ob231/04w

OGH6Ob231/04w10.1.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Dr. Schenk, Dr. Hoch und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. L*****gesellschaft mbH, *****, 2. Dr. Ernst D*****, 3. Dr. Thomas D*****, 4. Dr. Martin D***** und 5. Ing. Wolf D*****, alle vertreten durch Weiss-Tessbach Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien 1. DI Paul R*****, 2. DI Rudolf R*****, beide vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und 3. Dr. Johann A*****, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 2. Juni 2004, GZ 38 R 112/04h-81, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 2. Jänner 2004, GZ 12 C 1162/02p-74, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgehoben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Zweit- bis Fünftbeklagten sind Eigentümer eines Bürogebäudes in Wien, welches von der Erstbeklagten im Jahr 1998 als Hauptmieterin in Bestand genommen war. Das Gebäude war ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel errichtet worden. Die Benützungsbewilligung wurde von der Baubehörde im Jahr 1971 erteilt. Die Klägerin schloss mit der Erstbeklagten im Juni 1998 einen Untermietvertrag per 1. 9. 1998, der auf 10 Jahre befristet wurde. Die Klägerin verzichtete auf das Recht auf Aufkündigung. Im Punkt XVI. des Untermietvertrags wurde vereinbart:

"Die Mieterin erklärt, dass das Bestandobjekt für die von ihr beabsichtigten Zwecke geeignet ist. Diesbezüglich übernimmt die Vermieterin keine wie immer geartete Gewähr. Demgemäß obliegt es auch der Mieterin, für die Erlangung der Betriebsanlagengenehmigung zu sorgen".

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 8. 11. 2002 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung, dass das Bestandverhältnis mit Wirkung per 20. 8. 2002 beendet worden sei. Hilfsweise begehrte sie die Feststellung, dass das Bestandverhältnis aufgrund der Fortdauer von Brandschutzmängeln mit rechtskräftiger Wirkung des Feststellungsurteils als aufgelöst gelte. Die Klägerin stützte sich im Wesentlichen auf folgenden Sachverhalt:

Im Zuge von geplanten Umbauarbeiten sei hervorgekommen, dass das zu Bürozwecken zum Betrieb eines Labors angemietete Objekt zahlreiche brandschutztechnische Mängel aufweise. Die Baupolizei habe die Behebung verschiedener Mängel angeordnet. Eine Sanierung sei nicht erfolgt. Die Zwischendeckenkonstruktion im ersten Obergeschoss weise nicht den erforderlichen Brandwiderstand F 30 auf. Die Lichtkuppeln hätten nicht die vorgeschriebene Brandwiderstandsklasse F 90. Dadurch seien die Mitarbeiter der Klägerin einer ständigen Gefährdung ausgesetzt. Die Klägerin habe das Bestandverhältnis mangels Behebung der Mängel und nach Zuwarten von mehreren Monaten wegen Unzumutbarkeit der weiteren Benützung des Objekts mit Schreiben vom 20. 8. 2002 für aufgelöst erklärt.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten im Wesentlichen ein, dass die Klägerin sich nicht wegen der behaupteten Brandgefahr sondern aus unternehmensstrategischen Gründen vom Untermietvertrag lösen wolle. Ein Auflösungsgrund nach § 1117 ABGB liege nicht vor. Die Klägerin habe auf Gewährleistung verzichtet. Baugebrechen lägen nicht vor. Eine Altbausubstanz müsse nicht den heutigen Brandschutzvorschriften entsprechen. Die von der Baubehörde festgestellten Abweichungen vom Baukonsens seien in brandschutztechnischer Hinsicht "harmlos". Ein Anspruch gegen die beklagten Liegenschaftseigentümer bestehe nicht, weil diese nicht Parteien des Untermietvertrags seien.

Die auf Seiten der Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten ergänzten, dass die Klägerin bei Anmietung des Objekts über dessen Bauzustand informiert gewesen sei. Eine Beanstandung des Deckenzustandes sei nicht erfolgt. Im Jahr 1971 sei es technisch nicht möglich gewesen, eine Deckenkonstruktion mit Öffnungen mit einer feuerhemmenden Eigenschaft F 30 herzustellen.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Es stellte im Wesentlichen fest:

In den Bestandplänen aus dem Jahr 1970 seien die Deckenuntersichten als "feuerhemmende Schallschluckdecken" ausgewiesen. Es sei damals nicht möglich gewesen, Deckenuntersichten mit Öffnungen für Rasterleuchten in einer Brandschutzqualität von F 30 herzustellen. Im Jahr 1985 seien mit Bescheid der Baubehörde für die Errichtung eines Walmdachs auf dem Gebäude Auflagen erteilt worden. Im Einreichplan seien feuerbeständige Wandkonstruktionen von F 90 ausgewiesen. Im Zuge von geplanten Umbauarbeiten sei vom Baumeister der Klägerin festgestellt worden, dass die vorhandene Deckenkonstruktion einem Brand nicht über 30 Minuten Wiederstand leisten könne. Dies sei von einem Privatgutachter der Klägerin bestätigt worden. Von der Magistratsabteilung 68 (Feuerwehr) seien für das Bürogebäude ein Rauverbot sowie ständige Kontrollen empfohlen worden. Den beklagten Grundeigentümern seien nach einer Bauverhandlung am 29. 7. 2003 von der Baubehörde ua die Aufträge erteilt worden, ein Gutachten über die feuerhemmende Ausführung der abgehängten Decken vorzulegen, die Funktionsfähigkeit der Brandrauchentlüftung herzustellen, brandbeständige F 90 Schächte der Lichtkuppeln und eine fehlende Brandschutztür herzustellen. Gegen den Bescheid sei von den Beklagten kein Rechtsmittel erhoben worden. Am 20. 8. 2002 habe die Untersicht der abgehängten Decke im ersten Obergeschoss keine feuerhemmende Qualität F 30 aufgewiesen. An diesem Tag habe die Klägerin das Mietverhältnis wegen Brandschutzmängel mit sofortiger Wirkung gemäß § 1117 ABGB für aufgelöst erklärt. Im Rahmen der Beweiswürdigung traf das Erstgericht noch die ergänzende Feststellung, dass zwar die Deckenuntersicht keiner Brandwiderstandsklasse entspreche, dass aber die Gesamtdeckenkonstruktion "als Bauteil zumindest eine Brandwiderstandsklasse F 30 erreicht" sowie die Negativfeststellung, dass das Beweisverfahren keinen Anhaltspunkt ergeben habe, "dass die Haftung der Beklagten für den baulichen Zustand des Gebäudes in irgendeiner Weise ausgeschlossen werden sollte". Schließlich stellte das Erstgericht noch fest, dass der Mietvertrag auf Seiten der Beklagten vom Drittbeklagten im eigenen Namen als auch im Vollmachtsnamen der übrigen Beklagten unterzeichnet worden sei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass gegenüber den Zweit- bis Fünftbeklagten kein Feststellungsinteresse bestehe. Der Zusatz in der Präambel des Untermietvertrags "unter Beitritt der Liegenschaftseigentümer" habe lediglich dokumentieren sollen, dass den Liegenschaftseigentümern der Vertrag bekannt sei und dass für den Fall der Auflösung des Hauptmietvertrags zwischen den Zweit- bis Fünftbeklagten einerseits und der Erstbeklagten andererseits die Klägerin vor dem Verlust des Bestandobjekts zu schützen sei. Zum Auflösungsgrund gemäß § 1117 ABGB könne sich das Erstgericht dem Argument der Klägerin, dass das Objekt für den Gebrauch als Büro und Lagergebäude unbrauchbar sei, nicht anschließen. Die Herstellung eines Verbindungsschachts zwischen den Lichtkuppeln mit einem Brandwiderstand F 90 sei technisch nicht sinnvoll, wenn im Übrigen hinsichtlich der Deckenuntersicht nur die Anforderung F 30 gestellt werde. Diesen Brandwiderstand erreiche aber die gesamte vorhandene Deckenkonstruktion. Die heutigen strengeren Anforderungen an die Brandsicherheit dürften nicht an Gebäude gestellt werden, die seinerzeit bei der Errichtung geringeren Brandschutzforderungen ausgesetzt gewesen seien. Es lägen im Untermietobjekt keine gravierenden bautechnischen und brandschutztechnischen Mängel vor. Eine Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts sei nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es behandelte die Mängelrüge und die Beweisrüge der Klägerin nicht und gelangte ausschließlich im Wege der Auslegung des Punkts XVI. des Untermietvertrags zur Ansicht, dass die Klägerin damit uneingeschränkt auf Gewährleistung verzichtet habe. Wohl könne ein Gewährleistungsausschluss für geheime Mängel unter Umständen sittenwidrig sein, darauf habe sich die Klägerin aber nicht berufen. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob und welche Mängel am Bestandobjekt vorlägen und ob infolge von Mängeln das Objekt für den bedungenen Gebrauch untauglich wäre. Es müsse auch nicht geprüft werden, ob die beklagten Liegenschaftseigentümer Parteien des Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten geworden seien. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Mit den ihnen freigestellten Revisionsbeantwortungen beantragen die Beklagten und die Nebenintervenienten, die Revision mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wohl hängt die Frage, ob ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Auflösung eines Vertrags vorliegt, so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass sie ebenso wie die Vertragsauslegung selbst regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bildet (RIS-Justiz RS0111817). Eine rechtliche Fehlbeurteilung bedarf jedoch aus den Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof (RIS-Justiz RS0042834), wenn ein unvertretbares Auslegungsergebnis vorliegt:

Das Berufungsgericht konnte sich bei seiner Auslegung des Punkts XVI. des Untermietvertrags über den Gewährleistungsausschluss nur auf den Vertragstext selbst stützen, hat doch das Erstgericht ausdrücklich festgestellt, dass das Beweisverfahren keinen Anhaltspunkt ergeben habe, dass die Haftung der Beklagten für den baulichen Zustand des Gebäudes ausgeschlossen werden sollte. Den Parteiwillen näher aufklärende Vertragsgespräche hat das Erstgericht nicht festgestellt. Die Auslegung hat sich daher auf den Wortlaut im Zusammenhang mit dem vereinbarten Vertragszweck zu beschränken. Schon die rein grammatikalische Auslegung spricht gegen einen generellen Gewährleistungsausschluss. Mit dem ersten Satz des Vertragspunkts erklärte die Mieterin, dass das Objekt für die von ihr beabsichtigten Zwecke geeignet ist. Sie bekundete damit das Fehlen offenkundiger, den geplanten Gebrauch hindernder Mängel. Wenn die Vermieterin im unmittelbar anschließenden, mit "diesbezüglich" eingeleiteten Satz ihre Gewährleistung ausschloss, kann sich dies nur auf offenkundige Mängel oder aber solche Eigenschaften des Mietobjekts beziehen, die für den Betriebszweck der Mieterin von Bedeutung sind, nicht aber auf geheime Mängel und solche, die für jeden Mieter eine Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts bedeuteten. Es ist dem Erstgericht zuzustimmen, dass kein Anhaltspunkt erkennbar ist, dass die Parteien mit dem nach dem Wortlaut nur eingeschränkten Gewährleistungsverzicht tatsächlich einen umfassenden Gewährleistungsverzicht auch für den Fall vereinbaren wollten, dass unbekannte, gravierende Brandschutzmängel vorliegen, die praktisch jede wirtschaftlich sinnvolle Geschäftstätigkeit im Bürogebäude unmöglich machen, also nicht nur die für den Verwendungszweck der Klägerin spezifisch erforderlichen Voraussetzungen vereiteln. Ein Gewährleistungsausschluss auch für den Fall, dass jede Geschäftstätigkeit im Bürogebäude mit unzumutbarer Brandgefahr (also mit einer Gefahr für Leib und Leben der Mitarbeiter der Mieterin) verbunden wäre, hätte einer zweifelsfreien vertraglichen Regelung bedurft. Aus dem zitierten Vertragspunkt ist er nicht abzuleiten.

Ausgehend von seiner nicht zu teilenden Rechtsmeinung hat das Berufungsgericht die umfangreiche Mängelrüge und die Beweisrüge der Klägerin nicht behandelt. Darauf wird es im zweiten Rechtsgang im einzelnen einzugehen haben.

Die Sache ist auch hinsichtlich der beklagten Liegenschaftseigentümer noch nicht spruchreif. Die Klägerin hat in ihrer Berufung die Rechtsmeinung des Erstgerichts bekämpft, dass die Liegenschaftseigentümer mit ihrer Fertigung des Untermietvertrags nur dessen Abschluss zur Kenntnis genommen hätten. Es kann der Klägerin zugestimmt werden, dass bei einer sinnvollen Auslegung des mit der Fertigung des Untermietvertrags dokumentierten Beitritts im Ergebnis die Liegenschaftseigentümer für den Fall der Auflösung des Hauptmietverhältnisses mit der Klägerin bereit und verpflichtet sind, einen Hauptmietvertrag abzuschließen oder jedenfalls ihren neuen Hauptmieter zum Vertragseintritt in das Unterbestandverhältnis zu veranlassen, den Untermietvertrag also zu überbinden. Aus ihrer Vertragseinbindung und der Bestreitung des Klagevorbringens, dass das Untermietverhältnis wirksam beendet worden sei, ist ein Feststellungsinteresse der Klägerin ableitbar. Auch die Liegenschaftseigentümer halten im eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen Interesse am Untermietvertrag fest und wollen eine Bindung der Klägerin im Sinne der vereinbarten Unkündbarkeit erreichen. Das Verfahren ist daher auch gegen die beklagten Liegenschaftseigentümer fortzusetzen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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