OGH 3Ob229/04d

OGH3Ob229/04d24.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sabina J*****, vertreten durch Dr. Berndt Sedlazeck und Dr. Katharina Sedlazeck-Gschaider, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Dr. Margit K*****, vertreten durch Dr. Walter F. Scharinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 2.543,55 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.090,09 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. April 2004, GZ 53 R 61/04h-24, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29. Juli 2004, AZ 53 R 61/04h, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 17. Oktober 2003, GZ 33 C 1077/01i-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Partei, ihr Kosten für ihre Revisionsbeantwortung zuzusprechen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 2.543,55 EUR sA und die Feststellung der Haftung der beklagten Zahnärztin für sämtliche nachteiligen Folgen aus der zahnärztlichen Behandlung vom 20. Februar 2001. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, an dem genannten Tag habe die Beklagte den sechsten vorderen (gemeint offenbar: unteren) Zahn rechts zum Zwecke der späteren Überkronung abgeschliffen. Der Zahn sei bereits wurzelbehandelt gewesen. Noch am selben Abend habe die Klägerin massive Schmerzen bekommen. Die eitrige Schwellung habe eine Operation erforderlich gemacht. Es seien zusätzliche Komplikationen aufgetreten. Die Beklagte habe die Behandlung nicht kunstgerecht durchgeführt. Auch habe sie die Klägerin nicht über die mit dem Eingriff verbundenen Risken und schon gar nicht über so schwerwiegende Folgen infektiöser Prozesse und den womöglichen Zahnverlust aufgeklärt. Bei regelgerechter Aufklärung wäre die Klägerin das Risiko des medizinisch nicht unbedingt notwendigen Eingriffs nicht eingegangen.

Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, sie habe auf Wunsch der Klägerin bereits am 17. Mai 2000 im Hinblick auf die von der Klägerin gewünschte Generalsanierung ihres Gebisses einen Zahnstatus angefertigt. Der fragliche Zahn sei tief kariös, aber noch vital gewesen. Man hätte entweder den Zahn extrahieren oder beginnend mit Kariesentfernung und anschließend der Wurzelbehandlung den Erhalt des Zahnes versuchen können. Die Klägerin sei umfassend mündlich aufgeklärt worden, auch über Behandlungsalternativen und die jeweiligen Risken. Ihr habe bereits der Zahn 37 gefehlt, bei Extraktion auch des Zahnes 36 wäre die vergrößerte Lücke nicht mehr mit einer Brücke zu versorgen gewesen. Die Behandlung sei für die behaupteten Spätfolgen nicht kausal gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Nachdem die Klägerin mit einem Zahntechniker Kontakt aufgenommen hatte, wandte sie sich im Mai 2000 erstmals an die beklagte Zahnärztin mit dem Wunsch, das bestehende Gebiss sanieren zu lassen. Am 17. Mai 2000 wurde in deren Ordination ein Panoramaröntgenbild des Gebisses angefertigt sowie ein Zahnstatus mit Kariesdiagnostik erstellt. Unter anderem ergab dies für den Zahn 36, dass dieser tief kariös, aber noch vital sei.

Die Beklagte erklärte der Klägerin, dass dieser Zahn tief kariös sei. Sie wies auf die Bedeutung der Erhaltung dieses Zahnes für die Kaufunktion hin, zumal der Zahn 37 bereits fehlte und der Zahn 38 in der Wurzel sehr kurz und deshalb für eine Brücke nicht mehr geeignet war. Sie wies auch darauf hin, dass eine Überkronung sonst sehr schwierig werde und erklärte der Klägerin auch, dass eine Wurzelbehandlung durchgeführt werden müsse, falls eine vitale Erhaltung des Zahns wegen des tief kariösen Zustands nicht mehr möglich sei. All dies sei lediglich die versuchte Rettung dieses Zahnes. Bei Scheitern wäre eine Extraktion notwendig und es müsse dann ein Implantat eingesetzt werden.

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass zu diesem oder zu einem späteren Zeitpunkt die Beklagte der Klägerin mitteilte, dass sich der wurzelbehandelte Zahn derart entzünden könne, dass ein Eiterherd entstehe, und dass es zu einer Schwellung kommen könne. Nach der ersten Füllungstherapie am 31. Mai 2000 stellte die Beklagte beim Behandlungstermin vom 25. September 2000 fest, dass ein Teil des Zahnes mit dem Provisorium weggebrochen war, weshalb er nur noch durch eine Wurzelbehandlung erhalten werden konnte, die an diesem Tag unter Leitungsanästhesie mit Wurzelkanalfeilen durchgeführt wurde. Komplikationen ergaben sich bei der Wurzelbehandlung nicht. Da der Zahn bis nach Weihnachten keinerlei Beschwerden machte, erstellte die Beklagte im Jänner 2001 einen Kostenvoranschlag und vereinbarte mit der Klägerin einen Behandlungstermin für den 20. Februar 2001. An diesem Tag begann die Beklagte nach Verabreichung einer lokalen Anästhesie mit dem Ausschachten der Zahnwurzel und beschliff den Zahn. Nach weiteren Schritten wurde ein Provisorium durch die Assistentin der Beklagten einzementiert. Nach Beendigung dieser Therapiesitzung wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, sich im Fall des Auftretens von Problemen bei ihr zu melden.

Vor den jeweiligen Behandlungsschritten erklärte die Beklagte jeweils kurz, was durchgeführt werde.

Die Klägerin bekam am nächsten Tag, dem 21. Februar 2001, Schmerzen, weshalb sie am darauf folgenden Tag zur Beklagten ging. Diese diagnostizierte eine submuköse Abszessbildung im Bereich des Zahnes 36. Das bedeutete, dass dieser Zahn extrahiert werden musste. Die Beklagte führte dann u.a. eine Inzision durch, damit sich der Eiter entleeren könne und die Schwellung zurückgehe. Am 23. Februar 2001 sah sich die Beklagte nicht mehr in der Lage, die weitere Behandlung zu übernehmen und überwies die Klägerin in eine kieferchirurgische Spitalsabteilung. Dort wurde am 28. Februar 2001 der Zahn in örtlicher Betäubung entfernt. In der Nacht vom 2. auf den 3. März 2001 klagte die Klägerin über ein taubes Gefühl im linken Fuß sowie massive Schmerzen im Brustkorbbereich, was ihren Hausarzt zur Einweisung in ein Krankenhaus veranlasste.

Da grundsätzlich eine Wurzelbehandlung immer nur einen Rettungsversuch eines Zahns darstellt, ist es erforderlich, mit der weiteren Versorgung desselben abzuwarten, um den Erfolg der Wurzelbehandlung überprüfen zu können. Empfohlen wird eine Frist zwischen sechs und acht Wochen vor der Weiterbehandlung. Im konkreten Fall wartete die Beklagte mehr als fünf Monate zu, bis sie die Behandlung fortsetzte. Nach so langer Zeit ist mit dem Auftreten einer entzündlichen Komplikation nicht mehr zu rechnen; dass eine solche trotzdem auftrat, konnte von der Beklagten nicht vorhergesehen werden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung zu einer ordnungsgemäßen Zahnbehandlung nachgekommen sei. Da nach der Rsp auf objektiv unbedeutende Risken oder Nebenwirkungen nur dann hinzuweisen sei, wenn für den Arzt erkennbar sei, dass diese aus besonderen Gründen für den Patienten wichtig sind, sich die Klägerin für die Art und Weise der einzelnen Behandlungsschritte aber nicht wirklich interessiert habe und schließlich auch für die Beklagte selbst mit einer derartigen Entzündung nicht zu rechnen gewesen sei, sei die vorgenommene Aufklärung ausreichend gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung auf der Grundlage der unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts. Seiner Ansicht nach müsse auch auf typische Gefahren der geplanten Behandlung oder Operation nicht in jedem Fall hingewiesen werden. Hier sei die Behandlung des tief kariösen Zahnes 36 medizinisch indiziert gewesen, wobei dem Erhalt dieses Zahnes auch für die Kaufunktion erhebliche Bedeutung zugekommen sei. Die Beklagte habe der Klägerin auch erklärt, dass eine Wurzelbehandlung durchgeführt werden müsste, wenn eine vitale Erhaltung dieses Zahnes nicht mehr möglich wäre und den Versuch seiner Rettung betont. Sie sei damit ihrer Aufklärungspflicht als Zahnärztin den Umständen des Falles entsprechend nachgekommen, zumal auch für die Klägerin nach den Feststellungen nur die Sanierung des Gebisses wichtig gewesen sei, nicht aber die konkreten Sanierungsmaßnahmen. Sie habe auch davon ausgehen können, dass im Hinblick auf das Ziel der Behandlung die bloße Möglichkeit der Bildung eines Eiterherds an diesem Zahn für den Entschluss in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen würde. Die Beklagte habe nach den Feststellungen das Auftreten einer entzündlichen Komplikation (zu diesem späten Zeitpunkt) nicht vorhersehen können. Das Entstehen von entzündlichen Vorgängen im Bereich der Zähne und des Zahnfleisches stelle ein allgemein bekanntes Risiko dar, das selbst ohne unmittelbaren Zusammenhang mit einer ärztlichen Zahnbehandlung bestehe. Es liege daher darin, dass das Erstgericht eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach den Umständen verneint habe, keine rechtliche Fehlbeurteilung. Dass die Behandlung durch die Beklagte sach- und fachgerecht ausgeführt worden sei, sei im Berufungsverfahren nicht mehr strittig.

Seinen Zulassungsausspruch änderte das Berufungsgericht auf Antrag der Klägerin letztlich dahin ab, dass es die ordentliche Revision für zulässig erklärte. Die Beklagte habe im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet, die Klägerin hätte auch bei Aufklärung über die Möglichkeit des Auftretens eines Eiterherds bei einem wurzelbehandelten Zahn in diese Art der Behandlung eingewilligt. Eine solche Aufklärungspflicht habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung ZVR 2002/94 (im ersten Rechtsgang 10 Ob 8/01a) im Zusammenhang mit der Wurzelbehandlungen an mehren Zähnen angenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Wegen des abweichenden Verfahrensgegenstands kann nämlich nicht mit Recht gesagt werden, das Berufungsgericht sei von der Entscheidung 10 Ob 8/01a = RdM 2001, 152 (die Endentscheidung in diesem Verfahren zu 10 Ob 209/02m (= ZVR 2002/94, Danzl in ZVR 2003, 83) befasst sich nicht mehr mit dem Grund des Anspruchs) abgewichen ist. Darin ging es um die nötige Aufklärung vor der Entscheidung zwischen langwierigen und teuren zahnerhaltenden Maßnahmen und dem Reißen der meisten oder aller Zähne einer Patientin, verbunden mit der Anpassung einer Vollprothese. Die Behandlung war auch nicht besonders dringend.

Wie schon vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt wurde, wendet sich die Klägerin im Rechtsmittelverfahren nicht mehr gegen die Auffassung der ersten Instanz, der beklagten Zahnärzten sei ein Behandlungsfehler nicht anzulasten. Wie sich aus der Klagserzählung und auch der Fassung des Feststellungsbegehrens ergibt, leitet die Klägerin ihre Ansprüche ausschließlich aus der zahnärztlichen Behandlung vom 20. Februar 2001 ab. Die lange davor liegende Wurzelbehandlung wird nur ganz beiläufig erwähnt. Nach den von der Klägerin selbst als Feststellung angesehenen Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung handelt es sich bei der Klägerin eingetretenen Entzündung der Wurzelspitze um eine typische Reaktion (gemeint: ein typisches Risiko) bei einer derartigen Wurzelbehandlung. Ob demnach nach den Feststellungen zu einem viel früheren Zeitpunkt, nämlich am 25. September 2000 oder schon vorher über ein derartiges Risiko der Wurzelbehandlung aufzuklären gewesen wäre und ob die erfolgte Aufklärung das erforderliche Maß erreichte, war daher in Wahrheit nicht Gegenstand des vorliegenden Prozesses. Im Zeitpunkt der von der Klägerin als schadenskausal behaupteten Behandlung im Februar 2001 war nach den ausdrücklichen Feststellungen des Erstgerichts generell - und nicht nur aus subjektiven Gründen für die Beklagte - nicht vorhersehbar, dass noch eine entzündliche Komplikation auftreten werde. Unter diesen Gesichtspunkt vermögen aber die Ausführungen in der Revision Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung der Vorinstanzen, eine solche Aufklärung wäre nach der Rsp zur ärztlichen Aufklärungspflicht in diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich gewesen, keine Bedenken zu erwecken. Wie der Oberste Gerichtshof u.a. jüngst zu 7 Ob 15/04p (mwN) ausführte, ist es Aufgabe der ärztlichen Aufklärung, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern und ihn in die Lage zu versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung zur Behandlung bzw. zum Eingriff zu überschauen. Dort wird auch dargelegt, unter welchen Umständen auf allenfalls bestehende alternative Behandlungsmethoden hingewiesen werden muss. Derartige Fragen stellten sich aber bei der am konkreten Behandlungstag durchgeführten Fortsetzung der zahnerhaltenden Maßnahmen durch die Beklagte gar nicht mehr. Wie diese der Klägerin nach den Feststellungen ohnehin darlegte - die Richtigkeit dieser Aufklärung wird nicht bestritten -, wäre als Alternative nur das Ziehen des Zahns und der nachfolgende Einsatz eines Implantats in Betracht gekommen. Damit bestand im fraglichen Zeitpunkt eine echte Wahlmöglichkeit für die Klägerin nicht mehr. In der Verneinung einer (weiteren) Aufklärungspflicht durch die Beklagte liegt demnach im konkreten Einzelfall keine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts.

Auch die Klägerin kann in ihrer Revision erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht aufzeigen. Die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts ist nicht Aufgabe des Revisionsverfahrens, weshalb es auf dessen Rechtsansicht nicht ankommen kann. Dass zum Zeitpunkt der von der Klägerin relevierten Behandlung im Februar 2001 mit dem Auftreten einer entzündlichen Komplikation nicht nur für die Beklagte, sondern ganz generell nicht mehr zu rechnen war, ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin eindeutig aus den erstgerichtlichen Feststellungen. Auch die Frage, ob sich die Beklagte ausdrücklich auf rechtmäßiges Alternativverhalten hätte berufen müssen oder auch das Bestreiten der positiven Behauptung der Klägerin, sie hätte bei hinreichender Aufklärung nicht in die Behandlung eingewilligt, genüge, ist nach dem bisher Dargelegten nicht entscheidungswesentlich. Angesichts der Verneinung des Anspruchs dem Grunde nach ist auch auf die weiteren Ausführungen im Zusammenhang mit den Schmerzperioden und dem Feststellungsbegehren nicht weiter einzugehen.

Die Revision der Klägerin ist somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO. Die Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, weil die Beklagte auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision nicht hingewiesen hat.

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