Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 8. 9. 1951 geborene Kläger war in seinem Berufsleben überwiegend als Kraftfahrer im Auslandsverkehr tätig. Neben dem Lenken von Kraftfahrzeugen hatte der Kläger auch verschiedene Wartungs- und Reparaturarbeiten zu verrichten. Darüber hinaus musste er bei seinen Auslandsfahrten (Osteuropa, Naher Osten) besondere Kenntnisse für die Ausstellung aller notwendigen Transportpapiere (auch für Gefahrengut) sowie für die vollständige Bearbeitung der Zollformalitäten besitzen. Die Reiserouten mussten vom Kläger selbst geplant werden, wobei er die einzelnen Straßen sowie allfällige Gewichts- und Fahrbeschränkungen kennen musste. Seine letzte Tätigkeit als Kraftfahrer endete am 4. 2. 2001 durch Dienstgeberkündigung. Zufolge des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls kann der Kläger den Beruf eines Kraftfahrers nicht mehr ausüben.
Der Kläger wäre aber noch in der Lage, den Beruf eines Fuhrparkleiters auszuüben. Zu den Aufgabenstellungen dieser Tätigkeit gehört es, über den Einsatz einzelner Fahrzeuge zu entscheiden, die Einhaltung der Service-Intervalle zu überwachen sowie die Reparatur von Fahrzeugen entweder in der betriebseigenen Werkstätte (bei einer entsprechenden Betriebsgröße) oder in einer Vertragswerkstätte zu veranlassen und darüber hinaus auch dafür Sorge zu tragen, dass stets die benötigte Anzahl von Fahrzeugen einsatzfähig ist. Dazu müssen eventuell auch Fahrzeuge von anderen Unternehmen angemietet oder geleast werden. Die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters bedingt - insbesondere für die Überwachung der einzelnen Fahrzeuge - Kenntnisse im Bereich der EDV, wobei die Bildschirmarbeit eines Fuhrparkleiters etwa zwei Drittel der Arbeitszeit ausmacht. Fuhrparkleiter werden bei großen Speditionen und Busunternehmen, aber auch in Betrieben mit einem großen Fuhrpark ab einem Fahrzeugbestand von 30 bis 40 LKW (Bussen) beschäftigt. Derartige Arbeitsplätze, für die der Besitz der Führerscheinklassen C bzw D erforderlich ist, sind auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vorhanden.
Mit der gegen den ablehnenden Bescheid der beklagten Partei vom 6. 4. 2001 gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 3. 2001.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging in rechtlicher Hinsicht von einem Berufsschutz des Klägers als angelernter Berufskraftfahrer im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG aus und bejahte die Verweisbarkeit des Klägers auf die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters. Diese Tätigkeit sei dem Kläger zumutbar, weil sie sich qualitativ hervorhebe und nicht als bloß untergeordnete Teiltätigkeit des erlernten (angelernten) Berufes angesehen werden könne. Zur Aneignung der EDV-Kenntnisse genüge ein Zeitraum von drei bis vier Monaten, der dem Kläger ebenfalls zumutbar sei. Die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters werte die Qualifikation des Klägers sogar auf, da er über die Notwendigkeit und den Umfang von Reparaturen zu entscheiden und auch die Angemessenheit von Reparaturrechnungen zu überprüfen habe. Der Berufsschutz eines Kraftfahrers gehe demnach durch die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters nicht verloren. Im Hinblick auf diese Verweisungsmöglichkeit sei der Kläger nicht invalid.
Das Berufungsgericht erkannte in Stattgebung der Berufung des Klägers das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von EUR 500 monatlich auf. Nach ständiger Rechtsprechung sei für eine zulässige Verweisung entscheidend, dass sich die Tätigkeit, auf die der Versicherte mit Berufsschutz verwiesen werden soll, qualitativ hervorhebe und nicht bloß untergeordnet sei; die Tätigkeit müsse also noch als Ausübung des erlernten Berufes angesehen werden können, was insbesondere dann der Fall sein werde, wenn ein Kernbereich der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten bei Ausübung der Teiltätigkeiten verwertet werden müsse. Entscheidend dafür, ob ein Kernbereich der Ausbildung bzw der angelernten Kenntnisse und Fähigkeiten für eine qualitative Hervorhebung der Teiltätigkeit erforderlich sei, sei vor allem der Inhalt der Tätigkeit. Kernbereich der Tätigkeit eines Berufskraftfahrers sei die Lenktätigkeit, darüber hinaus die Durchführung im Bedarfsfall notwendig werdender Reparaturarbeiten sowie die selbständige Routenplanung und die Abwicklung der Grenz- und Zollformalitäten; darüber hinaus seien im Einzelfall noch zusätzliche spezifische Kenntnisse erforderlich. Keine einzige dieser Aufgaben gehöre allerdings zum Berufsbild des Fuhrparkleiters. Lediglich die praktischen Kenntnisse des Berufskraftfahrers aus der eigenen Durchführung bestimmter (einfacher) Reparaturen könnten allenfalls bei der Veranlassung von Reparaturen in eigenen Werkstätten oder Vertragswerkstätten verwertet werden. Dagegen handle es sich beim Fuhrparkleiter um eine überwiegend - mit zwei Drittel der Arbeitszeit - vom Einsatz elektronischer Datenverarbeitung bestimmte Tätigkeit, also um einen spezifischen Bildschirmarbeitsplatz. Darüber hinaus sei vor allem ein entsprechendes Dispositionsgeschick erforderlich, um die benötigte Anzahl von Fahrzeugen einsatzfähig zu halten und im Bedarfsfall Fremdfahrzeuge anzumieten bzw zu leasen. Angesichts dieser Kernbereiche der Tätigkeit eines Fuhrparkleiters sei davon auszugehen, dass im Vergleich zur Tätigkeit eines Berufskraftfahrers ein gänzlich anderes Tätigkeitsbild vorliege, sodass eine Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters nicht in Betracht komme. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich dabei überhaupt um eine Arbeiter- oder um eine Angestelltentätigkeit handle, und unabhängig davon, ob sich die Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit der Entscheidung SSV-NF 4/80 zwischenzeitig so gewandelt haben, dass (angelernte) Berufskraftfahrer nunmehr auch als Fuhrparkleiter eingesetzt werden.
Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur rechtserheblichen Frage, ob ein Berufskraftfahrer auf die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters verwiesen werden könne, zulässig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Strittig ist im Revisionsverfahren ausschließlich die Frage, ob der Kläger, der unbestritten Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG genießt, im Rahmen dieses Berufsschutzes auf die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters verwiesen werden kann.
Gemäß § 255 Abs 1 ASVG gilt ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten (angelernten) Beruf tätig war, dann als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Vergleichsgrößen sind daher auf der einen Seite die verbliebene Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Feststellung und auf der anderen Seite die Arbeitsfähigkeit eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung, gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Durch die Voraussetzung, die die (fiktive) Vergleichsperson erfüllen muss (ähnliche Ausbildung, gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten) wird die Vergleichsbasis stark eingeschränkt, das heißt eine Beschäftigung, die dem Versicherten noch zugemutet werden kann, wird nur in jenem Bereich liegen können, der der bisherigen Beschäftigung des Versicherten vom Standpunkt der Ausbildung und der Aufgabenstellung gleichkommt. Bei der Beurteilung der Rechtsfrage, welche Verweisungsberufe für gelernte bzw angelernte Arbeiter im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG in Betracht kommen, gilt es daher, jene dem Versicherten noch zumutbaren Berufe zu ermitteln, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie der überwiegend ausgeübte bisherige Beruf des Versicherten verlangen (Teschner in Tomandl, SV-System 16. ErgLfg 369f; Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der PV und UV, ZAS 1984, 83 ff [87] ua).
Der Kläger, der Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer genießt, kann daher nach ständiger Rechtsprechung nur auf Berufstätigkeiten verwiesen werden, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie der für ihn maßgebende Lehrberuf des Berufskraftfahrers erfordern, wobei der Berufsschutz hiedurch nicht verloren gehen darf (SSV-NF 5/40 mwN ua). Die Tätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen wird, muss daher eine Tätigkeit in einem erlernten (angelernten) Beruf im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG sein. Entscheidend für eine zulässige Verweisung ist nach ständiger Rechtsprechung, dass sich die Teiltätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden soll, qualitativ hervorhebt und nicht bloß untergeordnet ist. Die Teiltätigkeit muss noch als Ausübung des erlernten (angelernten) Berufes angesehen werden können, was insbesondere dann der Fall sein wird, wenn ein Kernbereich der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden musste. Dem gegenüber vermag die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten und scheidet daher als Verweisungsberuf aus. Bei der Frage, ob bestimmte Tätigkeiten berufsschutzerhaltend waren, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die - sofern nicht offenkundig - in jedem Einzelfall aufgrund der Feststellungen über den Inhalt der zu verrichtenden Tätigkeiten, die dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten des erlernten (angelernten) Berufes sowie über die zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und die Umstände, unter denen sie erworben werden können, zu prüfen ist (SSV-NF 16/75; 14/20; 13/129; 12/139; 10/58 mwN ua).
Im Sinne dieser dargelegten Grundsätze können nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gelernte und angelernte Handwerker auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers in der jeweiligen Branche (zB ein Tischler auf Wohn- und Verkaufsberater in Einrichtungshäusern, ein Maurer auf den Beruf eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers, ein Zimmerer auf Kundenberater und/oder Verkäufer in einem Bauwarengroßmarkt etc) verwiesen werden. Begründet wurde diese Rechtsauffassung vor allem damit, dass die handwerkliche Ausbildung und die dabei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium des Verweisungsberufes bilden und diese qualifizierten Facharbeiter als Kunden- und Verkaufsberater in Groß- und Baumärkten tatsächlich Verwendung finden. Auch wenn es sich bei der Verweisungstätigkeit um eine Angestelltentätigkeit handelt, wird diese doch wesentlich vom erlernten/angelernten Handwerksberuf mitbestimmt, sodass es wegen der Nahebeziehung zum bisher ausgeübten Beruf zu keinem Verlust des Berufsschutzes kommt. Maßgebliche Bedeutung kommt daher dem Umstand zu, inwieweit das berufliche Wissen und die berufliche Qualifikation des Versicherten in möglichen Verweisungsberufen verwertet werden kann, wozu entsprechende Feststellungen notwendig sind (10 ObS 221/03p mwN ua).
Für die Beurteilung der Frage, ob sich der Kläger auf den Beruf eines Fuhrparkleiters verweisen lassen muss und gehalten ist, sich zuvor einer entsprechenden EDV-Ausbildung zu unterziehen, liegen noch keine ausreichenden Feststellungen vor. Erforderlich sind dazu neben den bereits getroffenen Feststellungen über die von einem solchen Fuhrparkleiter zu verrichtenden Tätigkeiten auch genaue Feststellungen über die für die Ausübung dieses Berufes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, den dafür vorgesehenen regelmäßigen Ausbildungsgang, die dafür verwertbaren Teile der Ausbildung, Kenntnisse oder Fähigkeiten des vom Kläger angelernten Berufes eines Berufskraftfahrers sowie über die zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, hinsichtlich derer auch die Umstände, unter denen sie erworben werden können, geklärt werden müssen (vgl SSV-NF 10/58; 6/6 ua). Es ist insbesondere nicht klar, ob es sich bei der Tätigkeit eines Fuhrparkleiters um eine Tätigkeit handelt, die - abgesehen von der notwendigen EDV-Einschulung - im Wesentlichen nur eine Weiterentwicklung der als Berufskraftfahrer erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und damit eine Aufstiegsposition für einen gelernten bzw angelernten Berufskraftfahrer darstellt, wovon offensichtlich das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung ausgegangen ist. Es wird daher insbesondere genau zu klären sein, welche Kenntnisse und Fähigkeiten - über die ein Berufskraftfahrer verfügt - für die Tätigkeit eines Fuhrparkleiters verwendet werden können. Erst dann kann beurteilt werden, in welchen Bereichen die beiden Berufe so weit verwandt sind, dass eine Verweisung des Klägers auf diese Tätigkeit unter Berücksichtigung des § 255 Abs 1 ASVG zulässig ist (vgl 10 ObS 178/94 ua). Der Begriff der "artverwandten Verweisungstätigkeit" innerhalb der entsprechenden Berufsgruppe im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG ist nämlich weiter als jener des konkret ausgeübten Berufes. Weiters kann noch nicht beurteilt werden, ob gelernte oder angelernte Berufskraftfahrer derzeit als Fuhrparkleiter tatsächlich Verwendung finden (vgl SSV-NF 4/80; 10 ObS 221/03b mwN ua).
Sollte im Sinne dieser Ausführungen eine Verweisbarkeit des Klägers auf die Tätigkeit als Fuhrparkleiter zu bejahen sein, wird weiters zu berücksichtigen sein, dass nach den Ausführungen des Erstgerichtes für die Verrichtung dieser Verweisungstätigkeit im Falle des Klägers eine ca drei- bis viermonatige EDV-Einschulung erforderlich ist. Es trifft zwar zu, dass auch nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Notwendigkeit einer betriebsinternen Einschulung eines qualifizierten Facharbeiters in die in Betracht kommende Verweisungstätigkeit in der Dauer von ca drei bis vier Monaten in der Regel kein Verweisungshindernis darstellt (SSV-NF 12/25; 10 ObS 417/98s; 10 ObS 397/01g ua). Zu klären wird allerdings sein, ob es sich bei der vom Kläger erforderlichen Zusatzausbildung tatsächlich um eine üblicherweise vom Dienstgeber im Rahmen eines Dienstverhältnisses dem Dienstnehmer kostenlos angebotene innerbetriebliche Einschulung oder um externe Schulungen handelt, die der Versicherungsträger im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nach dem Grundsatz Rehabilitation vor Pension dem Versicherten anzubieten hätte (vgl dazu SSV-NF 16/24 ua). Dass der Kläger im Falle der Ausübung des Verweisungsberufes als Angestellter tätig wäre, stünde, wie bereits erwähnt, der Verweisung nicht entgegen.
Da somit für die rechtliche Beurteilung wesentliche Fragen ungeklärt blieben, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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