OGH 10ObS117/04k

OGH10ObS117/04k14.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Matthias P*****, vertreten durch die Mutter Ingrid P*****, ebendort, vertreten durch Dr. Friedrich Fromherz, Mag. Dr. Wolfgang Fromherz und Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Mai 2004, GZ 12 Rs 23/04w-11, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der am 25. 5. 1988 geborene Kläger hat am 10. 10. 1996 einen Schulwegunfall erlitten. Entsprechend der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigeit im Ausmaß von 100 vH erhielt der Kläger zunächst ein Versehrtengeld gemäß § 212 ASVG. Ab 5. 7. 2003 gebührt ihm eine Versehrtenrente von 100 vH der Vollrente samt Zusatzrente. Im Bescheid vom 16. 7. 2003 ermittelte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt unter Heranziehung des § 181b lit a ASVG (idF vor der 60. ASVG-Novelle, BGBl I 2002/140) eine Bemessungsgrundlage von 4.581,63 EUR. Davon ausgehend gewährte die beklagte Partei dem Kläger eine Dauerrente in Höhe von 346,55 EUR monatlich ab 5. 7. 2003.

Der Kläger begehrt eine (höhere) Versehrtenrente samt Zusatzrente unter Heranziehung einer Bemessungsgrundlage von 7.598,87 EUR (§ 181b lit a ASVG in der am 5. 7. 2003 geltenden Fassung).

Die beklagte Partei steht auf dem Standpunkt dass die erhöhte Bemessungsgrundlage nur auf Versicherungsfälle anzuwenden sei, die nach dem 31. 12. 2002 eingetreten seien (§ 600 Abs 1 Z 3 und Abs 9 ASVG).

Das Erstgericht sprach dem Kläger die im Bescheid zuerkannte Leistung zu und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

So wie in der Berufung wird auch in der Revision ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der Übergangsbestimmung des § 600 Abs 1 Z 3 und Abs 9 ASVG geltend gemacht. Die Übergangsbestimmung führe zu unsachlichen und willkürlichen Ergebnissen, indem sie nicht auf den Anfall der Rente, sondern auf den Unfallszeitpunkt abstelle. Bei völlig gleichen Lebensumstände und gleichem Alter würden Versicherte stark unterschiedliche Leistungen erhalten, je nachdem ob sich der Unfall vor oder nach dem 31. 12. 2002 ereignet habe. Die Gleichheitswidrigkeit liege auch darin, dass der Gesetzgeber weder Anpassungs- noch Einschleifregelungen vorgesehen habe, sodass die unterschiedliche Rentenleistung unbefristet perpetuiert werde.

Rechtliche Beurteilung

§ 181b ASVG wurde mit der 60. ASVG-Novelle (BGBl I 2002/140) dahin geändert, dass für die gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h und i ASVG in der Unfallversicherung Teilversicherten die Bemessungsgrundlage für Barleistungen erhöht wurde. Nach § 600 Abs 1 Z 3 ASVG tritt die Neuregelung mit 1. 1. 2003 in Kraft; nach § 600 Abs 9 ASVG ist sie nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2002 eintreten.

Begründet wird die Anhebung in den Gesetzesmaterialien (1183 BlgNR 21. GP) mit den Überschüssen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt; für die Stichtagsregelung in den Übergangsbestimmungen wird keine eigene Begründung angeführt.

So unverständlich eine solche die Leistungshöhe "perpetuierende" Stichtagsregelung aus Sicht eines Betroffenen sein mag, verletzt sie nach Meinung des Obersten Gerichtshofes nicht den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Bereits das Berufungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist und eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung nicht grundsätzlich gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt (ebenso zuletzt OGH 10 ObS 394/02t und 10 ObS 128/03a, RIS-Justiz RS0117654).

Selbst zum Schutz bereits "erworbener Rechtspositionen" hat der Verfassungsgerichtshof - zuletzt etwa in seinem Erkenntnis vom 11. 12. 2002, G 186/02, G 187/02 und G 202/02, teilweise veröffentlicht in ARD 5368/17/2003 - ausgeführt, dass keine Verfassungsvorschrift den Schutz erworbener Rechtspositionen gewährleistet (zB VfSlg 11.665/1988 und VfSlg 14.864/1997). Es fällt daher im Prinzip in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern, wobei er allerdings auf der Grundlage des Gleichheitssatzes gehalten ist, dem Vertrauensschutz bei seinen Regelungen Beachtung zu schenken, indem etwa schwerwiegende und plötzlich eintretende Eingriffe in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand die Normunterworfenen mit guten Gründen vertrauen konnten, zu vermeiden sind. Auf dieser Grundlage kann es geboten sein, entsprechende Übergangsregelungen vorzusehen.

Im konkreten Fall hat sich der Gesetzgeber für eine Begünstigung von Versicherten ab einem bestimmten Stichtag entschieden, sodass die Judikatur zu den benachteiligenden Eingriffen nicht unmittelbar herangezogen werden kann. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei zukünftigen Verbesserungen muss allerdings als größer angesehen werden als bei der Beeinträchtigung bestehender Rechtspositionen, weil das bedeutsame Moment des "erschütterten Vertrauens" in eine bestehende Rechtslage - aufgrund derer etwa Dispostionen getroffen wurden - wegfällt (vgl auch VfGH 8. 10. 2003, G 47/03, zur Einführung einer Kriegsgefangenenentschädigung). Die Bezugnahme auf den Unfallszeitpunkt als Abgrenzungskriterium ist auch nicht als unsachlich anzusehen, verhindert es doch von den Zufälligkeiten des Datums des Leistungsanfalls abhängige Differenzierungen. Außerdem erleichtert es die Kalkulation des Versicherungsträgers, mit welchen Belastungen er in Hinkunft rechnen muss. Allein daraus, dass sich aus der fehlenden Rückwirkung der Norm Nachteile für den Kläger (im Vergleich zu Personen mit einem späteren Unfallzeitpunkt) ergeben, kann nicht abgeleitet werden, dass die Regelung an sich gleichheitswidrig ist (10 ObS 48/95 = SSV-NF 9/34).

Der Oberste Gerichtshof sieht daher keinen Anlass zu einem Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof.

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