OGH 4Ob123/04y

OGH4Ob123/04y18.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichischer Gewerkschaftsbund, *****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verein *****gewerkschaft, *****, vertreten durch Berger Saurer Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 46.000 EUR; Berufungs- und Revisionsinteresse 37.000 EUR), über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2004, GZ 4 R 213/03b-8, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. August 2003, GZ 18 Cg 60/03t-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung - einschließlich des mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsenen Teils - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, insbesondere zu Zwecken der Mitgliederwerbung die Behauptungen zu unterlassen, die Gewerkschaft öffentlicher Dienst betrüge im Zusammenhang mit Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst und deren Ergebnis die öffentlich Bediensteten, sie wende billige Taschenspielertricks an, das Ergebnis der von ihr geführten Gehaltsverhandlungen stelle einen Zinsbetrug dar, sie leime die öffentlich Bediensteten mit billigen Zahlenspielereien, sowie das Begehren, den Kläger zu ermächtigen, den Spruch des über die Klage ergehenden Urteils binnen 4 Monaten nach Rechtskraft auf Kosten des Beklagten im Textteil der Monatszeitschrift 'GÖD - Der öffentliche Dienst aktuell' sowie in einer Samstagausgabe der Tageszeitung 'Kronen Zeitung' in Normallettern mit Fettdruck-Umrandung, Fettdruck-Überschrift und gesperrt sowie fettgedruckten Namen der Prozessparteien veröffentlichen zu lassen, werden abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 3.169,44 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 7.914,82 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 699,97 EUR USt und 3.715 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der klagende Österreichische Gewerkschaftsbund ist ein eingetragener Verein. Zu seinen Aufgaben gehört ua die Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Bildungs- und Kulturarbeit, berufliche Weiterbildung, Mitwirkung an und Durchführung von Freizeitgestaltung, Schaffung und Führung von Erholungsheimen und Feriendörfern sowie, Solidaritätsversicherung. Die selbstständig betriebenen Tätigkeiten dienen wirtschaftlichen Zwecken, auch wenn damit kein Erwerbszweck verfolgt wird. Die Gewerkschaft öffentlicher Dienst ist eine der 13 Teilgewerkschaften des Klägers. Sie hat keine eigene Rechtspersönlichkeit.

Der Beklagte ist ein eingetragener Verein mit Sitz in D*****. Im Zusammenhang mit dem von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ausverhandelten Gehaltsabschluss für 2003 ließ er am 30. 1. 2003 an Lehrer an Wiener Schulen ein Flugblatt verteilen, das wie folgt gestaltet war:

Der Kläger begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, insbesondere zu Zwecken der Mitgliederwerbung, die Behauptungen zu unterlassen, die Gewerkschaft öffentlicher Dienst betrüge im Zusammenhang mit Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst und deren Ergebnis die öffentlich Bediensteten, sie wende billige Taschenspielertricks an, das Ergebnis der von ihr geführten Gehaltsverhandlungen stelle einen Zinsbetrug dar, sie leime die öffentlich Bediensteten mit billigen Zahlenspielereien. Der Kläger begehrt weiters, ihn zur Urteilsveröffentlichung auf Kosten des Beklagten in der Monatszeitschrift "GÖD - Der öffentliche Dienst aktuell" sowie in einer Samstagausgabe der Tageszeitung "Kronen Zeitung" zu ermächtigen. Die im Flugblatt erhobenen Anschuldigungen seien sitten- und wahrheitswidrig. Der Beklagte wolle den Ruf der Gewerkschaft durch herabsetzende unwahre Behauptungen schädigen. Der Kläger stütze die Klage auf jeden in Betracht kommenden Rechtsgrund und damit auch auf das UWG und auf § 1330 Abs 2 ABGB.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Er habe nicht im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gehandelt. Auseinandersetzungen im politischen Bereich fielen nicht in den Anwendungsbereich des UWG. Die beanstandeten Behauptungen seien in ihrem Tatsachenkern wahr. Die Kritik stütze sich darauf, dass bei der im Herbst 2000 getroffenen Gehaltsvereinbarung für das Jahr 2002 im Vorhinein vereinbart worden sei, nur die Inflation abzugelten und keine Reallohnsteigerung zu gewähren. Es sollte vorab eine Teilabgeltung von 0,8 % gewährt und, nach Vorliegen der Inflationsrate für 2002, der Differenzbetrag gezahlt werden. Zum Zeitpunkt der für das Jahr 2003 getroffenen "Vereinbarung" am 29. 10. 2002 sei bereits absehbar gewesen, dass die Inflation für 2002 1,8 % betragen werde. Der Beklagte habe kritisiert, dass der Kläger einen "Gehaltsabschluss" von 2,1 % für 2003 proklamiere, obwohl sich diese Prozentangabe auf das 1 % unter der vollen Inflationsabgeltung liegende und damit nicht einmal inflationsangepasste Gehaltsniveau 2002 beziehe. Darauf bezögen sich die Rechenbeispiele. Die beanstandeten Aussagen seien eine im politischen Meinungsstreit zulässige Kritik. Da der Kläger einen "Verhandlungserfolg" für 2003 von 2,1 % vermelde und verschweige, dass für 2002 eine bereits im Oktober 2000 vereinbarte Gehaltserhöhung von zusätzlich 1 % gebühre und dass die 2,1 % für 2003 auf dem um 1 % zu niedrigen und noch nachzubessernden Lohnniveau 2002 beruhten, "betrüge" er die öffentlich Bediensteten. Der Vorwurf des "Zinsbetrugs" beziehe sich darauf, dass ein Teil der für 2002 geschuldeten Gehaltserhöhung erst im Nachhinein gezahlt werde. Der Dienstgeber (Finanzminister) erhalte damit einen zinsenlosen Kredit. Die Aussage, der Kläger "leime die öffentlich Bediensteten mit billigen Zahlenspielereien", beziehe sich erkennbar wiederum auf die Aussage, es sei eine Gehaltserhöhung von 2,1 % ausgehandelt worden, obwohl für das Jahr 2002 nach wie vor 1 % fehlten.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, insbesondere zu Zwecken der Mitgliederwerbung, die Behauptungen zu unterlassen: Die Gewerkschaft öffentlicher Dienst betrüge im Zusammenhang mit Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst und deren Ergebnis die öffentlich Bediensteten, das Ergebnis der von ihr geführten Gehaltsverhandlungen stelle einen Zinsbetrug dar, sie leime die öffentlich Bediensteten mit billigen Zahlenspielereien, und ermächtigte den Kläger, das Urteil in der Monatszeitschrift "GÖD - Der öffentliche Dienst aktuell" und in einer Samstagausgabe der Tageszeitung "Kronen Zeitung", lokale Ausgabe für Wien, auf Kosten des Beklagten zu veröffentlichen. Das Mehrbegehren, dem Beklagten die Behauptung zu untersagen, die Gewerkschaft öffentlicher Dienst wende billige Taschenspielertricks an, und den Kläger zur Urteilsveröffentlichung in einer österreichweiten Ausgabe der "Kronen Zeitung" zu ermächtigen, wies das Erstgericht ab. Zwischen den Streitteilen bestehe ein Wettbewerbsverhältnis, da der Beklagte mit dem Flugblatt um Mitglieder werbe. Der Beklagte habe auch in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Der Vorwurf des Betrugs und des Leimens mit Zahlenspielereien halte sich nach Art und Ausmaß nicht im Rahmen einer zulässigen und erforderlichen Kritik. Das Unterlassungsbegehren sei, mit Ausnahme des Begehrens auf Untersagung der gerade noch akzeptablen Behauptung, die Gewerkschaft öffentlicher Dienst wende billige Taschenspielertricks an, nach § 1330 ABGB und nach § 7 UWG berechtigt. Die Veröffentlichung in der Wiener Lokalausgabe der "Kronen Zeitung" reiche aus, weil die Flugblätter im Wiener Raum verteilt worden seien.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die beanstandeten Behauptungen seien kein im politischen Meinungsstreit zulässiges Werturteil. Die auf dem Flugblatt abgedruckte Erläuterung, dass die Erhöhung der Gehälter um 2,1 % letztlich kaum mehr als eine Inflationsabgeltung bringe und der Reallohnzuwachs nur 0,1 % betrage, könne den Vorwurf des Betrugs, des "Zinsbetrugs" und des "Leimens mit billigen Zahlenspielereien" nicht rechtfertigen. Jeder wisse, dass der als Ergebnis von Gehaltsverhandlungen bekanntgegebene Prozentsatz die Erhöhung der Ist-Löhne betreffe und nichts darüber aussage, ob eine volle Inflationsabgeltung und ein Reallohnzuwachs bewirkt wurde. Mit dem Betrugsvorwurf bezichtige die Beklagte den Kläger jedenfalls einer Täuschung über Tatsachen. Der Kläger habe aber nie behauptet, zusätzlich zur vollen Inflationsabgeltung eine Erhöhung der Gehälter um 2,1 % erreicht zu haben. Die Vorwürfe hätten keinen wahren Tatsachenkern. Der Beklagte könne sich daher nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen; der Kläger sei auch nicht sein politischer Gegner. Das Erstgericht habe die beanstandeten Äußerungen auch nach § 7 UWG beurteilt. Dass das Unterlassungsbegehren die Wortfolge "zu Zwecken des Wettbewerbs" nicht enthalte, schade nicht. Der Wettbewerbszweck folge schon aus der Art des untersagten Verhaltens; darüber hinaus seien auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1330 ABGB erfüllt. Das Veröffentlichungsbegehren sei auch in Bezug auf die "Kronen Zeitung" berechtigt, weil nicht ausschließlich Lehrer vom Flugblatt Kenntnis erlangt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob Gewerkschaften bei der Mitgliederwerbung im geschäftlichen Verkehr tätig werden; die Revision ist auch berechtigt.

1. Zum Handeln von Gewerkschaften im geschäftlichen Verkehr:

Unter den Begriff des "geschäftlichen Verkehrs" fällt nach ständiger Rechtsprechung jede selbstständige, auf Erwerb gerichtete Tätigkeit - im Gegensatz zu rein privater oder amtlicher Tätigkeit -, also jede geschäftliche Betätigung im weitesten Sinn, ohne dass Gewinnabsicht notwendig wäre; vielmehr genügt eine selbstständige, zu wirtschaftlichen Zwecken ausgeübte Tätigkeit, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt (4 Ob 2007/96t = ÖBl 1996, 191 - Cliniclowns; 4 Ob 27/00z = ÖBl 2000, 213 - Betriebsrat aktuell, jeweils mwN). Keine Tätigkeit in diesem Sinn liegt vor, wenn politische Parteien (4 Ob 299/99w = MR 2000, 107 - L-Nachrichten) oder Betriebsratsfraktionen (4 Ob 27/00z = ÖBl 2000, 213 - Betriebsrat aktuell) in Erfüllung ihres politischen Auftrags tätig werden.

Für Gewerkschaften kann nichts anderes gelten. Auch sie haben einen (sozial-)politischen Auftrag, den sie mit der Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen. Soweit sie in diesem Bereich tätig werden, nehmen sie regelmäßig nicht am Erwerbsleben teil, auch wenn sie mit anderen Gewerkschaften im Wettbewerb stehen und um Mitglieder werben. Der Wettbewerb zwischen Gewerkschaften ist daher, ebenso wie der Wettbewerb zwischen politischen Parteien, kein Wettbewerb im geschäftlichen Verkehr.

Auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung lehnt es ab, die Mitgliederwerbung und -betreuung von Gewerkschaften den Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zu unterstellen. Die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung könne nicht dem Auftreten von Wettbewerbern im geschäftlichen Verkehr gleichgesetzt und Regeln unterstellt werden, die auf das Konkurrenzverhältnis von Gewerbetreibenden mit ganz anders gearteten Interessenkonflikten zugeschnitten sind (BGH GRUR 1980, 309 - Straßen- und Autolobby; s auch BGHZ 42, 210; BGH GRUR 1971, 591 - Sabotage; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht22 EinlUWG Rz 210; Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts², 114; Köhler/Piper, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb³ Einf Rz 199; Großkomm/Schünemann EnlUWG Rdn D 184).

Werden diese Grundsätze im vorliegenden Fall angewandt, so können die beanstandeten Äußerungen nicht nach § 7 UWG beurteilt werden:

Die mit dem Flugblatt verbreitete Kritik an der Darstellung des Gehaltsabschlusses im öffentlichen Dienst durch die Gewerkschaft öffentlicher Dienst ist Teil der (sozial-)politischen Auseinandersetzung zwischen zwei Gewerkschaften; sie dient dazu, Mitglieder zu werben. Die beanstandeten Äußerungen sind daher nicht dem geschäftlichen Verkehr zuzurechnen. Die Außerstreitstellung des Klagevorbringens zu Punkt 1 (AS 2) durch die Beklagte (AS 10) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Maßgebend ist nicht, ob der Kläger mit seinen (vielfältigen) selbstständig betriebenen Tätigkeiten im geschäftlichen Verkehr handelt, sondern entscheidend ist, dass die Beklagte mit dem zum Zweck der Mitgliederwerbung verteilten Flugblatt nicht im geschäftlichen Verkehr tätig geworden ist. Damit ist zwar noch nicht der Unterlassungsanspruch zu verneinen, weil der Kläger seinen Anspruch insoweit auch auf § 1330 ABGB gestützt hat, wohl aber der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung nach § 25 UWG.

2. Zur Beurteilung der beanstandeten Äußerungen nach § 1330 ABGB:

Der Beklagte macht geltend, dass die beanstandeten Äußerungen ein zulässiges Werturteil seien. Der Persönlichkeitsschutz von Politikern und in politischem Zusammenhang sei stark eingeschränkt. Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit müsse auch bei der Beurteilung, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil handelt, berücksichtigt werden.

Der Beklagte beruft sich auf die Entscheidung 6 Ob 265/03v. In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof auf die Lehrmeinung Zöchbauers (Anm zu MR 2002/149 - TATblatt) verwiesen, wonach im Lichte der Judikatur des EGMR der Begriff der Tatsachenbehauptung enger und der der Meinung weiter zu verstehen sei. Eine genauere Auseinandersetzung mit dieser Lehrmeinung hat sich erübrigt, weil der den Gegenstand dieses Verfahrens bildende Verleumdungsvorwurf nach dem Gesamtzusammenhang eindeutig als Tatsachenbehauptung zu werten war.

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung und damit auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (6 Ob 93/98i = SZ 71/96 = MR 1998, 269 (Korn) - Schweine-KZ mwN).

Das beanstandete Flugblatt wendet sich an Lehrer an Wiener Schulen, die der Beklagte als Mitglieder gewinnen will und die er auch ausdrücklich dazu auffordert, ihm beizutreten. In diesem Zusammenhang ist auch seine Kritik an der Gewerkschaft öffentlicher Dienst zu sehen. Er wirft ihr vor, öffentlich Bedienstete zu "betrügen", "Zinsbetrug" zu begehen und die Bediensteten mit "Zahlenspielereien leimen" zu wollen. Seinen Vorwurf untermauert er mit Berechnungen, aus denen sich ergeben soll, dass der von der Gewerkschaft öffentlicher Dienst erreichte Gehaltsabschluss von 2,1 % in Wahrheit nicht einmal die Inflation zur Gänze abgilt.

Aufgrund des Zusammenhangs mit einer Mitgliederwerbeaktion und des durch das Flugblatt erweckten Gesamteindrucks ist auszuschließen, dass der Betrugsvorwurf und der Vorwurf des Leimens mit billigen Zahlenspielereien als Vorwurf strafbarer Handlungen verstanden werden könnten. Für die angesprochenen Lehrer kann kein Zweifel bestehen, dass ein (kleiner) Mitbewerber der (großen) Gewerkschaft öffentlicher Dienst durch harsche Kritik an dem von der Gewerkschaft öffentlicher Dienst verhandelten Gehaltsabschluss und dessen Darstellung in der Öffentlichkeit punkten will. Der Gewerkschaft öffentlicher Dienst wird, wenn auch mit drastischen Worten, Schönfärberei eines nicht einmal die volle Inflationsabgeltung sichernden Gehaltsabschlusses, aber kein strafrechtlich bedenkliches Verhalten vorgeworfen.

Als Kritik an der Vertretung der Interessen der öffentlich Bediensteten durch die Gewerkschaft öffentlicher Dienst sind die beanstandeten Äußerungen dem Bereich der (sozial-)politischen Auseinandersetzung zuzuordnen. Soweit ihnen überhaupt ein Tatsachenkern entnommen wird und sie nicht ohnehin nur als Meinungsäußerung aufgefasst werden, ist dieser wahr. Der Tatsachenkern reduziert sich nämlich auf die Behauptung, dass die Gewerkschaft öffentlicher Dienst den von ihr erreichten Gehaltsabschluss in günstigem Licht erscheinen lässt. Wahre Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen fallen nicht unter § 1330 Abs 2 ABGB und können daher nach dieser Gesetzesstelle auch nicht untersagt werden.

Die beanstandeten Äußerungen sind aber auch nicht als Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB zu werten:

Bei der für die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erforderlichen Interessenabwägung kommt es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses und auch auf den Zweck der Meinungsäußerung an. Die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes sind nach der vom Obersten Gerichtshof übernommenen Rechtsprechung des EGMR weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil Politiker sich unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Auch Privatpersonen und private Vereinigungen müssen sich eine kritische Beurteilung gefallen lassen, sobald sie die politische Bühne betreten (6 Ob 149/01g = SZ 74/117 = MR 2001, 370 - Menschenhatz mwN).

Für eine politische Auseinandersetzung, wie sie auch hier vorliegt, gilt daher ganz allgemein eine höhere Toleranzschwelle. Diese wird im vorliegenden Fall weder durch den eindeutig auf die ist der Darstellung des Gehaltsabschlusses durch die Gewerkschaft öffentlicher Dienst bezogenen Betrugsvorwurf noch den des Leimens mit billigen Zahlenspielereien überschritten.

Der Revision war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage für das Rechtsmittelverfahren beträgt insgesamt 37.000 EUR (Unterlassungsbegehren 27.000 EUR; Veröffentlichungsbegehren 10.000 EUR). Die abweisende Entscheidung des Erstgerichts über eine der vier beanstandeten und mit insgesamt 36.000 EUR bewerteten Behauptungen ist rechtskräftig geworden. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sind daher nur mehr drei - mangels anderer Anhaltspunkte gleich zu bewertende - Behauptungen.

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