OGH 12Os67/04 (12Os68/04)

OGH12Os67/04 (12Os68/04)5.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Finster als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl Z***** wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB, AZ 241 Ur 354/03g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. November 2003 (ON 16) und gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 12. Dezember 2003, AZ 23 Bs 323,324/03 (= ON 29), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, sowie des Verteidigers Dr. Vallender zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 12. Dezember 2003, AZ 23 Bs 323,324/03 (ON 29 des Ur-Aktes), verletzt, soweit damit die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 21) gegen den Beschluss des Untersuchungsrichters vom 6. November 2003 (S 3c f) als unzulässig zurückgewiesen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 179 Abs 5 StPO.

2. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Nach Einbringung der Anklageschrift beantragte die Staatsanwaltschaft am 28. Oktober 2003 die Erlassung eines Haftbefehls gegen Karl Z***** gemäß §§ 175 Abs 1 Z 2 und Z 4, 176 Abs 1 StPO, seine Ausschreibung zur Verhaftung im Inland sowie die Verhängung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit c StPO (S 3).

Dem erstgenannten Antrag entsprach der Untersuchungsrichter am 30. Oktober 2003 durch Erlassung eines auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehles (ON 7) teilweise und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Heranziehung des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr mit gesondertem Beschluss, gleichfalls vom 30. Oktober 2003 (ON 9), ab.

Nach der Einlieferung des Beschuldigten widerrief der Untersuchungsrichter mit gemäß § 508 Z 2 Geo auf dem Antrags- und Verfügungsbogen handschriftlich niedergelegten einheitlichem Beschluss vom 6. November 2003 den Haftbefehl ON 7 (S 3c Punkt 1.) und verhängte über Karl Franz Z***** die Untersuchungshaft allein aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO), die er durch gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 Z l, 3 und 7 StPO für substituierbar erachtete (S 3c Punkt 2.) während er unter Punkt 3. (S 3c f) dieses Beschlusses den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft über den Beschuldigten auch aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO) abwies; die Begründung des bezeichneten Beschlusses betrifft sämtliche wiedergegebenen Einscheidungsteile.

In weiterer Folge wurden die Punkte 2.) und 3.) des Beschlusses vom 6. November 2003, samt korrespondierender Begründung jeweils in Maschinschrift gesondert ausgefertigt (ON 16, 19), vom Richter unterfertigt und den Parteien zugestellt.

Gegen den Punkt 3.) des Beschlusses, der ihr in Form der ON 19 zur Kenntnis gelangte, erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien (ON 21) mit dem Antrag, über den Beschuldigten die Untersuchungshaft auch aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO zu verhängen. Mit Beschluss vom 12. Dezember 2003, AZ 23 Bs 323, 324/03 (ON 29 des Ur-Aktes), wies das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht (ua) diese Beschwerde mit der Begründung, dass "nur in der Haftfrage selbst der Instanzenzug an das Oberlandesgericht eröffnet ist (EvBl 1996/7 ....)" und "gesetzwidrig von der Haftentscheidung gelöste Begründungen (die auch die Heranziehung einzelner Haftgründe umfassen - 12 Os 78/00 = SSt 63/104) hingegen nicht an den Gerichtshof zweiter Instanz herangetragen werden können", als unzulässig zurück.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen „die von der Entscheidung über die Untersuchungshaft (ON 16) gesonderte Fassung des Beschlusses des Untersuchungsrichters vom 6. November 2003 (ON 19)" wendet, geht sie fehl:

Nach § 179 Abs 2 StPO hat der Untersuchungsrichter nach der Vernehmung sofort zu beschließen, ob der Beschuldigte (allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel) freigelassen oder über ihn die Untersuchungshaft verhängt wird. Gemäß Abs 3 leg cit ist der (solcherart gefasste) Beschluss des Untersuchungsrichters samt Begründung dem Beschuldigten sofort zu eröffnen, innerhalb der in dieser Bestimmung näher genannten Frist schriftlich auszufertigen und zuzustellen. Der damit getroffenen gesetzlichen Anordnung, über die Anträge auf Verhängung der Untersuchungshaft in einem Beschluss abschließend zu entscheiden, ist der Untersuchungsrichter durch die beschriebene Vorgangsweise ohnedies nachgekommen.

Die - wie hier - nach Entscheidungspunkten gesonderte Ausfertigung der Punkte 2.) und 3.) Haftbeschlusses ändert nichts an der im Einklang mit § 179 Abs 2 und Abs 3 StPO stehenden einheitlichen Beschlussfassung. Denn für deren Überprüfung ist nur die Urschrift der Entscheidung maßgebend (Mayerhofer StPO5 § 270 RN 36). Durch die (in bestimmten Fällen gesetzlich gebotene - § 79 Abs 2 GOG) Unterfertigung durch den Richter verlieren, ON 16 und ON 19, die dasselbe Datum und denselben Inhalt wie der Beschluss S 3c f (Punkt 2 bzw Punkt 3) aufweisen, keinesfalls ihre Eigenschaft als bloße uneingeschränkt im Sinn der Urschrift berichtigungsfähige (Mayerhofer aaO abermals § 270 RN 36) Ausfertigungen des in Rede stehenden Beschlusses (§§ 62, 149 Abs 1 lit a und lit b GeO, 79 Abs 1 und Abs 2 GOG).

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher in diesem Umfang zu verwerfen.

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht, soweit damit die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 21) gegen den Haftbeschluss des Untersuchungsrichters vom 6. November 2003 (S 3c f) als unzulässig zurückgewiesen wurde, steht hingegen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 179 Abs 5 StPO steht dem Staatsanwalt gegen einen Beschluss nach Abs 2 leg cit - mit dem der Untersuchungsrichter die Enthaftung anordnet - die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu. Die dargestellte Teilung der Ausfertigung der Haftentscheidung (S 3c f; ON 16 und 19) ändert - wie oben dargelegt - nichts daran, dass der Untersuchungsrichter der Sache nach nur eine Haftentscheidung getroffen hat.

Ungeachtet der bloß auf die Beschlussausfertigung ON 19 bezogenen Anfechtungserklärung war somit diese einheitliche Haftentscheidung Gegenstand der Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 179 Abs 2 und Abs 5 StPO), was sich ferner aus dem auf die - zwingend den Wegfall der Entscheidung nach § 180 Abs 5 Z 7 StPO bedingende (§ 190 Abs 1 StPO) - zusätzliche Heranziehung des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr abzielenden Beschwerdeantrag (ON 21) ergibt.

Zu dieser Haftbeschwerde war die Staatsanwaltschaft trotz der Verhängung der Untersuchungshaft legitimiert. Denn der Staatsanwalt ist durch die Nichtannahme von ihm geltend gemachter Haftgründe bei Verhängung (oder Fortsetzung) der Untersuchungshaft dann beschwert, wenn dadurch seinen Strafverfolgungsinteressen nicht vollständig entsprochen wurde (vgl Lohsing/Serini, Österreichisches Strafprozessrecht4 240). Dies trifft namentlich insbesondere in jenen Fällen zu, in denen das Gesetz an die ausschließliche Heranziehung eines Haftgrundes besondere, den Fortbestand der Untersuchungshaft einschränkende Rechtsfolgen knüpft, wie etwa bei ausschließlicher Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr die - wie im gegenständlichen Fall - obligatorische (mit der Wirkung einer aufhebend bedingten Haftverlängerung bzw -fortsetzung verbundene, vgl 11 Os 71/03) Bestimmung einer Sicherheitsleistung (§ 190 Abs 1 StPO) oder der Begrenzung der Dauer der Untersuchungshaft (ausschließlich) aus dem Grunde der Verdunkelungsgefahr (§ 194 Abs 1 StPO; vgl SSt 57/51 aE).

Das Oberlandesgericht Wien, dessen Entscheidung ersichtlich auf einer Fehlinterpretation der darin zitierten Urteile des Obersten Gerichtshofes, insbesondere SSt 63/104, das auf die Verpflichtung des Beschwerdegerichtes zur umfassenden amtswegigen Überprüfung der Haftfrage abstellt, beruht, hätte daher über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ON 21 meritorisch zu entscheiden gehabt. Da sich die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes nicht zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, bedarf es keiner konkreten Maßnahme im Sinne des § 292 letzter Satz StPO.

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