OGH 10ObS63/04v

OGH10ObS63/04v27.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Loibl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter, in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Magdalena N*****, vertreten durch Mag. German Storch, Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, Klosterstraße 1, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Heinz Oppitz, Dr. Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Februar 2004, GZ 12 Rs 110/03p-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Mai 2003, GZ 17 Cgs 24/03p-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 und 4 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag,

in § 3 Abs 2 Z 2 des OÖ Pflegegeldgesetzes, LGBl Nr 64/1993, in der Fassung des Landesgesetzes, mit dem das OÖ Pflegegeldgesetz geändert wird (OÖ Pflegegeldgesetz-Novelle 2002), LGBl Nr 155/2001, die Wortfolge "oder von Vorschriften einer Vertragspartei des EWR-Abkommens" als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung

Die am 6. 7. 1920 geborene Klägerin leidet an einem proportionierten Kleinwuchs und Untergewichtigkeit von 10 kg, einem Cornelia de Lange-Syndrom, verbunden mit Innenohrtaubheit und psychomotorischem Entwicklungsrückstand.

Sie benötigt fremde Hilfe bei der täglichen Körperpflege (25 Stunden), bei der Zubereitung von Mahlzeiten (30 Stunden), für die Motivation zur Nahrungsaufnahme und zur Aufforderung zum Weiteressen, damit sie die notwendigen Nahrungsmittel zu sich nimmt (10 Stunden), beim An- und Auskleiden (20 Stunden), für die Reinigung bei Harn- und Stuhlteilinkontinenz (10 Stunden), bei der Verrichtung der Notdurft (30 Stunden), für die Einnahme von Medikamenten (3 Stunden). Weiters benötigt die Klägerin konsequente Hilfe bei der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten (10 Stunden), der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände (10 Stunden), der Pflege der Leib- und Bettwäsche (10 Stunden), der Mobilitätshilfe im engeren Sinn (15 Stunden) und der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (10 Stunden).

Mit Ausnahme der Unterstützungsleistung für das Aufsuchen des Klosetts können bei der Klägerin alle Pflegemaßnahmen hinsichtlich Körperpflege, Nahrungsaufnahme, An- und Auskleiden sowie Medikamteneinnahme in koordinierten Pflegeeinheiten erfolgen. Hinsichtlich der Hilfestellung bei der Verrichtung der Notdurft ist es aber notwendig, dass ständig eine Pflegeperson im engeren Wohnbereich zur Verfügung steht, die Hilfestellung leistet, sobald die Klägerin aufs Klosett gehen will. Da ein Anfallsleiden nicht vorliegt und auch über psychische Unruhezustände nichts berichtet wird, sind keine unkoordinierbaren Pflegemaßnahmen notwendig, mit Ausnahme der Hilfestellung bei der Verrichtung der Notdurft. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung. Mit einer Besserung ist nicht mehr zu rechnen.

Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz und ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Oberösterreich. Sie bezieht (ausschließlich aufgrund von Kindererziehungszeiten) von der Landesversicherungsanstalt Oberbayern eine deutsche Rentenleistung. Eine Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung besteht nicht, weil hiefür keine Beiträge für die Klägerin einbezahlt worden sind.

Mit Bescheid vom 19. 11. 2002 hat das Land Oberösterreich den Antrag der Klägerin vom 4. 10. 2001 auf Gewährung von Pflegegeld nach dem OÖPGG abgelehnt.

Das Erstgericht sprach der Klägerin - ausgehend von einem Pflegebedarf von 183 Stunden monatlich und einem außergewöhnlichen Pflegebedarf - Pflegegeld der Stufe 5 nach dem OÖPGG zu.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte es zusammengefasst aus: Der EuGH habe in den Urteilen Molenaar (EuGH C-160/96 ) und Jauch (EuGH C-215/99 ) festgestellt, dass die Vorschriften der deutschen Pflegeversicherung und des österreichischen Pflegegeldrechts den Begünstigten einen Rechtsanspruch auf Leistungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Lebensbedingungen einräumten, die im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung bezweckten. Es sei daher nunmehr anhand der Kriterien für die Zuständigkeit im Bereich der Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft zu prüfen, ob ein Pflegegeld zu zahlen sei. Der Anspruch der Klägerin auf eine deutsche Rentenleistung gründe sich nur auf Kindererziehungszeiten, Rentenzahlungen aufgrund anderer Versicherungszeiten lägen nicht vor. Bei einer Rentenzahlung, die nur aufgrund von Kindererziehungszeiten anfalle, seien keine Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung erhoben bzw an einen deutschen Krankenversicherungsträger abgeführt worden. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin daher auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Pflegeversicherung.

In Österreich bestehe keine Zuständigkeit des Bundes für den Pflegegeldanspruch der Klägerin, weil sie keine Grundleistung beziehe, für die als Annexleistung Bundespflegegeld gebührte. Der Oberste Gerichtshof habe bereits festgestellt, dass die EWR-Pensionisten nicht in den in § 3 Abs 3 und 4 BPGG umschriebenen Personenkreis der anspruchsberechtigten Personen gehörten. Es sei daher die Zuständigkeit des Landes Oberösterreich zu prüfen. Nach § 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG seien Personen, die einen Anspruch auf eine Pension, einen Ruhe-(Versorgungs-)Genuss oder eine gleichartige Leistung aufgrund von Vorschriften einer Vertragspartei des EWR-Abkommens hätten oder geltend machen könnten, vom Anspruch auf Landespflegegeld ausgenommen. Unter einer "gleichartigen Leistung" könne allerdings nicht jede x-beliebige Pension eines Vertragspartners angesehen werden, sondern nur eine solche Pension, die auch einen Anspruch auf Pflegegeldleistung begründen könne. Der EuGH habe in der deutschen Rechtssache Molenaar judiziert, dass Pflegegeldleistungen im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistung der Krankenversicherung seien, mit der sie auch organisatorisch verknüpft sei, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern. Voraussetzung hiefür sei jedoch, dass in Deutschland Beiträge zur Krankenversicherung entrichtet worden seien. Die erwähnte Ausnahmebestimmung im OÖPGG sei aufgrund der EuGH-Judikatur eingefügt worden. Diese Ausnahmebestimmung sei daher teleologisch auf jene Fälle zu reduzieren, in denen Personen vergleichbare Leistungen aus einem EWR-Staat erhalten und gleichzeitig von dort Pflegegeld beziehen könnten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf deutsches Pflegegeld. Sie habe in Österreich aufgrund ihrer Mitversicherung bei ihrem Ehegatten Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung. Insofern sei die Zuständigkeit des Landes Oberösterreich als Pflegegeldträger gegeben, sodass es gar nicht mehr darauf ankomme, ob die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG überhaupt anwendbar sei. Da der monatliche Pflegebedarf mehr als 180 Stunden betrage und ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand vorliege, weil die dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson erforderlich sei, habe die Klägerin Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Da das Erstgericht den Zeitaufwand im Zusammenhang mit der Verrichtung der Notdurft doppelt veranschlagt habe und bei richtiger Ermittlung des Pflegebedarfs der Schwellenwert von 180 Stunden nicht überschritten werde, stehe der Klägerin Pflegegeld der Stufe 4 zu. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Berufungsgericht davon aus, dass nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Jauch (EuGH 8. 3. 2001, C-215/99 ) das österreichische Bundespflegegeld als Leistung bei Krankheit iSd Art 4 Abs 1 lit a der Verordnung 1408/71 zu qualifizieren sei und daher im Anwendungsbereich dieser Verordnung auch ins Ausland zu exportieren sei. Von diesem EuGH-Urteil seien aber nicht nur die außerhalb Österreichs wohnenden Bezieher einer österreichischen Pension, sondern auch jene EU- bzw EWR-Staatsbürger und schweizerischen Staatsbürger betroffen, die ihren Wohnsitz in Österreich hätten und nur eine Rente aus einem EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat oder der Schweiz bezögen. Diese Personen hätten zuvor - ohne dass ein österreichischer Pensionsbezug vorgelegen sei - ein Pflegegeld nach dem BPGG erhalten. Nach dem bis dahin in Österreich herrschenden Verständnis sei das Bundespflegegeld als beitragsunabhängige Sonderleistung iSd Art 4 Abs 2a der VO 1408/71 beurteilt und unter Bedachtnahme auf die Eintragung des Bundespflegegeldes im Anhang IIa dieser Verordnung in Befolgung des Art 10a Abs 1 und Abs 3 der Verordnung 1408/71 auch an Staatsangehörige anderer EWR-Staaten bezahlt worden, soferne diese Ausländer ihren Wohnort in Österreich gehabt und eine einer österreichischen Gegenleistung (etwa einer ASVG-Pension) gleichgestellte Rente aus einem anderen EWR-Staat bezogen hätten. Mit der Qualifizierung des Bundespflegegeldes als "Leistung bei Krankheit" sei aber nunmehr anhand der Kriterien für die Zuständigkeit im Bereich der Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft zu prüfen, ob Pflegegeld zu zahlen sei. Nach Ansicht der zuständigen österreichischen Bundesbehörden würden derartige Fälle in die Zuständigkeit der Länder fallen, die aber diese Auffassung nicht teilen.

Offenkundig in Reaktion auf die durch das erwähnte EuGH-Urteil geschaffene Rechtslage sei mit der Novelle zum OÖPGG LGBl 2001/155 der Kreis der vom Landespflegegeld ausgeschlossenen Personen auf jene Personen erweitert worden, die Ansprüche auf eine Pension, einen Ruhe-(Versorgungs-)Genuss oder eine gleichartige Leistung aufgrund von Vorschriften einer Vertragspartei des EWR-Abkommens hätten oder geltend machen könnten (§ 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG idF LGBl 2001/155). Diese Bestimmung sei am 29. 12. 2001 in Kraft getreten. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe, sei der Landesgesetzgeber von der Annahme ausgegangen, dass die Pflegegeldkompetenz für Bezieher von EWR-Renten beim Bund liege. Dabei werde in den Materialien ausdrücklich auf die Problematik dieser Rechtsansicht hingewiesen, dass nämlich der Ausschluss der EWR-Rentner aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem OÖPGG der grundsätzlichen Verpflichtung der zwischen Bund und Ländern geschlossenen Vereinbarung nach Art 15a B-VG über die Einführung einer umfassenden Pflegevorsorge insofern widersprechen könnte, als sich für diese Personen nunmehr weder der Bund noch das Land Oberösterreich bei Aufenthalten in Oberösterreich als zuständig zur Gewährung einer Pflegeleistung erachten würden. Aufgrund dieser Vereinbarung nach Art 15a B-VG sei es Verpflichtung der Länder, jenen Personen, die keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundespflegegeldgesetz haben, Landespflegegeld zu gewähren. Daraus folge, dass dem Landesgesetzgeber nicht die Absicht unterstellt werden könne, dass er mit der Pflegegeldgesetz-Novelle 2002 eine Gesetzeslage schaffen habe wollen, die den Ausschluss einer bestimmten Personengruppe von jeglichem Pflegegeldanspruch zur Konsequenz habe. Die novellierte Bestimmung des § 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG sei daher so zu verstehen, dass Bezieher von EWR-Renten nur dann vom Landespflegegeldgesetz ausgeschlossen werden sollten, wenn die EWR-Leistung ohnehin einen Anspruch auf Bundespflegegeld begründe. Dies sei aber nicht der Fall. Die strittige Rechtsfrage der Pflegegeldzuständigkeit für EWR-Pensionisten sei in der Zwischenzeit vom Obersten Gerichtshof nämlich dahin gelöst worden, dass diese Personengruppe nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG gehöre und auch nach § 3 Abs 3 und 4 BPGG nicht in den Kreis der nach dem BPGG anspruchsberechtigten Personen einbezogen werden könne. Die wörtliche Auslegung der novellierten Bestimmung würde daher zu dem vom Landesgesetzgeber ausdrücklich nicht gewünschten Ergebnis führen, dass EWR-Pensionisten weder Anspruch auf Bundes- noch auf Landespflegegeld hätten. Es sei daher zu der am Zweck der Norm ausgerichteten Auslegung zu greifen, die dazu führe, dass der Klägerin mangels Anspruch auf Bundespflegegeld Leistungen nach dem OÖPGG gebührten.

Zum Einwand der beklagten Partei, sie sei aufgrund der innerösterreichischen Kompetenzvorschriften nicht zur Leistung eines Landespflegegeldes an die Klägerin verpflichtet, habe der Oberste Gerichtshof bereits ausgeführt, dass die Verfassungsbestimmung des Art I BPGG unter anderem auch eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Kompetenzbereich des Bundes und jenem der Länder schaffe. Nach Art 1 Abs 2 iVm Art 2 Abs 2 der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen sollen all jene Personen, die nicht zu dem nach dem BPGG anspruchsberechtigten Personenkreis gehören, grundsätzlich zu gleichen Bedingungen Pflegegeld von den Ländern beziehen. Die Regelungsbefugnis der Länder beginne daher erst dort, wo die entsprechende Bundeskompetenz ende. Dafür sei nun nach Art I BPGG in personeller Hinsicht der Geltungsbereich des BPGG, insbesondere dessen § 3 maßgebend. Für die Zugehörigkeit zum Kreis der nach dem BPGG Anspruchsberechtigten müssten regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müsse die betreffende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und zum anderen müsse sie eine der im § 3 Abs 1 BPGG offenbar taxativ aufgelisteten Leistungen beziehen bzw - in den Fällen der Z 2, 3 oder 6 - bezogen haben oder in Zukunft voraussichtlich beziehen. Alle diese bundesgesetzlichen Grundleistungen, zu denen nur als Annex allenfalls Pflegegeld zu gewähren sei, seien schon vor der Neuregelung der Pflegevorsorge Voraussetzung für den Anspruch auf pflegebezogene Geldleistungen gewesen. Insofern habe die Verfassungsbestimmung des Art I BPGG keine Erweiterung der Kompetenz des Bundes bewirkt. Dieser Situation würden grundsätzlich auch alle Landespflegegeldgesetze Rechnung tragen. Tatsache sei jedenfalls, dass die Klägerin keine Grundleistung beziehe, die einen Anspruch auf Bundespflegegeld als Annexleistung rechtfertigen würde, und dass die EWR-Pensionisten nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG gehören. Damit komme aber auch der in § 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG vorgesehene Ausschluss im Falle der Klägerin nicht zum Tragen, weil nach dem dargelegten Verständnis dieser Bestimmung Landespflegegeld eben nur dann nicht zustehen solle, wenn die EWR-Leistung einen Anspruch auf Bundespflegegeld begründe.

Die beklagte Partei habe nicht bestritten, dass die auf Kindererziehungszeiten beruhende deutsche Rente der Klägerin keine Beitragspflicht für die deutsche Kranken- und Pflegeversicherung auslöse und daher auch kein Anspruch Leistungen aus der deutschen Pflegeversicherung bestehe. Die Klägerin sei in Österreich als Angehörige bei ihrem Ehegatten in der Krankenversicherung mitversichert. Mangels Zuständigkeit eines deutschen Trägers für Leistungen bei Krankheit bestehe auch kein Anspruch auf Import einer deutschen Pflegeleistung. Auch daraus ergebe sich, dass im Fall der Klägerin das Land Oberösterreich für Pflegegeldleistungen leistungszuständig sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur strittigen Bestimmung des § 3 Abs 2 Z 2 OÖPGG idF LGBl 2001/155 nicht bestehe und die Frage, ob diese Bestimmung EWR-Leistungsbezieher generell vom oberösterreichischen Landespflegegeld ausschließe, von grundsätzlicher Bedeutung für eine erhebliche Anzahl von Personen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Art I des Bundesgesetzes, mit dem ein Pflegegeld eingeführt wird (Bundespflegegeldgesetz - BPGG) enthält folgende Verfassungsbestimmung: "Die Erlassung, Änderung und Aufhebung von Vorschriften, wie sie im Artikel II des Bundespflegegeldgesetzes enthalten sind, sowie die Vollziehung dieser Vorschriften sind auch in jenen Belangen Bundessache, hinsichtlich derer das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 etwas anderes vorsieht. Die Angelegenheiten des Artikels II können im Sinne des Artikels 102 Abs 2 B-VG unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden."

Mit dieser Kompetenzbestimmung, die in erster Linie eine Abgrenzung zwischen dem Kompetenzbereich des Bundes und jenem der Länder bewirkt wird, sollte vor allem vermieden werden, dass zumindest ein Teil des BPGG dem Tatbestand "Sozialversicherungswesen" (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG) zuzuordnen wäre (Pfeil, BPGG [1996] 30 mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, 32). In Ermangelung einer speziellen Kompetenzgrundlage für die landesgesetzliche Normierung von pflegebezogenen Geldleistungen kommt hiefür Art 15 Abs 1 B-VG in Betracht (zu dieser - hauptsächlichen - Kompetenzgrundlage für die Erlassung der Landespflegegeldgesetze siehe etwa Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich [1994] 309 ff).

Die subsidiäre Regelungsbefugnis, damit aber auch die Verpflichtung der Länder nach Art 1 Abs 2 bzw Art 2 Abs 3 der gemäß Art 15a B-VG abgeschlossenen "Pflege-Vereinbarung" (BGBl 1993/866; OÖLGBl 1993/129) beginnt dort, wo die entsprechende Bundeskompetenz endet, sodass insgesamt ein "geschlossenes Pflegegeldsystem" vorliegt (Gruber/Pallinger, Kommentar zum BPGG [1994] § 3 Rz 14, 20). Nach Art 2 Abs 3 der Pflege-Vereinbarung geht die Gewährung des Pflegegelds nach dem BPGG der Gewährung nach landesgesetzlichen Vorschriften vor; dem wird im OÖPGG dadurch Rechnung getragen, dass der Anspruch auf Landespflegegeld auf den Fall beschränkt wird, dass keine der in § 3 BPGG angesprochenen Grundleistungen bezogen wird, die gegebenenfalls einen Anspruch auf Bundespflegegeld auslösen (§ 3 Abs 1 Z 4 und § 3 Abs 2 Z 1 OÖPGG).

Nach Art I BPGG bestimmt sich die Bundeskompetenz in personeller Hinsicht nach dem konkreten Geltungsbereich des BPGG, insbesondere also nach § 3. Obwohl die Verfassungsbestimmung des Art I BPGG eine Erweiterung des Personenkreises erlaubt hätte, sollten durch das BPGG nur jene Personen erfasst werden, die schon zuvor (potenziell) einen bundesgesetzlichen Anspruch auf eine pflegebezogene Geldleistung gehabt hatten, sodass die Verfassungsbestimmung des Art I BPGG keine Erweiterung der Kompetenz des Bundes bewirkt hat.

Unter den in § 3 BPGG genannten Personenkreis fällt die Klägerin nicht, weil sie insbesondere keine in § 3 Abs 1 BPGG erwähnte Grundleistung bezieht, die einen Anspruch auf Bundespflegegeld als Annexleistung rechtfertigen würde. "EWR-Pensionisten" wurden bisher vom Bundesgesetzgeber nicht in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG einbezogen und sie gehören auch nicht zu der im § 3 Abs 3 und 4 BPGG umschriebenen Personengruppe, die in den Kreis der nach dem BPGG anspruchsberechtigten Personen einbezogen werden kann (vgl auch 10 ObS 321/00d und 10 ObS 286/02k). Nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung (und unter Bedachtnahme auf ihren Hauptwohnsitz und rechtmäßigen Aufenthalt in Oberösterreich) würde die Klägerin damit in die Anspruchsberechtigung nach dem oö Landespflegegeldgesetz fallen. Dieses Ergebnis wird dadurch erhärtet, dass dann, wenn man sich die von der Klägerin bezogene Leistung wegdenkt, ihr Anspruch auf Pflegegeld unzweifelhaft nach Landesrecht zu beurteilen wäre. Ansatzpunkt für einen Anspruch nach dem BPGG könnte demnach nur die bezogene "EWR-Leistung" bilden, die jedoch - wie schon erwähnt - in § 3 BPGG nicht genannt ist. In der Revision wiederholt das Land Oberösterreich den nach der dargelegten Ansicht des Obersten Gerichtshofes unrichtigen Einwand, aufgrund der innerösterreichischen Kompetenzvorschriften bestehe keine Verpflichtung zur Leistung eines Landespflegegeldes an die Klägerin. Zu dieser Thematik hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 8. 4. 2003, 10 ObS 1/03z (RIS-Justiz RS0117519) eingehend Stellung genommen. Das Berufungsgericht hat die darin enthaltenen Argumente (dass in dem dem hier zu entscheidenden durchaus ähnlichen Fall kein Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG bestehe) wiedergegeben. Das Argument, im Hinblick auf den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG, wonach "Sozial- und Vertragsversicherungswesen" in Gesetzgebung und Vollziehung zum Bund ressortiere, sei das Land nicht zu Leistungen an die Klägerin verpflichtet (obwohl diese unstrittig ihren Wohnsitz und rechtmäßigen Aufenthalt in Oberösterreich hat und nicht dem Personenkreis des § 3 BPGG angehört), würde in letzter Konsequenz darauf hinauslaufen, dass Art 15 B-VG überhaupt keine Kompetenzgrundlage für das Landespflegegeld bilden könnte.

Der oberösterreichische Landesgesetzgeber ist bei Schaffung des in § 3 Abs 2 Z 2 letzter Fall OÖPGG enthaltenen Ausschlusstatbestandes von einer anderen Prämisse ausgegangen. In den Gesetzesmaterialien (Blg 1175/2001 zum kurzschriftlichen Bericht des OÖ Landtags, XXV. GP) wird die Ansicht vertreten, für "EWR-Pensionisten" bestehe nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung eine Zuständigkeit des Bundes. Dabei wird vor allem auf die nicht näher belegte Tatsache hingewiesen, dass sich der Bund bislang "auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung im BPGG innerstaatlich für die Bezieher von EWR-Renten für zuständig erachtet" habe (vgl auch Talir, SozSi 2003, 252 [255]), und auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5. 11. 1996, 10 ObS 2189/96a, verwiesen. Nach dieser Entscheidung haben Hinterbliebene von Selbständigen, die weder in die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung noch in den Geltungsbereich des BPGG (nach dessen § 3 Abs 2) einbezogen waren, weder einen Anspruch auf Bundes- noch auf Landespflegegeld. Der Entscheidung liegt jedoch zugrunde, dass für eine gesetzliche Regelung des Pflegegeldanspruchs für pflegebedürftige Freiberufler bzw deren Hinterbliebene der Bund zuständig wäre, was auch in der Möglichkeit der Einbeziehung von Freiberuflern in § 3 Abs 3 BPGG zum Ausdruck kommt (Pfeil, Neuregelung 315).

Mit der Gruppe der Freiberufler ist aber aus der Sicht der innerstaatlichen Kompetenzverteilung die Gruppe von Pflegebedürftigen mit EWR-Bezug nicht vergleichbar. Es wurde schon erwähnt, dass in vergleichbaren Fällen Pflegebedürftigen mit österreichischer Staatsbürgerschaft und österreichischem Wohnsitz, die weder eine Grundleistung nach § 3 BPGG noch eine Leistung aus einem anderen EWR-Staat beziehen, Landespflegegeld gebührt. Eine Bundeskompetenz für die inkonsistente Gruppe von Pflegebedürftigen mit EWR-Bezug müsste also allein darauf beruhen, dass eine den in § 3 Abs 1 BPGG aufgezählten Grundleistungen vergleichbare Leistung aus dem EWR-Ausland bezogen wird. Dass dieser Umstand die kompetenzmäßige Zuordnung vom Land zum Bund verändern würde ist dem Kompetenzkatalog der Verfassung (B-VG, Art I BPGG) aber nicht zu entnehmen. Auch das Urteil des EuGH in der Rs C-215/99 , Jauch hat an der innerstaatlichen Kompetenzverteilung nichts geändert, aber offensichtlich auf Seiten des Bundes ein anderes Verständnis ausgelöst (vgl Talir, SozSi 2003, 252 [255]).

Der Pflegegeldanspruch der Klägerin kann sich daher nur gegen das Land richten und ist nach dem OÖPGG zu beurteilen, das jedoch in § 3 Abs 2 Z 2 für den Fall des Anspruchs auf eine Pension oder eine gleichartige Leistung aufgrund von Vorschriften einer Vertragspartei des EWR-Abkommens einen Ausschluss vorsieht. Da diese Bestimmung auf die Klägerin anzuwenden ist, liegt die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Präjudizialität vor.

Im Rechtsmittelverfahren ist nicht strittig, dass die Klägerin zwar einen Anspruch auf eine deutsche Rente hat, allerdings nicht auf Pflegegeld aus der deutschen Pflegeversicherung. Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich. Da sie keinen Anspruch auf Bundespflegegeld hat (vgl § 3 BPGG), wird sie durch den genannten Ausschlusstatbestand in § 3 Abs 2 Z 2 ÖOPGG

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